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Rowohlt E-Book Monographie Bertolt Brecht fasziniert weiterhin als wandlungsfähiges Genie und Autor unverwüstlicher Theaterstücke. Ins Blickfeld rücken aber immer mehr der mit sich selbst und seinem Umfeld experimentierende Antibürger Brecht, der sprachgewaltige Lyriker und der radikaldemokratische Medientheoretiker. In dieser kurzen Biographie erfährt der Leser alles Wichtige über Leben und Werk des großen Dichters. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

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Produktbeschreibung
Rowohlt E-Book Monographie Bertolt Brecht fasziniert weiterhin als wandlungsfähiges Genie und Autor unverwüstlicher Theaterstücke. Ins Blickfeld rücken aber immer mehr der mit sich selbst und seinem Umfeld experimentierende Antibürger Brecht, der sprachgewaltige Lyriker und der radikaldemokratische Medientheoretiker. In dieser kurzen Biographie erfährt der Leser alles Wichtige über Leben und Werk des großen Dichters. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, CY, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, IRL, I, L, M, NL, P, S, SLO, SK ausgeliefert werden.

Autorenporträt
Reinhold Jaretzky, geb. 1952, Dr. phil., studierte Germanistik und Sozialwissenschaften in Marburg und Hamburg. Von 1985 bis 1990 DAAD-Lektor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Rom «La Sapienza». Buchveröffentlichungen u. a.: Bertolt Brecht. Der Jasager und der Neinsager, Frankfurt a. M. 1991; «Interimsästhetik». Franz Mehrings früher Versuch einer sozialgeschichtlichen Literaturbetrachtung, Frankfurt a. M. 1991. Für «rowohlts monographien» schrieb er den Band über Bertolt Brecht (rm 50692, 2006). Als Journalist arbeitet er seit 1990 für die TV-Kulturmagazine «aspekte», «titel, thesen, temperamente» und «Kulturzeit». Er ist Autor zahlreicher Dokumentarfilme, u. a. über Friedrich Hölderlin, Friedrich Nietzsche, Kurt Masur, Richard Strauss, Umberto Eco, Alexander Kluge.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.2006

Erst kam seine Fresse. Dann die Moral
Unsere ersten fünfzig Jahre ohne Bertolt Brecht: Was gibt es da zu feiern?

Unter all den Legenden, welche das Leben und die Meinungen des Bertolt Brecht immer verziert und ausgemalt haben, ist diese hier weder die schönste noch die bekannteste; aber wahr ist sie wie keine andere, auch wenn ihre Echtheit nicht bewiesen werden kann: Ein Mann, so geht die Geschichte, habe sich einst bei dem Philosophen Ernst Bloch darüber beschwert, daß der angeblich so bedeutende Schriftsteller Brecht ein furchtbar verkommenes und verwahrlostes Äußeres habe. Und Bloch habe geantwortet: "Sie irren sich, Herr Brecht hat sich einen kostspieligen kosmetischen Apparat konstruieren lassen, der ihm den Schmutz unter die Fingernägel schiebt."

Verbürgt ist jedenfalls, daß Brechts graue Arbeiterkluft, seitdem er sich das leisten konnte, aus dem besten Material und maßgeschneidert war. Gesichert ist weiterhin, daß seine Ballonmützen vom besten Ballonmützenmacher der Stadt angefertigt wurden. Und seine Nickelbrille mit dem Kassengestell war in Wirklichkeit aus Titan und furchtbar teuer. Auch die Verwahrlosung, sagt Jonathan Jeremiah Peachum in der "Dreigroschenoper", muß sorgfältig in Szene gesetzt werden: "Weil einem niemand sein eigenes Elend glaubt."

Was uns Heutige (wie Herr B. uns nennen würde) naturgemäß an die Sex Pistols erinnert, die ja ihre Fetzen und Lappen, welche nur von Sicherheitsnadeln zusammengehalten wurden, auch nicht aus der Altkleidersammlung hatten, sondern aus Vivienne Westwoods schicker Boutique. An die Ramones, mit ihren kunstvoll geschlitzten Jeans. Oder an Dolly Parton, die sich selber gerne so beschreibt: "It's very expensive to look so cheap." Kurzum, wer heute rückwärts schaut, meint Brecht in einer Reihe zu entdecken mit jenen populären Stars, für welche die aufwendige Inszenierung des eigenen Außenseitertums immer ein integraler, wenn nicht gar der wesentliche Teil des eigenen Werks war.

Wahr daran ist auf jeden Fall: In seiner Zeit war B.B. (so das eingetragene Warenzeichen), was man heute einen Star nennen würde - berühmt dafür, berühmt zu sein, bekannt auch solchen Leuten, die von seinen Stücken nur die Titel wußten, ein Mann, der eine große Limousine der Marke Steyr fuhr und sich dafür mit einem Werbespruch bedankte, ein Prominenter des Kulturbetriebs, der sich mit Sportlern, Künstlern, anderen Prominenten zeigte. Sein Markenzeichen war der proletarische Habitus, die Inszenierung des scheinbar Nichtinszenierten - und je genauer man sich den Aufwand anschaut, den Brecht bei der Inszenierung seiner selbst betrieb (und den Erfolg, den er damit hatte), desto mehr drängt sich die Arbeitshypothese auf, daß unter all den Werken Bertolt Brechts diese Selbstinszenierung eines der besten und der schlüssigsten sei. Erst kam seine Fresse. Dann die Moral. Wobei auch so ein schäbiger Dandyismus immer eine Tendenz zum Totalitären hat: Warum nicht auch die Welt nach dem eigenen Bild formen?

Was für eine Verleumdung, würden da Brechts Jünger sagen, das waren doch nur die letzten Reste von Pubertät und Bürgertum, welche, als er endlich erwachsen und ein guter Sozialist wurde, Brecht abgestreift und sich ganz der Arbeit zugewendet hat. Und wenn auch der späte Brecht einen Hang zu Stilisierung und Maskerade hatte, dann müsse man das, erstens, dialektisch sehen, als Ausdruck der Entfremdung und als Kritik daran zugleich. Und außerdem sei der Herr B. so enorm produktiv gewesen, daß praktisch jede seiner Lebensäußerungen auch als Kunst gelesen werden wolle. In der hohen Zeit der Brecht-Verehrung, in den sechziger und siebziger Jahren, als Marianne Kestings liebevolle (und sehr schmale) Brecht-Monographie den Ton vorgab, galt als einigermaßen sicher, daß B.B. nicht nur die wichtigsten Dramen und die besten Gedichte des zwanzigsten Jahrhunderts geschrieben sowie eine gültige Theorie des fortschrittlichen Theaters entworfen und die dazugehörige Praxis in seinen sogenannten Musterinszenierungen auch vorgeführt habe. Nein, auch wenn ein anderer Regisseur auf dem Theaterzettel stand, habe eigentlich B.B. inszeniert, und wenn Kurt Weill oder Hanns Eisler die Noten aufs Papier kritzelten, habe Brecht die Melodie vorgesummt.

Seltsam, daß damals kein lesender Arbeiter fragte: Der junge Brecht eroberte das Theater. Er allein? Hatte er nicht wenigstens seine Assistentin Elisabeth Hauptmann dabei, die das alles ins reine schrieb und redigierte - und von der wir heute wissen, wieviel schöpferische Arbeit sie in die Werke steckte? Und wie wenig vom Ruhm und vom Geld sie ausbezahlt bekam.

Es ist erstaunlich, wieviel von diesem Geist, wieviel Amtlichkeit und Orthodoxie und Klassikerverehrung noch die Neuerscheinungen dieses Brecht-Jahres prägen, Ernst Schumachers Erinnerungen "Mein Brecht" sowieso, aber auch Reinhold Jaretzkys neue "Rororo-Monographie", in welcher der Autor allen Ernstes die gesellschaftskritische Substanz der "Dreigroschenoper" gegen eine "kulinarische" Lesart und gegen die Musik Kurt Weills verteidigen will. Sollte es sein, möchte man da fragen, daß diese Menschen hinter ihren Bücherbergen noch nichts davon gehört haben, daß Brecht seit fünfzig Jahren tot ist? Und daß sich seither der Verlauf aller ideologischen und ästhetischen Fronten geändert hat?

Es war, vor acht Jahren, eine sogenannte kulinarische Interpretation, es war Klaus Emmerichs Inszenierung der "Dreigroschenoper" am Münchner Residenztheater, welche, ganz überraschend, den Blick freigab auf die ästhetischen Probleme, welche diesem Stück heute anhaften. Die Schauspieler spielten angemessen zurückhaltend, das Bühnenbild war schick und sachlich, dem Orchester gelangen auch die Dissonanzen sehr genau, die Choreographie hatte amerikanisches Tempo und amerikanische Präzision. Und während des ersten Aktes saß man da und dachte bei sich: "Wie schön, wie stimmungsvoll; es ist ja womöglich von Brechts Texten und Weills Musik gar nicht so weit zu Cole Porters sophistication und George und Ira Gershwins Gefühlsdringlichkeit. Nur was hat eigentlich die Handlung mit den Songs zu tun? Oder umgekehrt?"

Dann kam aber das erste sogenannte "Dreigroschen-Finale", und spätestens beim zweiten (insgesamt gibt es drei davon), bei den Versen "Ihr Herrn, die ihr uns lehrt, wie man brav leben / Und Sünd und Missetat vermeiden kann / Zuerst müßt ihr uns was zu fressen geben / Dann könnt ihr reden: damit fängt es an . . .", spätestens hier schaute man sich um auf seinem Platz, betrachtete erst das Publikum, dann die Leute auf der Bühne und fragte sich: Wo sind denn diese Herren? Die im Parkett, die braven Abonnenten, können ja nicht gemeint sein. Und im Stück kommt auch niemand vor, an den sich diese Verse richten können. Von diesem Moment an war der ganzen "Dreigroschenoper" der Adressat abhanden gekommen. Und der Absender auch, weil nämlich Polly Peachum und der Räuber Macheath jede Menge Probleme haben. Nur, daß sie nichts zu fressen hätten, gehört nicht dazu.

Natürlich haben all jene recht, die sich durch die tieferen Schichten des Textes gegraben und dort eine Inversion (Joachim Kaiser) oder zumindest eine böse und erotische Travestie der Passionsgeschichte gefunden haben - und Kurt Weill zitiert ja auch in der Ouvertüre und im dritten Finale die Matthäuspassion. Natürlich hat dieser Text eine poetische Kraft und Wirkung, welche, bei den Ressourcen, aus welchen der Autor schöpfte, Luthers Bibelübersetzung, John Gays "Beggar's Opera", den Versen von Rudyard Kipling und François Villon, nicht nur kein Wunder ist; Brechts Sprache hat auch jene Widerständigkeit, jenes Mißtrauen gegenüber den Sachverhalten, welche sie beschreiben soll, welches in allen süddeutschen Dialekten als Möglichkeit aufscheint: Brecht ist sicher der klügste unter allen Schülern Karl Valentins (wie weit er sich später davon entfernt hat, hört man im leeren Pseudosüddeutsch des Besserwisserstücks "Mutter Courage"). Und natürlich muß man diesen Text, seine Outlaw-Romantik, seine Lust und charmante Amoral immer zusammen mit dem Habitus des Autors lesen (so wie man die Zeilen "I am the antichrist, don't know what I want, but I know how to get it" nicht ohne die Sicherheitsnadeln der Sex Pistols lesen darf) - wie jeder ernstzunehmende Popsong zeigt die "Dreigroschenoper" einen Mangel nicht nur an, sondern behebt ihn zugleich in der lustvollen Performance. Das ist reine Jugendkultur - und wer 21 ist und sich vom jungen Brecht nicht verführen läßt, der muß ein Problem mit seinen Hormonen haben. Und keinen Sinn für Poesie.

Wer aber erwachsen ist und diese Stücke für Meisterwerke hält, hat nur noch nicht wahrgenommen, daß die "Dreigroschenoper" als Stück ein Debakel ist, die reine Konfusion, mit diesem Macheath, der angeblich der Held ist und dabei so blaß und passiv bleibt, während der eigentliche dramatische Konflikt sich abspielt zwischen Polly Peachum, die Macheath haben will, und ihrem Vater, der genau das verhindern will, was dem Autor aber, als er es schrieb, wohl selber nicht ganz klar war, und daß so ein Chaos dann, als es aufgebraucht war, dem reifen Brecht als die beste Zeit erschien; daß also die "Dreigroschenoper" zum Sensationserfolg wurde und zur Quelle von Brechts Reichtum und Ruhm: Das alles war nur Kurt Weill zu verdanken. Denn der hat für das Stück ausschließlich Hits geschrieben, lauter Songs, welche verständlich genug waren, um hineinzugehen ins Ohr, und komplex genug, um drinnen zu bleiben im Kopf, die ganze Lust, welche einem die "Dreigroschenoper" verschafft, hat mit Kurt Weill mehr als mit Bert Brecht zu tun. Und daß Weill, der vor den Nazis nach Amerika floh, dort als Urheber von so schönen und stabilen und anspruchsvollen musikalischen Konstruktionen wie "September Song" oder "Speak Low" in den Kanon der amerikanischen Komponisten aufgenommen wurde, als Mann vom Rang Billy Strayhorns oder Richard Rodgers', das legen ihm nur noch ganz verstockte Anhänger der Brecht-Orthodoxie als Verrat und Ausverkauf aus.

Vier Jahre nach Brechts Tod kam Ella Fitzgerald für ein Konzert nach Berlin, und zum Schluß hin erwies sie auch dem Genius loci ihre Reverenz. "And the shark, babe", sang sie, "has such teeth, dear, and he shows them, pearly white", und nach der dritten Strophe merkte sie, daß sie den Text vergessen hatte, und dann sang sie irgend etwas, was ihr gerade einfiel, und viel Sinn ergab das nicht. Aber das Publikum brüllte vor Vergnügen. Und keiner vermißte die Verse des armen B.B.

Soviel zum Vergnügen - was aber, mag jetzt mancher fragen, ist denn aus dem Ernst geworden, aus Brecht, dem Weltveränderer? Daß er ein Opportunist war gegenüber den sozialistischen Autoritäten, muß hier vielleicht nicht noch einmal referiert werden. Daß sein angeblich gefährlichstes Drama, "Die Maßnahme", weniger ein kommunistisches Lehrstück ist als eine ungeheuer dichte Reflexion darüber, wie ein Subjekt vergebens sich zu behaupten versucht, das hat Joachim Kaiser schon vor 35 Jahren nachgewiesen. Und ungefähr zur gleichen Zeit hat Frieda Grafe endgültig die Luft herausgelassen aus dem Brechtschen Weltveränderungspathos.

Im Jahr 1931 entstand, nach einem Drehbuch von Brecht, der Film "Kuhle Wampe", dessen Moral man ohne Bedenken auf den Schlußdialog reduzieren darf. "Wer soll denn die Welt verändern?" fragt da ein Kleinbürger. Und die Proletarierin antwortet: "Die, denen sie nicht gefällt."

In einem Aufsatz übers Kino jener Zeit (und dabei anspielend auf einen Propagandafilm der Nazis) fragte die Kritikerin Frieda Grafe weiter: "Hat dem ,SA-Mann Brand' die Welt etwa gefallen? Und hat er sie nicht verändert?"

Da (um B.B. ein letztes Mal zu zitieren) hat sie eben leider recht.

CLAUDIUS SEIDL

André Müller sen. / Gerd Semmer: "Geschichten vom Herrn B.". Eulenspiegel-Verlag, 9,90 Euro.

Reinhold Jaretzky: "Bertolt Brecht". Rowohlt, 8,50 Euro.

Ernst Schumacher: "Mein Brecht". Henschel, 19,90 Euro.

Vom 13. bis zum 16. Juli findet in Augsburg das Brecht-Festival "abc" statt.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.08.2006

Godot kommt
Beckett und Brecht: Was von den Jahrhundertdramatikern blieb
„Trop riche” („zu reich”) war das einzige, was Samuel Beckett gesagt haben soll, als er Brechts „Leben des Galilei” in der Inszenierung des Berliner Ensemble in Paris sah. Der lapidare Kommentar des großen Lakonikers ist zugleich die einzige überlieferte Äußerung Becketts über Bertolt Brecht, und es ist schon eine Pointe, dass auf den berühmtesten Dramatiker aus dem kapitalistischen Westen das Theater des berühmtesten Dramatikers aus dem sozialistischen Osten zu reich wirkte. Oder, um es mit einem Beckett-Wort zu sagen, zu „vollgestopft”.
Beckett und Brecht befanden sich damals, Ende der fünfziger Jahre, auf dem Höhepunkt ihrer Wirkung. Während Beckett jedoch jenseits des Eisernen Vorhangs noch bis in die achtziger Jahre als „dekadent” verboten war, ging das Berliner Ensemble auf Welttournee, um den Westen wenn nicht zum besseren System, so doch zum besseren Theater zu bekehren. Die Gastspiele der fünfziger Jahre glichen einem Triumphzug. Peter Zadek in London und Roland Barthes in Paris feierten Brecht als asketischen Theaterrevolutionär und sahen in seiner strengen Dramaturgie eine heilsame Fastenkur für den übersättigten Theaterbetrieb. Nur Beckett, der getreu Valérys Diktum „Nehmt alles weg, damit ich sehen kann!” auf seine Weise für ein „armes” Theater stritt, war das Ganze zu vollgestopft. Ein kalter Theaterkrieg?
Brecht hat vermutlich nie ein Stück Becketts gesehen - dass er ihn jedoch schätzte, geht aus seiner Bemerkung hervor, es handle sich bei „Warten auf Godot” um ein Stück im Geiste des von ihm bewunderten Charlie Chaplin. Noch 1956 arbeitete er an einer ideologisch zurechtgezupften Bearbeitung des Stücks. Persönlich sind sich die beiden nie begegnet, aber sie beobachteten einander aus der Ferne. Und vielleicht ahnten sie, dass sie dasselbe Schicksal teilen würden: Dass von ihnen im Gedächtnis des breiteren Publikums nur jenes eine Stück überdauern würde, das Brecht früh, Beckett spät berühmt machte: Die „Dreigroschenoper”, 1928 uraufgeführt, und „Warten auf Godot”, 1953 uraufgeführt.
Sie waren die beiden größten Dramatiker des 20. Jahrhunderts, und sie waren Antagonisten - aber gibt es einen Punkt, an dem sich die Extreme, die sie verkörperten, berühren? Beide waren sie die meist fotographierten Nickelbrillenträger ihrer Zeit, beide waren sie ebenso leidenschaftliche wie katastrophale Autofahrer, beide liebten sie gutes Bier und schlechte Kriminalromane. Beide wählten ihre abgerissen wirkende Garderobe mit der größten Sorgfalt, für beide war die Bibel das wichtigste Buch überhaupt (Beckett besaß mehrere Ausgaben), und beide waren nicht nur Autoren, sondern bedeutende Regisseure, die Modellinszenierungen ihrer Stücke schufen. Und das Lied „Ein Hund kam in die Küche” taucht nicht nur in Becketts „Warten auf Godot” auf, sondern auch in Brechts „Trommeln in der Nacht”.
Der Ire Beckett lebte im selbst gewählten Exil Frankreich und schrieb auf Französisch, Brecht bezeichnete seine Jahre in der DDR einmal als „Exil”, allerdings als ein „sehr freiwilliges”. Und wenn man danach forscht, welcher Künstler den unmittelbarsten Einfluss auf sie beide hatte, gerät ein zu Unrecht unterschätzter Mann in den Blick: der Komiker Karl Valentin, von dem der Ausspruch stammt „Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen”. Brecht hatte ihn in seinen Münchner Jahren vor 1924 häufig auf der Bühne erlebt, Beckett sah ihn 1937. Und beide sagten, was schon gesagt ist, Beckett sagte es kürzer (Motto: „Lieber Sachen rausschreiben als reinschreiben”), Brecht sagte es pointierter (Motto: „Es geht auch anders, doch so geht es auch”).
Beckett sei so etwas „wie der Pillenknick in der Dramatik”, hat Heiner Müller einmal bemerkt. Und die Pozzo-Lucky-Szene aus „Warten auf Godot” über Herrschaft und Knechtschaft, „das ist in nuce der ganze Brecht”. Umgekehrt habe sich Brecht jahrelang abgearbeitet, um aus dieser Szene acht bis zwölf Stücke zu machen”. Zusammen könnte sie als Wladimir und Estragon auf der Bühne stehen, der hagere, ausgezehrte Beckett und der kartoffelige, aufgedunsene Brecht, der, so Elias Canetti, schon mit 30 aussah „wie ein alter Pfandleiher, der Menschen abschätzt wie Wertgegenstände, die keine sind”.
„Man müsste einen stimmlichen Schatten finden”, so beschrieb Beckett 1981 sein Sprachideal, „eine Stimme, die ein Schatten wäre. Eine Stimme ohne Ton. Eine weiße Stimme.” Brecht wollte mit seinem Theater die Erde bewohnbar machen, damit wir den Himmel nicht mehr brauchen: „nicht nach der Decke strecken, sondern die Decke strecken”. Brechts Figuren wirken wie gestaucht unter dieser Anstrengung, die Decke zu strecken, Becketts dagegen so leptosom wie Giacometti-Skulpturen, wenn sie die Hände zum leeren Himmel heben.
„Mit dem Besitzer des Hauses, das brennt, können Sie nicht reden, aber mit dem Feuerwehrhauptmann”, so Brecht 1953. Aber auch die Gegenwart sei noch nicht reif für das Epische Theater, seufzt er, denn: „Die Schauspieler müssten Marxisten sein und die Zuschauer auch. Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Die einen kommen nicht ohne Einfühlung, die anderen nicht ohne Suggestion aus”. Brecht fürchtete, man könnte sich in seinem Theater ganz undialektisch bestätigt fühlen: „Von den Verfremdungseffekten bleiben meist nur die Effekte übrig.”
1956 dachte Brecht über eine Neuinszenierung „der Dreigroschenoper” nach, „auch wenn das mit dem Fressen, das vor der Moral kommen soll, hier immer noch in den falschen Hals kommen wird.” In der Bundesrepublik war nach dem Krieg immer schon das unverwüstliche Theatertier Brecht gegen den politischen Kopf ausgespielt worden. Schließlich ist doch „Unterhaltung” das häufigste Wort in seinen theoretischen Theaterschriften. Von der valentinesken Komik ausgehend, haben Beckett und Brecht verschiedene Richtungen eingeschlagen: Brecht meinte, das Lächerliche der Entfremdung könne dem Menschen aberzogen werden, wenn erst die Welt menschlich geworden sei. Gäbe es in einem idealen Kommunismus also nichts mehr zu lachen? Im Theater ist das Komische die Honigspur, die den Weg zur Erkenntnis versüßt. Bei Beckett dagegen sind wir zur Lächerlichkeit verdammt, und das Komische ist die umgekehrte Klage. Das Publikum lachte bei beiden mit gutem Gewissen, denn bei Beckett sah es unaufhörlich unsichtbare Atompilze aufsteigen und bei Brecht unsichtbare Rotarmisten aufmarschieren. Die Kardinalängste der fünfziger Jahre, die Bombe und der Sowjet, bildeten den dunklen Hintergrund des hellen Gelächters.
Brechts Werk ist ein einziger Prolog, der den kommenden Menschen herbeiruft. „Der Mensch ist gut, die Leute sind schlecht”, heißt es schon bei Valentin. Becketts Werk ist ein einziger Epilog auf den Menschen. Und auch dazu findet sich ein passender Satz bei Valentin: „Die Zukunft war früher auch besser.”
Brecht hoffte auf die Überwindung der Wirklichkeit jenseits der Bühne, Beckett lediglich auf ihre ästhetische Verdichtung auf der Bühne. Bei Brecht ist das Theater eine Schleuse, bei Beckett ein Verlies. Vorschein und Nachglühen - dass aber beide die Theater-Illusion als Voraussetzung von Darstellung aufrecht erhielten, darin liegt ihre Gemeinsamkeit. Das Theater hat sich später um so entschiedener von ihnen entfernt, als es Verfremdungseffekt und Endspiel-Dramaturgie zusammeschloss. Es behielt von Brecht das Planspiel ohne Plan und von Beckett das Endspiel ohne Spiel.
Brecht und Beckett, sie sind wie Wladimir und Estragon zankend von der Bühne gegangen, und jeder sagte vielleicht zum anderen den Valentin-Satz: „Ich bin auf Sie angewiesen, aber Sie nicht auf mich! Merken Sie sich das!” Und beide würden darüber lachen. Wie die Tramps kehren sie bestimmt morgen zurück. Entweder Godot kommt (Brecht), oder sie hängen sich auf (Beckett). Aber wie schon im Stück wird der Strick wohl wieder reißen und macht aus dem Selbstmord eine tragikomische Clownsnummer.
CHRISTOPHER SCHMIDT
Die Zitate sind folgenden Neuerscheinungen zu Beckett und Brecht entnommen:
ERNST SCHUMACHER: Mein Brecht. Erinnerungen. Henschel Verlag 2006. 560 Seiten, 19,90 Euro.
REINHOLD JARETZKY: Bertolt Brecht. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006. 160 Seiten, 8,50 Euro.
SAMUEL BECKETT: Warten auf Godot. Faksimile-Ausgabe, Edition Suhrkamp 2006. 116 Seiten, 10,00 Euro.
SAMUEL BECKETT: Nacht und Träume. Gesammelte kurze Stücke. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 359 Seiten, 24,80 Euro.
ANDRÉ BERNOLD: Becketts Freundschaft, Berenberg Verlag, Berlin 2006, 105 Seiten, 19,00 Euro.
ANNE ATIK: Wie es war. Erinnerungen an Samuel Beckett. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 174 Seiten, 24,90 Euro.
JAMES UND ELIZABETH KNOWLSON (Hrsg.): Beckett Erinnerung. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2006, 359 Seiten, 22,80 Euro.
GABY HARTEL/CAROLA VEIT: Samuel Beckett. Suhrkamp BasisBiographie, Frankfurt am Main 2006. 154 Seiten, 7,90 Euro.
FRIEDHELM RATHJEN: Samuel Beckett. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006. 158 Seiten, 8,50 Euro.
In Öl: Rudolf Schlichters „Bildnis Bert Brecht” von 1926.
Foto: AKG
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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