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Die »Bar jeder Hoffnung« in São Paulo: Hier, beim Kneipier Oswald, einem Wiener, treffen sich regelmäßig deutsche und österreichische Emigranten, die redselig und zuckerrohrschnapssüchtig von ihren Erlebnissen erzählen, »so als hinge ihr Lehen davon ab, daß es erzählt werden könne«. Die Bewußtseinszustände der Trinker waren schon postmodern, als es den Begriff »Postmoderne« noch gar nicht gab. Ihre Erlebnisse und Erzählungen erweisen sich als Wiederholungen von so noch nicht Dagewesenem, sind Farben ohne vorangegangene Tragödien, gleichsam Originalkopien. Aber kann das, was einer wirklich…mehr

Produktbeschreibung
Die »Bar jeder Hoffnung« in São Paulo: Hier, beim Kneipier Oswald, einem Wiener, treffen sich regelmäßig deutsche und österreichische Emigranten, die redselig und zuckerrohrschnapssüchtig von ihren Erlebnissen erzählen, »so als hinge ihr Lehen davon ab, daß es erzählt werden könne«. Die Bewußtseinszustände der Trinker waren schon postmodern, als es den Begriff »Postmoderne« noch gar nicht gab. Ihre Erlebnisse und Erzählungen erweisen sich als Wiederholungen von so noch nicht Dagewesenem, sind Farben ohne vorangegangene Tragödien, gleichsam Originalkopien. Aber kann das, was einer wirklich erlebt hat, eine Fälschung sein? Oder sind es die Zusammenhänge, die gefälscht sind? Süchtig sucht Roman, der Ich-Erzähler, das Authentische: in den Abenteuern mit Frauen, in Alkoholexzessen, in den Vorträgen des »Bar-Professors« Singer. Aber alles, was bleibt, ist die Gewißheit, etwas vergessen zu haben.
Autorenporträt
Robert Menasse wurde 1954 in Wien geboren und ist auch dort aufgewachsen. Er studierte Germanistik, Philosophie sowie Politikwissenschaft in Wien, Salzburg und Messina und promovierte im Jahr 1980 mit einer Arbeit über den »Typus des Außenseiters im Literaturbetrieb«. Menasse lehrte anschließend sechs Jahre – zunächst als Lektor für österreichische Literatur, dann als Gastdozent am Institut für Literaturtheorie – an der Universität São Paulo. Dort hielt er vor allem Lehrveranstaltungen über philosophische und ästhetische Theorien ab, u.a. über: Hegel, Lukács, Benjamin und Adorno. Seit seiner Rückkehr aus Brasilien 1988 lebt Robert Menasse als Literat und kulturkritischer Essayist hauptsächlich in Wien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.05.1999

Vom interplanetarischen Wesen überwältigt
Nackte Helden pflegen keine Körperkontakte mehr

Es werden, sagt Michel Houellebecq in seinem 1994 auf französisch und in diesem Jahr auf deutsch erschienenen erfolgreichen Roman "Ausweitung der Kampfzone" "zwischenmenschliche Beziehungen zunehmend unmöglich". Mit deren Verlust verringere sich die Zahl der Geschichten. Michel Houellebecqs Roman nimmt eine Stimmung auf, die über Frankreich hinausreicht, auch in anderen Neuerscheinungen zu finden ist und ihre Vorläufer hat.

Sein Held arbeitet als Angestellter in Paris, und ihm mag ein dauerhafter Kontakt zu seiner Umwelt nicht mehr gelingen. Er raucht zuviel, und er kommt deswegen sogar einmal ins Krankenhaus. Er isoliert sich immer stärker, sucht in seiner Irritation einen Therapeuten auf und verliert dann auch noch seine Arbeit. Seine fortschreitende Selbstauslöschung scheint er schließlich mit einem Selbstmord zum schnellen Schluß zu bringen.

Die Welt, in der er sich bewegt, wenn er sein Zimmer verläßt, besteht nur aus Körpern, die sich begehren oder abstoßen. Im Kampf der Reize erringen sie Siege, oder sie erleiden Niederlagen. Houellebecqs Held lebt in einer Diktatur der Beziehungen, die keine anderen als die Körperbindungen mehr zuläßt. Die Freiheit sei nichts anderes, erklärt eine Figur des Romans, als ein Maximum an Optionen. Die Geschichte des Helden zerfällt in ein Muster aus Reiz und Reaktion. Das Selbst ist die traurige Gewißheit, daß der Reiz nur seine Befriedigung möchte, um erneut aufzuflackern. Die Selbstzerstörung ist eine Konsequenz, aus diesem Kreislauf zu entkommen.

"Das fortschreitende Verlöschen menschlicher Beziehungen", schreibt Michel Houellebecq, "bringt für den Roman allerdings einige Schwierigkeiten mit sich . . . Von den Sturmhöhen haben wir uns weit entfernt, das ist das mindeste, was man sagen kann. Die Romanform ist nicht geschaffen, um die Indifferenz und das Nichts zu beschreiben . . ." Die Luft für ein Heldenleben im traditionellen Sinne ist dünn geworden. In den Niederungen stehen sich die Akteure stumm gegenüber. Sie bewegen sich dann, wenn ein Reiz eine Reaktion erfordert. Eine Figur ist dabei nicht mehr als bloß ein provozierter Körper.

Sie küssen und sie quälen sich. Denn die Lust und der Schmerz sind individuell. Ein anderer werde nicht verstehen, wie er sich fühle, wenn er Zahnschmerzen habe, sagte einmal Ludwig Wittgenstein. Wer Bedeutungen nicht teilen kann, dem wird es schwerfallen, Beziehungen einzugehen, die länger halten. Nach den Paaren als kleinem Gesellschaftsspiel, nach Treue und Verrat, Krise und Therapie tauchen in der Literatur jetzt Wesen auf, die sich nicht mehr auf den Boden fester Bindungen ziehen lassen. Wie schwerelose Körper schweben sie durch ein All beziehungsreicher Optionen.

Diese Aliens leben in einer künstlichen Atmosphäre. Im Alltag realistischer Geschichten würde ihnen die Luft ausgehen. Sie akzeptieren nur ein Bezugssystem, und zwar sich selbst. Hier finden sie ein Biotop in einer von politischen und ideologischen, medialen und realen Mächten verseuchten Umwelt. Die Gesellschaft ist verstrahlt. Mancher Autor wurde nach diesem Befund zu einem leidenschaftlichen Gärtner, dem seine physiologischen Gewächse am Herzen liegen.

Der Körper sei das "zentrale Problem, das Hauptproblem der menschlichen Existenz". Das sagt der russische Schriftsteller Wladimir Sorokin, von dem bereits eine Reihe von Romanen, Erzählungen und Theaterstücken auf deutsch vorliegt. Wer eine Geschichte erzählen möchte, der wird sich an dieser Einsicht in den Körper nicht vorbeischleichen können. Von 1985 bis 1989 schrieb Sorokin an seinen Buch "Roman", der dann 1994 in Rußland und ein Jahr darauf in deutscher Übersetzung erschien.

In diesem Buch schickt Sorokin seinen Helden Roman aus der Stadt wieder auf das Land zurück. Dort ist Roman ein Fremdling. Doch die Geselligkeit des Dorfes holt ihn ein. In nächtlicher Einsamkeit tötet er mit einem Messer einen Wolf, und der im Kampf Verwundete findet bei seinen Pflegern ein schönes Mädchen, in das er sich auf den ersten Anblick hin verliebt. Die beiden möchten heiraten, und bald findet in der Gemeinde ein Hochzeitsfest statt, wie es sich für ein russisches Dorf gehört.

Diese Geschichte von einer Heimkehr zu den Menschen und den großen Gefühlen erzählt Sorokin im Stil der Romane des neunzehnten Jahrhunderts. Die Figuren haben Kontur und Charakter, eine Handlung treibt die Geschichte voran, und die Orte werden genau beschrieben. Die Menschen gehen ihrer Arbeit nach. Sie sprechen miteinander, teilen Sorgen, teilen Freuden und wälzen Probleme, die das Leben betreffen. Es ist ein kleiner, doch auch repräsentativer Kosmos, in dem sich das Menschliche in seinen Höhen und Tiefen spiegelt.

Doch als die Hochzeitsnacht naht, ergreift der Held ein Beil. Systematisch bringt Roman alle Dorfbewohner um. Erst erschlägt er sie, dann weidet er sie aus und trägt ihre Innereien in die Kirche vor den Altar. Danach bringt er seine schöne Braut um, die seinen Blutrausch mit einem Glöckchen begleitete. Schließlich verlassen Roman die Kräfte. Alle sind tot. Auch die Erzählweise des Romans aus dem neunzehnten Jahrhundert hat Sorokin ausgelöscht. Von den ausholenden, rhythmischen Sätzen blieb nur der Rhythmus des Beilschwingens. Roman geht in ein Haus. Roman schlägt zu. Alles läuft nach Plan. So lange, bis keiner mehr da ist, der noch laufen kann. Die letzte Tat des Helden ist die Selbstauslöschung. Roman vernichtet den Roman.

Nicht nur in Rußland erging es den Helden schlecht. Auch der österreichische Schriftsteller Robert Menasse hatte sich dieser Figur aus den Tagen des Erzählens angenommen. Er taufte den Helden seines 1988 publizierten Romans "Sinnliche Gewißheit" ebenfalls auf den Namen Roman. Das Leben des einzelnen hänge davon ab, so räsoniert am Anfang unschuldig der Held, daß man es erzählen könne. Und er selbst erzählt dann davon, wie er dazu kam, einen Roman zu schreiben, der kein "Entwicklungsroman" sein könne. Man dürfe höchstens einen "Rückentwicklungsroman" verfassen, weil die sinnliche Gewißheit des Ich heute alles sei, was vom Wissen über die Welt noch übriggeblieben ist.

Ein Ich steht vor der Übermacht der Eindrücke und Erfahrungen. ". . . ich hob mich selbst auf, indem ich das alles aufschrieb, aufschreiben, aufheben, es ist alles eins". Roman versucht einen Roman über sich zu schreiben und scheitert daran. Denn Helden können sich nur nach vorne bewegen, also handeln. Eine Geschichte entsteht nicht daraus, daß ein Held nachdenkt. Doch wer möchte schon handeln und ein Held werden, wenn nicht das Wissen über die Welt eine Leitlinie vorgeben kann. Wenn das Ich nur noch sinnliche Gewißheit ist, ein Konglomerat von Erfahrungen und Eindrücken, dann stößt das Erzählen in Heldenbahnen an seine Grenzen. Aus den unzähligen Einzelheiten, den Reizen entstehen nur einzelne Körper, flüchtige Bettbekanntschaften und letztlich aneinander vorbeigeführte Gespräche.

Was also bleibt von der Liebe? "Sommerhaus, später" nannte Judith Hermann einen Band mit Erzählungen, veröffentlicht im Herbst letzten Jahres. Dort ist von einer großen Liebe in Sankt Petersburg vor einhundert Jahren die Rede. Beim Duell mit dem Liebhaber stirbt der Ehemann. Im Schatten dieser Leidenschaft, die einen Tod zur Folge hatte, lebt Jahrzehnte später noch die Urenkelin der untreuen Frau. Sie hat einen Geliebten. Nicht irgendeinen jungen Mann. Es ist der Urenkel jenes Freundes, der mit der unglücklichen Urgroßmutter vor der Revolution aus dem Zarenreich floh. Von dieser Petersburger Flucht und Liebe kann die Urenkelin ihrem Liebhaber nicht erzählen. Beide konsultieren einen Therapeuten. Beide hoffen, bei ihm ein Ohr für ihre Geschichte zu finden. Und beide hoffen, daß aus einem fremden Mund ihre Geschichten vielleicht doch noch einen Zusammenhang gewinnen können.

Judith Hermanns Figuren sind erschöpft von ihrer Einsamkeit in der unmittelbaren Nähe des anderen, mit dem keine Geschichte, kein Schmerz zu teilen ist. Ihre Beziehung kennt das Erzählen nicht und nicht die Gemeinsamkeit, die darüber entsteht. Sie können ihre Geschichten so wenig miteinander teilen wie ihre Körper. Das Selbst ist das Verstummen vor dem anderen, das Schweigen.

Wer den Wörtern nicht traut, der kann es mit Humor tragen, daß man sich auf eine einzige Wirklichkeit nicht mehr besinnen mag. Der russische Schriftsteller Viktor Pelewin füllt das Schweigen der Empfindsamen mit Gelächter. In seinem im Frühjahr dieses Jahres erschienenen Roman "Buddhas kleiner Finger" hat er seinen Figuren alle Zuversicht genommen, daß der Körper ein Garant für eine gemeinsame Wirklichkeit sein könnte. Der Körper ist ein Raumschiff, in dem die Kosmonauten durch das All ihrer Empfindungen treiben.

Die Gesichter der Reisenden tauchen hinter den Scheiben auf, sie winken einander zu oder schütteln drohend die Fäuste. Doch Worte wechseln sie nicht, aus denen eine Wirklichkeit entstehen könnte, auf die Verlaß wäre. Es sind Wesen wie von einem anderen Stern, mit der Option, irgendwo zu landen und irgendwann wieder aufzusteigen. Durch diese Reisen wird die Realität porös, und den Fugen entsteigen die Dämpfe der Legenden, die mit der Wirklichkeit verwechselt werden.

Von einem besonderen Nebel, den Theorien über Geschlecht und Charakter und Körper, handelte Thomas Meineckes Ende letzten Jahres veröffentlichter Roman "Tomboy". Meinecke ließ ein, zwei, drei junge Menschen in das Universum der Zuschreibungen und Deutungen sich aufmachen, auf der Suche nach einer passenden theoretischen Fiktion über den Körper, die ihrem Selbst eine Form geben könnte. Der Körper ist da, doch welche Bedeutungen er trägt, welche Wörter ihm passen, das ist nicht von vornherein ausgemacht. Nicht einmal die sinnliche Gewißheit ist so gewiß.

Was bleibt also vom Ich als nach den Ideologien, nach den Gewißheiten darüber, was Realität ist? Das Selbst ist erstmal nur noch eine Fiktion, die einen nicht abstürzen läßt, ein Sicherheitsgurt, den man um seinen Körper schnallt. Oder anders gesagt: das Selbst, der letzte Held in den Geschichten, ist das Verhältnis, das man zu seinem Körper hat. Die hehren Abstraktionen wie Geist und Gesellschaft, Seele und Herz haben sich, nicht zuletzt im Zuge eines neuen Materialismus, ob nun im Gewand der florierenden Neurowissenschaften oder als neu erweckter Biologismus auch Bennscher Provenienz, verflüchtigt. Die Ideen sind ausgetrieben. Zurück bleibt eine Hülse, ein Körper, eine reizbare Zone, die es zu erkunden gilt. Da stehen sie, Helden ohne Gewähr für andere, Marionetten ohne Spielplan, die die Fäden selbst in die Hand genommen haben und sich nun darin einspinnen wie in einen Kokon.

Manche Schriftsteller sind darüber mit Konsequenz zu physiologischen Egoisten geworden. Die Literatur, fern der psychologisierenden Nervenkunst der letzten Jahrhundertwende, nimmt Sondierungen in eine Gegenwart, eine Präsenz vor, der weniger mit Worten als mit Reizen auf die Schliche zu kommen ist. Hier bahnen sich auch west-östliche Verbindungen an, fern der Geschichten von den Helden mit Gefühlen und zeit- und ortsgebundenen Handlungen, deren Vorbild man in amerikanischen Romanen ausmachte. Die suchende Erzählung von der Körperwelt als der Außenwelt der Innenwelt hat erst begonnen. EBERHARD RATHGEB

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