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2 Kundenbewertungen

Die deutsche Geschichte muß umgeschrieben werden: Klaus Ultzscht war es, der die Mauer mit seinem überdimensionalen Penis zum Einsturz gebracht hat! Klaus, der Sachenverlierer und Multi-Perverse, ist eigentlich ein Versager par Excellence und doch der beste Repräsentant der DDR. Sein Vater ein Stasi-Spitzel, die Mutter Hygieneinspektorin. Wenn Klaus nun von seinem verschlungenen und aberwitzigen Weg bis zum Fall der Mauer erzählt, entfaltet sich schillernd die DDR-Spießigkeit in ihrer ganzen Pracht. Keiner hat bislang frecher und unverkrampfter den kleinbürgerlichen Mief des Ostens gelüftet…mehr

Produktbeschreibung
Die deutsche Geschichte muß umgeschrieben werden: Klaus Ultzscht war es, der die Mauer mit seinem überdimensionalen Penis zum Einsturz gebracht hat! Klaus, der Sachenverlierer und Multi-Perverse, ist eigentlich ein Versager par Excellence und doch der beste Repräsentant der DDR. Sein Vater ein Stasi-Spitzel, die Mutter Hygieneinspektorin. Wenn Klaus nun von seinem verschlungenen und aberwitzigen Weg bis zum Fall der Mauer erzählt, entfaltet sich schillernd die DDR-Spießigkeit in ihrer ganzen Pracht. Keiner hat bislang frecher und unverkrampfter den kleinbürgerlichen Mief des Ostens gelüftet als Thomas Brussig.
Mit beißender Ironie und nicht mehr zu überbietender Komik durchleuchtet er die DDR in ihrer ganzen Lächerlichkeit. Ein Lesevergnügen allererster Ordnung.
Autorenporträt
Thomas Brussig,1964 in Berlin geboren, hatte 1995 seinen Durchbruch mit dem Roman ¿Helden wie wir¿. Es folgten u.a. ¿Am kürzeren Ende der Sonnenallee¿ (1999), ¿Wie es leuchtet¿ (2004) und das Musical ¿Hinterm Horizont¿ (2011). Seine Werke wurden in 30 Sprachen übersetzt. Thomas Brussig ist der einzige lebende deutsche Schriftsteller, der sowohl mit seinem literarischen Werk als auch mit einem Kinofilm und einem Bühnenwerk ein Millionenpublikum erreichte. Zuletzt erschienen von ihm die Romane ¿Das gibts in keinem Russenfilm¿ (2015) und ¿Beste Absichten¿ (2017).Literaturpreise:u.a.:1999 Drehbuchpreis der Bundesregierung für "Sonnenallee" (mit Leander Haußmann) 2000 Hans-Fallada-Preis der Stadt Neumünster2005 Carl-Zuckmayer-Medaille
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.1995

Bleiche Mutter DDR
Thomas Brussig kuriert den Sozialismus aus einem Punkt / Von Sabine Brandt

Wer den Ostberliner Verlag Volk und Welt noch aus DDR-Zeiten kennt, wird staunen angesichts der frechen Aufmachung einer seiner diesjährigen Editionen. Der Roman "Helden wie wir" von Thomas Brussig präsentiert sich nämlich mit einem Umschlagbild, das alle sozialistischen Zensurinstanzen schon in der Planungsphase hätte aufheulen lassen. Es zeigt einen nackten männlichen Unterleib, aus kühlem Marmor zwar, doch nichtsdestoweniger provokativ. Vom erstaunlichen Wandel der Verhältnisse kündet also die Umschlagzier, und eben davon ist im Buch auch die Rede: Der Roman fängt in einem Narrenspiegel ein, wie aus der Vergangenheit der Deutschen Demokratischen Republik die Gegenwart der deutschen Einheit wurde.

Über den Autor erfahren wir, daß er Ostberliner vom Jahrgang 1965 ist, sich für Charles Bukowski, Philipp Roth und John Irving begeistert und seinerzeit dem DDR-Regime offenbar quer lag. Aus welchem Grunde sonst wird ein Abiturient als Möbelträger, Museumspförtner, Hotelportier verschlissen? Erst nach der Wende konnte der junge Mann studieren, er wählte Soziologie und Dramaturgie. Falls das Buch, das er jetzt vorlegte, ein thematisches Programm andeutet, wird es diesem Autor an Stoff nicht mangeln. Brussig ist mit offenen Augen und Ohren durch Honeckers abgeschottete Welt gegangen.

Nur er selbst könnte sagen, wieweit die Geschichte, die er erzählt, die seine ist. Aber daß er den Vorrat eigenen Erlebens und Miterlebens geplündert hat, steht außer Zweifel. Zu genau ist die Zeichnung selbst der nebensächlichen Details, als daß sie nur der Phantasie entstammen könnten. Freilich spielt Phantasie dennoch eine große Rolle, insofern nämlich, als die Realität phantastisch überhöht und bei aller Wiedererkennbarkeit aufs skurrilste verfremdet ist. So beschert uns einerseits die Gechichte vom jungen DDR-Bürger Klaus mit dem schrecklichen Nachnamen Uhltzscht ein Aha-Erlebnis nach dem anderen, weil wir immer wieder meinen, sie längst zu kennen, und läßt uns andererseits staunen über das sonderbare Panoptikum dieses Daseins im abgetrennten Stück Deutschland.

Was mit dem Romanhelden in der Deutschen Demokratischen Republik geschah, erfahren wir aus seinem Munde, und zwar im Rahmen eines Interviews, das er einem Mister Kitzelstein von der "New York Times" gibt. Anlaß für das Interesse des Amerikaners ist das Gerücht, Uhltzscht sei derjenige gewesen, der die Öffnung der Berliner Mauer erzwang. Der Held bestätigt die Version, muß aber, um sie glaubhaft zu machen, weit ausholen, und so tischt er Mister Kitzelstein und den Buchlesern einen ganzen Erziehungsroman auf, Kläuschens Lehrjahre gewissermaßen - nicht etwa auch Wanderjahre, denn hinter dem antifaschistischen Schutzwall blieb man zu Hause und nährte sich redlich.

Solche Biedersprüche drängen sich geradezu auf, denn die Umwelt des heranwachsenden Klaus ist von einer verrammelten und bigotten deutschen Spießigkeit, als sei die Deutsche Demokratische Republik geradewegs aus den Plüschstuben des neunzehnten Jahrhunderts herausgewachsen. Oder aus dem Mief der Hitlerzeit. Die Älteren unter den Lesern werden es nicht schwer finden, in Klaus' Kindheitsgeschichte deutliche Spuren der eigenen Kindheit auszumachen. Da wird auf Ordnung, Sauberkeit, Bravheit dressiert. Eltern, Lehrer und Jugendverband heischen pünktlichen Gehorsam. Alle wissen, was gut für das Kind ist, es braucht ihnen nur zu folgen, um zum nützlichen Mitglied der Volksgemeinschaft - pardon: der sozialistischen Menschengemeinschaft - heranzuwachsen.

Doch nie kann Kläuschen seine Ärztin-Mutter, die "Hygiene-Göttin", zufriedenstellen, nie dem Stasi-Vater, der stets Bescheid und immer alles besser weiß, imponieren. In der Schule entwickelt er die falschen, weil den diversen Planvorhaben nicht dienlichen, Interessen. Wenn er bockt, so sind das nur matte Verteidigungsgesten, von denen keine ihn davor bewahrt, sich als Versager zu begreifen. Klaus' Mangel an Selbstwertgefühl manifestiert sich in seiner Physis - und nun kommt das Organ ins Spiel, das programmatisch auf dem Schutzumschlag prangt. Und wie es ins Spiel kommt! Man könnte sagen, das gesamte Schicksal des Helden stehe unter dem Aspekt niederschmetternden phallischen Unvermögens. An Drastischem wird dabei nicht gespart.

Ein sozialistischer Erziehungsroman am Rande der Pornographie also? Mitnichten. Die Fabel ist so viel und so wenig unanständig wie das Leben selbst. Zum einen trifft die Schilderung von Klaus' phallischen Emanzipationsanstrengungen exakt ins Herz diktatorischer Prüderie, die das Sexuelle verteufelt, ideologische und existentielle Vergewaltigungen aber zum Prinzip erhebt. Zum zweiten wird deutlich, daß Regime, die solchen Prinzipien folgen, selber erschütternd impotent sind. Zum dritten zeigt die Methode, eine Gesellschaft von der intimen Warte her auszuleuchten, eine Menge Komik, jedenfalls wenn man sie so handhabt, wie Thomas Brussig das tut: scheinbar naiv, in Wahrheit hintergründig boshaft, mit genauen Charakter- und Situationsanalysen, die dank einer guten Portion Übertreibung besonders intensiv einleuchten.

Klaus landet schließlich, wo er zwangsläufig landen mußte, bei Vaters Überwachungstruppe. Die Schilderung der Stasi-Lehrlingszeit geriet dem Autor zu einem Kabinettstückchen erster Güte, gebaut aus all den Ingredienzien, die wir mittlerweile aus dem Gauckschen Aktenvorrat kennen: dem entsetzlichen Leerlauf immerwährender Schnüffelei; der horrenden Unbildung der Schnüffler; der jeder Ökonomie hohnsprechenden Vergeudung von Arbeitskraft und Geldmitteln. Und mitten in diesem Idiotenspiel träumt Klaus, vollgestopft mit Legenden vom "Kundschafter an der unsichtbaren Front", den angelernten Heldentraum vom großen romantischen Einsatz im kapitalistischen Feindesland.

Es ist eine gelächterschwangere Groteske. Aber Brussig macht nicht nur lachen, er zwingt auch zum Ernst. Die Alfanzereien der DDR-Erinnerung aus der Deutschen Demokratischen Republik werden immer wieder kontrapunktiert von Kommentaren, mit denen Klaus sich seinem Interviewer verdeutlicht. So sagt er über das System, dem er einst Liebkind sein wollte: "Es verunstaltete Menschen. Es brachte sie dazu, zu lieben, was sie hassen mußten. Und das mit einer Intensität, daß sie das nicht mal heute wahrhaben können. Ich brauche gar nicht ,Erinnert Euch!' zu verordnen, ich weiß - und in ein paar Stunden werden auch Sie es wissen -, daß nichts, was irgendeiner tat, das System zum Einsturz brachte. Es gab nur einen, und das bin ich. Natürlich bin ich ein Kind aus ihrer Mitte, aber wenn ich ihren Beitrag zum Ende des ganzen Spuks irgendwie würdigen soll, dann so: Die einen haben verdorben, die anderen im Stich gelassen - und erst als ich ihr übelster Zombie war, schritt ich zur Tat."

Aber da sind wir, schwuppdiwupp, schon wieder im Narrenteil der Geschichte. Wie hat denn nun der Stasi-Zombie die Mauer überwunden? Mit seinem heikelsten Körperteil natürlich, dem Jammer seiner frühen Jahre, der zum Supermonstrum aufschwillt, als Klaus am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz die U-Bahn-Treppe hinunterfällt. Vor dem Unfall, während der historischen Demonstration der Sozialismusverbesserer, hatte er seine letzte Unterwerfungsvision: Die redende Christa Wolf verschmolz ihm mit der Eisläuferzüchterin Jutta Müller, und beide wurden eins mit Klaus' heimischer Hygiene-Göttin. Fünf Tage später ist es vorbei mit den sozialistischen Übermüttern und auch mit den sozialistischen Übervätern. Am 9. November 1989 weist Klaus den betonköpfigen Wächtern des Grenzübergangs Bornholmer Straße sein ungeheures Gemächte - und siehe, die Grenzer kapitulieren. Sie öffnen die Gitter und lassen die wartenden Massen passieren.

"Wer meine Geschichte nicht glaubt, wird nicht verstehen, was mit Deutschland los ist", sagt Klaus Uhltzscht zu Mister Kitzelstein, und in einem höheren Verstande kann ihm auch der skeptische Leser folgen. Denn diese Biographie ist ja nicht bloß närrisch. Soweit sie es aber ist, lebt sie nirgends von plattem Witz, sondern immer von der intelligenten Unverschämtheit und dem treffsicheren Spott der Shakespeareschen Narren.

Thomas Brussig: "Helden wie wir". Roman. Verlag Volk und Welt, Berlin 1995. 323 S., geb., 36,- DM.

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