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Ulrich Peltzers hoch gelobter Roman über eine politische Verschwörung und eine atemlose Liebesgeschichte in Zeiten der Überwachung
Überwachungskameras am Potsdamer Platz, globalisierte Markenwelten und eingeschränkte Bewegungsfreiheit - politisches Handeln erscheint notwendig und zugleich illusionär. Christian schlägt sich als freier Journalist durch, er ist Teil des akademischen Prekariats, wie es in Berlin ganze Stadtviertel besiedelt. Für eine längst fällige Story sucht er Kontakt zu untergetauchten Ehemaligen der Roten Brigaden. In Paris soll er einen wichtigen Informanten treffen.…mehr

Produktbeschreibung
Ulrich Peltzers hoch gelobter Roman über eine politische Verschwörung und eine atemlose Liebesgeschichte in Zeiten der Überwachung

Überwachungskameras am Potsdamer Platz, globalisierte Markenwelten und eingeschränkte Bewegungsfreiheit - politisches Handeln erscheint notwendig und zugleich illusionär. Christian schlägt sich als freier Journalist durch, er ist Teil des akademischen Prekariats, wie es in Berlin ganze Stadtviertel besiedelt. Für eine längst fällige Story sucht er Kontakt zu untergetauchten Ehemaligen der Roten Brigaden. In Paris soll er einen wichtigen Informanten treffen. Zunächst aber begegnet er Nele. Die hochbegabte Studentin bewegt sich, von einer geheimnisvollen Wut getrieben, durch den Jahrhundertsommer 2003. Was mit ein paar ruppigen Zufallsbegegnungen eher harmlos beginnt, entwickelt sich zu einer heftigen und verqueren Anziehung, die ihren Showdown in den Arabervierteln von Paris erlebt.
Ulrich Peltzer verbindet eine störrische Liebesgeschichte mit politischen Bewegungen in Zeiten der Überwachung. In einem rasanten Ineinander von einzelnen Szenen bildet 'Teil der Lösung' unsere bruchstückhafte und undurchschaubare Wirklichkeit ab. Eine Verschwörungsgeschichte von großer erzählerischer Kraft.
Autorenporträt
Ulrich Peltzer, geboren 1956 in Krefeld, studierte Philosophie und Psychologie in Berlin, wo er seit 1975 lebt. Er veröffentlichte die Romane »Die Sünden der Faulheit« (1987), »Stefan Martinez« (1995), »¿Alle oder keiner¿« (1999), »Bryant Park« (2002) und »Teil der Lösung« (2007) sowie die Frankfurter Poetikvorlesungen »Angefangen wird mittendrin« (2011). Sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem dem Preis der SWR-Bestenliste, dem Berliner Literaturpreis und dem Heinrich-Böll-Preis. Ulrich Peltzers Roman »Das bessere Leben« (2015) stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und wurde unter anderem mit dem Marieluise-Fleißer-Preis, dem Peter-Weiss-Preis und dem Franz-Hessel-Preis geehrt. Zuletzt erschien der Roman »Das bist du« (2021).Literaturpreise: Gerty-Spies-Literaturpreis 2016Franz-Hessel-Preis 2015Peter-Weiss-Preis 2015Platz 1 SWR Bestenliste September 2015Marieluise Fleißer-Preis 2015Shortlist Deutscher Buchpreis 2015Carl-Amery-Literaturpreis 2013Heinrich-Böll-Preis 2011Frankfurter Poetik-Dozentur 2010/11Mitglied der Akademie der Künste in Berlin 2010Stadtschreiber von Bergen-Enkheim 2009/2010Spycher: Literaturpreis Leuk 2008Düsseldorfer Literaturpreis 2008Berliner Literaturpreis für sein Gesamtwerk 2008Literaturpreis der Stadt Bremen 2003Niederrheinischer Literaturpreis der Stadt Krefeld 2001Preis der SWR-Bestenliste 2000Anna Seghers-Preis 1997Berliner Literaturpreis der Stiftung Preußische Seehandlung 1996Bertelsmann-Stipendium beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 1992
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2007

Was in Flüchtenden um drei Uhr zwanzig vor sich geht

Jede Gesellschaft hat die Feinde, die sie verdient: Ulrich Peltzer hat mit "Teil der Lösung" weit mehr geschrieben als einen Liebesroman aus prekären Zeiten: In der Subjektivität dieser Momentaufnahme der Berliner Extremistenszene liegt die politische Provokation seines Schreibens.

Von Andreas Platthaus

Wie Ulrich Peltzer schreibt, lässt sich nur schwer beschreiben. Schicken wir deshalb eine Bemerkung voraus und fügen dann ein Zitat aus seinem neuen Roman "Teil der Lösung" an. Vorausgeschickt sei, dass Peltzers Prosa genauso reflektiert ist wie sein Blick auf die Gesellschaft. Er ist, wenn man diesen Begriff noch ohne Soupçon gebrauchen dürfte, ein engagierter Schriftsteller - aber einer, dessen Engagement viel mehr dem Schreiben selbst und dessen Voraussetzungen in der Gegenwart gilt als der aktuellen Politik. Und nun das Zitat: "Hier zum Beispiel, dachte er, als sie an der Kreuzung nach der Tankstelle darauf warteten, dass es grün wurde (Baumarkt, Gartencenter, ALDI), hier links die S-Bahn unterqueren und die Abzweigung Richtung Nordwesten nehmen, ein kurzer Blickkontakt, ein Nicken bestätigten ihm, dass der Kollege auf dem Beifahrersitz (sozusagen) denselben Gedanken hatte, nachvollziehend, was im Kopf (in den Herzen) der Flüchtenden um drei Uhr zwanzig vor sich gegangen sein mochte."

Der Schlüssel zum Verständnis des Romans "Teil der Lösung" - der seinen Titel unausgewiesen einer Parole von Holger Meins verdankt: "Entweder bist du Teil des Problems, oder du bist Teil der Lösung" - liegt im letzten Klammereinschub der zitierten Passage. Generell nutzt Peltzer solche Ergänzungen gerne, um Hintergedanken seiner Protagonisten ans Licht zu bringen, aber hier bedeutet es noch mehr: Der Polizist, dessen Gedanken wiedergegeben werden, weiß, dass es nicht allein der Kopf ist, der die von ihm Verfolgten steuert. Es ist viel mehr noch das Herz, und es ist bezeichnend, dass Pelzer in der Klammer statt der Einzahl den Plural wählt: Der Kopf gehört dem Kollektiv, das Herz einem jeden Einzelnen.

Die Flüchtenden sind eine fünfköpfige Gruppe junger Leute aus Berlin, die in wechselnden Aktionen den Überwachungsstaat sabotieren - jedes Mal ein Stückchen radikaler als zuvor. Zuerst, im Prolog des Romans, schlagen sie dem Sicherheitsdienst im Sony Center am Potsdamer Platz ein Schnippchen und führen dort eine Protestgroteske auf, dann besprühen sie im ersten Teil des Buchs in einer U-Bahn-Station die Objektive der Kameras mit Farbe, provozieren im zweiten Teil die Wachleute im Konsumparadies des Quartier 206 an der Friedrichstraße, und schließlich zünden sie zum Auftakt des dritten und letzten Teils vor dem Ordnungsamt Treptow die Dienstwagen an. "Jede Gesellschaft hat die Feinde, die sie verdient", stellt danach der Sicherheitsdienst-Veteran Klaus Witzke fest, der sich schon mit Terroristen herumgeschlagen hat, als die jungen Protestler des heißen Sommers 2003, in dem Pelzers Roman spielt, noch gar nicht geboren waren. Und entsprechend ernst nimmt Witzke die erst spielerischen, dann fanatischen Aktionen. Das Herz triumphiert über den Kopf - auf beiden Seiten.

Und bei beiden Geschlechtern. Im Zentrum des Romans stehen Nele und Christian, sie eine vierundzwanzigjährige Studentin, er ein siebenunddreißigjähriger freier Journalist. Ihre ersten Begegnungen sind Zusammenstöße in Eingängen - eine der wenigen aufdringlichen Allegorien, die Peltzer benutzt -, doch Christian verliebt sich sofort in die junge Frau, und auch sie kann sich dem Charme der milde verkrachten Existenz des Individualisten nicht entziehen. Angesichts dieser Liebe, für die Peltzer wunderbare Szenen der Intimität geschrieben hat, geraten die eigentlichen Mittelpunkte beider Leben ins Hintertreffen: Nele gehört dem Quartett von jungen Aktivisten an, das bald noch um einen V-Mann des Verfassungsschutzes erweitert wird; Christian recherchiert für eine Reportage über die ausgestiegenen Terroristen der italienischen Linken, die in den achtziger Jahren Zuflucht in Frankreich fanden und denen nun wieder Auslieferung droht.

Herz oder Kopf?

"Zeit, die einem nicht davonläuft, alle Zeit des Sonnensystems. Tage. Wochen. Jahre. Ewigkeit." So empfindet Nele ihre Liebe. Doch dem politischen Projekt bleibt sie treu und reist zu einer Demonstration nach Zürich, wo neben ihr einem Mädchen von einem gepanzerten Fahrzeug der Brustkorb eingedrückt wird. In diesem Moment zerbricht auch etwas in Nele, und der Roman wird zum Protokoll einer verzweifelten Operation - fast möchte man sagen: am offenen Herzen.

Peltzer hat aber weit mehr geschrieben als einen Liebesroman in privat und öffentlich prekären Zeiten, die nach außen ganz harmonisch wirken. Wie stets, wie in "Stefan Martinez", dem Opus magnum von 1995, in dem ein junger Berliner einen Kiez durchstreift, in dem man jede Straßenecke mit höchster Akribie beschrieben bekommt, wie in "Alle oder keiner", dem thematischen Vorläufer von "Teil der Lösung", in dem bereits 1999 die Unmöglichkeit beschrieben wurde, sich als intellektueller Kopf (oder als sensibles Herz) mit dem Zustand der Gesellschaft abzufinden, und wie in der 2002 erschienenen Erzählung "Bryant Park", mit der Peltzer als einer der ersten Schriftsteller auf die Ereignisse des 11. September 2001 reagiert hat (wenn auch erst in einem letzten Textdurchgang durchs bereits fertiggestellte Manuskript) - wie stets also liefert Peltzer eine Momentaufnahme aus extrem subjektiver Sicht. Und in dieser Perspektive, die keinen Zweifel zulässt, liegt die eigentlich politische Tat dieses Schreibens.

Diesmal jedoch gibt es auch die Gegenseite: vier Polizisten, die im internen Wettbewerb ihre Claims abstecken. Und da sind Christians Freunde Jakob und Martin; der erste ein Akademiker, der den Weg durch die Institutionen absolviert hat, der zweite ein psychisch kranker Schauspieler - beides Entwürfe eines Christians unter anderen Vorzeichen. Und da ist als Korrektiv auch Walter Zechbauer, ein nur winzig verschlüsseltes Porträt des Schauspielers Hanns Zischler, der als schillernder Ästhetizist vorgeführt, aber eben nicht denunziert wird.

Dazu wieder einmal Berlin. Berlin in einer Anschaulichkeit, die einem auch ohne konkrete Namensnennung jede Szene wie im Kino vor Augen führt. Peltzer ist ein Meister der atmosphärischen Beschreibung, obwohl nur der geringste Teil des Buches aus solchen Passagen besteht. Sie fungieren als Intermezzi, Ortsbestimmungen, die geographische Grundmelodien Stimmungen erzeugen. Der Rest ist eine Tour de force, auch für den Leser. Recherchen, Schreibprozess und am meisten das Rechtfertigen des eigenen Tuns fordern Ulrich Peltzer mehr Zeit bei der Arbeit an seinen Büchern ab, als man gemeinhin vermuten würde, und für deren Lektüre gilt das Gleiche. Aber sie lohnt sich, wie selten sonst in der deutschen Literatur, weil kein Wort und kein Manierismus hier fehl am Platze ist. Stil ist nicht nur Teil der Lösung des Problems, unsere Gegenwart zu erzählen. Er ist die Lösung. Und Peltzer hat sie.

- Ulrich Peltzer: "Teil der Lösung". Roman. Ammann Verlag, Zürich 2007. 456 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.09.2007

Ein Lied für die Tauben
Ein großer Roman aus unseren Zeiten: Ulrich Peltzers „Teil der Lösung”
Der Potsdamer Platz in Berlin ist die unmittelbare Gegenwart. Hier ist weder Ost noch West, hier herrscht das diffuse, noch nicht recht greifbare und anonyme Neue: Glasfronten, Geschäftsfassaden, Brunnen, Bistros und Bars ohne Geschichte. An diesem Punkt setzt Ulrich Peltzers Roman ein. Er fixiert die Männer vom Wachschutz, die vor ihren Bildschirmen die Bilder der Überwachungskameras studieren, er fixiert die Passanten und die subversive Aktion einer vermeintlichen Comedy-Truppe, die auf die Überwachungskameras hinweist und diese zu einer neuen Touristenattraktion macht.
Dieser Gegenwart, der Gleichzeitigkeit verschiedenster Momente, der Schnelligkeit der Wahrnehmung ist Ulrich Peltzers Stil geschuldet. Diesem Autor ist es schon immer um das zeitgenössische Bewusstsein gegangen, um die politische wie auch ästhetische Reflexion – das heißt aber nicht, dass er nicht auch spannend erzählen und raffinierte Plots bauen könnte. Mit „Teil der Lösung” scheint er auf den ersten Blick sogar an seinen flotten Erstlingsroman „Die Sünden der Faulheit” anzuknüpfen: ein Großstadt-Movie mit Thrillerelementen und einem für deutsche Texte ungewohnten Drive, zwischen Don LeLillo und zeitlosen Schwarzweißfilmen wechselnd.
Ulrich Peltzer fällt dadurch auf, dass er sich immer für die soziale Situation seiner Figuren interessiert. Hauptfigur ist dieses Mal Christian, 1966 geboren, zur Zeit der Romanhandlung 36 Jahre alt: eine der typischen postakademischen Existenzen unserer Tage, die sich von Job zu Job hangeln. Zwischen Filmkritiken, ausweglosen Tourismusbroschüren über brandenburgische Wellness-Orte und Gastrotipps denkt er über einen Einfall nach, aus dem er unbedingt etwas machen möchte.
Nichtstun und Geschwindigkeit
Diese Idee geht so: In Paris sitzen ehemalige Aktivisten der italienischen Roten Brigaden, die in den siebziger Jahren politische Terrorakte verübten und in der Ära Mitterrand dort Unterschlupf fanden – die Regierung Berlusconi fordert nun offensiv ihre Auslieferung, und sie sehen sich mit einer längst zurückliegenden Vergangenheit konfrontiert. Nach 20 Jahren normaler Berufstätigkeit sind sie nun gezwungen, wieder in die Illegalität abzutauchen, in die Radikalität ihrer Jugend. Christian interessiert sich für diese Überlagerung der Zeiten und sucht den Kontakt zu ihnen.
Damit steht Christian in einer gewissen Tradition Peltzerscher Romanfiguren: der Spannung zwischen den Idealen, die sie in frühen Jahren beherrschten – die siebziger und frühen achtziger Jahre mit ihren utopischen Vorstellungen von Gesellschaftsveränderung und rauschhaftem Glück – und den Desillusionierungen in den langen Jahren danach. Christian ist ein typischer Vertreter des Kultur- und Medienmilieus unserer Tage – bindungslos und freigesetzt, von Augenblick zu Augenblick lebend, ein wissender Zyniker, nicht anpassungsfähig genug, um Karriere machen zu können. Aber er trauert keineswegs vergangenen Zeiten nach: Dafür erscheint ihm Berlin-Kreuzberg mit seinen Alltagsverwicklungen zu aufregend. Ab und zu taucht auf, was ihn geprägt hat: „Auf Vinyl hatte man sich damals noch Hüsker Dü und Gunclub gekauft, wenig später als CD dann schon die erste Public Enemy und Daydream Nation von Sonic Youth – Monate, wenn nicht Jahre, die aus Drogen und Nichtstun bestanden, Theorien der Geschwindigkeit und des Sinns, grammatologische Prüfungen.” Musik und Theorie verschwimmen zu einer einzigen Lebensform, wobei für Geschwindigkeit vor allem der Medientheoretiker Paul Virilio steht, für die Grammatik der Philosoph Jacques Derrida. Der ominöse „Sinn” schließlich, das macht nicht zuletzt eine wunderbare Pariser Straßenszene deutlich, wird von Gilles Deleuze, den Propheten der Instabilität, auf suggestive Art umkreist und umgarnt.
Deleuze ist der wichtigste Gewährsmann für die weibliche Hauptfigur Nele, 23 Jahre alt und Studentin der Literaturwissenschaft bei Christians Freund Jakob, der seinerseits an der Universität um eine längerfristige Anstellung ringt: Jakob sinnt mit Foucault, Deleuze und Kleist darüber nach, „dass die Welt ein Fremdkörper sein kann”. Das ist der Stachel, den jeder in diesem Roman spürt. Nele gehört einer politischen Gruppe an, die gezielt Aktionen unternimmt: solche wie die Demonstrations-Performance am Potsdamer Platz, aber auch die Beschädigung von Überwachungskameras und Fahrscheinautomaten in der U-Bahn und eine durch Graffiti und politkünstlerische Schaufensterbearbeitung herbeigeführte Funktionsstörung von Shopping-Malls, in denen sich der Kapitalismus, wie Nele und ihre Mitverschwörer meinen, selbst feiert. Menschenleben zu gefährden ist dabei tabu, doch es entsteht mit der Zeit eine nicht genau zu definierende Grauzone. Die Aktionen müssen immer schlagkräftiger werden. Es stellt sich immer deutlicher das Problem der Illegalität.
Die Liebesgeschichte zwischen Christian und Nele, die von ihren parallel laufenden Interessen zunächst nichts wissen, gehört zu den besten, die in den letzten Jahren auf Deutsch geschrieben worden sind – gerade in ihrer Nüchternheit und vermeintlichen Abgeklärtheit. Peltzer arbeitet mit schnellen Schnitten, mit Filmtechniken, mit knappen Dialogen. Es ist erstaunlich, wie plastisch die Figuren werden, obwohl die Sprache nicht psychologisiert und ausmalt. Auch die Männer vom Staatsschutz, die in etlichen kurzen Szenen genau skizziert werden, erscheinen ausdifferenziert und keineswegs als bloße Marionetten. Peltzer charakterisiert seine Figuren durch kleine Details, durch ihre Alltagsverrichtungen, durch ihre Art des Sprechens: Der Roman ist eine Collage von Bildern, Kameraschwenk folgt auf Kameraschwenk. Kein Wunder, dass Christian und Nele auch häufiger über Filme reflektieren. Eine glänzende Passage widmet sich einer Gianni-Amelio-Retrospektive im „Arsenal”-Kino. Und dass Christian sich eine kleine Risswunde an seiner Badezimmertür zugezogen hat und eine Zeitlang mit einem Pflaster im Gesicht herumläuft, führt zu Effekten, die wie Filmzitate wirken, wie eine ironische Hommage etwa an Jack Nicholson in „Chinatown”.
Die Genügsamkeit einer einlinigen Handlung stellt sich durch Peltzers Kameratechnik nicht ein, doch es erhöht sich von Seite zu Seite die Spannung. Was passiert zwischen Christian und Nele? Was ist die Konsequenz der Anschläge, die von der Gruppe um Nele verübt werden? Schafft es Christian, zu einem der in Paris untergetauchten Ex-Terroristen Kontakt zu knüpfen? Die Musik, die die Figuren nebenbei hören, liefert den Soundtrack: Christian erinnert sich an die „Clash” und ein jüngstes „Fall”-Konzert in der Volksbühne, wo Mark E. Smith „so dicht wie immer, aber nichtsdestotrotz phantastisch” gewesen ist, und Nele braucht gelegentlich den „Song for the deaf” von den Queens Of The Stone Age „oder irgend etwas Lautes von Skunk Anansie”. Nein, ein „Pop-Roman” ist das nicht, aber die Musik zeigt die Stimmungslage. Es ist eine Musik, die nichts zu tun hat mit dem mittlerweile landläufigen Pop-Missverständnis von Affirmation, Konsum und dem Sammeln von Etiketten. Peltzer beschwört durch Film-, Musik- und natürlich auch Literaturzitate ein zeitgenössisches Lebensgefühl herauf, das widersprüchlich, sperrig und lustvoll ist; es entspricht an keiner Stelle dem üblichen ambitionierten Zeitgeistramsch.
Die vertanen achtziger Jahre
Während Nele Kimya Dawson hört, „Wandering daughter, talking earnest”, denkt sie daran, ihrer Arbeit über Jean Paul einen Unterabschnitt zu Kleist hinzuzufügen. Peltzers Roman liefert ein beeindruckendes Szenario aus dem gegenwärtigen Berlin, aus dem jungen, akademischen Milieu, dessen Zukunft ungewiss ist, das sich aber nicht mehr billig abspeisen lassen will. „Wahrscheinlich sind die Geschmacksverirrungen der achtziger Jahre eines der düstersten Kapitel der Menschheitsgeschichte.” Jakob und Christian meinen damit zwar „die Synthesizer, diese Albträume aus wackelnden Kulissen und dumpfestem Pop zum Mitklatschen”, aber sie haben auch die Konsequenzen in Politik und Gesellschaft im Blick. „Teil der Lösung” – der Titel spielt sarkastisch auf den der deutschen RAF zugeschriebenen Problem-Slogan an – ist ein großer Zeitroman, auf der Höhe der theoretischen Diskurse, gleichzeitig eine packende Krimi- und Liebesgeschichte. Und dass Peltzer bei aller analytischen Schärfe ein verkappter Romantiker ist, zeigt nicht nur sein letzter Satz. HELMUT BÖTTIGER
ULRICH PELTZER: Teil der Lösung. Roman. Ammann Verlag, Zürich. 455 Seiten, 19,90 Euro.
Die Welt, als Fremdkörper betrachtet: In Berlin, auf dem Bahnhof Friedrichstraße Foto: Regina Schmeken
Der Dichter der neuesten Welt: Ulrich Peltzer Foto: Isolde Ohlbaum
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Beglückt, fasziniert und überrascht ist Jochen Jung von Ulrich Peltzers Roman "Teil der Lösung" und schon die Anfangsszene lässt ihn in haltloses Jubeln ausbrechen. Politische Aktivisten versuchen im Sony-Center in Clowns-Masken den Überwachungsstaat zu demaskieren, und diese Szene wird dem Leser in Überwachungskamera-Bildern auf den Monitoren der Polizei vorgestellt, erklärt der Rezensent, der schon von diesem Erzähltrick in den höchsten Tönen schwärmt. Peltzer liefert in seinem politischen Roman, in dessen Zentrum die Liebesgeschichte zwischen der Aktivistin Nele und dem die Geschichte der Roten Brigaden recherchierenden Schriftsteller Christian steht, eine beeindruckende Zeit-Diagnose, in der Freunde und Feinde nicht mehr leicht auszumachen sind, stellt Jung fest. Er preist die präzise Figurenzeichnung, die zugleich typisch und komplex wirken, und bewundert auch die äußerst aufmerksamen Beobachtungen des Autors. Peltzer hat nicht weniger als die undurchsichtige "Lebenswirklichkeit" unserer Zeit festgehalten, so der Rezensent begeistert, der es nebenbei sehr bezeichnend findet, dass dieses vielschichtige und anspruchsvolle Buch nicht mal einen Platz auf der Longlist des deutschen Buchpreises erhalten hat.

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In höchsten Tönen lobt Rezensentin Katrin Hillgruber Ulrich Peltzers neuen Roman, mit dem er ihren Informationen zufolge mitten hinein ins planlose akademische Prekariat der Mitt- und Enddreißiger leuchtet und dabei auch noch eine ebenso präzise wie tiefenscharfen Zeitroman abgeliefert hat. Als Protagonisten stellt die Rezensentin einen "unbehausten" Kulturjournalisten Ende Dreißig namens Christian vor, der sich in eine Dreiundzwanzigjährige verliebt. Mit großem intellektuellem Vergnügen folgt die Rezensentin dem Paar durch das utopielose Berlin von heute und seine undurchsichtig gewordenen Kommunikationsstrukturen. Sie freut sich an Peltzers "Erzählkamera" und ihren Mikroeinstellungen auf etablierte Altlinke und anarchistische Gegenwartsverweigerer. Und daran, dass dieser einst Westberliner Autor sich "sein rasanten Veränderungen unterworfenes Erzählgelände" zurückerobert hat. Lediglich Peltzers Totalen findet sie manchmal etwas unscharf geraten.

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