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Heinrich Böll hat die Deutschen immer wieder mit ihrer jüngsten Vergangenheit konfrontiert. Bereits zu Lebzeiten galt der Autor von »Wo warst du, Adam?«, »Ansichten eines Clowns« und »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« als moralische Instanz. Böll selbst wehrte sich vehement gegen die Rolle als Gewissen der Nation. Grund genug, Bölls Motiven, Themen und Leidenschaften erneut nachzuspüren und die komplexe Beziehung zwischen literarischer Arbeit und gesellschaftlichem Engagement zu durchleuchten. Jochen Schubert hatte erstmals uneingeschränkten Zugriff auf den Nachlass. Er entfaltet das…mehr

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Produktbeschreibung
Heinrich Böll hat die Deutschen immer wieder mit ihrer jüngsten Vergangenheit konfrontiert. Bereits zu Lebzeiten galt der Autor von »Wo warst du, Adam?«, »Ansichten eines Clowns« und »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« als moralische Instanz. Böll selbst wehrte sich vehement gegen die Rolle als Gewissen der Nation. Grund genug, Bölls Motiven, Themen und Leidenschaften erneut nachzuspüren und die komplexe Beziehung zwischen literarischer Arbeit und gesellschaftlichem Engagement zu durchleuchten. Jochen Schubert hatte erstmals uneingeschränkten Zugriff auf den Nachlass. Er entfaltet das Porträt eines widerständigen Künstlers und engagierten Intellektuellen. Bölls Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, seine Kritik an den restaurativen Tendenzen der Nachkriegszeit, aber auch sein Engagement in der Friedensbewegung zeigen den Nobelpreisträger an den Wendepunkten bundesrepublikanischer Kultur- und Gesellschaftsgeschichte.

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Autorenporträt
Jochen Schubert, Dr. phil., studierte Germanistik, Philosophie und Pädagogik in Bonn. Seit 1995 ist er Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung. Schubert hat umfassend zu Böll geforscht und publiziert. Unter anderem ist er Mitherausgeber von Heinrich Böll: »Werke« (Kölner Ausgabe).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.12.2017

Mit imaginärem Ausrufezeichen

Heute vor hundert Jahren wurde Heinrich Böll geboren. Mit ihm starb die deutsche Nachkriegsliteratur; niemand stand so programmatisch für sie wie Böll. Zum Jubiläum sind nun drei Bücher erschienen, die sein Leben erklären wollen.

Wer die bedeutendsten, bekanntesten und meistgelesenen deutschsprachigen Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts seien, wollte das Allensbacher Institut für Demoskopie im Sommer 2005 wissen. Die Umfrage ergab: In allen drei Kategorien standen Thomas Mann und Bertolt Brecht auf den Plätzen eins und zwei. In Sachen Bedeutung lag Heinrich Böll mit Hermann Hesse auf Rang vier, vor ihnen fand sich mit Günter Grass ein einziger damals noch lebender Autor unter den ersten zehn. Mit Grass teilte sich Böll den dritten Platz in Sachen Bekanntheit, 83 Prozent der repräsentativ Befragten wussten um ihn. Ganz allein auf dem dritten Platz landete Böll bei der Lektürefrequenz. In toto 34 Prozent gaben an, schon einmal etwas von ihm gelesen zu haben, stattliche 46 Prozent konnte er bei den weiland Sechzehn- bis Neunundzwanzigjährigen verbuchen. So sieht das Profil eines Gegenwartsklassikers aus.

Im gerade erschienenen Porträtessay "Heinrich Böll und die Deutschen" teilt Ralf Schnell, emeritierter Germanist der Uni Siegen, einige Erfolgszahlen mit, die das einstige Umfrageergebnis aktuell untermauern. Bölls bis heute bestverkauftes Buch ist die Anti-"Bild"-Erzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1974), ein effektvolles Exempel gelungener Kolportage - 2,7 Millionen Exemplare. Es folgen das "Irische Tagebuch" (1957) mit 1,9 und der Roman "Ansichten eines Clowns" (1964) mit 1,8 Millionen - Ersteres das Kontrastbuch zur bundesrepublikanischen Borniertheit, Letztere die in den besten Szenen an Becketts "Warten auf Godot" erinnernde Gesellschaftsskizze von existentiell Verlorenen. Auf jeweils knapp eine halbe Million bringen es die Romane "Billard um halb zehn" (1959) und "Gruppenbild mit Dame" (1972), Bölls trotziges Gegenstück zu Fontanes "Effi Briest".

Gestorben ist Böll im Juli 1985, heute vor hundert Jahren wurde er geboren. Seit geraumer Zeit sind seine Person und sein Werk Figuren in einem Schlechte-Laune-Spiel mit Namen "Was bleibt?". Er sei ein guter Mensch gewesen, heißt es, also ein Gutmensch. Seine Romane und Erzählungen seien verblasst, sein politisches und gesellschaftskritisches Engagement wirke zwar wacker, aber etwas anachronistisch. Zu diesen Befunden gibt es Varianten. Mal findet man, Variante eins, das erzählerische OEuvre, die späten Romane "Fürsorgliche Belagerung" (1979) und "Frauen vor Flusslandschaft" (1985) unbegreiflicherweise eingeschlossen, dann doch unterschätzt, also einer wertsteigernden Neulektüre wert. Mal wird, Variante zwei, das Fehlen eines moralischen Mahners von Bölls Kaliber dann doch beklagt und nach einem möglichen Nachfolger, einer möglichen Nachfolgerin Ausschau gehalten. Das Spiel "Was bleibt von Böll?" wird dadurch nicht besser. Es stellt schlicht die falsche Frage. Die richtige lautet: Was ist von der Literatur geblieben - ohne ihn?

Was die Literatur mit ihm war, zeigt sich vor allem an der Aufnahme der frühen Prosa - von "Der Zug war pünktlich" (1949) bis eben zu "Ansichten eines Clowns" (1963). Als im Frühjahr 1953 "Und sagte kein einziges Wort" erschien, der Eheroman im katholischen Kleinbürgermilieu vor der Kulisse des zerbombten Kölns, urteilte Karl Korn, damals Herausgeber und Feuilletonchef dieser Zeitung: "Wenn mich künftig einer fragt, was denn die Deutschen heute an Büchern von wirklicher Kraft und Wahrhaftigkeit vorzuweisen hätten, werde ich den Böll nennen." Nicht unähnlich im Ton wird wenige Monate danach Korns Kritik von Wolfgang Koeppens "Das Treibhaus", dem ersten politischen Roman der Bundesrepublik, konstatieren: "Literatur, wie sie nur selten erreicht wird."

Der neue Böll, der neue Koeppen im selben Jahr. So ging es damals fort, mal mit dem neuen Frisch, dem neuen Dürrenmatt, der neuen Bachmann, bald dem ersten Walser, dem ersten Enzensberger. Zum Mirakel von 1959 mit der "Blechtrommel" von Grass und Johnsons "Mutmaßungen über Jakob" trug auch Böll bei: mit "Billard um halb zehn", dem Kölner Großbürgerreigen fast schon ohne Kriegsruinen, aber mit viel seelischem Kriegs-, Mitläufer- und Schuldgepäck. Karl Korn druckte das Buch im Feuilleton dieser Zeitung vorab und notierte: "Der neue Roman ist anders und ist ein großer Schritt vorwärts . . . Das Buch hat Reife."

Es geht hier nicht um rückwärtsgewandte Sehnsucht, die sich an einstiger Fülle berauscht. Im Gegenteil, die erst im Rückblick sichtbar werdende Hochphase der deutschsprachigen Literatur des Westens - diejenige der DDR ist ein weites, aber sehr anderes Feld - hat Gründe, die in einer zeitlich recht genau zu begrenzenden Öffentlichkeits- und Medienstruktur verankert sind. Die Literatur und die Autoren hatten bis weit in die siebziger Jahre hinein einen entschieden gewichtigeren Anteil am gesellschaftlichen Geschehen als heute - heute sind sie Akteure in einer (noch) komfortablen, (noch) florierenden Nische. Welchen Autor, welche Autorin kennen gegenwärtig 83 Prozent der Leute? Unter den nach dem Zweiten Weltkrieg geborenen Schriftstellern war Elfriede Jelinek in der Allensbach-Umfrage mit 31 Prozent die mit Abstand bekannteste, in allererster Linie wegen des Literaturnobelpreises von 2004. Von ihr etwas gelesen oder im Theater gesehen hatten ganze vier von hundert.

Es gab bis zum Entstehen des Privatfernsehens in der ersten Hälfte der achtziger Jahre und erst recht seit dem Werden und Wachsen des Internets von den mittleren Neunzigern an schlicht weniger mediale Konkurrenz. Es gab weniger Radioprogramme, die dafür weit mehr öffentlich-rechtliche Sendezeit für Wortbeiträge, für Hörspiele, Essays, Features und Gespräche bereitstellten, damit eine ganze Generation von Schriftstellern mäzenierten. Es gab weniger Fernsehen, in dem dafür mehr Autoren interviewt und darüber öffentlich sichtbarer, bekannter wurden. Es gab nicht zuletzt mit der Gruppe 47 eine Autorenvereinigung, die, weil stets umstritten, stets auch ein manifester Faktor war.

Heinrich Böll ist inzwischen der einzig ungetrübte Repräsentant dieser emphatischen Literaturepoche - mit seinem Tod vor gut dreißig Jahren ist sie zu Ende gegangen, fast unmerklich zunächst, weil andere ja publik und präsent blieben. Grass aber, dessen "Blechtrommel" literarisch alles überragt, hat durch das verspätete SS-Geständnis moralisches Gewicht eingebüßt, Martin Walser durch die Paulskirchenrede. Enzensberger ist schon wegen seiner Romanabstinenz nie populär gewesen, Repräsentanz ist seine Sache nicht.

Böll hat von Anfang an nicht nur mit den Verlagen, Literaturzeitschriften und Zeitungen, sondern sofort auch mit den Radiostationen Kontakt aufgenommen, während das frühe Fernsehen meist auf ihn zukam. "Er", schreibt Ralf Schnell, "war ein Autor des Medienzeitalters. Sein literarisches Werk besitzt ein mediales Äquivalent in seiner virtuellen Präsenz." Die ganz spezifische, paraproletarische, etwas bohemehafte, dabei glaubhaft uneitle Böll-Aura mit Baskenmütze und Zigarette ist darüber entstanden. In Interviews pflegte er die Floskel "Verstehen Sie?" einzustreuen, gab der Frage dabei aber stets ein imaginäres Ausrufezeichen mit auf den Weg, ganz so, als wolle er dem jeweiligen Gegenüber ein Erkenntnislicht aufsetzen.

Nicht ohne weiteres zu begreifen war, dass der frühe Böll nie einen anderen Beruf als den des freien Autors in Betracht zog, begann seine persönliche Stunde null doch buchstäblich mit nichts. Viel plausibler geworden ist der Eigensinn durch die Aberhunderte von "Briefen aus dem Krieg", die der notorische Infanterist an seine Familie sowie an seine Freundin und, seit März 1942, an seine Ehefrau Annemarie schrieb. Es sind, der Zensur eingedenk, Briefe eines genuinen, zumindest eines prospektiven Erzählers. Der Böll-Forscher Jochen Schubert hat sie vor sechzehn Jahren in vorbildlicher Sorgfalt ediert (F.A.Z. vom 9. Oktober 2001). "Heinrich Böll", die Biographie des Dichters, die er nun vorlegt, ist hingegen staubtrocken und uninspiriert - nach Heinrich Vormwegs einst ebenso materialreichem wie hagiographischem Zugang zu Leben und Werk (F.A.Z. vom 12. Dezember 2000) ein neuerlicher Fehlversuch.

Tüchtig ist die Nachlass-Strategie von Bölls Erben. 1992, zum 75. Geburtstag, erschien mit "Der Engel schwieg" ein bis dato unpublizierter Roman aus den endvierziger Jahren, der sich als eine Art Böllscher "Urfaust" erwies (F.A.Z. vom 8. Dezember 1992). Den Kriegsbriefen von 2001 folgen nun, ediert vom Sohn René Böll, die bibliophil präsentierten "Kriegstagebücher 1943 bis 1945" in Faksimile, typographischer Umschrift und mit akribischem Stellenkommentar. Aber nein, Tagebücher sind das im Grunde nicht - es sind angstentsetzte Existenzschreie auf Papier. Stets aufs Neue wird "Anne-Marie!" aus Front-, Kasernen- und Lazarettferne herbeibeschworen und herzergreifend angehimmelt, es wird "Gott helfe uns" gebetet und gestammelt, "Kälte, Elend und Hunger" verzeichnet, aber auch "Schmerz um Deutschland". Am 2. Mai 1945, schon im Gefangenenlager, findet sich der trotz aller Christgläubigkeit irritierende Eintrag des Nazigegners Böll: "Hitler Tod Gott sei ihm gnädig". Juden, die Judenvernichtung: keine Notiz. Weil er nichts wusste, nichts wissen wollte, Entdeckung fürchtete? Jedenfalls bildet das Erratische dieser Einträge einen heftigen, psychologisch allerdings völlig plausiblen Kontrast zu den parallel geschriebenen und durchaus kontrollierten Briefen in die Heimat.

Der erste Böll, den ich las, waren Mitte der sechziger Jahre die bereits 1950 erschienenen Kurzgeschichten von "Wanderer, kommst du nach Spa . . ." Die Initiation in eine gerade vergangene Zeit, in die letzte Phase des Kriegs und den unmittelbaren Nachkrieg, die ich selbst nicht erlebt hatte, prägte enorm. Weder mit dem Katholischen noch mit dem Rheinland hatte ich etwas zu tun. Aber die Atmosphäre, die dieser Erzähler heraufbeschwor und spürbar machte, war unausweichlich. Er, Böll, nannte sie "Staub und Stille".

JOCHEN HIEBER.

Ralf Schnell: "Heinrich Böll und die Deutschen".

Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017. 237 S., geb., 19,- [Euro].

Heinrich Böll: "Man möchte manchmal wimmern wie ein Kind". Die Kriegstagebücher 1943 bis 1945.

Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017. 351 S., geb., 22,- [Euro].

Jochen Schubert: "Heinrich Böll". Biographie. Hrsg. von der Heinrich-Böll-Stiftung.

Theiss Verlag/WBG, Darmstadt 2017. 344 S., geb., 29,95 [Euro].

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»Wer sich wie ich Heinrich Böll sehr verbunden fühlt, lernt ihn durch die Böll-Biographie von Jochen Schubert noch besser kennen. Was der Biograph über den Literatur-Nobelpreisträger zusammengetragen und unprätentiös beschrieben hat, liest sich wie die Wiederentdeckung eines großen Schriftstellers. Mit der Erkenntnis: Den damaligen Heinrich Böll könnten wir heute gut gebrauchen.« Fritz Pleitgen »Ein Buch, das Maßstäbe setzt.« Pfälzerischer Merkur