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Angesichts von künstlicher Befruchtung, Stammzellforschung sowie der Möglichkeit genetischer Diagnostik und Manipulation ist der moralische Status zukünftiger Personen so umstritten wie nie zuvor. Aber wer gilt überhaupt als zukünftige Person? Nur diejenigen Embryonen, so Anja Karneins provokative These, die zur Geburt bestimmt sind - dann jedoch ab der Empfängnis. Und während liberale Theorien oft das Machtgefälle zwischen den Generationen vernachlässigen, wenn sie weitreichende Eingriffe in das Erbgut erlauben, verkennen restriktivere Ansätze, daß genetische Eingriffe notwendig sein können,…mehr

Produktbeschreibung
Angesichts von künstlicher Befruchtung, Stammzellforschung sowie der Möglichkeit genetischer Diagnostik und Manipulation ist der moralische Status zukünftiger Personen so umstritten wie nie zuvor. Aber wer gilt überhaupt als zukünftige Person? Nur diejenigen Embryonen, so Anja Karneins provokative These, die zur Geburt bestimmt sind - dann jedoch ab der Empfängnis. Und während liberale Theorien oft das Machtgefälle zwischen den Generationen vernachlässigen, wenn sie weitreichende Eingriffe in das Erbgut erlauben, verkennen restriktivere Ansätze, daß genetische Eingriffe notwendig sein können, um die Unabhängigkeit zukünftiger Personen zu sichern. Karnein liefert eine brillante Verteidigung ihrer Theorie gegen etablierte Ansätze und zeigt anhand eines Vergleichs rechtlicher Regelungen in Deutschland und den USA, wo diese Auffassung unserer Praxis bereits heute zugrunde liegt - und wo noch nicht.
Autorenporträt
Karnein, AnjaAnja Karnein ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin für politische Theorie am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt/M.

Heilbronn, ChristianChristian Heilbronn, geboren 1983, arbeitet als Lektor im Suhrkamp Verlag.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das einzige Manko vornweg. Martina Lenzen-Schulte bedauert es, dass der Verlag darauf verzichtet hat, Anja Karneins auf ihre Dissertation zurückgehenden Aufruf zu einem reproduktionsmedizinischem Nachhaltigkeitsprinzip im Zuge der deutschen Ausgabe auf den neuesten Gesetzesstand bezüglich PID zu bringen. Ansonsten ist die Rezensentin jedoch vollauf begeistert angesichts einer Arbeit, die mit ihrer konsequenten Forderung nach einer umfassenden Achtung der späteren Persönlichkeit bei der Präimplantationsmedizin laut Lenzen-Schulte nicht nur Bioethiker klug attackiert, sondern selbst Jürgen Habermas, der zu Zurückhaltung bei der PID aufruft, noch übertrifft.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.08.2013

Letzte Chance für die tiefgekühlte Reserve

Wider das absolute Machtgefälle zwischen Eltern und Embryonen: Die Soziologin Anja Karnein will ungeborenes Leben unter den Schutzschirm künftiger Personalität gestellt sehen.

Den Eltern, die die Lufthoheit über den Petrischalen ihrer künstlich gezeugten Embryonen beanspruchen, und den Theoretikern, die dies mit ihren Argumenten unterfüttern, wirft Anja Karnein den Fehdehandschuh hin. Die junge amerikanische Soziologin, die derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität in Frankfurt arbeitet, hält sowohl den liberalen Befürwortern der Elternrechte als auch konservativen Werteschützern entgegen, dass der Anspruch einer Person, keinen Schaden zugefügt zu bekommen, auch ein rückwärts gerichtetes Interesse daran beinhaltet, dass sie als Embryo nicht manipuliert wurde.

Sie fordert in Sachen Reproduktionsdesign nicht weniger als eine umfassende, antizipatorische Achtung für die spätere Personalität der so Gezeugten und nennt dies das "Prinzip der zukünftigen Personalität" oder - getreu dem Trend zu Abkürzungen auch in den Geisteswissenschaften - PZP. Man kann sie nicht genug dafür loben, dass sie endlich den Finger in jene schwärende Wunde der Reproduktionsmedizin legt, die man lange bloß anästhesiert hielt: das absolute Machtgefälle zwischen den Optionen, die Eltern im Rahmen moderner Reproduktionstechnologien zugestanden werden, im Vergleich zum Ausgeliefertsein des Embryos.

Dieser hat keine Möglichkeit, die genetische Manipulation der Eltern anzufechten, sie dürfen sich durchsetzen, ohne die Interessen ihres zukünftigen Kindes ausfindig machen zu müssen. Das sei ein Aspekt, vermutet Karnein zu Recht, der Liberale eigentlich unruhig machen müsse. Dass die, die ansonsten den Schutz der Intimsphäre so hochhalten, auf dem reproduktionsmedizinischen Auge offenbar blind sind, nennt sie rätselhaft und schlägt gewichtige Stimmen auf diese Weise elegant mit deren eigenen Waffen.

Dazu zählt vor allem der Bioethiker John A. Robertson, der mit seinem Buch "Children of Choice" die theoretische Basis für die reproduktionsmedizinische Praxis des "anything goes" in den Vereinigten Staaten gelegt hat. Er verteidigt die Rechte der Eltern, sich wie in einem Baukastensystem ihr Wunschkind zusammenschustern zu dürfen, unter anderem damit, dass er solches Tun nicht anders einstuft als Nachhilfeunterricht oder das Verabreichen von Wachstumshormonen. Coaching soll eben vor der Geburt ebenso erlaubt sein wie danach.

Die Praxis, auf die sich die Überlegungen der Autorin beziehen, bietet konkretes Anschauungsmaterial. Da sind etwa die gesunden, nicht unfruchtbaren Eltern, die ihren drei Mädchen per künstlicher Befruchtung und "sex selection" einen Jungen hinzufügen wollen. Wenn die Präimplantationsdiagnostik dann aber irrt und die Eltern ein gesundes Mädchen abtreiben - und dann wieder mit reproduktionsmedizinischen Maßnahmen versuchen, ihre Familie im Hinblick auf die Geschlechtermischung der Kinder zu "balancieren" -, stellt sich die Frage von erlaubter Selektion doch sehr viel prägnanter.

Oder welche Optimierung nehmen gehörlose Eltern vor, wenn sie unter den Embryonen diejenigen aussuchen, die sich zu ebenfalls tauben Menschen entwickeln, weil sie, die Eltern, Taubheit zur wünschenswerten Spielart der Kultur erklären? Oder wie sind die Zugeständnisse geartet, die Timothy F. Murphy im Rahmen seiner Gay-Science-Studien den Eltern macht: Sie sollen wählen dürfen, ob ihr Kind mit homo- oder heterosexueller Veranlagung geboren wird, je nachdem, welche Option sie für sein Leben bevorzugen (ungeachtet der Tatsache, dass es sich hierbei um eine Fiktion handelt, man kennt keine genetischen Anlagen, mittels deren man sexuelle Vorlieben gezielt beeinflussen könnte).

Gute Beispiele hielte die Realität auch für die Kritik am ebenfalls wirkmächtigen Ronald Dworkin bereit. Er plädiert nicht nur dafür, dem Bemühen von Forschern und Eltern, "unsere Gattung zu verbessern", nichts entgegenzusetzen, sondern postuliert überdies, dass es sogar gesellschaftliche Pflicht ist, dies zu tun. Das Leben des Einzelnen soll schließlich erfolgreich verlaufen, und wenn eben die Eltern nicht dafür sorgen, dass einer nicht krank zur Welt kommt, dann dürfe die Gesellschaft - auch per Präimplantationsdiagnostik - nicht darüber hinweg sehen, dass man hier eingreifen kann.

Und Ärzte unternehmen bereits konkrete Schritte in diese Richtung. Vor kurzem wurde schon mal ökonomisch durchgespielt, dass es sich für die Gesellschaft rechnen würde, wenn sie gezieltes Screening per Präimplantationsdiagnostik einsetzt, um die schwere und genetisch bedingte Atemwegserkrankung Mukoviszidose zu verhindern. Allen, die genetisch einschlägig belastet sind, würde künftig die Entscheidung abgenommen, ob sie noch riskieren möchten, ihre Kinder auf natürlichem Wege zu zeugen.

Derartige Eingriffe in den Embryo oder in den Reproduktionsprozess hinterlassen nicht nur bei den Anwendern und Manipulierten Spuren, sie sind erkennbar in der Lage, den gesellschaftlichen Diskurs über das menschliche Miteinander zu unterminieren. Die Furcht vor solcherart unbehaglichen Konsequenzen ist es, die den Philosophen Jürgen Habermas zur Zurückhaltung bei der Anwendung reproduktionsmedizinischer Techniken mahnen lässt. Karnein konzediert Habermas, dass er intuitiv beunruhigt sei, seine Konzeption zum Schutz der Embryonen geht ihr jedoch nicht weit genug. Vor allem sein Kriterium, ob die Ungeborenen womöglich später mit der stattgehabten Manipulation froh werden, sprich: wahrscheinlich einverstanden wären, genügt ihr nicht als Bollwerk. Nicht die Art der Motivation sei entscheidend, eine scheinbar lautere Heilungsabsicht heilige auch hier nicht die Mittel, sondern es gelte, die Handlung als solche - den Eingriff, in dem sich eine mangelnde Achtung vor der Person des anderen manifestiere - zu brandmarken.

Vor so viel Konsequenz und diesem klaren Appell für ein reproduktionsmedizinisches Nachhaltigkeitsprinzip möchte man den Hut ziehen. Allerdings dürfen sich Embryonen nur dann unter dem Mantel zukünftiger Personalität sicher fühlen, wenn sie zu denen gehören, denen eine Frau gnädig ein Existenzrecht gewährt: Sofern sich nämlich Frauen bereit erklären, eingelagerte Embryonen auszutragen, sollen diese sakrosankt sein. Karnein schlägt vor, alle lebensfähigen Embryonen - Zigtausende sind eingefroren - eine Zeitlang per Annonce anzubieten, um solche potentielle Mütter für sie zu finden. Der Rest könne entsorgt oder zu Forschungszwecken gespendet werden.

Womöglich verlagert das die Selektion aber nur nach vorne, wenn die Frauen eher die schöneren, klügeren und gesünderen Embryonen auszutragen wünschen, aber da hilft auch das PZP nicht weiter. Zu bemängeln ist, dass Karnein darauf verzichtet hat, die aktuelle Entwicklung in Deutschland im Hinblick auf die Erlaubnis der PID zu berücksichtigen. Ihre Dissertation, auf die das Buch zurückgeht, wurde vor der Gesetzesänderung geschrieben und jetzt nur noch übersetzt, aber nicht auf den neuesten Stand gebracht. Dass es im Verlag nicht den Ehrgeiz gab, eine Aktualisierung für die deutsche Ausgabe einzufordern, ist sehr bedauerlich.

MARTINA LENZEN-SCHULTE

Anja Karnein: "Zukünftige Personen". Eine Theorie des ungeborenen Lebens von der künstlichen Befruchtung bis zur genetischen Manipulation.

Aus dem Amerikanischen von Christian Heilbronn. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 270 S., br., 15,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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