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Der vorliegende Briefwechsel zwischen Reinhard Piper und Ernst Barlach zeigt nicht nur zwei faszinierende Persönlichkeiten und den Dialog zweier vertrauter Freunde, sondern er stellt auch ein bedeutendes Zeitdokument der bewegten ersten vier Jahrzehnte unseres Jahrhunderts dar. Erstmals versammelt diese Ausgabe einen umfassenden Komplex der Barlachschen Korrespondenz mit den dazu erhaltenen Gegenbriefen.

Produktbeschreibung
Der vorliegende Briefwechsel zwischen Reinhard Piper und Ernst Barlach zeigt nicht nur zwei faszinierende Persönlichkeiten und den Dialog zweier vertrauter Freunde, sondern er stellt auch ein bedeutendes Zeitdokument der bewegten ersten vier Jahrzehnte unseres Jahrhunderts dar.
Erstmals versammelt diese Ausgabe einen umfassenden Komplex der Barlachschen Korrespondenz mit den dazu erhaltenen Gegenbriefen.
Autorenporträt
Ernst Barlach, geboren 1870 in Wedel/Holstein, erlangte weltweite Anerkennung als einer der bedeutendsten deutschen Bildhauer. Die Nationalsozialisten erklärten seine Werke für entartet, entfernten sie aus Kirchen, Museen und öffentlichen Sammlungen und verboten die Aufführung seiner Theaterstücke. Barlach starb 1938 in Rostock. Zu seinen berühmtesten Werken gehören der »Der Güstrower Domengel«, das »Magdeburger Ehrenmal« und der »Fries der Lauschenden«.

Reinhard Piper (1879-1953) begründete 1904 den Piper Verlag und bot den großen Künstlern seiner Zeit wie Ernst Barlach oder den Mitgliedern des »Blauen Reiters« eine verlegerische Heimat.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.07.1998

Zwei Sinnsucher in der Ebene
Ernst Barlach im Briefwechsel mit Reinhard Piper

Freundschaft braucht Abstand. Wo er im Überschwang der Begeisterung verlorengeht, wo kein Raum bleibt für die Distanz, fehlt die gegenseitige Orientierung; Entfremdung ergibt sich meist unversehens. Den Künstler zumal beengt schnell die Nähe, die er zuweilen sucht. Ernst Barlach hat das oft genug erfahren. Wann immer er die ersehnte Bindung zuließ, folgten die Verwirrungen zwangsläufig. Das Verhältnis zu dem späteren Nachlaßverwalter Friedrich Schult wurde ebenso gespannt wie das zu dem Kunsthändler Bernhard A. Böhmer. Und wer weiß, was aus der Freundschaft mit Reinhard Piper geworden wäre, wie sich die Neigung zu dem Verleger, mit dem der Autor keine Geschäfte machen wollte, entwickelt hätte, hätten sich die Männer häufiger getroffen, wäre Piper mit seiner Frau so oft nach Güstrow gekommen, wie es der andere am entlegenen Ort erhoffte. Wenigstens im nachhinein will es so scheinen, als sei erst mit der Entfernung das Vertrauen gewachsen; ein Vertrauen, das hielt, weil es nur wenige Begegnungen gab, die hätten zerstören können, was man sich in der Korrespondenz über vier Jahrzehnte hin versprach.

"Es ist mir", bekannte Reinhard Piper schon im Juli 1914, "wunderbar, wie eine lebendige Verbindung zwischen uns so ohne viel äußere Zeichen und ohne Nachhilfe bestehen konnte und nun auch hoffentlich bestehen bleibt." Der Briefwechsel allein machte das Erstaunliche möglich. Auf dem Papier ließ sich manches mitteilen, bei dessen mündlichem Vortrag jedes Gespräch erstorben wäre. Geschützt vor dem fragenden Blick des Zuhörers, konnte vor allem Barlach zu sich stehen, über Zweifel und Depressionen sprechen, erklären, was er von der eigenen Existenz hielt: "Am liebsten verkröche ich mich auf Jahre in irgend einem Loch und machte mein körperliches Dasein völlig anonym."

Kaum eine Nachricht, die nicht eine Selbstdarstellung des Künstlers enthielte. Auf ihn ist die Zeit bezogen, sein Schicksal der literarische Gegenstand einer existentialistischen Korrespondenz, für deren Publikation der Herausgeber Wolfgang Tarnowski uneingeschränkte Anerkennung verdient. Erstmals gibt es einen Barlach-Briefwechsel in der lange vermißten Vollständigkeit, sorgfältig kommentiert und so originalgetreu, wie er in den großen, in den bisher gültigen Ausgaben von Friedrich Droß nie zu finden war. Nicht nur daß jetzt unbekannte Stücke hinzugekommen sind, das Konvolut nunmehr 252 Briefe umfaßt, auch Auslassungen wurden ergänzt, falsche Einfügungen gestrichen. Wiederhergestellt ist ein "Schriftbild", von dem der Herausgeber sagt, daß es "Gedanken, Gefühle und Assoziationen in statu nascendi" zeige. Indem sie sich auf die ursprünglich Form, die bewußte Abweichung von der Norm, besinnt, erfaßt die Edition den Ausdruck eines Schriftstellers, der noch die Worte mit der Expressivität des Bildhauers setzte, scharfkantiger von Jahr zu Jahr.

Am Anfang, 1900, als die Korrespondenz einsetzte, war der Ton noch verhalten; besprochen wurde das Übliche: Der junge Verleger, der eben daranging, seine Firma in München aufzubauen, bewunderte den älteren Künstler, während dieser den Bürger um das gegründete Dasein, das Leben in den "gemäßen Umständen" beneidete. In ihrer Andersartigkeit machten sie sich gegenseitig Mut; treffen konnten sie sich in der gemeinsamen, der norddeutschen Herkunft. Beide, der in Wedel geborene Barlach wie der im Mecklenburgischen aufgewachsene Piper, waren sie "Menschen der Ebene". Verbindend meldete sich aus der Tiefe, die sie suchten, der kulturpessimistische Zweifel, das Unbehagen an einer großstädtischen Moderne, gegen die die Seele aufstehen sollte. Gleich in den ersten Jahren ihres Austausches, 1908, hatte Barlach geklagt: "Es ist eine Zeit über uns her, die einen feige macht, man möchte sich seiner elementarsten Empfindungen schämen und tobt sich nur dann und wann irgendwo abseits vom Wege aus. Breite Großheit gilt nicht schicklich - von der Forderung des Alltags wird man einfach überrannt." Solche Bekenntnisse der Verunsicherung verlangten das Einverständnis; aus ihm ergab sich die Offenheit des Briefwechsels.

Wer ihn Seite um Seite verfolgt, wer liest, welch "großes Glücksgefühl" den Intellektuellen im August 1914 erfaßte, wer sieht, wie sich die Partner im Zweifel an der Revolution bestärkten, wie Barlach den "Aberglauben von Glück u Gerechtigkeit, Prosperität und Zufriedenheit" verdächtigte, der erfährt viel und viel Verschwiegenes über das Jahrhundert. Erkennbar wird ein metaphysischer Konservativismus, den die Nachkommen lange übersahen, den sie verdrängten, indem sie die Trauer der Barlachschen Figuren sozial, wenn nicht gar sozialistisch zu deuten suchten, weil sie sich, eingedenk späterer Erfahrungen, um das Ansehen eines Künstlers sorgten, der nationalmythologischen Hoffnungen durchaus zugänglich war. "Ich wünsche", so schrieb er Reinhard Piper am 19. Dezember 1918, "dem wahrhaft deutschen Volk, dem wahren Volk, das man zwischen den Zeilen suchen muß, eine Art Eiszeit, die Isolierung, Einfachheit, Krystallisierung ermöglicht, damit es einst als ein sichtbar Neues und Festes dasteht."

Aus der Depression resultierte die völkische Erwartung. Und nicht zuletzt deshalb, weil er diese Kausalität erhellt, beansprucht der Briefwechsel mit Reinhard Piper besondere Aufmerksamkeit. Alles fügt sich hier in den Kontext der Sinnsuche. Wie bei anderen mehr, wie bei dem geistverwandten Moeller van den Bruck oder auch bei Theodor Däubler erweist sich das Befremdliche als Ausdruck der Ratlosigkeit. Sie erst erklärt die Ambivalenz, mit der Barlach wie Piper das "Dritte Reich" erwarteten. Allenthalben offenbaren sich die Widersprüche: auf der einen Seite die Unterschrift unter dem Aufruf, mit dem die "Kulturschaffenden" 1934 für Hitlers Wahl zum Reichspräsidenten warben - auf der anderen der Rückzug aus einer nationalistisch lärmenden Öffentlichkeit. Daß er in ihr nur Verdacht erregen könne, daß sie keinen Sinn haben werde für die ästhetische Sublimierung, daß die Nationalsozialisten "gegebenen Falls nicht viel Federlesen" mit ihm machen würden, hatte Barlach zwar schon 1930 vermutet, bleiben aber mußte er dann trotz allem. Es ging, wie der Briefwechsel zeigt, um die Selbstbehauptung. Sie verlangte das Ausharren auf dem verlorenen Posten, "das abseitige Hocken". Wie gebannt erlebte der Künstler die Abkehr des Landes, die Entfernung seiner Werke aus Kirchen und Museen.

Dem Freund in dieser Situation ratend beizustehen, war für Reinhard Piper eine Selbstverständlichkeit. Immer wieder sprach er ihm zu, konnte aber auch der beruflichen Versuchung nicht widerstehen. Nachdem sie über drei Jahrzehnte in wirtschaftlicher Unabhängigkeit gehalten hatte, wurde die Freundschaft unter dem Gebot der Hilfe am Ende doch noch zur geschäftlichen Beziehung. Für den Verleger war das die Erfüllung eines alten Wunsches, der Autor reagierte zurückhaltend. So großzügig er dem Freund in der Wirtschaftskrise, 1929, mit einem Darlehen beigesprungen war, so bestimmt wandte er sich nun gegen die Einsprüche verlegerischer Vernunft. Als Piper 1935 bat, die Veröffentlichung eines Buches mit Zeichnungen durch die Aussonderung einiger Blätter zu erleichtern, die den Anstoß der Zensur erregten, stieß er auf entschiedenen Widerstand. Der praktische Sinn des Bürgers kollidierte mit dem Anspruch, "nach Gutdünken zu Handeln". "Die Freiheit des Künstlers", die darin bestand, "keine" zu haben, untersagte es, "als sanfter Heinrich hinzutreten". Der Verleger mußte sich bescheiden; erst nach seinem Tod konnte er dem Freund wieder aufhelfen. Mit der Pflege des Werkes hielt er ihm die Treue. Die schönste Bestätigung erlebter Nähe aber bleibt der Briefwechsel, der jetzt nochmals zu den Anfängen führt. THOMAS RIETZSCHEL

Ernst Barlach - Reinhard Piper: Briefwechsel 1900 - 1938. Hrsg. von Wolfgang Tarnowski. Piper Verlag, München 1997. 775 S., 65 Abb., geb., 198,- DM.

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