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Produktdetails
Trackliste
CD
1Amor Porteno00:05:07
2Notas00:04:20
3Diferente00:05:23
4Celos00:05:30
5Lunático00:02:59
6Mi Confesión00:04:20
7Tango Canción00:04:23
8La Vigüela00:05:00
9Criminal00:03:45
10Arrabal00:03:57
11Domingo00:04:13
12Paris, Texas00:06:45
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.05.2006

Tanz der Mitte
Vitale Fusion: "Gotan Project" bauen dem Tango eine Brücke

Rückblickend betrachtet, ist der immense Erfolg, den das "Gotan Project" mit seinem Debütalbum "La Revancha Del Tango" international feiern konnte, keine so große Überraschung. Die Idee lag in der Luft, es schien nur eine Frage der Zeit, wer sie als erstes umsetzen würde. Schließlich waren es drei Musiker aus Paris, die zum Jahrtausendwechsel sanfte Rhythmen und Sounds der Lounge Music mit plakativen Vignetten des Tangos verzierten. Während mancher Purist verächtlich abwinkte, ließ sich ein großes Publikum vom federleichten Mix begeistern. Gemeinsamkeiten von Tango-Archetypen und sanft pulsierenden "Chillout"-Klängen liegen auf der Hand. Südländischer Esprit zwischen Sentimentalität und Pathos trifft auf Assoziationen von Meer und Sonnenuntergangs-Romantik, die durch Ibiza-Compilations der Marke "Café del Mar" ohnehin im kollektiven Bewußtsein verankert sind.

Die geschmackvolle Ästhetik des argentinischen Gitarristen Eduardo Makaroff und der beiden Keyboarder und Programmierer Philippe Cohen Solal und Christoph H. Müller konstruiert Stimmungen, ohne ihnen selber zu erliegen. Geschickt reduzierte "La Revancha del Tango" originäre Melodramatik auf popkompatible Muster, die sich problemlos mit digitalen Beats, an Dub angelehnten Basslinien und in Loops zirkulierenden Keyboardsounds kreuzen ließen. Dazwischen leuchteten Andeutungen von Piano, Violine, dem stilprägenden Bandoneon und geraunter oder gesungener spanischer Poesie auf. Anmutig träumte sich Sängerin Cristina Vilallonga in die Sehnsucht des Tangos, ohne dessen verzehrende Intensität zu beschwören. Vereinzelte Improvisationen der Instrumente blieben auf der Platte wie auch im Konzert zumeist uneingelöste Versprechungen.

Seitdem sind fünf Jahre vergangen, von denen das Projekt allein zwei mit Tourneen durch die Welt verbrachte. Eindrücke dieser Reisen reflektiert das neue Album "Lunático" in nun etwas vielfältigeren Facetten. Gleichwohl strebt die nuancierte Entwicklung des "Gotan Projects" nicht nach künstlerischer Revolution, bewahrt die Musik insgesamt einen zugänglichen, affirmativen Charakter. "Die neuen Stücke orientieren sich weniger am Dancefloor, und wir setzen Elektronik subtiler ein", erklärt Philippe Cohen Solal. Es gehe jetzt um unterschiedliche Atmosphären. Sie reichen vom urbanen Hip-Hop des Rap-Kollektivs "Koxmoz" aus Buenos Aires bis zu Einflüssen ländlicher Volksmusik.

Im ersten Song des Albums, "Amor Porteno", verblüffen das zupackende Schlagzeug und fahl wimmernde Gitarren von "Calexico", mit denen sich das "Gotan Project" schon früher ausgetauscht hat. Das amerikanische Countryrock-Duo markiert am deutlichsten die nun immer wieder durchschimmernde Hinwendung zum vitaleren Songformat. Programmierte Beats wirken organischer, statt diffuser Lounge-Sounds unterlegen echte Streicher einige Stücke mit opulentem, aber kitschfreiem Glanz. Weiterhin präsent ist Cristina Vilallongas dunkles Timbre, das ohne artifizielles Lamento zwischen fragilen und lockenden Melodien changiert. Verwehende Bandoneon- oder Piano-Motive, ebenso wie die Streicher zum Großteil von Altmeister Gustavo Beytelmann arrangiert, deuten Referenzen an ursprüngliche Tangomuster eher an, als sie in unberechenbare Tiefen auszuloten. Eine Brücke auf den schwarzen Kontinent baut der perkussive Song "Domingo", denn auch von dort kamen einst, sagt das "Gotan Project", Impulse für manche Tangotakte.

Selbstverständlich buchstabieren die Pariser nicht als erste oder einzige Formation den Tango neu. Spielerische Silbenumkehrungen wie im metaphorischen Bandnamen haben im argentinischen wie französischen Slang Tradition. Bereits zu Astor Piazzollas Zeiten gab es einen "Gotan Club" in Buenos Aires. Innerhalb der dortigen Jazz- und Avantgarde-Szene wird schon länger stilübergreifend experimentiert. Die argentinisch-deutsche Band "Tango Crash" fusioniert musikalisch wesentlich radikaler zickig-spröde Tangostrukturen und sperrige Elektronik, fordert mit virtuosen Improvisationen und scharfkantiger, komplex gebrochener Rhythmik und überführt so die fiebrige Expressivität des Tango Nuevo entschlossen in die Moderne. Die Mitglieder des "Bajofondo Tango Club" aus Buenos Aires und Montevideo tasten populäre Originale aus Folk und DJ-Kultur nach Fusionsmöglichkeiten ab, flirten gleichermaßen mit kalkulierter Patina, ohne so konsequent wie das "Gotan Project" die musikalische Mitte zu fokussieren. Dort ist aber immer noch der größte Erfolg zu finden.

NORBERT KRAMPF

Gotan Project, Lunático, Ya Basta 6095115 (Universal)

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