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Ein Museumsdepot ist vergleichbar mit dem Herz eines Organismus. Seine Betrachtung gewährt Einblicke, die in einer Ausstellung nicht vermittelbar sind. Dies gilt fu¨r Museen der Völkerkunde in besonderem Maße. Zu Tausenden werden hier Objekte in Sammlungen zusammengefasst, betitelt, digitalisiert, versteckt oder wiederentdeckt.Die Berliner Ku¨nstlerin Anja Nitz (_1971) setzt sich in ihrer Fotoarbeit mit der Kultur des Sammelns auseinander. Durch ihren Blick verschwimmen die Grenzen zwischen den Sammlungsbeständen und den Arbeitswelten der Museumslager. Sammlungsobjekte treten am Ort ihrer…mehr

Produktbeschreibung
Ein Museumsdepot ist vergleichbar mit dem Herz eines Organismus. Seine Betrachtung gewährt Einblicke, die in einer Ausstellung nicht vermittelbar sind. Dies gilt fu¨r Museen der Völkerkunde in besonderem Maße. Zu Tausenden werden hier Objekte in Sammlungen zusammengefasst, betitelt, digitalisiert, versteckt oder wiederentdeckt.Die Berliner Ku¨nstlerin Anja Nitz (_1971) setzt sich in ihrer Fotoarbeit mit der Kultur des Sammelns auseinander. Durch ihren Blick verschwimmen die Grenzen zwischen den Sammlungsbeständen und den Arbeitswelten der Museumslager. Sammlungsobjekte treten am Ort ihrer Aufbewahrung und in der Verkleidung ihrer Verpackung ins Bild. Fu¨r die aktuelle Debatte um den Umgang mit dem kolonialen Erbe werden diese Fotografien zu Zeugen und ermöglichen einen transparenten Zugang zu den gegenwärtigen Depot- und Sammlungssituationen der Museen fu¨r Völkerkunde in Leipzig, Dresden und Herrnhut.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Kai Spanke erhält überraschende Einblicke in die Depots von Museen mit diesem Band der Fotografin Anja Nitz. Nitz suchte die Völkerkunde-Museen in Leipzig, Dresden und Herrnhut auf, lichtete ab, was sonst nicht gezeigt wird und nummerierte und sortierte die Objekte für diesen Band, freut sich der Kritiker, der auch die erläuternden Texte mit Gewinn gelesen hat. Ein wenig irritiert blickt der Rezensent offenbar auf jene Bilder, denen die Warnung vor "sensiblen" Inhalten vorangeht, etwa menschliche Gebeine. Weshalb diese Objekte, meist aus dem kolonialistischen beziehungsweise Raubkunst-Kontext, nicht in den Museen, aber im Buch gezeigt werden, erschließt sich ihm nicht. Nitz' nüchterne Herangehensweise - der Verzicht auf Pathos und "grelle Effekte" - findet Spanke allerdings äußerst passend.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.06.2021

Diese Bilder könnten Sie verstören

Unter den wachen Augen Ho Chi Minhs: Anja Nitz fotografiert die Depots von drei ethnologischen Museen in Sachsen.

Jedes Museum hat eine Bühne und einen Backstage-Bereich. Auf der Bühne werden ausgewählte Objekte für die Besucher in Szene gesetzt und durch eine Informationstafel ergänzt. Im Backstage-Bereich hingegen schlummert der weitaus größere Teil der Sammlung - eingehüllt in Luftpolsterfolie, weggeschlossen in Schränken oder verteilt auf Europaletten. Das Archiv ist so etwas wie das schlechte Gewissen des Museums, denn was sich dort befindet, stellt keine Konkurrenz für die Glanzstücke dar und bleibt den Blicken des Publikums womöglich dauerhaft verborgen. Diese Aufteilung zwischen vorne und hinten markiert zugleich eine Trennung zwischen Kennern und interessierten Laien. Im Depot wird geforscht und katalogisiert, im Schauraum gestaunt.

Wie Besucher des Louvres oder der Londoner National Gallery Gemälde betrachten, hat Thomas Struth fotografisch festgehalten. Mit welchen Überraschungen ein Depot aufwartet, zeigt die 1971 geborene Anja Nitz. Für ihr neues Buch lichtete sie Objekte aus den Sammlungen der Museen für Völkerkunde in Leipzig, Dresden und Herrnhut ab. Manche der Bilder wirken fast wie Schnappschüsse, andere bestechen durch ihre feinsinnige Komposition. Die ästhetische Erfahrung, zu der sie einladen, hat nichts Weihevolles, da sie sich einer nüchternen Bestandsaufnahme im konkreten Sinne verdankt. Ironischerweise bilden die Fotos der Objekte eine eigene Kollektion, sind sie doch nummeriert, sortiert, in einem Index aufgeführt und mit erläuternden Texten versehen.

Nitz bewegt sich auf vertrautem Terrain, denn schon 2016 hat sie für ihre Installation "Hinter den Spiegeln" die Depots der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen besucht. Dabei den Überblick zu behalten dürfte unmöglich gewesen sein, schließlich befinden sich in Leipzig rund 200 000, in Dresden 88 000 und in Herrnhut 6700 potenzielle Ausstellungsstücke. Manche davon könnten als so problematisch empfunden werden, dass das Buch mit einer Triggerwarnung beginnt: "Bitte beachten Sie, dass Darstellungen von ,sensiblen Objekten' wie beispielsweise menschliche Gebeine in diesem Band aufgrund der mit ihnen verbundenen Geschichte kolonialer Gewalt eine verstörende oder verletzende Wirkung haben können - insbesondere für die Nachfahren der Individuen, deren Gebeine sich in den Depots befinden."

Die Direktorin der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen, Léontine Meijer-van Mensch, schreibt in ihrem Beitrag, Gipsabdrücke zeugten von einer "rassistischen Vergangenheit", weswegen im Schauraum kein Platz für sie sei. Anders verhält es sich, sobald es um Anja Nitz' Fotoband geht: "In diesem besonderen Fall trafen wir die Entscheidung, dass die Abgüsse Teil des Buches sein sollten." Die Gründe für diesen Beschluss bleiben im Dunkeln. Nun stellt sich eingedenk des Warnhinweises die Frage nach der genauen Differenz zwischen einem Objekt, das man aus Rücksicht nicht präsentiert, und einer Fotografie desselben, die man der Öffentlichkeit zugänglich macht. Bei solchen Überlegungen schwingt die Debatte um Kolonialismus und Raubkunst im Hintergrund stets mit. Da ist es angemessen, dass Anja Nitz auf emphatische Darstellungen verzichtet. Viele ihrer Aufnahmen wirken geradezu steril.

Ihr künstlerisches Prinzip ist die Beiläufigkeit. Hier Werkzeug, Transportkisten und Rollregalsysteme, dort Trachtenfiguren, Giftpfeile und Wachsbüsten. Hier ein Stickbild von Ho Chi Minh, der mit wachen Augen in die Ferne schaut, dort ein gerahmtes Porträt Mahatma Gandhis hinter einem Computerbildschirm. Alles gleichberechtigt nebeneinander, ohne grelle Effekte inszeniert. Während in Museen durch hierarchisch organisierte Parcours und Epochengliederungen Ordnung hergestellt wird, zeigt sich in deren Magazinen die chaotische Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Meint man, denn tatsächlich herrscht auch im Lager absolute Akkuratesse.

Aufsicht führen die Sammlungskonservatoren. Sie treten auf den Bildern nicht in Erscheinung, haben aber in Form von Karteikarten und Ordnern Spuren ihres Inventarisierungswillens hinterlassen. Die oft beschworene Aura eines Objekts verdankt sich - so denkt man beim Betrachten der Fotografien - wohl vor allem dem Bühnenzauber des Museumssaals, weniger dem Ausstellungsstück selbst. Backstage wirken die Objekte nämlich, als seien sie nur da, um zu illustrieren, nach welchem Aufbewahrungsprinzip sie letztlich eingemottet werden.

KAI SPANKE

Anja Nitz: "Depot".

Mit Texten von K. Breß,

M. Harder, M. Krakouer,

L. Meijer-van Mensch und L. van Broekhoven.

Englisch und Deutsch. Kerber Verlag, Bielefeld 2020. 144 S., Abb., geb., 40,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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