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Originell und unverbraucht - Friedo Lampe gilt als Meister des Magischen RealismusDer erste kurze Roman von Friedo Lampe (1899-1945) wird mit dieser Ausgabe nach 66 Jahren wieder als Einzelband zugänglich. Johannes Graf folgt in seiner Edition dem Erstdruck, berücksichtigt aber auch das Marbacher Manuskript. Die Eingriffe, die Johannes Pfeiffer, Herausgeber von Lampes Gesamtwerk, 1955 im Text vorgenommen hatte, sind rückgängig gemacht, so daß hier die einzig authentische Fassung vorliegt. - Friedo Lampe, im Kaiserreich aufgewachsen, studierte während der Weimarer Republik und begann unter der…mehr

Produktbeschreibung
Originell und unverbraucht - Friedo Lampe gilt als Meister des Magischen RealismusDer erste kurze Roman von Friedo Lampe (1899-1945) wird mit dieser Ausgabe nach 66 Jahren wieder als Einzelband zugänglich. Johannes Graf folgt in seiner Edition dem Erstdruck, berücksichtigt aber auch das Marbacher Manuskript. Die Eingriffe, die Johannes Pfeiffer, Herausgeber von Lampes Gesamtwerk, 1955 im Text vorgenommen hatte, sind rückgängig gemacht, so daß hier die einzig authentische Fassung vorliegt. - Friedo Lampe, im Kaiserreich aufgewachsen, studierte während der Weimarer Republik und begann unter der Herrschaft der Nationalsozialisten zu veröffentlichen. Er war einer der wichtigen Repräsentanten der damals »Jungen Generation« von Autoren, die nach Möglichkeit alle Beziehungen zum Regime vermieden und doch schreibend in Deutschland blieben. Sein Werk (zwei kurze Romane, ein Dutzend Erzählungen und einige Gedichte) ist unverbraucht frisch und ausgesprochen originell »kein umfangreiches, aber ein wichtiges, vollendetes, nobles, noch unausgeschöpftes OEuvre, voll von Lesefreuden, ein Lehrbuch für junge Schriftsteller, und ich glaube, es zählt zum Bleibenden der deutschen Literatur« (Wolfgang Koeppen). Das Kompositionsprinzip des Romans »Am Rande der Nacht« hat Lampe in einem Brief umrissen: »Lauter kleine, filmartig vorübergleitende, ineinander verwobene Szenen: Alles leicht und fließend, nur ganz locker verbunden, malerisch, lyrisch, stark atmosphärisch.« Dieses filmartige Erzählen, das mit harten Schnitten, weichen Überblendungen und gelassenen Schwenks arbeitet, nimmt wie zufällig etwa drei Dutzend einzelne Figuren ins Bild, deren Erfahrungen und Erlebnisse gebündelt und geeint werden durch die Nacht und das Vergehen der Zeit. Friedo Lampes Prosa ist ein Musterbeispiel für den Magischen Realismus, die deutsche Sonderform des Surrealismus. Stimmen zu Leben und Werk Friedo Lampes:»Friedo Lampe schrieb dichterische Prosa, Sätze voller Schwermut, zart und kräftig zugleich in Geschichten, die vom ersten Wort an die Spannung des Unheimlichen hatten, auch wenn sich Unheimliches in ihnen gar nicht ereignete. Sie waren bürgerliche Welt, diese Geschichten, aber auf magische Weise durchschaute bürgerliche Welt (...). Es ist kein umfangreiches, aber ein wichtiges, vollendetes, nobles, noch unausgeschöpftes Oeuvre, voll von Lesefreuden, ein Lehrbuch für junge Schriftsteller, und ich glaube, es zählt zum Bleibenden der deutschen Literatur.« (Wolfgang Koeppen)»Hier soll, mit Worten, ein kleiner Gedenkstein errichtet werden für einen Erzähler, der ein dauerhafteres Monument verdient. Dieses freilich müßte ihm seine Vaterstadt Bremen setzen, doch darf man zweifeln, daß sie dergleichen im Sinne habe. Die hansischen Städte sind spröde, sie feiern ihre verlorenen Söhne nicht oder nur widerstrebend, und ein Künstler ist immer ein verlorener Sohn. Ihn, Friedo Lampe, halb zu vergessen, aber wäre eine Unachtsamkeit, die nicht statthaft ist, und eine Geschichte der neueren deutschen Literatur, die ihn mit drei Zeilen abtut, ermangelt der richtigen Wertsetzung.«(Kurt Kusenberg)»Im Jahre 1933 erschien sein Roman »Am Rande der Nacht«, ich las ihn damls mit großer Anteilnahme, denn es waren auch dann schon deutsche Prosadichtungen von solcher Qualität sehr selten (...). Und was damals (...) so schön und stark ansprach, ist nicht verblaßt und hat standgehalten, es bewährt sich auf schönste und fesselt und entzückt wie einst, man ist dankbar für die Mehr zahl der hinzugekommenen kleineren Dichtungen, und einige davon, vor allem »Septembergewitter«, ergänzen und verstärken den Eindruck (...). Ich werde diesen Band, für den der Verleger gepriesen sei, allen meinen Freunden empfehlen.«(Hermann Hesse)
Autorenporträt
Friedo Lampe (1899-1945) studierte Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie und begann unter der Herrschaft der Nationalsozialisten zu veröffentlichen. Er ist ein wichtiger Repräsentant der damals »Jungen Generation« von Autoren, die nach Möglichkeit alle Beziehungen zum Regime vermieden und doch schreibend in Deutschland blieben. Lebenslauf: 1899 4.12. Geburt von Moritz Christian Friedrich Lampe als zweiter Sohn einer Kaufmannsfamilie in Bremen 1917 Kindheit und frühe Jugend im alten Bremer Hafenviertel, 1914 Umzug an den Osterdeich; Knochentuberkulose (klinische Behandlung auf Norderney) führt zu einer Gehbehinderung 1917-1919 Militärdienst (wg. der Behinderung 1919 in der Küchenverwaltung) und Kriegsreifeprüfung 1920 Studium der Literaturwissenschaft 1928 Studium der Kunstgeschichte und Philosophie in Heidelberg (bei Gundolf, Jaspers und Rickert), München (bei Wölfflin) und Freiburg (bei Husserl, Jantzen und Witkop); Promotion über die »Lieder zweier Liebenden« von Goeckingk 1928 Rückkehr nach Bremen; Volontär 1931 Redakteur und Mitherausgeber von Schünemanns Monatsheften (Freundschaft mit Alma Rogge und Waldemar Augustiny); Kunstkritiken für »Weser-Zeitung« und »Bremer Nachrichten«; Erzählung »Am dunklen Fluß« 1931 Ausbildung zum Volksbibliothekar 1932 bei Erwin Ackerknecht in Stettin 1932-1937 Tätigkeit für die Hamburger Öffentlichen Bücherhallen, ab 1935 als Leiter der Zweigstelle Mönckebergstraße und als Lektor (verantwortlich für sämtliche Buchanschaffungen); Mitgleid eines Hamburger Dichterkreises (Martin Beheim-Schwarzbach, Wilhelm Emanuel Süskind; Joachim, Edgar und Waldemar Maass); Veröffentlichung des ersten Romans »Am Rande der Nacht« (1933), der kurz nach der Publikation beschlagnahmt und eingezogen wird, und der Ballade »Das dunkle Boot« (1936) 1937-1945 Arbeit als Lektor für die Verlage von Ernst Rowohlt, Henri Goverts und Karl Heinz Henssel in Grünheide, Berlin und Kleinmachnow; Veröffentlichung des zweiten Romans »Septembergewitter« (1937) und der Sammlung »Von Tür zu Tür« - Zehn Geschichten und eine« (1944; ausgeliefert 1946); während der letzten Kriegsmonate mußte Lampe in einer Nebenstelle des Auswärtigen Amtes Texte redigieren, die Verlautbarungen von »Feindsendern« wiedergaben; sechs Tage vor der Kapitulation (am 2.5.1945) wurde Friedo Lampe von Soldaten der Roten Armee, die ihn fälschlich für einen SS-Mann hielten, erschossen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2000

Die Magie des Dunkels
Friedo Lampes Erstling „Am Rande der Nacht” ohne Streichungen
Seine Geschichte ist vom Unglück gerahmt. Als Friedo Lampe 1933 mit dem Roman Am Ende der Nacht debütierte, geriet er sofort ins Verdachtsfeld der Nazis und nach vier Wochen war das Buch verboten. Wenige Tage vor der Kapitulation wurde der 46-Jährige, der in Folge Abmagerung seinem Passbild nicht mehr ähnlich sah, von Rotarmisten in Kleinmachnow erschossen. Sie haben in ihm absurderweise einen verkappten SS-Mann vermutet. Dazwischen ein bescheidenes Dasein im bürgerlichen Bezirk: Studium, Bibliothekar, Verlagslektor. Mit seinen Büchern hat er sich viel Zeit gelassen; zwei schmale Romane und ein Erzählungsband, das macht schon fast das Werk aus. So einer bringt alles mit, um vergessen zu werden, wozu man sich vielleicht ebenso eignen muss wie zum Rampenlicht: eine gewisse Unverwendbarkeit gehört dazu. Entdeckt und wieder vergessen in der Nachkriegszeit – das hat sich in gleichmütigem Wechsel mehrmals wiederholt.
Lampes Unbrauchbarkeit nennt sich, wenn man sie auf einen Begriff spannen will: magischer Realismus. Er war nach 1945 mit Ernst Kreuder, Elisabeth Langgässer und Hermann Kasack zum Beispiel kurze Zeit auf dem Tapet, wurde jedoch zu Gunsten der Pathos- und Ausnüchterungsformel vom „Kahlschlag” (Wolfgang Weyrauch) abgedrängt, bliebe eine ungenutzte Möglichkeit. Friedo Lampes Erstling ist gewiss eines der herausragenden Beispiele dafür.
Eine Hafenstadt (unschwer als Bremen zu erkennen) ist die Drehbühne des Romans: rund 30 Figuren, in Paaren auftretend und wieder verschwindend, bewegen sich zwischen Fluss und Häusern, Wall, Park, im Traum, im Varieté, auf einem Dampfer, treten vor und zurück wie einzelne Motive einer selbstvergessenen Musik. Vom Abenddämmer bis Mitternacht erstreckt sich das Panorama einer fließenden Zeit, das Dunkel hüllt die Figuren ein und treibt ihr Verborgenes nach außen. Die Nacht entwickelt geradezu die Figuren, belichtet sie grell und träumerisch, taucht sie in kindliche Romantik, fügt Pastelltöne der Melancholie hinzu, offenbart ihre lasziven Triebgewissheiten. Die Nacht ist der eigentliche Held in diesem Roman, der nichts auf einen Einzelnen konzentriert, der einem synchronoptischen Fächer gleicht.
Friedo Lampe setzt seine Figuren scheinbar auf die größtmögliche Oberfläche: Kinder, die Ratten beobachten, während Schwäne die Elegants spielen; ein Kapitän, der seinen Steward peinigt; ein Studentenpaar, das zu einer Schiffsreise aufbricht; zwei Ringer, die einander attackieren; ein Mann und eine Hure, ein alter und ein junger Mann, der Lehrer mit seinen Söhnen. Und so fort. Das treibt, verschiedene Leitmotive streifend, fast träumerisch unbewusst vor sich hin, mäandert durch das Dunkel und oft doch einem artifiziellen Programm. Selten hat ein Debütant sein formales Kalkül so sorgsam versteckt wie Friedo Lampe. Im Raunen des Dunkels, im Rauschen des Wassers, im Nirwana des Alltags, im Parlando der Gleichgültigkeit arbeitet ein hochbewusster Regisseur. Die Technik des Films macht sich bemerkbar in weich geblendeten Szenen, die Drastik einiger homosexueller Sadomasobilder ist von träumerischen Passagen gebrochen. Dieser Tanz um eine leere Mitte hat als Motto zwei Zeilen Hofmannsthals: „Viele Geschicke weben neben dem meinen, / Durcheinander spielt sie alle das Dasein. ”
Dieser Erstling war in seinem Sensualismus wie in seinem Kunstverstand eine miniaturhafte Ausgeburt der Moderne. Ein seiner Mittel höchst bewusster junger Zauberer trat hervor, ordnete seine Figuren zu einem artistischen Ballett, hat, was er als Goethes Programm ansah, die „Welt in einen Geheimniszustand gehoben”. Man muss Johannes Graf, dem Autor des sorgsamen Nachworts, nicht folgen, wenn er diesen magischen Realismus als „deutsche Spielart des Surrealismus” übertreibt. solche Dimension hat der kleine Roman gewiss nicht. Aber er ist doch ein Indiz, mit wie viel Talenten eine junge Generation in den dreißiger Jahren aufgebrochen, ins Abseits gedrängt, in die innere Emigration geraten und nach einer denkbar kurzen Nachkriegsspanne vollends ihrer Wirkung beraubt worden ist. Die Nazis verboten das Buch wegen seiner offen geäußerten Homosexualität und nach dem Krieg wurden die „Stellen” gestrichen. Die Prüderie der fünfziger Jahre hat die gleiche Zensur geübt. Erst mit dieser Neuausgabe hat der Roman Am Rande der Nacht wieder seine authentische Textgestalt erhalten. Die schmale Hinterlassenschaft von Friedo Lampe enthält eine kunstgewisse Sicherheit und Eleganz, die von keiner Vergänglichkeit bisher erodiert worden ist.
WILFRIED F.  SCHOELLER
FRIEDO LAMPE: Am Rande der Nacht. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 1999. 198 Seiten, 36 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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"Friedo Lampe schrieb dichterische Prosa, Sätze voller Schwermut, zart und kräftig zugleich in Geschichten, die vom ersten Wort an die Spannung des Unheimlichen hatten, auch wenn sich Unheimliches in ihnen gar nicht ereignete. Sie waren bürgerliche Welt, diese Geschichten, aber auf magische Weise durchschaute bürgerliche Welt (...). Es ist kein umfangreiches, aber ein wichtiges, vollendetes, nobles, noch unausgeschöpftes Oeuvre, voll von Lesefreuden, ein Lehrbuch für junge Schriftsteller, und ich glaube, es zählt zum Bleibenden der deutschen Literatur." (Wolfgang Koeppen) "Hier soll, mit Worten, ein kleiner Gedenkstein errichtet werden für einen Erzähler, der ein dauerhafteres Monument verdient. Dieses freilich müßte ihm seine Vaterstadt Bremen setzen, doch darf man zweifeln, daß sie dergleichen im Sinne habe. Die hansischen Städte sind spröde, sie feiern ihre verlorenen Söhne nicht oder nur widerstrebend, und ein Künstler ist immer ein verlorener Sohn. Ihn, Friedo Lampe, halb zu vergessen, aber wäre eine Unachtsamkeit, die nicht statthaft ist, und eine Geschichte der neueren deutschen Literatur, die ihn mit drei Zeilen abtut, ermangelt der richtigen Wertsetzung." (Kurt Kusenberg) "Im Jahre 1933 erschien sein Roman "Am Rande der Nacht", ich las ihn damals mit großer Anteilnahme, denn es waren auch dann schon deutsche Prosadichtungen von solcher Qualität sehr selten (...). Und was damals (...) so schön und stark ansprach, ist nicht verblaßt und hat standgehalten, es bewährt sich aufs schönste und fesselt und entzückt wie einst, man ist dankbar für die Mehrzahl der hinzugekommenen kleineren Dichtungen, und einige davon, vor allem "Septembergewitter", ergänzen und verstärken den Eindruck (...). Ich werde diesen Band, für den der Verleger gepriesen sei, allen meinen Freunden empfehlen." (Hermann Hesse)…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2000

Ratten und Schwäne
Umlauerte Ränder: Friedo Lampe in neuer alter Gestalt · Von Joachim Kalka

Die Diktatur der Gedenktage hat doch ihr Gutes: Sie hilft gelegentlich, ein Unrecht zu mildern. Ein fast vergessener, wichtiger Autor jener schmalen Literatur, die während des Dritten Reiches in Deutschland entstand, ohne doch irgendwie nazistisch zu sein, wird jetzt zu seinem hundertsten Geburtstag mit einer schönen Edition des Hauptwerks in Erinnerung gebracht: Friedo Lampe. Der 1899 geborene Bremer aus großbürgerlicher Familie studierte Germanistik; seine auch heute noch nicht unwichtige Dissertation über Goeckingks "Lieder zweier Liebenden" erschien 1928. Nach einer Tätigkeit als Volksbibliothekar in Hamburg ging er 1937 als Lektor nach Berlin - zuerst zu Rowohlt, dann zu Ernst Claassen bei Goverts und schließlich zu Karl Heinz Henssel. In diesem Beruf konnte er auf eine außerordentliche Literaturkenntnis zurückgreifen. Die Spannweite seiner Lektüre lässt sich an den beiden Autoren ablesen, von denen er in einem der bewegenden Briefe nach dem Verlust seiner Bibliothek schrieb, dass er nach ihnen "besondere Sehnsucht" habe: Tacitus und Yeats. Die bedeutende Bildung wird jedoch in den eigenen Texten - zwei kleinen Romanen, einigen Erzählungen - nie direkt zitiert, sie scheint nur in der eigenartigen Formung des Stils auf. Die Wohnung mit seinen Büchern brannte in derselben Novembernacht 1943 aus, in der auch die soeben fertig gedruckte Auflage seines Erzählbandes in Leipzig dem Brand zum Opfer fiel. Friedo Lampe starb am 2. Mai 1945, wahrscheinlich durch ein tragisches Missverständnis: Rotarmisten, die ihn unmittelbar nach der Kapitulation Berlins in einer noch militärisch verdächtigen Gegend bei Kleinmachnow sistierten, erkannten den Abgemagerten im Foto seines Ausweises wohl nicht wieder und erschossen ihn sofort.

Obwohl der Rowohlt Verlag 1955 eine Ausgabe des Gesamtwerks in einem Band vorlegte (der die zwei Romane "Am Rande der Nacht" und "Septembergewitter" von 1934/1937 enthielt, die 1945 postum erschienene Erzählungssammlung "Von Tür zu Tür" und einige Nachlasstexte), obwohl Lampe einen so charakteristischen Autor der Nachkriegszeit wie Wolfgang Koeppen stark beeinflusst hat, fand er - der immer begeisterte Fürsprecher unter den Kritikern hatte - kein großes Publikum und war bei den Lesern rasch vergessen. Man kann das darauf zurückführen, dass diese Nachkriegszeit, grob vereinfachend gesagt, im Zeichen Hemingways stand. "Ein schwermütiges, schönes Buch, verwandt den unzeitlichen Dichtungen Hofmannsthals, Eduard Keyserlings und Herman Bangs" heißt es dagegen auf dem Schutzumschlag der Erstausgabe von "Am Rande der Nacht", den der Wallstein Verlag jetzt ebenso wie die Typographie des Originals liebevoll nachgebildet hat.

Wir haben den Roman nun in originaler Textgestalt wieder, mit einem klugen Nachwort ediert von Johannes Graf. In einem Brief vom Februar 1932 hat Lampe eine bemerkenswerte Charakterisierung seines Textes gegeben: "Es soll ein kleines Buch werden. Eine ziemlich wunderliche Sache. Wenige Stunden, so abends zwischen 8 und 12 in einer Hafengegend, ich denke dabei an das Bremer Viertel, in dem ich meine Jugend verbracht habe. Lauter kleine, filmartig vorübergleitende, ineinander verwobene Szenen nach dem Hoffmannsthalischen Motto ,Viele Geschenke fühle ich neben den meinen, / Durcheinander spielt sie alle das Dasein.' Alles leicht und fließend, nur ganz locker verbunden, malerisch, lyrisch, stark atmosphärisch."

Das Hofmannsthal-Zitat (aus "Manche freilich . . .") steht dann auch als Motto vor dem gedruckten Roman. Unter den weiteren hier bezeichneten Zügen - der genauen Topographie Bremens, der Technik eines Romans ohne Zentrum und Hauptfigur ("lauter kleine . . . vorübergehende Szenen"), dem Malerisch-Atmosphärischen - ist vor allem der Verweis auf das "Filmartige" wichtig. Tatsächlich ist dieses "ziemlich wunderliche" Buch eines der wichtigsten, aber so gut wie unbeachteten Zeugnisse des filmischen Einflusses auf die deutsche Literatur vor 1945: Lampe, der ein eifriger Kinogeher war, arbeitet mit einer souverän gehandhabten Technik des Schnitts und der Überblendung, einer sanften Montage seiner Szenen. Darüber hinaus erinnert sein Roman von der Stimmung her oft an das lyrische französische Kino der vierziger Jahre (aber auch ein so eigenartiger und unerwarteter Film wie Käutners "Unter den Brücken" von 1940 erscheint verwandt).

Der oben zitierten Beschreibung des Werkes hat Lampe noch hinzugefügt: "Inhaltlich ist die Sache leider etwas heikel." Das meint wohl weniger das gelegentliche Krasse, das als Ekel und Gewalt in der lyrischen Stimmungsmontage aufzuckt (in der Neuauflage des Claassen-Verlags von 1950 hieß der Roman "Ratten und Schwäne"), es geht dabei vor allem um das homoerotische Element. Lampes Ahnung sollte Recht behalten: Das Buch wurde kurz nach dem Erscheinen 1934 verboten. Seine damals anstößigen Passagen aber hat noch in der Edition von 1955 Lampes Freund Johannes Pfeiffer restlos eliminiert; alle explizit sexuellen Szenen und Szenenpartikel fehlen dort. (Das zeigt, woran Graf zu Recht erinnert, was es für sexualpolitische Kontinuitäten zwischen dem Dritten Reich und der frühen Bundesrepublik gab.)

Dass nach der rasch unterdrückten Erstauflage nun zum ersten Mal wieder der authentische Romantext zugänglich ist, bedeutet die vollständige Wiedergewinnung eines kleinen Meisterwerks. Es geht dabei nicht nur um den tabuisierten Eros: Mit der schwulen Komponente des Buches hängt wohl auch die sehnsüchtige, fast lauernde Betrachtung des Marginalen in dieser Hafenstadt zusammen (in der sich Bremen so ungern wieder erkannt hat), sie lässt das Buch aufgeladen erscheinen durch etwas Heimliches, schafft "Rattennester der Angst und der Lüsternheit", wie Peter Härtling es formuliert hat. Lampe ist ein Virtuose der leicht verfremdeten Stimmung in kleiner Form. Ein weiter ausgreifender Roman lag ihm offensichtlich nicht. Der Satz in einem Brief aus der Zeit der Bombennächte: "Mich interessiert der Untergangsprozess einer so großen Stadt" mag wahr sein, doch eine breite, panoramatische Fiktion war nicht seine Sache. Dass der Rowohlt-Lektor Paul Mayer "Am Rande der Nacht" in seinem Verlagsgutachten über das Manuskript mit Dos Passos verglich - das erfasste zwar sehr präzis das "Filmische", aber ansonsten ist kaum ein größerer Gegensatz denkbar. Lampe ist ein Miniaturist der Stadtränder, der Varietés, Parks und Gartenrestaurants, Straßenbahnhaltestellen und Hafenkais.

Er spricht bescheiden und genau von "kleinen Geweben", als er sich einmal von seinem Verleger Claassen nicht genug gefördert und verstanden fühlt und eine grundsätzliche Abneigung gegen seine Produktionsweise zu spüren meint. Da schreibt er ihm: "Vielleicht schätzen Sie die kleine Form nicht so hoch und halten mehr von dicken Romanen. Einen dicken Roman werde ich Ihnen aber wohl nie liefern können. Wenn Sie sich also mit mir einlassen, müssen Sie immer damit rechnen, daß Sie Capriccios, Arabesken, kleine wunderliche Gewebe bekommen, wenn Sie das nicht mögen, werden Sie nicht mit mir zufrieden sein."

Mit der Bezeichnung "Capriccio" bezieht sich Lampe an anderer Stelle einmal auch vergleichend auf Ernst Jüngers "Das abenteuerliche Herz. Figuren und Capriccios" von 1938; Lampes und Jüngers Texte könnte man auch als zwei Varianten jener gelegentlich etwas hilflos als "magischer Realismus" angesprochenen deutschen Parallelaktion zum Surrealismus sehen. Eine solche Nähe rückt allerdings Lampe nicht nach rechts. Es gibt ein aufschlussreiches Zeugnis von Axel Eggebrecht, dessen Argwohn Lampe bemerkte: "In einem Gespräch unter vier Augen . . . analysierte er in vergnügtem Ton sich selber. Ich sähe da offenbar gewisse Züge, die ich mit völkischen Idealen in Verbindung brächte, treudeutsche Innerlichkeit und dergleichen. Da sei ich auf dem Holzwege. Er wehre sich auf seine Weise gegen die Barbarei, die sich als Neugeburt ausgebe. Er versuche gerade das zu retten, was die dröhnenden Barden totschlügen: die Differenzierung, das Individuum, gebrochene Charaktere, Verzweifelte. Ich war ein wenig beschämt. Von da an nahm ich ihn ernst, wenn ich auch seine stille Opposition für wirkungslos hielt."

Die "Horen" haben Lampe (181/1996) ein Dossier gewidmet, ebenso die Bremer Literaturzeitschrift "Stint" (17/1995). Eine Friedo-Lampe-Gesellschaft (Goetheplatz 4, 28203 Bremen) hat sich gegründet, die einen ebenfalls bei Wallstein erhältlichen Ausstellungskatalog erarbeitet hat. Man kann nun diesen großen kleinen Autor lesend wieder entdecken; selten haben Lampenund Mondlicht der Idylle in solchem Versprechen, aber auch in so perfidem Zwielicht geleuchtet - eine höchst unzuverlässige Traulichkeit.

Friedo Lampe: "Am Rande der Nacht". Herausgegeben von Johannes Graf. Wallstein Verlag, Göttingen 1999. 198 Seiten, geb., 36,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Dem Werk Lampes wäre es zu wünschen daß es den Status als ewiger Geheimtip hinter sich ließe, um die Beachtung zu finden, die ihm gebührt.Als wichtiges Element auf dem Weg zum polyperspektivischen Roman und fernab aller germanistischer Erörterung, als hinreißendes Lektüreerlebnis." Tilman Spreckelsen in 'Berliner Zeitung'

"Lampe (...) arbeitet mit einer souverän gehandhabten Technik des Schnitts und der Überblendung, einer sanften Montage seiner Szenen. Darüber hinaus erinnert sein Roman von der Stimmung her oft an das lyrische Kino der vierziger Jahre (...). Daß nach der rasch unterdrückten Erstauflage nun (...) wieder der authentische Romantext zugänglich ist, bedeutet die vollständige Wiedergewinnung eines kleinen Meisterwerks." Joachim Kalka in 'Frankfurter Allgemeine Zeitung'

"Die schmale Hinterlassenschaft von Friedo Lampe enthält eine kunstgewisse Sicherheit und Eleganz, die von keiner Vergänglichkeit bisher erodiert worden ist." Wilfried F. Schoeller in 'Süddeutsche Zeitung'

"Einen Vergleich mit Thomas Mann, Robert Walser oder Franz Kafka (...) braucht Friedo Lampe in vieler Hinsicht nicht zu scheuen." Thomas Schaefer in 'Der Tagesspiegel'
vergessen, aber wäre eine Unachtsamkeit, die nicht statthaft ist, und eine Geschichte der neueren deutschen Literatur, die ihn mit drei Zeilen abtut, ermangelt der richtigen Wertsetzung." (Kurt Kusenberg) "Im Jahre 1933 erschien sein Roman "Am Rande der Nacht", ich las ihn damals mit großer Anteilnahme, denn es waren auch dann schon deutsche Prosadichtungen von solcher Qualität sehr selten (...). Und was damals (...) so schön und stark ansprach, ist nicht verblaßt und hat standgehalten, es bewährt sich aufs schönste und fesselt und entzückt wie einst, man ist dankbar für die Mehrzahl der hinzugekommenen kleineren Dichtungen, und einige davon, vor allem "Septembergewitter", ergänzen und verstärken den Eindruck (...). Ich werde diesen Band, für den der Verleger gepriesen sei, allen meinen Freunden empfehlen." (Hermann Hesse)