• Gebundenes Buch

2 Kundenbewertungen

Eine Liebe im Schatten des Krieges
Die Berlinerin Rosie reist in den Libanon, voller Hoffnung auf ein neues Leben. Sie verliebt sich in den Syrer Daoud, aber der hat Angst vor der Liebe. Rafik, der Modemacher werden will, liebt sie beide. Und Zahra, die Soziologin, hat die Liebe schon lange aufgegeben. Die vier treffen sich in Beirut, im »Paris des Ostens«. Es ist eine Stadt am Rand der Kriege dieser Welt. Sie suchen nach einem Ort, an dem sie ihre Träume leben können, und befinden sich doch eigentlich nur auf der Flucht vor der Hoffnungslosigkeit in Syrien und den leeren Versprechungen…mehr

Produktbeschreibung
Eine Liebe im Schatten des Krieges

Die Berlinerin Rosie reist in den Libanon, voller Hoffnung auf ein neues Leben. Sie verliebt sich in den Syrer Daoud, aber der hat Angst vor der Liebe. Rafik, der Modemacher werden will, liebt sie beide. Und Zahra, die Soziologin, hat die Liebe schon lange aufgegeben. Die vier treffen sich in Beirut, im »Paris des Ostens«. Es ist eine Stadt am Rand der Kriege dieser Welt. Sie suchen nach einem Ort, an dem sie ihre Träume leben können, und befinden sich doch eigentlich nur auf der Flucht vor der Hoffnungslosigkeit in Syrien und den leeren Versprechungen Berlins. Sie alle beherrschen die Verhaltensweisen der Kälte nicht. Werden sie trotzdem überleben?
Autorenporträt
Merkel, RainerRainer Merkel, 1964 in Köln geboren, hat Psychologie und Kunstgeschichte studiert und lebt in Berlin. Von 2008 bis 2009 arbeitete er für Cap Anamur im einzigen psychiatrischen Krankenhaus Liberias. Es erschienen die Romane »Das Jahr der Wunder«, für den er den Preis der Jürgen Ponto-Stiftung erhielt, »Das Gefühl am Morgen«, »Lichtjahre entfernt«, der auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand, »Bo«, »Stadt ohne Gott« und die Reportagen »Das Unglück der anderen. Kosovo, Liberia, Afghanistan« und »Go Ebola Go. Eine Reise nach Liberia«. 2013 wurde Rainer Merkel mit dem Erich Fried-Preis ausgezeichnet.Literaturpreise:Literaturförderpreis der Jürgen Ponto-Stiftung 2001Erich Fried-Preis 2013
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.08.2018

Im vagen Dunst
verloren
Rainer Merkels Beirut-Roman
„Stadt ohne Gott“
Rainer Merkel, ein studierter Psychologe, hat im Lauf seiner Autorenkarriere eine bemerkenswerte Wandlung vollzogen. In frühen Romanen wie „Das Jahr der Wunder“ von 2001 oder auch „Lichtjahre entfernt“, der 2009 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand, folgte Merkel seinen Figuren auf subtile Weise in die feinen Verästelungen ihrer ungeklärten Gefühlslagen. Dabei entwickelte er eine angemessene Darstellungsform für die Unübersichtlichkeit der neuen Agentur-Arbeitswelt, in sich das Private auflöste in einem schwer fassbaren Zustand simulierten Wir-Gefühls. Merkels Protagonisten schienen in einem luftleeren Raum zu schweben, und genau dafür hatte Merkel die richtige Sprache gefunden.
In den Jahren 2008 und 2009 arbeitete Merkel dann für die Hilfsorganisation Cap Anamur in einem psychiatrischen Krankenhaus in Liberia. Daraus und aus ausgedehnten Reisen resultierten der rasante Roman „Bo“ und die Reportagen „Das Unglück der anderen“ und „Go Ebola Go“.
Mit seinem Roman „Stadt ohne Gott“, vereint Rainer Merkel jetzt einen politischen Stoff mit der Erzählweise seiner frühen Romane. Die Stimmung, die in diesem Buch herrscht, ist vergleichbar mit der seines Romans „Das Gefühl am Morgen“, einem psychologisch kunstvollen, enorm anstrengenden Buch, in dem gerade im Diffusen das ästhetische Programm bestand.
Die „Stadt ohne Gott“ ist Beirut, zumindest nennt sie die Mutter einer der drei Hauptfiguren so. Die sind im Alter von Mitte bis Ende zwanzig: Daoud, ein Flüchtling aus Syrien, gestandet in Beirut, begegnet dort der prätentiösen Rosie Solbakken, Tochter einer deutschen Mutter und eines dänischen Kriminalschriftstellers. Warum genau sie in Beirut ist, wird nicht klar. Um sich zu finden? Um zu helfen? Weil sie nicht weiß, wohin sie sonst soll? Ihr Freund Thierry jedenfalls ist zur selben Zeit als Kriegsreporter in Syrien unterwegs. Nur sein Tagebuch, das sie ihm heimlich entwendet hat, ist ihr von ihm geblieben.
Mit Rafik, einem sexuell ambivalenten Schiiten mit Ambitionen in der Modebranche, bilden Daoud und Rosie ein Dreiecksgespann der unterdrückten Wünsche und komplizierten Emotionen. Rosie verliebt sich in Daoud, der sich jedoch, warum auch immer, das Verliebtsein nicht gestattet. Rafik liebt währenddessen beide auf seine Art, lässt sich aber auch auf ein sado-masochistisches Verhältnis mit einem Franzosen ein
– gegen Geld, das er dann ganz bewusst liegen lässt.
„Stadt ohne Gott“ ist ein komplex konstruierter Roman: Elegant lässt Merkel die Bewusstseinsebenen seiner Figuren ineinander fließen; gekonnt springt er zwischen drei personalen Erzählperspektiven, den Zeit- und Ortsebenen im Beirut des Jahres 2015 und dem Berlin des Jahres 2017, in das es Daoud schließlich verschlägt. Dennoch scheitert der Roman. Denn es gelingt Merkel nicht, die diffusen Beziehungskonflikte seiner Protagonisten in ein Verhältnis zu den Zeitläuften zu setzen, in denen sie sich bewegen. Was in Merkels früheren Büchern und im Berlin der Nullerjahre plausibel wirkte, ein Gefühl des Verlorenseins in Zeit und Raum, die permanente Pflege von Brüchigkeit und Verletzlichkeit, erscheint vor dem Hintergrund des syrischen Bürgerkrieges und seiner Konsequenzen ziemlich beliebig. Rosie und Daoud stehen nicht für die Entwicklungen ihrer Zeit, sondern sind Einzelfälle mit narzisstischen Tendenzen. Ihre Versehrung wird nicht glaubhaft gemacht, als das Resultat einer versehrten Welt.
Was durch diesen Roman jedenfalls nicht beantwortet wird, ist die Frage nach einer adäquaten erzählerischen Form für unsere Gegenwart. Merkel hüllt seine Figuren in einen Dunst der Vagheit. Welche Erkenntnis aus ihrer Geschichte gezogen werden sollte, bleibt offen. Leitmotive geistern durch den Text: Es gibt ein syrisches Flüchtlingskind, das in einer abgelegenen Sammelunterkunft und an Epilepsie leidet. Ein riesiges Insekt an der Windschutzscheibe, das Daoud mit der Hand zerquetscht. Die Mails, die Daoud seiner Mutter schreibt, und die er mal abschickt und mal nicht. Und dazwischen die zwischen Hilflosigkeit und Aggression changierenden Annäherungen von Rosie und Daoud.
Der Nebel in den Bergen, in dem die beiden sich während einer Autofahrt verirren, steht wie symbolisch für eine Prosa, die immer wieder präzise unpräzise formuliert, um den Zustand ihrer Figuren darzustellen: „Und dort stand er dann, dort hielt er sich für den Rest des Tages auf, als verfügte er über Kräfte, die es ihm erlaubten, diesen so flüchtigen Moment zu seinem Tag zu machen und ihn so weit auszudehnen, dass er schließlich sein ganzes Leben geworden war.“ Die Frage, ob es sich auch lohnt, ein solches Leben zu einem ganzen Roman auszudehnen, bleibt am Ende offen.
CHRISTOPH SCHRÖDER
Die innere Brüchigkeit wirkt
vor dem Hintergrund
des Bürgerkriegs beliebig
Rainer Merkel: Stadt ohne Gott. Roman.
S. Fischer Verlag.
Frankfurt am Main 2018. 352 Seiten, 21 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.2018

Du musst dich entscheiden

Wem Liebe zu unbeschwert klingt: Rainer Merkel wählt den Libanon als Schauplatz seiner höchst vertrackten Beziehungsgeschichte "Stadt ohne Gott".

Das Unglück der anderen" lässt den Schriftsteller Rainer Merkel nicht kalt. Unter diesem und einem weiteren Buchtitel hat er 2012 und 2014 aus Afghanistan, dem Kosovo und vor allem Liberia berichtet, wo er für Cap Anamur am Aufbau eines psychiatrischen Krankenhauses beteiligt war. Auch in seinen inzwischen fünf Romanen behandelt er aktuelle Stoffe. Sein Ziel als Autor sei, heißt es in einem Interview, dass man "mit erzählerischen Mitteln in die Wirklichkeit hineinarbeitet" und dabei Bescheidenheit und Demut gegenüber dem Material bewahrt. Das gilt jetzt auch für "Stadt ohne Gott", den neuesten Roman über eine sehr schwierige Liebe in Beirut im Schatten des Syrien-Krieges.

Die glücklose Affäre des Journalisten Kai Hermann im umkämpften Beirut der siebziger Jahre in Nicolas Borns "Die Fälschung" ist bei der Lektüre von Merkels Roman kaum auszublenden. Anders als Born kennt sich Merkel, nicht zuletzt durch enge persönliche Bindungen, im mittlerweile befriedeten Paris des Ostens aber bestens aus. Auch bei ihm sind äußere und innere Krisen eng ineinander verschränkt und aus mehreren personalen Erzählperspektiven mit komplexen Erinnerungssequenzen verflochten.

Im Zentrum des handlungsarmen, aber reflexionsreichen Geschehens stehen drei junge Figuren. Die Deutsche Rosie Solbakken ist ohne besonders konkrete Ziele aus Paris in den Libanon gereist. Sie ist erstens auf der Suche nach sich selbst und zweitens - eher unentschlossen - nach Thierry, einem verdeckt im syrischen Kriegsgebiet operierenden Reporter, aus dessen Tagebuch sie viele Passagen preisgibt. Um Rosie bemühen sich der Libanese Rafik, ein angehender Modemacher aus einem schiitischen Dorf, der jedoch eher Männern zugetan ist. Und Daoud, ein syrischer Flüchtling und Jurastudent aus einer christlichen Familie in Aleppo. Sein Onkel wurde als Dichter inhaftiert und gefoltert, der Bruder erkrankte tödlich und die Mutter, eine Orthopädin, bleibt seine wichtigste Vertraute.

Zwischen diesen drei Figuren und einigen Freunden in den Nebenrollen, wollen klare, offene, gelingende Beziehungen nicht recht entstehen. Fast alle Charaktere sind ziemlich kompliziert und verstockt, agieren indirekt und planlos. "Suchende", problematische Individuen gelten seit Georg Lukács' Romantheorie zwar literarisch als besonders anspruchsvoll, fraglich ist aber, ob der Berufspsychologe Merkel Schwierigkeiten hier nicht allzu bemüht konstruiert. Rosie, die Tochter einer Therapeutin, behauptet, von Männern keine Ahnung zu haben, ihr früheres Verhältnis zu Thierry bleibt indes unklar. Sie verliebt sich auf höchst ungelenke Weise in Daoud, der von Frauen ganz sicher keine Ahnung hat oder haben darf. Ständig versichert er sich in (oft gar nicht abgesandten) Mails bei seiner Mutter, die Frauen für eine Gefahr und Beirut für eine "Stadt ohne Gott", eine Stadt der Verlorenen hält. Daoud schreibt ihr stets nur indirekt über seinen Freund "Ralph", bis die Mutter einen Traum "entschlüsselt" und hinter "Ralph" Rosie entdeckt. Rosie schreibt so charmante Nachrichten wie: "Du musst dich entscheiden, ob du überhaupt noch lebst und nicht schon tot bist. Wenn du das weißt, sag Bescheid." Sie schlägt Daoud nach einem selbst provozierten Kuss unvermittelt ins Gesicht und verschwindet dann ebenso plötzlich. Der aus Dänemark herbeigeeilte Vater, Autor sozialkritischer Thriller und Liebhaber chinesischer Prostituierter, setzt eine Belohnung für die Wiederauffindung seiner Tochter aus. Ihre seltsame Ergreifung durch einige dunkle Gestalten am Ende des Romans mag damit in Zusammenhang stehen.

Schwierige Menschen gibt es überall, und natürlich sind sie in der Literatur viel interessanter als der farblose Durchschnitt. In Merkels Roman machen es sich die Schwierigen aber nicht nur untereinander unnötig schwer, sondern wollen ihre Innenperspektiven auch den Lesern nicht sonderlich schlüssig eröffnen. Die psychologischen Rätsel sind dabei anstrengender als die der literarischen Formen. Denn durchaus raffiniert ist die zeitliche Verschachtelung von nur vier Tagen zwischen dem 30. August und dem 10. September 2015 und deren rückblickender Reflexion in Berlin zwischen dem 22. Januar und dem 23. März 2017, wo Daoud weiter nach Rosie sucht und schließlich seine Mutter empfängt.

Einzelne Schlüsselszenen wie das Leid eines epileptischen Kindes in einer geheimen Flüchtlingsunterkunft in der Bekaa-Ebene östlich von Beirut, eine Dialog-Nacht im Hotel Palmyra in Baalbek - wenige Tage nach der Sprengung des Baaltempels im antiken Palmyra durch den IS - oder die Tötung eines großen Insekts an der Frontscheibe eines Autos werden wieder und wieder erinnernd aufgegriffen und durchdacht. Sie bilden Katalysatoren für jene geheimnisvolle Verbindung zwischen Rosie und Daoud, für die das Wort "Liebe" etwas zu unbeschwert klingt. Von jenem Nebel, der die beiden in den Bergen des Libanons einmal an der Weiterfahrt hindert, ist die Szenerie zuweilen auch im übertragenen Sinne erfüllt.

ALEXANDER KOSENINA

Rainer Merkel: "Stadt ohne Gott". Roman.

Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2018. 346 S., geb., 21,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
Gekonnt versteht es Rainer Merkel, Gegenwart und Vergangenheit seiner Protagonisten zu vermischen. Gerrit Bartels Der Tagesspiegel 20180422