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In der Mitte seines Lebens macht der israelische Architekt Skip Landau eine Erfahrung, die er mit niemandem teilen kann: Eine innere Stimme ruft ihn an Orte, wo wenig später eine Katastrophe geschieht - ein Zugunglück in Paris, ein Flugzeugabsturz in Amsterdam. Offenbar soll er einzelne Sterbende auf ihrem schwierigen Weg in den Tod begleiten. Aber was soll, was kann er tun? Nicht viel mehr, als da zu sein und ihnen ein wenig Gesellschaft leisten, stellt er ernüchtert fest. Die Aufgabe, die er sich nicht ausgesucht hat, belastet seine Ehe und lässt die Familie in Tel Aviv fast…mehr

Produktbeschreibung
In der Mitte seines Lebens macht der israelische Architekt Skip Landau eine Erfahrung, die er mit niemandem teilen kann: Eine innere Stimme ruft ihn an Orte, wo wenig später eine Katastrophe geschieht - ein Zugunglück in Paris, ein Flugzeugabsturz in Amsterdam. Offenbar soll er einzelne Sterbende auf ihrem schwierigen Weg in den Tod begleiten. Aber was soll, was kann er tun? Nicht viel mehr, als da zu sein und ihnen ein wenig Gesellschaft leisten, stellt er ernüchtert fest. Die Aufgabe, die er sich nicht ausgesucht hat, belastet seine Ehe und lässt die Familie in Tel Aviv fast auseinanderbrechen. Spät versteht er, dass er nicht nur die Sterbenden in den Tod, sondern auch seine Söhne ins Leben führen muss - und sich dazu.
Katharina Hackers großer und seit langem erwarteter Roman steht nicht in Beziehung zum Figurenkosmos der vorausgegangenen Romane 'Alix, Anton und die anderen' und 'Die Erdbeeren von Antons Mutter', sondern erschafft eine eigene Welt. Seine Schauplätze sindParis, Tel Aviv, Amsterdam und Berlin, sein Thema aber ist universal: Wo ist unser Ort auf der Welt, wo ist unser Ort im Leben?
Autorenporträt
Hacker, KatharinaKatharina Hacker, geboren 1967 in Frankfurt am Main, lebt nach mehrjährigem Aufenthalt in Israel als freie Autorin mit ihrer Familie in Berlin und Brandenburg. 2006 erhielt sie den Deutschen Buchpreis für »Die Habenichtse«, zuletzt erschienen der Roman »Skip« (2015) und das Jugendbuch »Alles, was passieren wird« (2021).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2015

Oma in Tschernobyl
Der zweite Abend von "Literatur im Römer"

Oskar geht betteln: auf der Gucci-Straße. Die Zürcher Bahnhofstraße mit ihren Luxusläden sei der richtige Ort, um seine Impulskontrolle zu überprüfen, meint sein Psychotherapeut. Eigentlich nicht seiner, sondern der von Viktor. Denn der beste Freund hat ein Eheproblem, aber keine Zeit für die Therapie. Deshalb soll Oskar ihn vertreten. So geht es an der Goldküste des Zürichsees zu, wo der Schweizer Schriftsteller Philipp Tingler logiert. Jetzt hat sich der offenbar gutbetuchte Autor in den sozialen Brennpunkt Frankfurt begeben, um sein Buch über "Schöne Seelen" (Kein & Aber) vorzustellen. Im Gespräch mit Alf Mentzer vom Hessischen Rundfunk amüsierte er das Publikum am zweiten Abend von "Literatur im Römer", der Veranstaltung, mit der die Stadt traditionell ihre Bürger zur Buchmesse beglückt. Tingler präsentiert ein Völkchen, das mit gelifteten Seelen sein Unglück auf hohem Niveau bejammert.

In Zürich ist alles besser: zum Beispiel das Licht zum Lesen. Jedenfalls musste sich der Autor ziemlich verrenken, ehe er sein eigenes Buch entziffern konnte. Auch mancher Gast in der VIP-Loge rutschte ungeduldig hin und her, weil es von hinten jedes Mal eisig hereinzog, wenn sich das Tor zu den Römerhallen öffnete und schloss. Aber das Kommen und Gehen ist typisch für den Leseabend mit acht Autoren im Viertelstundenrhythmus, den Mentzers Kollegin Cécile Schortmann regelmäßig überzog - zum Bedauern all derer, die ihre Rückenmuskeln auf den lehnenlosen Bierzeltbänken schmerzhaft spürten. Dabei konnte noch froh sein, wer rechtzeitig einen Sitzplatz ergattert hatte. Viele Besucher, wenn auch nicht mehr so viele wie am ersten Abend, standen sich auch in diesem Jahr die Beine in den Bauch - sogar die schon etwas betagteren. Das ist immer wieder bewundernswert.

Immerhin: Der zweite Abend war kurzweiliger als der erste. Das war neben Tingler vor allem Alina Bronsky zu verdanken. Nach einer peinlichen Selbstdarstellung Friedrich Anis mit seinem Groschenroman "Der namenlose Tag" (Suhrkamp) hievten Katharina Hacker und Feridun Zaimoglu die Veranstaltung auf seriöseres Niveau. Die deutsche Schriftstellerin mit dem Faible für Israel hat ein Buch über einen Mann verfasst, dessen Gespür für Sterbende ihn stets an den rechten Ort führt, um Beistand zu leisten, ob Mensch oder Tier. "Skip" (S. Fischer), der, wie sein Name sagt, manches überspringt, erinnert an den biblischen Bileam, der von seiner hellsichtigen Eselin geadelt wird. Zaimoglus poetisch dichter Achthundertseitenroman über das "Siebentürmeviertel" (Kiepenheuer & Witsch) von Istanbul lässt zwischen 1939 und 1949 archaische Mythen durch ein deutsches Flüchtlingskind raunen.

Aufatmen nach dieser gewöhnungsbedürftigen Rhapsodie samt kleinem Werwolf. Alina Bronsky erzählt in ihrem Roman "Baba Dunjas letzte Liebe" (Kiepenheuer & Witsch) von einer Ukrainerin, die auf ihre alten Tage nach Tschernobyl zurückkehrt. Dass die Tomaten verstrahlt sind, kümmert sie nicht, Hauptsache, der aufdringliche Hahn der Nachbarin landet im Kochtopf. Woher die junge russische Autorin die Erfahrungsweisheit, die Gelassenheit und den selbstkritisch trockenen Witz ihrer Ich-Erzählerin nimmt, bleibt ihr Geheimnis, aber sie gibt zu: "So eine Oma hätte ich gern gehabt."

Als Matthias Nawrat "Die vielen Tode des Opa Jurek" (Rowohlt) zur Hand nahm, war der Brezelkorb der Zuhörer leer. Konstantin, der gesottene Hahn, hatte offenbar den Appetit angeregt, nun aber stand "Todeshunger" an. Der deutsche Autor polnischer Herkunft hat seinem Großvater genau zugehört, und der hat ihm von Auschwitz erzählt. Nach solch schwerer Kost lieferte die Literaturkritikerin Ursula März einen albernen Kontrast. In ihrem Buch "Für eine Nacht oder fürs ganze Leben" (Hanser) erzählt sie von Leuten, die im Internet nach Partnern suchen - ein schwacher Abgesang.

CLAUDIA SCHÜLKE

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Martina Läubli kennt und schätzt das feine Sensorium der Autorin für Beziehungen. In ihrem neuen Roman lässt Katharina Hacker die Rezensentin wiederum davon profitieren, indem sie ihren in Israel lebenden Ich-Erzähler nicht nur über existenzielle Fragen sinnieren lässt, sondern in Rückblenden auch dessen Beziehung zu den Lebenden und den Toten erkundet. Das gelingt laut Läubli auf virtuose Weise. Dass damit ein Raum erzählerisch eröffnet wird, in dem Leben und Sterben koexistieren, scheint der Rezensentin bemerkenswert, auch wenn die Autorin mitunter allzu viel Symbolik bemüht, wie Läubli einwendet.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.10.2015

Wegtauchen oder mitschwimmen
In ihrem neuen Roman „Skip“ kehrt Katharina Hacker an den Ursprung ihres Erzählens zurück, nach Tel Aviv
Beinahe hätten wir ihn nicht kennengelernt. Denn fast wäre Skip Landau, der Protagonist im neuen Roman von Katharina Hacker, ertrunken. Zu einer Zeit, als es Bewohnern Tel Avivs noch möglich war, im Meer vor Gaza-Stadt zu baden, wird er dort von einer Welle unter Wasser gerissen und verliert die Orientierung. „Nie gegen die Kraft, die dich besiegen würde, entweder unten drunter wegtauchen oder mitschwimmen“, rät ihm grinsend der palästinensische Arbeiter Najib, der ihn aus der Tiefe zieht. Noch einmal Glück gehabt, atmet der Leser auf. Und kann weiterlesen in einem der besten Bücher dieses Herbstes.
  „Skip“ ist ein realistischer, mit zeitgeschichtlichen Fakten grundierter Roman und zugleich ein metaphysisches Abenteuer. Katharina Hacker lässt die gleichnamige Titelfigur, einen fiktiven israelischen Architekten, sein Leben erzählen. Äußerlich scheint es ein normales zu sein. Frau, Kinder, Beruf, ein Auskommen. Geboren 1948, im Jahr der Staatsgründung Israels, ist Skip inzwischen über sechzig. Er lebt seit Jahren in Berlin und hat gerade erfahren, dass er sowohl Großvater als auch noch einmal Vater wird. Ein guter Moment, um über das eigene Leben nachzudenken. Er tut das nicht chronologisch, sondern diskursiv, von einer Erinnerung in die nächste gleitend, als bedächtiger Surfer auf dem Bewusstseinsstrom.
  Schnell gewöhnt man sich an den Erzählton, Skips ruhige Art, Fragen zu stellen und Zweifel zu äußern. An sein Hadern mit dem Glück, seine innere Heimatlosigkeit. Die Schauplätze seines Lebens sind Tel Aviv, Paris, Amsterdam, Berlin. Doch der Resonanzraum seiner Erzählung, die keinen eindeutigen Adressaten hat und streckenweise einer Meditation gleicht, ist geografisch nicht zu fassen. Er erstreckt sich tief in den Bereich des Transzendenten.
  Skip ist gezeugt von einem jüdischen Vater, geboren in Paris von einer nichtjüdischen Mutter. Israel ist sein Zuhause – seine Heimat ist es nicht. Er ist Europäer und Israeli, Jude und Halbjude, liebender Vater zweier Söhne, die womöglich nicht von ihm stammen. Er will Häuser bauen, aber tatsächlich baut er sie nur um. Neben Skip kommen etliche andere Figuren zu Wort. Ihre Geschichten ergänzen, kontrapunktieren die seine, lassen sie mitunter gar verschwinden. Vor allem dort, wo Skip mit Sterbenden spricht. Er begleitet ihre Seelen beim Übergang vom Leben zum Tod, hilft ihnen durch seine bloße Anwesenheit, sich vom zerschundenen Körper zu lösen.
  Auf unerklärliche Weise findet sich Skip immer wieder an Orte gerufen, an denen Menschen durch Katastrophen ums Leben kommen. Als Zeuge eines Zugunglücks, eines Flugzeugabsturzes, einer Kollision zweier Helikopter ist er Besucher im Zwischenraum von Leben und Tod. Er ist ein charismatischer Mann ohne Eigenschaften, ein Zweifler und Melancholiker, Handwerker und Medium, ein leiser Denker, der so über das Leben erzählt, dass einzelne seiner Sätze nicht aufhören zu klingen. Sie setzen sich fest wie ein Mantra, man trägt sie durch Tag und Nacht.
  Denn wie fast alle Protagonisten Katharina Hackers treiben auch Skip immer wieder die gleichen Fragen um: Wer bin ich, und kann ich mich mitteilen? Welchen Einfluss hat der andere auf mein Leben? Wie kann ich meinem Leben Sinn verleihen? Die Autorin stellt sich mit diesem Roman ungeschützt, im Ton intim, den eher als unattraktiv geltenden Herausforderungen unseres Daseins – der Suche nach gutem Umgang mit Leid und Ungerechtigkeit, Ohnmacht, Traurigkeit und Angst. Sie denkt, wie sie Skip einmal formulieren lässt, „über den Tod nach, um über das Leben nachzudenken“.
  Mit „Skip“ kehrt Katharina Hacker, mit dem Roman „Die Habenichtse“ Buchpreisträgerin des Jahres 2006, an die Ursprünge ihres Erzählens zurück – und bietet dem Leser nahezu formvollendet eine Essenz ihres bisherigen Schaffens. Da ist nichts manieriert oder zu ehrgeizig in der Form, die Sprache fließt kunstvoll und trägt bis zur letzten der knapp vierhundert Seiten. Hackers Themen sind philosophischer, religiöser und politischer Natur, doch die leichte, unaufdringliche Poesie ihres Erzählens durchtränkt alles Schwere.
  1997, als Dreißigjährige, debütierte die Autorin mit ihrer Stadterzählung „Tel Aviv“. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt mehrere Jahre in Israel gelebt, war mit Kultur und Sprache des Landes eng verbunden. Tel Aviv schilderte sie, aus Perspektive einer jungen Ich-Erzählerin, als etwas faszinierend Fremdes. Das schmale Bändchen, in der Edition Suhrkamp erschienen, war die Liebeserklärung an eine Stadt und Lebensweise, von der sie faktisch Abschied genommen hatte.
  In ihrem neuen Roman nun, knapp zwanzig Jahre später, scheint es, als habe die Autorin, die längst wieder in Deutschland lebt, Israel nie verlassen. Wie kein anderer deutscher Autor beschreibt sie „la condition israélienne“: Umgangsformen, Empfindungen und Herzenswärme offenbaren sich in Alltagsdialogen, sinnlich-präzise sind Natur, Licht und Tageszeiten beschrieben, kritisch das subkutane Fortwirken historischer Erfahrungen im jüdischen Staat, verlorene Hoffnungen und deprimierende Gegenwart.
  Auch dieser Roman ist eine Liebeserklärung, freilich zugleich das Dokument einer enttäuschten und doch bewahrten Zuneigung. Große Verbundenheit zu den Figuren zeichnet ihn aus: Neben Skip sind es die Arbeiter, mit denen er ein Haus in Jaffo renoviert, seine Nachbarn, der Holocaust-Überlebende Matijahu, Chajim, Fischhändler vom Shuk, die Cafehauswirtin Sarah, Chalil, ein palästinensischer Arzt, Zipora, Skips Lebensgefährtin nach dem Tod seiner Frau. Ginge es allein um diese Menschen, so erschiene Hackers Tel Aviv wie ein Schtetl aus der jiddischen Literatur – doch es gibt eben auch Terroranschläge und die Menetekel der Globalisierung.
  Skip leidet unter den Veränderungen, die Israel in den vergangenen zwanzig Jahren durchgemacht hat. Es ist nicht mehr „sein“ Land. Nicht das Land, das er ersehnt und an dem er mitgebaut hat. Es ist ein Land voller Geschichten, aber ohne Hoffnung. Dass Skip so etwas wie Frieden ausgerechnet in Berlin findet, der Stadt, von der aus die Ermordung seiner Großeltern ihren Ausgang nahm, ist eine bittere Ironie – und zugleich tröstlich: „Es musste sich nicht zu einem Ganzen fügen. Eine Summe blieb ja immer offen für weitere Addition, und vielleicht noch über den Tod hinaus. Und dann dachte ich, dass man weiter und weiter etwas hinzufügte, dass das vielleicht überhaupt die Essenz war, etwas hinzuzufügen, zu einer Summe, die immer offenblieb.“
CARSTEN HUECK
Immer wieder wird Skip an Orte
gerufen, an denen Menschen
ums Leben kommen – warum?
      
  
   
  
        
Katharina Hacker: Skip. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015.
384 Seiten, 21,99 Euro.
E-Book 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Hackers Themen sind philosophischer, religiöser und politischer Natur, doch die leichte, unaufdringliche Poesie ihres Erzählens durchtränkt alles Schwere. Carsten Hueck Süddeutsche Zeitung 20151012
Wegtauchen oder mitschwimmen

In ihrem neuen Roman „Skip“ kehrt Katharina Hacker an den Ursprung ihres Erzählens zurück, nach Tel Aviv

Beinahe hätten wir ihn nicht kennengelernt. Denn fast wäre Skip Landau, der Protagonist im neuen Roman von Katharina Hacker, ertrunken. Zu einer Zeit, als es Bewohnern Tel Avivs noch möglich war, im Meer vor Gaza-Stadt zu baden, wird er dort von einer Welle unter Wasser gerissen und verliert die Orientierung. „Nie gegen die Kraft, die dich besiegen würde, entweder unten drunter wegtauchen oder mitschwimmen“, rät ihm grinsend der palästinensische Arbeiter Najib, der ihn aus der Tiefe zieht. Noch einmal Glück gehabt, atmet der Leser auf. Und kann weiterlesen in einem der besten Bücher dieses Herbstes.

  „Skip“ ist ein realistischer, mit zeitgeschichtlichen Fakten grundierter Roman und zugleich ein metaphysisches Abenteuer. Katharina Hacker lässt die gleichnamige Titelfigur, einen fiktiven israelischen Architekten, sein Leben erzählen. Äußerlich scheint es ein normales zu sein. Frau, Kinder, Beruf, ein Auskommen. Geboren 1948, im Jahr der Staatsgründung Israels, ist Skip inzwischen über sechzig. Er lebt seit Jahren in Berlin und hat gerade erfahren, dass er sowohl Großvater als auch noch einmal Vater wird. Ein guter Moment, um über das eigene Leben nachzudenken. Er tut das nicht chronologisch, sondern diskursiv, von einer Erinnerung in die nächste gleitend, als bedächtiger Surfer auf dem Bewusstseinsstrom.

  Schnell gewöhnt man sich an den Erzählton, Skips ruhige Art, Fragen zu stellen und Zweifel zu äußern. An sein Hadern mit dem Glück, seine innere Heimatlosigkeit. Die Schauplätze seines Lebens sind Tel Aviv, Paris, Amsterdam, Berlin. Doch der Resonanzraum seiner Erzählung, die keinen eindeutigen Adressaten hat und streckenweise einer Meditation gleicht, ist geografisch nicht zu fassen. Er erstreckt sich tief in den Bereich des Transzendenten.

  Skip ist gezeugt von einem jüdischen Vater, geboren in Paris von einer nichtjüdischen Mutter. Israel ist sein Zuhause – seine Heimat ist es nicht. Er ist Europäer und Israeli, Jude und Halbjude, liebender Vater zweier Söhne, die womöglich nicht von ihm stammen. Er will Häuser bauen, aber tatsächlich baut er sie nur um. Neben Skip kommen etliche andere Figuren zu Wort. Ihre Geschichten ergänzen, kontrapunktieren die seine, lassen sie mitunter gar verschwinden. Vor allem dort, wo Skip mit Sterbenden spricht. Er begleitet ihre Seelen beim Übergang vom Leben zum Tod, hilft ihnen durch seine bloße Anwesenheit, sich vom zerschundenen Körper zu lösen.

  Auf unerklärliche Weise findet sich Skip immer wieder an Orte gerufen, an denen Menschen durch Katastrophen ums Leben kommen. Als Zeuge eines Zugunglücks, eines Flugzeugabsturzes, einer Kollision zweier Helikopter ist er Besucher im Zwischenraum von Leben und Tod. Er ist ein charismatischer Mann ohne Eigenschaften, ein Zweifler und Melancholiker, Handwerker und Medium, ein leiser Denker, der so über das Leben erzählt, dass einzelne seiner Sätze nicht aufhören zu klingen. Sie setzen sich fest wie ein Mantra, man trägt sie durch Tag und Nacht.

  Denn wie fast alle Protagonisten Katharina Hackers treiben auch Skip immer wieder die gleichen Fragen um: Wer bin ich, und kann ich mich mitteilen? Welchen Einfluss hat der andere auf mein Leben? Wie kann ich meinem Leben Sinn verleihen? Die Autorin stellt sich mit diesem Roman ungeschützt, im Ton intim, den eher als unattraktiv geltenden Herausforderungen unseres Daseins – der Suche nach gutem Umgang mit Leid und Ungerechtigkeit, Ohnmacht, Traurigkeit und Angst. Sie denkt, wie sie Skip einmal formulieren lässt, „über den Tod nach, um über das Leben nachzudenken“.

  Mit „Skip“ kehrt Katharina Hacker, mit dem Roman „Die Habenichtse“ Buchpreisträgerin des Jahres 2006, an die Ursprünge ihres Erzählens zurück – und bietet dem Leser nahezu formvollendet eine Essenz ihres bisherigen Schaffens. Da ist nichts manieriert oder zu ehrgeizig in der Form, die Sprache fließt kunstvoll und trägt bis zur letzten der knapp vierhundert Seiten. Hackers Themen sind philosophischer, religiöser und politischer Natur, doch die leichte, unaufdringliche Poesie ihres Erzählens durchtränkt alles Schwere.

  1997, als Dreißigjährige, debütierte die Autorin mit ihrer Stadterzählung „Tel Aviv“. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt mehrere Jahre in Israel gelebt, war mit Kultur und Sprache des Landes eng verbunden. Tel Aviv schilderte sie, aus Perspektive einer jungen Ich-Erzählerin, als etwas faszinierend Fremdes. Das schmale Bändchen, in der Edition Suhrkamp erschienen, war die Liebeserklärung an eine Stadt und Lebensweise, von der sie faktisch Abschied genommen hatte.

  In ihrem neuen Roman nun, knapp zwanzig Jahre später, scheint es, als habe die Autorin, die längst wieder in Deutschland lebt, Israel nie verlassen. Wie kein anderer deutscher Autor beschreibt sie „la condition israélienne“: Umgangsformen, Empfindungen und Herzenswärme offenbaren sich in Alltagsdialogen, sinnlich-präzise sind Natur, Licht und Tageszeiten beschrieben, kritisch das subkutane Fortwirken historischer Erfahrungen im jüdischen Staat, verlorene Hoffnungen und deprimierende Gegenwart.

  Auch dieser Roman ist eine Liebeserklärung, freilich zugleich das Dokument einer enttäuschten und doch bewahrten Zuneigung. Große Verbundenheit zu den Figuren zeichnet ihn aus: Neben Skip sind es die Arbeiter, mit denen er ein Haus in Jaffo renoviert, seine Nachbarn, der Holocaust-Überlebende Matijahu, Chajim, Fischhändler vom Shuk, die Cafehauswirtin Sarah, Chalil, ein palästinensischer Arzt, Zipora, Skips Lebensgefährtin nach dem Tod seiner Frau. Ginge es allein um diese Menschen, so erschiene Hackers Tel Aviv wie ein Schtetl aus der jiddischen Literatur – doch es gibt eben auch Terroranschläge und die Menetekel der Globalisierung.

  Skip leidet unter den Veränderungen, die Israel in den vergangenen zwanzig Jahren durchgemacht hat. Es ist nicht mehr „sein“ Land. Nicht das Land, das er ersehnt und an dem er mitgebaut hat. Es ist ein Land voller Geschichten, aber ohne Hoffnung. Dass Skip so etwas wie Frieden ausgerechnet in Berlin findet, der Stadt, von der aus die Ermordung seiner Großeltern ihren Ausgang nahm, ist eine bittere Ironie – und zugleich tröstlich: „Es musste sich nicht zu einem Ganzen fügen. Eine Summe blieb ja immer offen für weitere Addition, und vielleicht noch über den Tod hinaus. Und dann dachte ich, dass man weiter und weiter etwas hinzufügte, dass das vielleicht überhaupt die Essenz war, etwas hinzuzufügen, zu einer Summe, die immer offenblieb.“

CARSTEN HUECK

Immer wieder wird Skip an Orte
gerufen, an denen Menschen
ums Leben kommen – warum?

      
  
   
  
        
Katharina Hacker: Skip. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015.
384 Seiten, 21,99 Euro.
E-Book 18,99 Euro.

DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de

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