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Denise kommt mehr schlecht als recht mit ihrem Leben klar. Sie arbeitet im Discounter, ihre kleine Tochter Linda überfordert sie. Mit dem Lohn für einen Pornodreh will sie weiterkommen, aber man lässt sie auf ihr Geld warten. Immer öfter steht der verschuldete Ex-Jurastudent Anton an ihrer Kasse. Vorsichtig kommen sie sich näher. Während Anton seiner Privat¬insolvenz entgegenbangt und Denise um ihr Recht kämpft, entwickelt sich eine zarte Liebe. Beide versuchen, sich einander zu öffnen, doch als Denise endlich ihr Geld bekommen soll und Antons Gerichtstermin naht, steht schnell wieder alles in Frage ... Auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2014.…mehr

Produktbeschreibung
Denise kommt mehr schlecht als recht mit ihrem Leben klar. Sie arbeitet im Discounter, ihre kleine Tochter Linda überfordert sie. Mit dem Lohn für einen Pornodreh will sie weiterkommen, aber man lässt sie auf ihr Geld warten. Immer öfter steht der verschuldete Ex-Jurastudent Anton an ihrer Kasse. Vorsichtig kommen sie sich näher. Während Anton seiner Privat¬insolvenz entgegenbangt und Denise um ihr Recht kämpft, entwickelt sich eine zarte Liebe. Beide versuchen, sich einander zu öffnen, doch als Denise endlich ihr Geld bekommen soll und Antons Gerichtstermin naht, steht schnell wieder alles in Frage ... Auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2014.
Autorenporträt
Thomas Melle, 1975 geboren, studierte Vergleichende Literaturwissenschaft und Philosophie in Tübingen, Austin (Texas) und Berlin. Er ist Autor vielgespielter Theaterstücke und übersetzte u. a. William T. Vollmanns Roman «Huren für Gloria». Sein Debütroman «Sickster» (2011) war für den Deutschen Buchpreis nominiert und wurde mit dem Franz-Hessel-Preis ausgezeichnet. 2014 folgte der Roman «3000 Euro», der auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand. 2015 erhielt Thomas Melle, der in Berlin lebt, den Kunstpreis Berlin.
Rezensionen
Melle richtet auch im dritten Buch seinen Blick scharf und unbarmherzig auf die Bruchstellen menschlichen Seins, auf Grenzgänger und Ausgegrenzte. (...) Ein souverän versprachlichter, nicht zu gewinnender Kampf. Die Welt

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Nach der Lektüre von Thomas Melles neuem Roman "3000 Euro" bleibt Rezensent Philipp Theisohn mit gemischten Gefühlen zurück. Durchaus interessant findet er Melles Sujet, seine beiden Protagonisten, den ehemaligen Jura-Studenten Anton, der mit einer ausstehenden Summe von 3000 Euro noch einen drohenden Prozess gegen ihn abwenden könnte und die Supermarktverkäuferin und Porno-Darstellerin Denise, die eben jenen Betrag noch für einen Dreh bekommen soll, der zunehmenden Deklassierung durch die Abwesenheit des Geldes preiszugeben. Leider muss der Kritiker gestehen, dass sich Melle bei der allzu kalkulierten Konstruktion seines Romans und dem unbedingten Versuch seine Figuren in völliger Hoffnungslosigkeit enden zu lassen, bisweilen im Klischee verliert. Ein paar Überraschungen hätten dem Roman gut getan, schließt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.09.2014

Liebesanbahnung im Supermarkt
Thomas Melles Roman "3000 Euro" steht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis, aber tut er das zu Recht?

Der eine hat, was dem anderen fehlt. Diese ebenso sandkastentaugliche wie weltökonomische Ungleichheitsformel strukturiert Thomas Melles zweiten Roman, der gestern auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis gewählt wurde. "3000 Euro" lautet der prosaische Titel des Romans, und so geht es in diesem Fall von Haben oder Nichthaben weder um politische Macht noch um verführerische Ehepartner, sondern schlicht um den titelgebend bemessenen Betrag. Die Summe ist genau kalkuliert. Sie entspricht dem Bruttolohn, den die Deutschen monatlich im Durchschnitt verdienen.

Dreitausend Euro trägt in den Bevölkerungskreisen, die man zumindest nach der Lohnstatistik als durchschnittlich bezeichnen würde, niemand in der Hosentasche mit sich herum. Aber der Betrag ließe sich aufbringen, wenn man zum Beispiel jemandem helfen müsste, der in Not geraten ist. Zugleich ist der Bruttodurchschnittslohn eine Chimäre. Realität ist ja, dass ein großer Teil der arbeitenden Bevölkerung weniger verdient oder eben überhaupt keine regelmäßige Arbeit hat. Über dreitausend Euro frei verfügen zu können bleibt da ein Traum.

Genau davon will Thomas Melles Roman erzählen. Er überkreuzt die Lebenswege von zwei Personen, die auf normalem Weg selbst ein solch überschaubares Vermögen nicht erwirtschaften können. Melle eröffnet somit einen Blick auf jene soziale Gegenwart, die nicht nur in der Literatur marginalisiert wird.

Denise steht auf der Habenseite des Romans. Die Supermarktkassiererin, überforderte Mutter und tanzfreudige Nachtschwärmerin hat sich mit einem Pornodreh dreitausend Euro extra verdient. Bis der Betrag auf ihrem Konto liegt, dauert es zwar seine Weile, aber dann will sie sich einen alten Traum erfüllen und nach New York reisen.

Anton hingegen hat nichts: Jurastudium abgebrochen, Taxi zu Schrott gefahren, Führerschein weg, arbeits- und obdachlos, kann er sich aus dem unerbittlichen Sog der Abwärtsspirale nicht befreien. Das Einzige, was Anton hat, sind Defizite - auch finanzielle. Nachdem er einen Sommer lang die Kontrolle über sein Leben verloren hat, trägt er dreitausend Euro Schulden mit sich herum: "Dreitausend Euro, dreitausend Euro, dreitausend Euro. Nichts ist das und trotzdem alles", lautet Antons Mantra. Jetzt will seine Bank das Geld zurück, der Prozesstermin steht unmittelbar bevor. Im Fall einer Niederlage vor Gericht würde sich der Schuldenbetrag mit einem Schlag um das Vielfache erhöhen.

Wenn in einem Roman die eine Figur hat, was die andere unbedingt braucht, dann wäre es wohl die größere Überraschung, Anton und Denise würden sich nicht treffen oder hätten wenigstens nichts füreinander übrig. Haben sie aber. Daher fallen Pornoüberweisung, Gerichtstermin und Liebeshandlung zeitlich ineinander. Und deshalb kommt das Gedankenspiel in Gang, ob Denise das Geld nicht doch besser in Anton investieren sollte, als sich eigene Träume zu erfüllen. Während Anton sich der vagen Hoffnung hingeben kann, dass doch noch Rettung nahen könnte. Nullsummenspiel und zarte Liebesbande tragen die Handlung zuverlässig bis zum Tag der Gerichtsverhandlung.

Ebenso großes Interesse wie am Liebesgeflüster hat Melle an so überzeugenden Beobachtungen wie der, dass sich der Supermarkt zu einem der interessantesten sozialen Orte im heutigen Alltagsleben entwickelt hat. Tatsächlich ist es seit ein paar Jahren auch in den Supermärkten der deutschsprachigen Literatur ziemlich voll geworden. Da flanieren ältere Herren im Schunkelwohlklang der Konsumbeschallung durch die Regalreihen, verlieren sich wie Einkaufsmelancholiker im Etikettenschwindel oder treiben Schüler, angepeitscht von Nirvana-Sound, die Panik vor einem Terroranschlag auf die Spitze.

Bei Melle kommt jetzt die Liebe zwischen Pfandflaschensammler und Kassiererin hinzu, die sich auf pekuniär bestimmtem Terrain näherkommen. Was schon deshalb gut beobachtet ist, weil sich das Verhältnis zwischen Kassierern und Kunden tiefgreifend verändert hat, seit an der Kasse nicht mehr nur die Grundnahrungsmittel eingekauft werden, sondern ein größer werdender Kundenkreis seinem alltäglichen Broterwerb nachgeht, indem er Pfandmarken in Bares oder in Waren umsetzt. Im Gegensatz zum Warenhaus ist der Supermarkt schon aufgrund dieser Umwandlung des Konsumenten zum Produzenten auf bemerkenswerte Weise mit der Zeit gegangen. Solche Veränderungen zu erkennen und als Liebeserzählung zu entfalten ist die Stärke von Melles weniger realistischem als vielmehr symptomatischem Erzählen.

Im Fall von Denise gelingt ihm das eindrücklich. Ihre Lebens-, Gedanken- und Gefühlswelt entfaltet sich greifbar vor den Augen des Lesers. Wenn sie vor ihrem Handy sitzt, um für eine gemeinsame Nacht auf einen alten Bekannten zurückzugreifen, wenn sie Versionen ihrer Nachricht durchspielt, manche als zu anzüglich, andere als zu fad verwirft und schließlich nur die Frage "Na?" schreibt, ist das groß, denn so funktioniert es. Wenn ihr vor Wut auf ihre Tochter für einen fahrlässigen Moment der Gedanke durch den Kopf schießt, dass sie jetzt mit einem Schubsen ihr Leben ändern könnte, wenn in diesem Moment das Kind tatsächlich fällt, dann setzen Scham und Schmerz nicht nur den Romanfiguren zu.

Mit Anton liegt der Fall schwieriger. Der irrlichtert nicht einfach nur durch Stadt und Leben, sondern verliert sich auch in den Beschreibungen. Mal ist ihm alles egal, dann überschlägt er sich voller Enthusiasmus. Mal ist er dumpf und leer, eine Sekunde später steckt er voller Talente. Singen, Gitarre spielen, Songs schreiben kann er so gut, dass er mit eigenen Liedern eine Blitzkarriere als Straßenmusiker startet. Nach einer Schlägerei aber lässt er sein Equipment, von dem nicht ganz klar ist, woher das überhaupt kam, sorglos in einer Kneipe zurück. Auf die spröden Gassenhauer folgt dann wieder die Dreitausender-Litanei. Anton ist einfach nicht zu fassen, er steckt fest im eigenen Wahnsinn.

Insofern setzt sich in Anton auch Melles furioser Debütroman "Sickster" fort. Dort hatte Melle alle Atome popliterarischen Erzählens noch einmal durch den Teilchenbeschleuniger gejagt und seine Leser fasziniert dabei zusehen lassen, wie drei Hipster trotz glänzender Oberfläche innerlich verrotteten, bis sie alle drei im Wahnsinn strandeten. Den Wahn setzt Melle fort, mit Popästhetik will er allerdings nichts mehr zu tun haben.

Deshalb dürfen seine Figuren nicht einfach nur Anton und Denise sein, sondern müssen Charaktereigenschaften tragen oder Sätze sagen, die ihnen nicht gut stehen. Was wäre eigentlich, wenn eine Supermarktkassiererin zwar von New York träumt, mit den dreitausend Euro dann aber schlicht die gröbsten Lücken im Haushalt schließt? Wenn sie keine Tochter mit Wahrnehmungsstörung hätte, sondern ein so freundliches, kluges, rücksichtsvolles Kind, wie es nun einmal viele Kinder sind? Wenn Anton keine Dostojewski-Kurzreferate einflechten oder neben seinen Gassenhauern nicht auch noch schopenhauerverdächtig dozieren würde: "Der Gewaltakt gegen sich selbst hat etwas Unwürdiges, Reste einer metaphysischen Ethik strahlen aus einer verschütteten Vergangenheit herüber?"

Solche Sätze wirken, als habe ein ambitionierter Erzähler seine Figuren indoktriniert. Melles Erzählweise der unbedingten Zuspitzung hat vieles für sich, aber sie zwingt die Figuren zu seltsamen Verrenkungen und erschüttert die Erzählkonzeption so schwer, dass der Roman zwar zu den unbedingt lesenswerten dieses Herbstes gehört, aber dennoch bedenkliche Risse in seiner Poetik aufweist.

CHRISTIAN METZ

Thomas Melle: "3000 Euro". Roman.

Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2014. 208 S., geb., 18,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.10.2014

Gedanken betäubt, Glieder leicht gelähmt
Vor dem Absturz war Anton ein vielversprechender junger Mann, die Kassiererin Denise träumt von einer Reise nach New York.
Können sie einander retten? Thomas Melle erzählt in seinem Roman „3000 Euro“ eine Liebesgeschichte am Rand der Gesellschaft
VON THOMAS STEINFELD
Im Theater gibt es keine Großaufnahme. Selbst wer sich in die erste Reihe setzt und ganz genau hinschaut, wird den Schauspieler allenfalls in der Halbtotalen sehen. Das Theater lebt von dieser Distanz. Sie ist der Raum, den der Schauspieler braucht, um seine Rolle mit Leben zu füllen. Sie ist das Stück Wirklichkeit, das ihm erlaubt, seine Umgebung für die Welt schlechthin zu halten, für eine Welt, die er füllen und gegenwärtig machen muss. Sie zwingt ihn, persönlich einzustehen für seine Rolle, mit seinem Körper und seiner Stimme. Im Film, in der vollständigen Illusion einer fremden Welt, herrschen andere Bedingungen, und in der Literatur erst recht. Denn diese vermag etwas, das Theater und Film nur mittelbar leisten können: das Publikum in die Innenwelt einer Figur schauen zu lassen.
  Nah, sehr nah geht der Schriftsteller Thomas Melle an seine Figuren heran: „Er greift nach dem rohen Bauernschinken, den er früher immer mitnahm, und legt ihn in den Korb. Am liebsten würde er sich einfach dazulegen“, heißt es über Anton, den Helden eines kleinen Romans, der den prosaischen Titel „3000 Euro“ trägt. „Die erste Zigarette am Tag ist die beste“, heißt es über Denise, die Heldin dieses Buches, „die Welt in ihrem Kopf fühlt sich kurz weicher an, wie gepolstert, die Gedanken betäubt, die Glieder leicht gelähmt.“ Es treten noch andere Figuren in diesem Buch auf, aber sie kommen und gehen nur dieser beiden Protagonisten wegen. Und auch die beiden Helden kommen und gehen: zwei Gestalten, eine jede in ihrem eigenen Unglück gefangen, die sich kurz begegnen, in einem Augenblick, der Hoffnung wäre, wenn es für diese Gestalten je so etwas wie Hoffnung gäbe, und die dann wieder auseinandergetrieben werden. Ein kleines Melodram ist dieser Roman, eine traurige Parabel über das beinahe versehentliche Verfehlen einer bürgerlichen Existenz und die Unentrinnbarkeit der daraus entstehenden Verhältnisse.
  Denise wartet auf dreitausend Euro. Sie lebt allein mit ihrer sechsjährigen Tochter, arbeitet als Kassiererin in einem billigen Supermarkt und hat sich das Geld nebenher verdient als Akteurin in einem pornografischen Video. Sie fürchtet, dass einer der Kunden sie wiedererkennt, stürzt gelegentlich mit Rum und Cola ab und träumt von einer Reise nach New York. Anton braucht dringend dreitausend Euro. Einst war er ein vielversprechender junger Mann gewesen, dann hatte er sein Jura-Studium abgebrochen, war als Taxifahrer gescheitert und nach einem im Rausch verbrachten Sommer ins Elend gestürzt. Jetzt lebt er unter Obdachlosen. Kann er nicht zahlen, kommt es zu einer Gerichtsverhandlung, in deren Folge sich seine Schulden vervielfältigen und das Urteil über sein Leben gesprochen ist.
  Die Handlung des Buches bezieht ihre Spannung aus dieser Frist: Wird das bisschen Zuneigung reichen, um das Geld von der einen in die andere Hand wandern zu lassen, in einem Akt der Hingabe und Barmherzigkeit unter Verlorenen? Dreitausend Euro entsprechen in Deutschland dem Nettoeinkommen eines durchschnittlichen Haushalts.
  Aus sehr vielen kurzen Szenen besteht dieses Buch. Sie gelten, meistens abwechselnd, entweder Denise oder Anton. Und sie vollziehen immer wieder die gleiche Bewegung: Für einen kurzen Augenblick ist die Figur in der Halbtotalen zu sehen, dann kommt die Großaufnahme, bis am Ende die Perspektiven diffus werden. So etwas kann man machen, nicht im Theater, aber im Film wie in der Literatur. Hier aber entsteht durch diese Technik ein dramaturgisches Dilemma: Denn eigentlich ist dieses Buch ein Theaterstück von einem Roman. Die Figuren treten auf, und sie treten ab. Große Teile dieses kleinen Werkes sind wie erweiterte Regieanweisungen geschrieben: „Zwei verwegene Gestalten hängen am Tresen, ein Mann, eine Frau. (. . .) Der Mann, eine hagere Gestalt, dem die Tattoos bis über die Wangen gehen, hat Kehlkopfkrebs und nicht mehr lange zu leben. Die Frau, ein Zwerglein mit verhutzeltem Gesicht, beschwert sich oft über ihre Kinder, die nicht mehr anrufen.“
  Vor allem aber sorgt das Präsens dafür, dass sich das Geschehen vor dem Leser entfaltet. Dieses Präsens scheint, eben weil es in diesem Buch eigentlich keinen Erzähler gibt, weniger aus der Geschichte der erzählenden Literatur zu stammen – in der Tradition Alfred Döblins – als vielmehr wiederum aus dem Drama: Der Leser ist dabei, so dabei, wie man bei einem Theaterstück dabei ist. So wirklich dabei, wie man es von einem dramatischen Werk erwarten kann, in dem der Erzähler verschwindet, weil nur der Schauspieler für Gegenwart und Plausibilität sorgen kann. Wenn es da nicht das Problem mit der Distanz gäbe.
  Es steckt ein interessantes Werk in diesem kleinen Buch. Wäre es ganz zu sich gekommen, hätte der Autor seiner Geschichte Luft und Bewegungsfreiheit gelassen, würde es davon berichten, wie zwei Menschen aus dem bürgerlichen Leben fallen, wider besseres Wissen, wider alle Erfahrung, wider die latente Gutmütigkeit aller Beteiligten, und davon, wie es trotzdem geschieht. Es kommt aber am Ende nicht zu diesem interessanten Werk. Dafür sorgt das Projekt der ultimativen Nähe: Es mobilisiert auf engem Raum alle erreichbaren Techniken der Erzählung, theatralische, filmische, literarische. Es bedient sich der Totalen wie des „Italian shots“, der Detailaufnahme der Augen. Es nimmt den Menschen ins Visier, um ihm wenige Augenblicke später nicht nur unter die Haut, sondern ins Innere des Hirns zu fahren, mitsamt Ableitung gegenwärtiger psychologischer Defekte aus dem kindlichen Dasein.
  Und als sei auch so viel Intimität nicht genug, greift das Projekt sich gleichsam selbst unter die Arme, indem es die eigenen Figuren und Szenen in verlässlich gemeinnützigen Sentenzen erklären will: „Die Namen werden hier vergessen beim Trinken, die Schicksale eher nicht“, heißt es dann. Oder: „Er wusste damals noch nicht, dass leidenschaftliches Sichverlieben nichts anderes ist als eine einzige Katastrophe.“ Oder, ganz schlimm, in Gestalt eines Gassenhausers von allegorisierender Großstadtkritik: „Wenn ich hier durchkomme, in dieser verdammten Stadt, dann reicht mir das.“ Hin und wieder zitiert Thomas Melle aus der landläufigen Populärmusik, aus den Redegesängen von Bushido zum Beispiel. Aber was im Schlager wirkt, muss in einem Roman noch lange nicht für Eindruck sorgen. Ebenso wenig hilft es bei der Klärung der Verhältnisse, die Deutsche Bank oder den handelsüblichen Zuhälter als Inkarnation des Bösen darzustellen.
  Es gibt genaue Beobachtungen in diesem Buch, selten präzise Sätze, überraschend treffende Wendungen der Ereignisse. Etwa in einer Szene, in der Anton versucht, einen Pfandzettel für eingesammeltes Leergut an der Kasse des Supermarkts einzulösen. Oder beim Versuch Denises, das Honorar für die Teilnahme an ihrem Porno-Video bei den Auftraggebern einzutreiben – auch wenn der Umstand, dass diese dann tatsächlich zahlen, zu den Rätseln dieses Buches gehört. Oder dem Beginn einer Schlägerei in einem Wortwechsel.
Doch ist es schwierig, die gestalterische Kraft, die in solchen Szenen steckt, angemessen zu würdigen. Die Figuren bekommen nicht genug Luft, ihnen fehlt der Platz, den sie auf der Bühne um sich herum haben, der Autor rückt ihnen zu nahe. Sie verlieren an Leben, gerade weil Thomas Melle versucht, die Literatur und den Film und das Theater in einem einzigen Versuch der Überwältigung zu mobilisieren.
Dieser Roman ist ein Melodram,
eine Parabel über das Verfehlen
einer bürgerlichen Existenz
„Die Namen werden hier
vergessen beim Trinken,
die Schicksale eher nicht“
„Und jetzt sie, hier an der Kasse, am Förderband. Sie spürt den Schweißfilm auf der Stirn, die Nässe am Rücken. Sie schämt sich dafür. Das ewige Einerlei der Kassentöne und Waren macht sie schon lange nicht mehr schwindlig. Aber die Blicke tun es, neuerdings.“ – Thomas Melle kommt der Kassiererin Denise sehr nah.
Foto: laif
          
      
    
    
    
Thomas Melle: 3000 Euro. Roman. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2014.
208 Seiten, 18,95 Euro.
E-Book 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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