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»Warum tut lieben mehr weh als töten?«
Der Auftragskiller Hold gerät auf die schiefe Bahn der Frankfurter Buchmesse. Erst tötet er den falschen Mann (einen berühmten Literaturkritiker), dann verliebt er sich auch noch in die richtige Frau. Ein Amateur, der alle Profi-Promis das Fürchten lehrt. Bodo Kirchhoffs einzigartiger 'Schundroman' ist eine brillante Parodie. Rasant und höchst unterhaltsam erzählt er von Sex und Crime, von Rache und Vergeltung, alternden Literaten, Kritikern und Ganoven, von großen Gefühlen, von großer Liebe.

Produktbeschreibung
»Warum tut lieben mehr weh als töten?«

Der Auftragskiller Hold gerät auf die schiefe Bahn der Frankfurter Buchmesse. Erst tötet er den falschen Mann (einen berühmten Literaturkritiker), dann verliebt er sich auch noch in die richtige Frau. Ein Amateur, der alle Profi-Promis das Fürchten lehrt. Bodo Kirchhoffs einzigartiger 'Schundroman' ist eine brillante Parodie. Rasant und höchst unterhaltsam erzählt er von Sex und Crime, von Rache und Vergeltung, alternden Literaten, Kritikern und Ganoven, von großen Gefühlen, von großer Liebe.
Autorenporträt
Bodo Kirchhoff, geboren 1948, lebt in Frankfurt am Main und am Gardasee. Nach seinen vielfach gefeierten Romanen¿¿Die Liebe in groben Zügen¿¿(2012) und¿¿Verlangen und Melancholie¿¿(2014) wurde er 2016 für seine Novelle¿¿Widerfahrnis¿ mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Zuletzt erschienen sind die Romane¿¿Dämmer und Aufruhr¿, (2018), und ¿Bericht zur Lage des Glücks¿, (2021). 
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.06.2002

Hätte er die Liebe nicht
Zufälle gibt's, die gibt's nicht: Bodo Kirchhoffs "Schundroman"

Kann es ein Zufall sein, daß gleich zwei neue deutsche Romane Männer zu Protagonisten haben, die sich von Kindesbeinen an für sehr teure Uhren begeistern? Natürlich. Steffen Kopetzky schildert in "Grand Tour" einen wohlhabenden Baron, dessen Leben durch seine Sammelleidenschaft aus den Fugen gerät, Bodo Kirchhoff in "Schundroman" einen gescheiterten Juwelierssohn, dessen Leben durch Liebesleidenschaft wieder in feste Bahnen geführt wird. Sosehr sich die der Handlung zugrundeliegenden Vorlieben gleichen, so sehr unterscheidet sich der Weg beider Figuren.

Kann es ein Zufall sein, daß gleich zwei neue deutsche Romane die Ermordung eines Literaturkritikers zum Thema haben, hinter dem sich jeweils nur notdürftig verbrämt Marcel Reich-Ranicki verbirgt? Natürlich nicht. Bodo Kirchhoff hat im "Spiegel" zugegeben, daß angesichts der Rolle Reich-Ranickis bei Walser und ihm "wohl ein inneres Faß übergelaufen" sei. Sosehr sich die der Handlung zugrundeliegenden Motive gleichen, so sehr unterscheidet sich aber der Weg beider Autoren.

Was haben wir überhaupt für Kriterien für einen Schundroman? Er muß schlecht geschrieben sein oder, besser, billig gemacht, nach festem Schema konstruiert, voller Klischees, auf Oberflächenreize hin geschrieben, die den Leser bei der Stange halten: Nur drei Tote in der ersten halben Stunde der Lektüre - da würden Schundromanleser wohl von einem Mistbuch sprechen. Kirchhoff erfüllt ihre Erwartungen, und damit könnte man die Rezension schon schließen, wenn "Schundroman" nicht über das Detail des Kritikermords - der keinerlei Belang für den Fortgang des erzählten Geschehens hat, es könnte auch einen Chefkoch treffen oder einen Sportfunktionär, doch weil das Buch in Frankfurt zur Buchmessenzeit spielt, lag die Wahl "der einzigen und einsamen Symbolfigur des Betriebs" (Kirchhoff) nahe - in eine Diskussion geraten wäre, die dem Text größere Aufmerksamkeit angedeihen läßt, als dessen Autor sich wohl jemals hätte träumen lassen.

Dieses Buch, das merkt man jeder Zeile an, hat Kirchhoff wenig Mühe gekostet, aber viel Spaß gemacht. Es ist eine Hommage an die Pulp-Literatur der dreißiger und vierziger Jahre, und einem ihrer Größten, dem Amerikaner Charles Willeford, verdankt Kirchhoff die Idee, einen Mord geschehen zu lassen, der Resultat eines im Grunde harmlosen Ablenkungsmanövers ist. Als Willem Hold, der gescheiterte Juwelierssohn, auf dem Frankfurter Flughafen die Verfolger einer jungen Dame abschütteln will, versetzt er einem wildfremden Herrn einen derben Ellbogenstoß ins Gesicht, um Verwirrung zu stiften. Der Herr stirbt daran, und da es sich um den berühmten Louis Freytag handelt, schlägt sein Tod hohe Wellen.

Kirchhoff hat sich in seinem "Spiegel"-Aufsatz, mit dem er seinen Stoff schon vor der Publikation von "Schundroman" erläutern zu müssen glaubte, zu der Behauptung verstiegen, beim Schreiben des Buches sei ihm die Situation Reich-Ranickis im Warschauer Ghetto erst verständlich geworden: "Wie es ist, das Gewicht der eigenen Worte fürchten zu müssen." Dieser Vergleich zwischen Opfern der Nazis und solchen der Kritik ist geschmacklos, das Buch aber ist es nicht. Denn Kirchhoff hat darin seine Worte leicht gewählt, aber nicht leichtfertig. Bei ihm gibt es keine antisemitischen Klischees, nicht einmal das Spiel mit Andeutungen, weil in "Schundroman" die Funktion des Ermordeten im Vordergrund steht, nicht dessen Persönlichkeit. So gelingt ihm, woran Walser (auch) scheitert: eine Farce.

Und mehr: Denn auch das Spiel mit den Klischees der Pulp-Literatur gelingt. Da sind der abgehalfterte Detektiv und die Femme fatale, die tausend Unwahrscheinlichkeiten eines Geschehens, das immer wieder die sechs Hauptpersonen aufeinandertreffen läßt, da gibt es Sex und Crime, bisweilen gar große Gefühle und von Kapitel zu Kapitel atemlos wechselnde Erzählstränge. Sogar das Titelbild ist nach einer Vorlage des amerikanischen "True Crime Magazine" von 1949 gestaltet worden. Der Ladenpreis ist aufgedruckt, als könnte man diesen Band nur am Kiosk zwischen den Groschenheftchen finden. Nicht allein der Autor, auch die Buchgestalter haben Spaß mit diesem Titel gehabt. Ihr Signal ist eindeutig: bloß nicht ernst nehmen.

Aber wie es sich für einen versierten Autor wie Kirchhoff gehört, steckt dann doch viel mehr im "Schundroman", als unsere Pulp-Weisheit sich träumen läßt. Gut somit, daß das Buch ins Gerede gekommen ist, daß es nun genauer gelesen wird. Denn die Handlung etwa nimmt einzelne Motive aus dem besten Werk auf, das Kirchhoff geschrieben hat: aus "Manila", dem Drehbuch zu Romuald Karmakars gleichnamigem Film. In "Schundroman" wird so das Schicksal eines Mannes zu Ende erzählt, der im Film von Manfred Zapatka meisterhaft gespielt worden war: jenes Mannes, der aus Neugier einer Hinrichtung in Saudi-Arabien beiwohnte. Eine "Liebesgeschichte" erzähle sein Buch, sagt Kirchhoff. Ja: die Liebe des Autors zu seinen Figuren.

Diese Liebe erhebt das Buch über die selbstformulierte Abwertung als Schundroman. Noch aus den genretypischen Elementen gewinnt es eine Vielschichtigkeit, die nicht alltäglich ist in der deutschen Literatur. Hold, dessen Name - wie so viele Benennungen der Figuren des Buches - sprechend gewählt ist, tritt auf als sexuell gestörter Mann, dessen Tarnname "Pallas" bereits darauf verweist, was ihn seine Geliebte später im Bett fragen wird: "He, wo hast du das gelernt, Mann, du machst es wie eine Frau." Hold ist als Jugendlicher mißhandelt worden, und für diese Tat bedient sich Kirchhoff eines populären Vorbilds der siebziger Jahre, der Internatserzählungen von Oliver Hassencamp um die Jungen von Burg Schreckenstein. Darin wurde einem Schüler das Hinterteil mit Spannlack eingepinselt, und Gleiches widerfuhr dem jungen Hold, nur daß dessen teuflischer Mitschüler Cornelius Zidona den Spannlack aufs Gemächt des Opfers tropfen ließ. Seitdem ist für Hold jede sexuelle Erregung mit großen Schmerzen verbunden, und wen wundert es da, daß er Zidona als Nemesis empfindet, die denn auch folgerichtig den großen Gegenspieler im Roman abgibt. Zumal dieser perfide Schurke auch noch unter Pseudonym als Skandalautor Ollenbeck reüssiert - und wem fiele dazu nicht dank der Assonanz sofort das Vorbild ein? -, Holds Geliebte grausam meuchelt und einen Picasso unterschlägt. Das Böse ist immer und überall.

Da sind wir wieder tief in der Kolportage. "Schundroman" aber kann man auch ganz anders lesen: als Liebeserklärung an Kirchhoffs Heimatstadt Frankfurt, als bewußt schäbigen Gegenentwurf zu Martin Mosebachs "Westend"-Roman. Das heruntergekommene Ostend als Szenerie großer Teile der Erzählung bringt eine proletarische Note in die Handlung, die nicht nur die Erfordernisse des Genres perfekt bedient, sondern auch einen Stadtteil realistisch abbildet, ohne ihn zu denunzieren. Hier kennt sich Kirchhoff aus, er kann das Brüllen beschreiben, das man in der Zobelstraße nahe beim Zoo zu hören bekommt, man riecht fast dessen Gegenwart beim Lesen, so wie es derzeit an den heißen Tagen in der Zobelstraße unvermeidlich ist. Hold stammt von hier, hier beging er das Verbrechen, das ihn außer Landes trieb, als er einen ausländischen Juwelier, Konkurrent seines Vaters, erschoß. Das ist das Urverbrechen dieses Buchs, nicht der Kritikermord, und in jener Tat steckt so viel mehr: Sozialneid, Existenzangst, Enttäuschung, Kurzschlußreaktion und natürlich die Liebe - die zu den teuren Uhren.

Bodo Kirchhoff: "Schundroman". Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2002. 316 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.07.2002

Wenn es zu groß wird, tut es weh
Unmöglich zärtlich, erfreulich grell: Bodo Kirchhoffs herrlicher „Schundroman”
Kitsch ist eine der interessanteren literaturkritischen Kategorien, weil er nämlich besser als sein Ruf ist und eine echte Frage der Form aufwirft. Er rechnet mit unseren niedrigen Instinkten, aber manchmal tut er dies auf überaus sublime Art. Ihm wird gerne Verlogenheit nachgesagt, aber in vielen Fällen hat er die Wahrheit nur zu grell ausgeleuchtet und den Schlagschatten kassiert. Manchmal zeigt er sich in unerträglicher Süße, dann wieder trifft er genau das richtige Aroma. Die große Liebe kann Kitsch sein, das Happy End wird dazugezählt, ebenso alle Phänomene der Erwartbarkeit, des falschen Tons und der intellektuellen Dünnbrettbohrerei.
Manchmal ist Kitsch nur ein ästhetisches Phänomen, viel öfter – aber seltener inkriminiert – ein moralisches. ,Bigger than life‘ ist der Kitsch, aber eine Literatur, die immerzu kleiner als das Leben ist oder sich gerade noch so in Augenhöhe mit ihm hält, wäre auf Dauer auch nur Schonkost. Wir Leser wollen, dass man unserem Affen Zucker gibt, aber der Süßstoff soll gleichwohl nicht zwischen den Zähnen knirschen. Wie Champagner, der leicht die Kehle runterläuft, uns euphorisiert und – nach einem Bismarckwort – auf unsere natürliche Höhe bringt, und von dem uns am nächsten Morgen die Birne doch nicht dröhnt – so sollte guter Kitsch sein. Es gibt guten Kitsch – das ist die interessantere Behauptung als das Argument, dann sei es eben schon kein Kitsch mehr.
Den Kitsch, den wir schon immer erträumten, aber nie danach zu verlangen wagten, hat jetzt Bodo Kirchhoff geliefert. Und er zeigt, dass das nur gut geht, wenn es ein Meister der Form in Angriff nimmt. Dann allerdings ist es zum Niederknien: Komisch und sentimental zugleich, aber nicht einfach ironisch irgendwie dazwischen. Wenn Kirchhoff den Gattungsbegriff „Schundroman” zum Titel seines Werks macht, scheint sich der Leser auf ein postmodernes Augenzwinkern mit dem Autor zu verständigen. Und tatsächlich kommen seine grell kostümierten Figuren aus der Requisite der Groschenromane: Der abgehalfterte Bulle, der sich als Privatdetektiv durchschlägt; der lonely Guy, der die Verderbtheit der Welt kennt und sich durch einen Panzer aus Brutalität und Abgeklärtheit gegen sie schützt, aber dann doch der Liebe verfällt; die schöne Blonde, die als Edelnutte dem Jet Set frönt, aber eine Tiefe kennt, die sie verdrängen muss, weil ihre Kunden dafür nicht zahlen; der mächtige Strippenzieher, reich, finster und zynisch, der gleichwohl von einer ganz anderen Existenz träumt. Aber wie Kirchhoff den ganzen Schmutz und Glanz dieser Seelen mit Leben erfüllt, ist so berückend, dass es mit Augenzwinkern nicht mehr getan ist. Kirchhoffs Figuren verraten ihre Herkunft aus dem Genre nicht, aber es geschieht ihnen Gerechtigkeit, indem sie sich als vollständige Charaktere entfalten dürfen. Sie sind bigger than life, aber gerade darin wahrhaftig. Vielleicht muss man Schundromane schreiben, um dem Pathos wieder zu seinem Recht zu verhelfen.
Anmache in der First Class
Die Story: Willem Hold, vor zehn Jahren aus Frankfurt nach Manila geflohen, erhält von einem einarmigen Exmajor einen Killerauftrag in seiner Heimatstadt. In der First Class des Fliegers nach Frankfurt hat er die schöne Lou zur Sitznachbarin, eine Edelnutte, die an einen echten Picasso kam, als ihr einer ihrer Kunden im Bett wegstarb. War es ein Liebestod (Herzinfarkt durch Orgasmus) oder doch schmählicher Mord? Jedenfalls wird Lou von den Häschern, die die erbosten Erben des liebestollen Picasso-Besitzers ihr auf die Fersen gesetzt haben, in Frankfurt erwartet. Sie ahnt das, aber um ihren Verfolgern zu entkommen, braucht sie Hilfe. Also lässt sie ihre Reize spielen („Männer auf Nachtflügen anzumachen, war ja ein Kinderspiel”), und Willem Hold beißt auch gleich an.Kaum durch den Zoll, entdeckt Hold das private Eye. Jetzt gilt es für Chaos zu sorgen, damit Lou entkommen kann. In einem Zeitschriftenladen bewegt sich ein älterer Herr auf eine Stellwand zu, schlägt eine Zeitung auf. Hold nähert sich seinem zufälligen Opfer, und als er feststellt, dass das Foto auf der aufgeschlagenen Zeitungsseite dem Gesicht dessen gleicht, der es studiert, hat er ihm auch schon mit dem Ellenbogen einen kräftigen Schlag gegen das Nasenbein gegeben. Der da zusammen sinkt, ist der berühmte Literaturkritiker Louis Freytag.
Zwei Kritikermorde in einer Buchsaison, das ist viel. Bodo Kirchhoffs „Schundroman” hat, was den Verkauf betrifft, von Martin Walsers „Tod eines Kritikers” profitiert. Doch der Anschlag auf Louis Freytag – eine tendenziell eher nachsichtig-beiläufige Karikatur Marcel Reich-Ranickis – spielt für den weiteren Plot von Kirchhoffs Roman nur eine untergeordnete Rolle, er ist ein dekorativ-arabeskenhaftes Nebenmotiv. Diese Gangstergeschichte landet zwar immer wieder einmal im Herzen des Literaturbetriebs, nämlich auf der Frankfurter Buchmesse, ansonsten aber ist es eben eine Gangstergeschichte und nur en passant eine Literaturbetriebsparodie.
Der Plot ist absolut konstruiert, von atemberaubendem Tempo, mit den grellsten Effekten und den schrillsten Gags, hängt an keiner Stelle durch und löst sich am Ende perfekt auf in einem schwelgerischen Showdown auf dem Gardasee – ganz wie es sich geziemt. Aber seine berückendsten und pathetischsten Momente hat er doch, wo er von der Liebe spricht. Und das tut er oft.
Willem Hold nämlich wurde in seiner Jugend von seinem ewigen Gegenspieler Zidone einer Spannlackkur an seiner Männlichkeit unterzogen. Wann immer er jetzt Gefühle kriegt, geht es nicht ohne Schmerzen: „Denn seitdem tat es weh, wenn die Sache zu groß wurde, verdammt weh, und er war auf diese unmögliche Menge an Zärtlichkeit angewiesen, damit der Schmerz am Ende übertroffen wurde, eine Menge, die nicht zu bezahlen war, für die man mehr aufbieten musste als Geld: eine Unmenge verdammter Liebe, wenn er es richtig sah.” Solche Sätze kann man nur in einem Schundroman schreiben, und deshalb ist es gut, dass der „Schundroman” einer ist.
Die für diese „unmögliche Menge an Zärtlichkeit” sorgt, ist Lou. Lou und Willem – eine große Liebe. In der Mitte des Romans wird Lou auf erbärmliche Weise hingerichtet, und nun geschieht etwas auch lese- psychologisch Bemerkenswertes: Weil dieser Schundroman vor nichts zurückschreckt, lässt er sich auch nicht sein happy End ausreden. Und obwohl Willems große Liebe – an die wir Leser genauso wie Willem selbst geglaubt haben – durch den Tod verklärt wurde, gelingt es Kirchhoff, für das happy End eine zweite Liebe in Anschlag zu bringen: Am Ende sind Willem und eine schrille Bestseller-Autorin ein glückliches Paar. Nun, es ist nicht die gleiche ätherische Liebe wie zu Lou, aber der Erektionsschmerz dürfte gleichwohl als überwunden gelten. Der Leser atmet auf, ohne ein schales Gefühl und ohne die große Liebe zu Lou damit zu verraten. Das ist sehr fein.
Vergeltungsschlag
Die Produktivität des Ressentiments ist auch im „Schundroman” am Werk. Denn er ist ein Vergeltungsschlag: am Literaturbetrieb, aber auch am Lesepublikum. Denn zweierlei Kränkung galt es zu rächen: Die durch das herabsetzende Urteil Reich-Ranickis über Kirchhoffs vorletzten Roman „Parlando” („ein fabelhafter Erzähler, ein missratener Roman”) und die durch die Leser, die „Parlando” nicht zum Bestseller machten. Die Rache für diese zweite Kränkung ist nun so außerordentlich hübsch, weil sie gelingt, indem sie scheitert: Ihr wollt, sagt der gekränkte Autor, nur Schund, anderes lest ihr ja nicht, also geb ich Euch Schund – und jedes Exemplar, das ihr nun gierig kaufen werdet, ist eine schallende Ohrfeige ins Gesicht eurer mangelnden Urteilskraft. Und tatsächlich: Plötzlich kaufen die Leser Kirchhoff (mit Walsers Unterstützung), 30000 Exemplare sind bereits verkauft. Die Rache scheitert aber in ihrer letzten Konsequenz, ist doch dieses Buch zwar ein Schundroman, aber auch ein hervorragendes Buch, das wir zu den erfreulichsten Neuerscheinungen des Herbstprogramms zählen wollen.
IJOMA MANGOLD
BODO KIRCHHOFF: Schundroman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2002. 315 Seiten, 19,80 Euro.
Frankfurter Buchmesse: Zwar giert der Literaturbetrieb nach einem Schundroman, er wird aber doch nur nebenbei zu dessen Schauplatz Foto: Regina Schmeken
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