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Die spannende Begegnung in Briefen zeigt eine bislang unbekannte Selbsterkundung Brochs in der Phase, in der er bemüht war, dem Erzählen von Fiktionen zugunsten seines Projekts über die »Massenpsychologie« zu entsagen.Der Briefwechsel zwischen Hermann Broch und H. G. Adler, dem aus Prag stammenden Dichter, Romancier und hervorragenden Historiker und Analytiker des Holocaust, erscheint hier zum ersten Mal in deutscher Sprache.Mitte 1948 bat Elias Canetti Hermann Broch um Hilfe bei der Suche nach einem amerikanischen Verleger für Adlers Monumentalwerk »Theresienstadt«. Seit dieser Zeit bis zu…mehr

Produktbeschreibung
Die spannende Begegnung in Briefen zeigt eine bislang unbekannte Selbsterkundung Brochs in der Phase, in der er bemüht war, dem Erzählen von Fiktionen zugunsten seines Projekts über die »Massenpsychologie« zu entsagen.Der Briefwechsel zwischen Hermann Broch und H. G. Adler, dem aus Prag stammenden Dichter, Romancier und hervorragenden Historiker und Analytiker des Holocaust, erscheint hier zum ersten Mal in deutscher Sprache.Mitte 1948 bat Elias Canetti Hermann Broch um Hilfe bei der Suche nach einem amerikanischen Verleger für Adlers Monumentalwerk »Theresienstadt«. Seit dieser Zeit bis zu Brochs Tod im Mai 1951 standen die beiden Schriftsteller miteinander in Briefkontakt.Adler sah in Broch jedoch weitaus mehr als einen potentiellen Helfer oder einen geistigen Mentor, wie im Brief vom 24. September 1948 deutlich wird: »Wie oft standen Sie mir in Theresienstadt (neben den wenigen anderen Zeitgenossen, an die mit Herz und Verstand teilnahmevoll zu denken, mir wichtig und würdig erschien), sehr deutlich vor Augen.«Obwohl sich beide zunächst hauptsächlich ihrer intellektuellen Verwandtschaft bewußt waren, wuchs allmählich, sowohl bei Broch als auch bei Adler, die Einsicht in die gravierenden Unterschiede ihrer Sichtweisen. Im Laufe von intensiven Auseinandersetzungen über ästhetische Fragen, die sich ergaben, nachdem Adler seinen Roman »Die Ansiedlung« an Broch geschickt hatte, traten noch tiefer gehende Unvereinbarkeiten hervor.
Autorenporträt
H. G. Adler wurde 1910 in Prag als Sohn einer deutschsprachigen jüdischen Handwerkerfamilie geboren und studierte dort Musikwissenschaft, Literaturwissenschaft, Soziologie und Philosophie an der Deutschen Universität. Adler war 1941-45 in verschiedenen Konzentrationslagern interniert, widmete sich nach der Befreiung 1945 zunächst der Erziehung von Waisenkindern in Prag und emigrierte 1947 nach London, wo er 1988 starb. Veröffentlicht wurden u.a. die Romane »Eine Reise« und »Panorama« und die wissenschaftlichen Hauptwerke »Der verwaltete Mensch« und »Theresienstadt 1941-1945«. Mit letzterem hat H. G. Adler die Wissenschaft von der Shoah mitbegruendet und entscheidend zum Verstaendnis von Auschwitz und der Shoah in Deutschland beitgetragen. U.a. wurde Adler mit dem Leo-Baeck-Preis (1958) und der Buber-Rosenzweig-Medaille (1974) ausgezeichnet.

Hermann Broch (1886 -1951) stammte aus einer jüdischen Textilindustriellenfamilie in Wien. Seit 1913 trat er sporadisch mit ersten schriftstellerischen Arbeiten hervor. 1938 floh er über England in die USA, wo er zuerst in New York, dann in Princeton und New Haven lebte. 1928 -1931 entstand sein erstes Hauptwerk, die Romantrilogie »Die Schlafwandler«.

Ronald Speirs, Professor für Germanistik an der Universität Birmingham, hat Monographien zu Kafka, Brecht und Thomas Mann veröffentlicht und Schriften von Nietzsche und Weber in englischer Übersetzung herausgegeben.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.02.2005

Man soll sich nicht um fremde Lager kümmern
Fern trotz geistiger Nähe: Die Schriftsteller H.G. Adler und Hermann Broch in ihrem Briefwechsel 1948-1950
In der Hölle von Theresienstadt habe er sich gesagt: „Wenn du das alles überlebst, was du freilich bezweifelst, so wirst du von dem, was du erfahren hast, Zeugnis ablegen, aber durch keinen persönlichen Erlebnisbericht, sondern wissenschaftlich.” Vier Jahre lang war der 1910 in Prag geborene Schriftsteller und Philosoph H.G. Adler in Theresienstadt inhaftiert. Die Kraft zum Überleben schöpfte er aus der Arbeit an seinem Projekt, die Lagerstadt mit dem distanzierten Blick eines Historikers, Soziologen und Psychologen zu beschreiben.
In einer Aktentasche überdauerten Adlers gesammelte Aufzeichnungen die Endlösung. Der Lagerälteste Leo Baeck hatte sie an sich genommen und aufbewahrt, als sein Mithäftling im Herbst 1944 über Auschwitz in ein anderes Konzentrationslager weitertransportiert wurde. Nach dem Krieg erhielt Adler die Tasche wieder zurück, und in London, wohin er 1947 emigriert war, machte er sich an die Ausarbeitung ihres Inhalts zu der Pionierstudie „Theresienstadt 1941-1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft”. Das 1000-Seiten-Manuskript war bereits im Jahr darauf abgeschlossen, das Buch konnte aber erst Mitte der fünfziger Jahre erscheinen, und bis dahin sollte das Manuskript noch durch viele Hände gehen.
Bei der Suche nach einem amerikanischen Verleger wandte sich Adler an Hermann Broch in Princeton mit der Bitte um Unterstützung. Broch, der als österreichischer Jude 1938 aus Kerkerhaft über den Atlantik geflohen war und unterdessen die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, war als unermüdlicher Briefeschreiber, Projektemacher und Vorkämpfer für eine aus humanistischem Geist erneuerte Politik zu jeder Hilfestellung für seine Exilgenossen bereit. Von den Londoner Freunden Veza und Elias Canetti, die ihm den Kontakt vermittelten, dürfte Adler erfahren haben, dass Broch nicht nur über gute Kontakte zu Verlagen und Stiftungen verfügte, sondern sich auch seit längerem - in einer Art Parallelprojekt zu Canettis Unternehmen - mit Massenphänomenen als dem Schlüssel zur Untersuchung totalitärer Systemen befasste.
Für Adler, der in der Studie über Theresienstadt - wie Broch in den Ausarbeitungen zur „Massenwahntheorie” - mehrere humanwissenschaftliche Gebiete miteinander verschränkte, war Broch noch aus einem anderen Grund der ideale Partner eines Gedankenaustauschs: Adler arbeitete zugleich an Dichtungen und Romanprojekten, die das, was er seinen „Kafka-Roman mit umgekehrten Vorzeichen” nannte - weil er „der Wirklichkeit nachgeschrieben” war -, in eine poetische Form überführen sollten. Die Doppelrolle des weltbürgerlichen Dichters und polyhistorischen Gelehrten hatte Broch bereits in der Vorkriegszeit seiner Romanpoetik unterlegt und in seiner Person wie in seinem Schaffen als andauernde Selbstüberforderung vorgelebt.
Der Briefwechsel zwischen Adler und Broch liegt jetzt in einer sorgfältig kommentierten Edition vor. Obgleich nicht sehr umfangreich und auf den Zeitraum von Juli 1948 bis Juli 1950 beschränkt, bietet die Korrespondenz einen wertvollen Beitrag zur Ergründung jener intellektuellen und intertextuellen Zwischenräume von Wissenschaft und Kunst, in denen einige Hauptstränge der Literatur-, Ideen- und Wissenschaftsgeschichte des vorigen Jahrhunderts einander berührten. In der Reflexion des Zivilisationsbruchs, der das Jahrhundert ereilte, fanden sie ihren neuralgischen Schnittpunkt und an den versprengten Orte der Exile ihre Umschlaghäfen.
Trotz ihrer geistigen Nähe fanden die beiden Schriftsteller, zwischen denen der Abstand einer ganzen Generation lag, nur bedingt zueinander. Broch, der zumeist vom Krankenbette aus antwortete, brach den Briefwechsel wieder ab, noch bevor seine Bemühungen, Adlers Buch zu einem Verlag zu verhelfen, auch nur den geringsten Erfolg gezeitigt hätten. Adlers nachdrückliche, von Manuskriptsendungen begleitete Versuche, mit dem bewunderten Autor der Romantrilogie „Die Schlafwandler” auch über Fragen einer Romanpoetik nach Auschwitz ins Gespräch zu kommen, ließen Broch am Ende das Handtuch werfen. Den letzten Stand der Korrespondenz legte er einem Brief an die Mitleserin Hannah Arendt bei, die ebenfalls für Adler tätig war, und schrieb ihr genervt, er wolle „nichts mehr davon sehen”, unwirsch hinzufügend: „Man soll sich nicht um fremde Konzentrationslager kümmern; das hat man davon.”
Adler hatte offenbar mehrere Wunden zugleich berührt, deren eine besonders traumatisch nachwirkte, auch wenn Broch ihn darauf nur fast beiläufig aufmerksam machte, als Bitte um Verständnis dafür, das Manuskript des Theresienstadt-Buchs nochmals genauer lesen zu müssen: „Meine Mutter ist nämlich in Theresienstadt umgekommen, und so war die erste Lektüre für mich etwas zu aufregend.” Theresienstadt war einer der Orte, für die nach dem Willen der Machthaber auch Broch selbst bestimmt war. Um so gespenstischer musste es ihn berühren, von Adler, der vom prognostischen Wert des Epochenporträts der „Schlafwandler”-Trilogie überzeugt war, die Sätze zu lesen: „Wie oft standen Sie mir in Theresienstadt (...) sehr deutlich vor Augen, wie sehr beschäftigte mich ihre Auffassung der jüngsten Geschichte, während ich unwissend meine Lagerstätte wohl nur wenige Häuser entfernt von Ihrer Mutter hatte (...). So war Theresienstadt: kaum war ein kleinerer Ort in der Welt je dichter bevölkert, und doch ahnte man nicht, wer der Nachbar sei, wenn es nicht besondere Umstände fügten.”
Die zweite Wunde Brochs, dessen Roman „Der Tod des Vergil” im Jahr 1945 zugleich in deutscher und in englischer Sprache erschien, war das Dichten selbst. Überzeugt von der Wirkungslosigkeit der Literatur, wollte er unter dem brennenden Dach der Zivilisation längst kein Dichter mehr, sondern nur noch Wissenschaftler und Citoyen sein. Von Adlers Versuchen, das Trauma Theresienstadt auch poetisch und erzählerisch zu verarbeiten, wollte er daher nichts wissen und gab dem Briefeschreiber, den er „in einer ganz anderen Sphäre” wähnte den kollegialen Rat, „weiter (zu) dichten, während ich es aufgebe”.
VOLKER BREIDECKER
H.G. ADLER / HERMANN BROCH: Zwei Schriftsteller im Exil. Briefwechsel. Herausgegeben und kommentiert von Ronald Speirs und John White. Wallstein Verlag, Göttingen 2004. 98 Seiten, 16 Euro.
Hermann Broch (links) und H.G. Adler
Fotos: dpa, Ullstein
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der "Jdl" zeichnende Rezensent ist voll des Lobes angesichts dieses "vorbildlich edierten Bandes", der dem Leser Einblick in die Bekanntschaft der ungleichen Schriftsteller Hermann Broch und H.G. Adler gewähre. Anhand des Briefwechsels werde deutlich, dass die Beziehung weit über die von Adler erbetene Unterstützung für seine KZ-Studie hinaus ging. Stattdessen unterhielten sich die beiden immer intensiver über ästhetische Fragen, heraus aus zwei verschiedenen Generationen und unterschiedlichem Status. Ein guter Einblick in ein nicht unkompliziertes Verhältnis also, befindet der Rezensent.

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