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Im neuen fulminanten und vielstimmigen Roman von Katharina Hacker hat es die Protagonisten, in den Vierzigern, aus ganz unterschiedlichen Gründen, von der deutschen Provinz nach Berlin verschlagen. Alix, Anton und die anderen Freunde, die sich eher zufällig kennengelernt haben, treffen sich regelmäßig bei den Eltern von Alix, meistens Sonntags, und man wandert, in wechselnden Gruppen, um den Schlachtensee.
Viele der Freunde sind in "in der Mitte des Lebens"angekommen - und in diesem Winter in der Mitte des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrhunderts haben sie auf so vieles zu reagieren, daß
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Produktbeschreibung
Im neuen fulminanten und vielstimmigen Roman von Katharina Hacker hat es die Protagonisten, in den Vierzigern, aus ganz unterschiedlichen Gründen, von der deutschen Provinz nach Berlin verschlagen. Alix, Anton und die anderen Freunde, die sich eher zufällig kennengelernt haben, treffen sich regelmäßig bei den Eltern von Alix, meistens Sonntags, und man wandert, in wechselnden Gruppen, um den Schlachtensee.

Viele der Freunde sind in "in der Mitte des Lebens"angekommen - und in diesem Winter in der Mitte des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrhunderts haben sie auf so vieles zu reagieren, daß sie ihre Geschichte rekapitulieren, erzählen, wie sie aus welchen Gründen so geworden sind, wie sie nun zu Beginn der zweiten Lebenshälfte sind.Der Kunst von Katharina Hacker ist es zu verdanken, wenn jeder und jede einzelne mit eigener unverwechselbare Stimme vom Lauf der Dinge berichtet, jeder und jedem dasselbe Erzählrecht zusteht - und so ein Kosmos entsteht, in dem deutsche Geschichte, vergangen und gegenwärtig, aus ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, auf jeder Buchseite dieses Romans sich versammeln.
Autorenporträt
Katharina Hacker, 1967 in Frankfurt am Main geboren und aufgewachsen, studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Freiburg und Jerusalem. Sie arbeitete mehrere Jahre in Israel und lebt seit 1996 als Autorin in Berlin.
Katharina Hacker wurde zur Stadtschreiberin 2005/2006 von Bergen-Enkheim gewählt und erhielt 2006 den Deutschen Buchpreis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.11.2009

Unheil droht, wo Rituale wanken
Vier Fortysomethings, zwei Textblöcke, eine Verlagsquerele: Katharina Hackers „Alix, Anton und die anderen”
Als Katharina Hacker 2006 den Deutschen Buchpreis in Empfang nahm, hielt sie ein kleines Bündel in den Armen, ihre Tochter, die erst drei Wochen vorher zur Welt gekommen war. Es gibt bestimmt einen besseren Zeitpunkt für einen solchen Preis und den damit verbundenen Trubel, dachte man sich als Zuschauer, hin- und hergerissen zwischen Anteilnahme und Irritation. Denn „Die Habenichtse”, der Roman, für den sie ausgezeichnet wurde, erzählte von der Orientierungslosigkeit der Thirtysomethings, von ihrer Unlust, sich festzulegen, Kinder zu bekommen und Familien zu gründen. Die Autorin selbst war also noch einmal davon gekommen. Oder meinte sie mit ihrem Roman nur die anderen?
Der Generationenroman hat sich in den letzten Jahren als ein Genre etabliert, unter dem sich alles Mögliche fassen lässt. In Klappentexten und Verlagsankündigungen wird die Bezeichnung als Mittel zur Aufwertung verwendet. Sobald von einer Generation die Rede ist, fühlen sich viele angesprochen. Ein Einzelfall dient als Beispiel des Allgemeinen, Zeitdiagnostik liegt in der Luft. Auch der neue Roman von Katharina Hacker, „Alix, Anton und die anderen”, entwirft ein Generationenporträt. Die Protagonisten sind mit der Autorin, die 1967 in Frankfurt am Main geboren wurde, älter geworden.
Alix, Anton, Jan und Bernd sind Anfang beziehungsweise Mitte vierzig, also in jener Phase des Lebens, in der man begreift, dass sich unverwirklichte Träume kaum noch leichthändig in die Tat umsetzen lassen. Sie leben in Berlin, in Schöneberg, um genau zu sein, also in jenem Viertel im Westen der Stadt, in dem sich die Alternativkultur als angenehme Lebensform etabliert hat, nicht ganz so alteingesessen wie in Charlottenburg, aber auch nicht so ärmlich und hart wie in Kreuzberg.
Alix und Jan sind verheiratet. Er ist Psychotherapeut mit eigener Praxis, sie arbeitet als Graphikerin so ein bisschen vor sich hin. Sie ist beliebt, weil sie „die anderen die Kastanien aus dem Feuer holen lässt”, denkt ihr Mann , dem ihre Labilität gerade recht kommt. Unter dem Vorwand, sie zu schützen, hat er sich geweigert, ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Dafür bekam sie eine Katze namens Calypso. In Wahrheit aber ist er es selbst, der keine Kinder will. Seine Eltern sind früh bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Undenkbar, dass er mit ansehen muss, wie ein anderer Mensch die Liebe und Geborgenheit bekommt, die er selbst vermisst zu haben meint. Auch Anton ist Arzt, sportlich, liebenswert, aber immer noch Single. Drei Kinder wünschte er sich und eine Villa in Dahlem, inzwischen hat er die Hoffnung auf eine Familie fast schon aufgegeben. Bernd, der Vierte im Bunde, ist schwul und betreibt nach abgebrochenem Medizinstudium eine Buchhandlung.
Die vier bilden eine Art „Wahlfamilie” und wollten sogar einmal zusammenziehen. Sie haben sich darauf geeinigt, dass jeder Haushalt eine andere Tageszeitung bezieht. Nur mit dem geplanten Austausch klappt es nicht so recht. Immerhin gibt es einen fixen Gruppentermin. Einmal im Monat treffen sie sich sonntags bei Alix’ Eltern im bürgerlichen Zehlendorf, lassen sich von der Mutter bekochen und spazieren danach um den Schlachtensee. Nach neunzehn Jahren kommen sie nun auf die Idee, sie könnten ihrerseits die Eltern einladen. Ab sofort geht man zum Vietnamesen. Diese Veränderung eines Rituals bringt die Romanhandlung in Gang und wird mit drohendem Unheil verbunden.
Auch den Freunden gefällt sie
Nur worum es sich dabei handelt, erfahren wir nicht. Dass sich der achtzigjährige Vater, ein ehemaliger Oberstaatsanwalt, in die vietnamesische Eigentümerin des Restaurants verliebt? So richtig schlimm kann das nicht sein. Außer ein paar Blicken und der Überreichung von Blumensträußen geschieht nichts – zumindest nicht bis zum Ende des Buchs, aus dem uns die Autorin mit der Ankündigung weiteren Unheils entlässt. Anton ist einer Frau passenden Alters ins Fahrrad gelaufen, auch sie ist Ärztin und hat eine kleine Tochter, die auch noch Antonia heißt. Die beiden verlieben sich stante pede, auch den Freunden gefällt sie sehr. „An diesem Abend habe ich mir vorgestellt, Antons Glück werde unser Leben verändern”, denkt sich Bernd, der das erste und letzte Kapitel erzählt, „wie hätte ich auch ahnen sollen, was tatsächlich geschehen würde.”
Schon in „Die Habenichtse” hat Katharina Hacker von der Desorientierung ihrer Generation erzählt und diese Desorientierung auf den Leser übertragen. In ihrem neuen Roman geht sie formal noch einen Schritt weiter. Es gibt neben der eigentlichen Erzählung, die sich flüssig, aber auch ein wenig schematisch liest, einen zweiten, schmaleren Textblock, der in flatterhafter Unregelmäßigkeit das Geschehen ergänzt. Mal sind es innere Monologe der gerade an der Handlung beteiligten Figuren, mal Monologe oder Dialoge anderer Figuren. Oft stecken in diesen Randnotizen Informationen, die der Leser braucht, um den Fortgang der Handlung zu verstehen. Mühsam muss er aus den Einzelteilen die Geschichte zusammenfügen. Kaum kann er sich des Eindrucks erwehren, dass es sich dabei um eine Notlösung handelt. Wird ihm nicht eine Arbeit aufgehalst, die eigentlich Sache der Autorin gewesen wäre? Und sieht es nicht so aus, als wüsste sie selbst nicht so recht, was sie mit ihren Figuren anfangen soll?
Nun scheint ein Streit, der zwischen ihr und dem Suhrkamp Verlag ausgebrochen ist, Licht ins Dunkel zu bringen. Auf ihrer Homepage hat Katharina Hacker erklärt, dass die Gestalt, in der ihr Roman veröffentlicht wurde, nicht ihren ästhetischen Vorstellungen entspricht. Geplant waren zwei gleich große, gleich gestaltete Textblöcke. Dieses Kunstgriffs wegen hält sie „Alix, Anton und die anderen” für ihr „bislang wichtigstes Buch”. Auf Nachfrage der FAZ erläuterte sie, dass sie dem Eindruck der Unvermeidlichkeit des Geschehens begegnen wollte, der Raum zwischen den beiden Blöcken stehe für all das, „was man ausgelassen, ausgeschlagen hat im Leben”. Leuchtet das wirklich ein? Wäre dieses Buch ein anderes gewesen, wenn die zweite Textspalte in gleicher Schriftgröße und Breite gesetzt worden wäre?
Der Eindruck des ausgeschütteten Zettelkastens wäre sicher vermieden worden. Doch schon in der jetzt publizierten Gestalt reicht der Text der schmaleren Spalte nicht für eine Parallelführung. Seitenlang bleibt die Randspalte einfach leer. Ein System lässt sich nicht erkennen. Kann man im Ernst von einem Verlag verlangen, dass er seiner Autorin noch mehr Seiten zur Verfügung stellen muss, um der Leere Raum zu geben? Offenbar hat dem Lektor das ästhetische Prinzip nicht genug eingeleuchtet. Vielleicht wollte er seine Autorin auch schützen. Denn dann wäre noch deutlicher geworden, dass Katharina Hacker ihr Thema erzählerisch nicht bewältigt. Schließlich besteht ein nicht unerheblicher Teil der kreativen Leistung eines Autors darin, auch die nicht verwirklichten Aspekte eines Lebenslaufs in seine Geschichte zu integrieren. Es gehört zur Gattung des Romans, dass er den Träumen, Wünschen, Sehnsüchten und Ängsten seiner Figuren zur Artikulation verhilft. Leerer Raum, Stilmittel der Avantgarde, genügt dazu nicht.
Die Autorin wird Suhrkamp verlassen und wollte das schon im Juni, also mit diesem Roman. Er war aber bereits angekündigt, und die Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz bestand auf der Publikation. Als Replik auf die Vorwürfe seiner Autorin gab Raimund Fellinger, der Cheflektor von Suhrkamp, eine Presseerklärung heraus, die ergänzt, was Katharina Hacker verschweigt: Dass sie vor allem mit der Platzierung ihres Romans in der Vorschau unzufrieden war, nämlich „nur” an vierter Stelle von insgesamt zweiundfünfzig Titeln. Ist die ganze Auseinandersetzung also eine Frage verletzter Eitelkeit?
Ganz so einfach ist es nicht. Raimund Fellinger betont, die Niederschrift des Romans gehe auf seine Beharrlichkeit zurück. Offenbar geriet die Autorin dadurch unter Druck. Ihr erstes Manuskript hat er abgelehnt, doch auch die nun publizierte Fassung ist mehr die Skizze eines Romanprojekts als ein vollendetes Werk. Der Leser hat das Nachsehen, muss er doch aus dieser Skizze eine Geschichte herauslesen, die es noch gar nicht gibt. Dabei hilft die Ankündigung wenig, dass der Roman der erste Band eines mehrteiligen Werks werden soll, das bei S. Fischer erscheinen wird.
Die Erpresser warten schon
Allerdings hat Katharina Hacker das erste Kapitel des zweiten Bandes auf ihre Homepage gestellt. Auch wenn es sprachlich nicht überzeugt, ist es aufschlussreich. Schon in „Alix, Anton und die anderen” wimmelt es von Unglücksfällen, die unter der glatten Oberfläche des Settings wie Bleigewichte an den Figuren hängen: Alix’ kleiner Bruder ist als Kind ertrunken, auch das Kind der vietnamesischen Restaurantbesitzerin ist gestorben, eine Nebenfigur erleidet eine Fehlgeburt, eine andere Frau behandelt ihre Puppe wie ein Kind. Rund um die vietnamesische Wirtin entfaltet sich eine Szenerie, die auf Schutzgeld-Erpressung schließen lässt. Im nun veröffentlichten Kapitel gerät ein vietnamesisches Mädchen in die Schusslinie chinesischer Erpresser und stirbt an ihrer Stelle. Vermutlich plant Katharina Hacker, die Kinder- und Familienprobleme ihrer Berliner Fortysomethings mit dem harten Leben von Immigranten und Asylanten zu kontrastieren. Das aber ist ein Stoff, der danach verlangt, Ross und Reiter zu nennen. Mit einer Prosa, die zwischen Geläufigkeit und philosophischem Tiefsinn schwankt, wird das kaum gelingen. MEIKE FESSMANN
KATHARINA HACKER: Alix, Anton und die anderen. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 126 Seiten, 19,80 Euro.
Auch in Berlin-Schönebergs gepflegten Hinterhöfen spielt sich so manches Drama ab. Beim Vietnamesen um die Ecke geht es freilich noch härter zu . Foto: AKG
Katharina Hacker Foto: Renate von Mangoldt/Suhrkamp
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2009

Schlimmer geht's immer

Katharina Hacker hält "Alix, Anton und die anderen" für ihren bislang wichtigsten Roman. Er erzählt von verpassten Chancen und vom Leben jenseits der vierzig

Jetzt schreibe ich mal avantgardistisch, mag sich Katharina Hacker gedacht haben. Schließlich gibt es, trotz der Komplexität der Verhältnisse, so viele Romane der jungen deutschen Gegenwartsliteratur, die konventionell erzählt sind, die die Ich-Form lieben, viele Perspektiven vermeiden, ihre Handlung chronologisch abspulen. Da wird es Zeit, wieder ein bisschen mehr zu wagen. Also unterteilte die Schriftstellerin die Seiten ihres Romans "Alix, Anton und die anderen" in zwei Spalten, die sie ursprünglich gleich breit anlegte, gab der einen Spalte die Gelegenheit, Sprungbrett für die andere zu sein, und erzählte aus den Perspektiven eines Freundeskreises über vierzig, eines Elternpaares und einer vietnamesischen Restaurantbesitzerin in Berlin-Zehlendorf Geschichten, Seelenleben und lückenhafte Gedankenfetzen nebeneinanderher, wobei der leere Raum zwischen dem Gesagten, wie sie erklärte, auch für all das stehe, "was man ausgelassen, ausgeschlagen" hat im Leben. "An dem Roman", liest man auf ihrer Homepage, "habe ich fast vier Jahre gearbeitet, ich halte ihn im Kern für mein bislang wichtigstes Buch, weil ich eine Form gefunden habe, die mir für das, was mich beschäftigt, einleuchtet."

Das ist schön. Nur heißt das leider nicht, dass diese Form dem Leser genauso einleuchtet wie der Autorin. Es gab erst im vergangenen Jahr einen ähnlichen Fall grafisch vorgeführter Parallelaktion, nämlich den Roman "Tagebuch eines schlimmen Jahres" des südafrikanischen Nobelpreisträgers John M. Coetzee, der seine Seiten nicht vertikal unterteilte, wie jetzt Katharina Hacker, sondern horizontal, aber auch damit schon nervte. Coetzee erzählte die Geschichte eines weltberühmten Autors, der von einem deutschen Verlag eingeladen wird, einen Beitrag zu einer Essaysammlung zu leisten. Oben auf der Seite konnte man deshalb die weltpolitischen Essays lesen; darunter die Liebesgeschichte des Schriftstellers mit einer jungen Latina; wieder darunter die spöttischen Kommentare der Latina über den weltberühmten Autor. Die Essays waren sehr langweilig, die Liebesgeschichte schon besser, weshalb man einfach nur die untere Hälfte des Buches las und sich fragte, ob Coetzee allen Ernstes glaubte, man würde zwischen den Abschnitten springen, die Kontinuität des Lebens mehrfach unterbrechen.

In "Alix, Anton und die anderen" hat man jetzt dasselbe Problem, beschließt, den Roman zweimal zu lesen, erst die eine, dann die andere Spalte, um am Ende festzustellen, dass es, abgesehen von der Anordnung der Lücken, zwischen beiden Spalten gar keine Unterschiede gibt; keinen Anhaltspunkt und keine erzählerische Notwendigkeit, beide Stränge voneinander zu trennen. Ohne Weiteres hätte die Autorin die Fragmente der linken Hälfte in die der rechten einfließen lassen können - und umgekehrt. Lücken, Leerstellen, Diskontinuitäten gibt es auch im Fließtext anderer Autoren, gerade in denen der allergrößten. Katharina Hacker allerdings zählte offenbar auf den avantgardistischen Effekt und ließ ihren Roman in der Form aus der Reihe fallen. Es wirkt nun vor allem bemüht.

Kinderlos in Zehlendorf

Und noch etwas läuft der offensiv angelegten Vielstimmigkeit der Perspektiven zuwider: Im Grunde gibt es in "Alix, Anton und die anderen" nämlich gar keine Vielstimmigkeit. Vielmehr ist alles in ein und demselben Grundton erzählt, im Grundton einer Trübsalsprosa. Alles wirkt wie in ein und dieselbe Farbe getaucht, die man als grau beschreiben muss; jede Einzelheit wird verdeckt durch einen Schwermutsschleier, der die Diskontinuität des formalen Spiels gleich wieder kassiert. Wozu also der ganze Aufwand?

Katharina Hacker hat in "Die Habenichtse", dem Roman, für den sie im Herbst 2006 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, die Desorientierung der über Dreißigjährigen zum Thema gemacht, die sich in egoistischer Selbstgefälligkeit alle Optionen offenhalten und doch nichts wissen über sich selbst. In "Alix, Anton und die anderen" sind nun die über Vierzigjährigen dran, welche, wie der Titel schon andeutet, notorisch beim Vornamen genannt werden; ewig Junggebliebene, die es verpasst haben, Kinder zu kriegen, in Zehlendorf wohnen oder sich zumindest in Zehlendorf treffen, um miteinander zu essen und rund um den Schlachtensee zu marschieren, und als Freundeskreis gewissermaßen eine eigene, selbst gestrickte Notfamilie bilden.

Das ist, als Thema eines Romans über die Gegenwart, natürlich alles andere als uninteressant, im Gegenteil. Nur staunt man dann doch, wie der Weg um den Schlachtensee als Inbegriff einer kleinen Welt, als enger Kreis, aus dem es kein Entkommen gibt, hier zum Hort der vom Schicksal Geschlagenen wird. Alix ist psychisch nicht stabil, weswegen sie das Wohnviertel eigentlich nie verlässt und auch noch nie am Hauptbahnhof war. Ihr Bruder ertrank als Kleinkind im See, weil die Eltern im Garten gerade miteinander schliefen und kein Auge auf ihn warfen. Sie lernte deshalb nie schwimmen, versuchte aber, sich selbst zu ertränken. Alix' Mann Jan, ein Psychiater, hat seine Eltern bei einem Autounfall verloren. Ihr schwuler Freund Bernd, der eine Buchhandlung betreibt, hat ein gebrochenes Herz und eine Schwägerin, die ebenfalls psychisch krank ist. Anton, ein Arzt, findet keine Frau, mit der er Kinder kriegen kann, weil er zu viel arbeitet. Das Kind der Vietnamesin aus dem Restaurant, in das sie gehen, ist auch gestorben. Kinder hat von den über Vierzigjährigen überhaupt keiner, es gibt unter ihnen nur eine Katze und eine Puppe als Ersatz, die im Verlauf des Romans aufwendig durch die ganze Republik gefahren wird.

Angesichts der Dichte der Einschläge und verpassten Chancen wäre das Stoff für eine Groteske. Doch ist es weder komisch noch wirklich tragisch. Man fühlt beim Lesen eigentlich überhaupt nichts. Die Figuren sind so schemenhaft angelegt, dass man ihre biographischen Details teilnahmslos zur Kenntnis nimmt: "Oh, er erinnerte sich an die Aufmärsche der Nazis", heißt es an einer Stelle über Alix' Vater. "Er erinnerte sich, wie stolz er gewesen war, als er die Uniform der Hitlerjugend trug. Er erinnerte sich, eine Frau gesehen zu haben mit einem gelben Stern und dass er mit seinem Freund Dieter getuschelt hatte . . ." Geht es noch austauschbarer, noch allgemeiner? "Über die Potsdamer Straße rasen die Autos der Halbstarken, bis die Polizei kommt. Die Läden, die vierundzwanzig Stunden aufhaben, lassen ihre Leuchtreklamen blinken." Kann man Berlin unspezifischer beschreiben? Und wozu die gespreizten, ungelenk wirkenden Poetisierungen: "Fritz, der Fahrradhändler, hat mir gesagt, du habest für Blumen Geld dagelassen"; "stelle dir nur vor, wie nett es wird, wenn Anton womöglich glücklich ist"? So spricht doch keiner.

Eine Autorin klagt an

Katharina Hacker, 42, hat, ein paar Wochen, bevor ihr Roman erschien, auf ihrer Homepage (www.katharinahacker.de) in einer Presseerklärung mitgeteilt, dass sie den Suhrkamp-Verlag verlassen und zu S. Fischer wechseln werde. Sie formulierte diesen Wechsel als Anklage: "Ein Lektorat", schrieb sie, "hat nicht stattgefunden. Die Arbeit mit einem Graphiker, zahlreiche Gespräche über das Layout, wurden mißachtet. Aus Gründen, die man mir nicht mitgeteilt hat, wurde der Text so gesetzt, daß er statt der zweihundert Manuskript-Seiten einen Umfang von einhundertundfünfunddreißig Seiten hat. In der Zusammenarbeit mit dem Suhrkamp Verlag habe ich nun gelernt, wie kleine Unfreundlichkeiten, Geringschätzung, Unachtsamkeit sich ausbreiten, von einer Handlung zur nächsten, von einer Entscheidung zur nächsten, von einem Menschen zum nächsten."

Raimund Fellinger, Cheflektor bei Suhrkamp, widersprach der Autorin daraufhin öffentlich und gab an, der Unmut der Autorin sei auch dadurch zustande gekommen, dass sie ihr Buch im Verlagskatalog nicht erst an vierter Stelle von insgesamt 52 Titeln angezeigt sehen wollte. Fellinger drückt, auf Rückfrage, auch sein Bedauern aus: "Man kann als Lektor und als Verlag immer nur dazulernen, was die besondere Situation von Autoren angeht. Die sind allein. Man kann sich nicht genug um sie kümmern."

Offenbar sehnte sich Katharina Hacker, nach der großen Aufmerksamkeit, die ihr vor drei Jahren durch den Buchpreis zuteilwurde, aber auch aufs Neue nach einem großen Auftritt. Mit Presseerklärungen über Verlagsinterna kann man, gerade wo es um den dramenerprobten Suhrkamp-Verlag geht, natürlich immer gut Krach schlagen. Der Ton, den sie anschlug, ist anders eigentlich kaum zu erklären.

Nur steht die spektakuläre Anklage der Autorin im Missverhältnis zu ihrem aufwendig konstruierten, aber dann doch merkwürdig unspektakulären Roman: "An diesem Abend habe ich mir vorgestellt, Antons Glück werde unser Leben verändern; wie hätte ich auch ahnen sollen, was tatsächlich geschehen würde", lautet drohend der letzte Satz von "Alix, Anton und die anderen". Denn der Roman wird noch weitergehen, es handelt sich um ein Projekt in mehreren Teilen. Eine Novelle, die nächsten Frühsommer nun also bei S. Fischer erscheint, ist eigenständig, gehört aber dazu. Und sobald die Novelle beendet sei, so Katharina Hacker, werde sie am zweiten Teil des Romans schreiben. Es wird darin dann wahrscheinlich noch schlimmer kommen. Man ist aber nicht gespannt.

JULIA ENCKE

Katharina Hacker: "Alix, Anton und die anderen". Roman. Suhrkamp-Verlag, 125 Seiten, 19,80 Euro

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Gleich zu Beginn ihrer Kritik kommt Nicole Henneberg auf die Auseinandersetzung um diesen Roman zwischen Katharina Hacker und dem Suhrkamp Verlag zu sprechen und lässt an ihrer Parteinahme für die Autorin keinen Zweifel. Der Roman, in dessen Mittelpunkt eine Gruppe von kinderlosen Mittvierzigern steht, die von tiefen Selbst- und Lebenszweifeln geplagt sind, ist in zwei Spalten gedruckt, erklärt uns die Rezensentin. Während die Autorin zwei gleichgroße Spalten angelegt hat, in deren linker die Leitthemen von "Schuld, Scham und Lebensangst" der Protagonisten ausgeführt sind, hat der Verlag die linke Spalte verkleinert und sie damit, wie auch Henneberg findet, zu einem kommentarartigen Anhang marginalisiert. Die zweite zentrale Geschichte um eine vietnamesische Familie, die einem Mafiamord zum Opfer fällt, lässt zudem den Leser etwas ratlos zurück, wenn dieser nicht weiß, dass es sich bei diesem Buch um ein auf mehrere Teile angelegtes Werk handelt, so die Rezensentin weiter. Sehr wichtig ist Henneberg, dass Hacker in diesem Buch das Risiko eingeht, den "sozial drastischen Stoff" in einer reflexiven, subtilen Erzählweise darzubieten und ihm ein philosophisches Unterfutter mitzugeben. Auf die Fortsetzung der beklemmend offen bleibenden Geschichte darf man nach Einschätzung der Rezensentin gespannt sein.

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