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Ford gelingt eine meisterha nüchterne Schilderung der amerikanischen Gesellscha und eine brillante Analyse letzter Augenblicke von Unschuld.
»Meine Eltern waren die unwahrscheinlichsten Bankräuber der Welt.«
Great Falls, 1960. Dell und Berner Parson sind Zwillinge und fünfzehn Jahre alt, als ihre Eltern eine Bank überfallen. Mit dilettantischem Enthusiasmus der stets gut gelaunte Vater, widerstrebend die Mutter, eine Lehrerin mit künstlerischen Ambitionen und dem Traum von einem anderen, besseren Leben. Am Tag danach packt sie die Koffer, um zusammen mit ihren Kindern den Mann zu…mehr

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Produktbeschreibung
Ford gelingt eine meisterha nüchterne Schilderung der amerikanischen Gesellscha und eine brillante Analyse letzter Augenblicke von Unschuld.
»Meine Eltern waren die unwahrscheinlichsten Bankräuber der Welt.«

Great Falls, 1960. Dell und Berner Parson sind Zwillinge und fünfzehn Jahre alt, als ihre Eltern eine Bank überfallen. Mit dilettantischem Enthusiasmus der stets gut gelaunte Vater, widerstrebend die Mutter, eine Lehrerin mit künstlerischen Ambitionen und dem Traum von einem anderen, besseren Leben. Am Tag danach packt sie die Koffer, um zusammen mit ihren Kindern den Mann zu verlassen. Doch die Polizei kommt ihr zuvor. Für Dell, der sich bislang für die Schule, Bienenzucht und Schach begeistert hat, beginnt weit weg von den Eltern ein neuer Alltag in Kanada. Er lernt, dass nur der Zufall ein Leben retten kann, das aus der Bahn geraten ist ... und Gnade.
Autorenporträt
Richard Ford wurde 1944 in Jackson, Mississippi, geboren und lebt heute in Maine. Er studierte zunächst Hotelmanagement, dann Englische Literatur und schließlich Creative Writing bei E.L Doctorow. Er hat sechs Romane sowie Novellen, Kurzgeschichten und Essays veröffentlicht. 1996 erhielt er für ¿Unabhängigkeitstag¿ den Pulitzer Prize und den Pen/Faulkner Award. Er zählt mit Raymond Carver und Tobias Wolf zu den Begründern des Dirty Realism.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die unguten Vorzeichen häufen sich gewaltig in diesem Roman von Richard Ford. Wolfgang Schneider liest dennoch weiter und taucht tief ein in die rückblickend erzählte Geschichte einer verkorksten Kindheit und Jugend. Dabei fällt ihm auf, wie wuchtig der Autor in die Tasten haut, fast wie bei einem gewöhnlichen Krimi. Doch Ford wäre nicht Ford, meint Schneider, wenn die Geschichte nicht ein wenig anders daherkäme, als man es erwartet. Hier ist es etwa die Frage nach der Schuld der Eltern, die einen Banküberfall begehen und damit die Familie und die Zukunft ihres Kindes zerstören. Stilistisch überzeugt der Text den Rezensenten nicht immer, dafür entschädigen ihn Fords plastische Figurenbeschreibungen, für Schneider ein echtes Lesevergnügen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.10.2012

Als meine Eltern einen Raubüberfall begangen haben

Er ist und bleibt ein Meister der überpräzisen Menschendarstellung: Der neue Roman "Kanada" von Richard Ford ist auch ein halber Krimi.

Der erste Satz von "Kanada" gehört bereits zu den berühmten Romananfängen: "Zuerst will ich von dem Raubüberfall erzählen, den meine Eltern begangen haben. Dann von den Morden, die sich später ereigneten." Eine wuchtig-lakonische Verheißung. Hier wird nicht mit der erzählerischen Energiesparlampe vorausgeleuchtet.

Man kann aber auch einen leichten Schreck bekommen. Hat sich jetzt etwa auch Richard Ford nach seiner großen Frank-Bascombe-Trilogie auf Krimi und Mord verlegt wie alle Welt? Bitte nicht! Und klingt dieses "zuerst" und "dann" nicht ein wenig ungeschickt? Tatsächlich zerfällt der Roman in das Nacheinander zweier Kriminalgeschichten von je etwa zweihundert Seiten, die - zumindest auf den ersten Blick - wenig mehr gemeinsam haben als eine fünfzehnjährige Randfigur namens Dell Parsons. Dieser Dell ist allerdings zugleich die Hauptfigur, nicht, was das Geschehen betrifft, das er nur beobachtet und erleidet, sondern erzähltechnisch: als Berichterstatter nach vielen Jahren. Als Mensch, dem die Jugend zerstört wurde, ohne dass es jemand darauf abgesehen hätte, ihm zu schaden.

Natürlich schreibt Ford keinen gewöhnlichen Krimi. Nicht nur, weil immer schon vorher verraten wird, was passiert. Sondern auch, weil sich Krimis in der Regel nicht die Frage stellen, ob Verbrecher Kinder haben - und was die Taten der Eltern bei ihnen anrichten. Der erste Teil des Romans spielt in Great Falls, Montana, um das Jahr 1960. Eine ganz normale disharmonische Familie: Mutter Neeva ist jüdischer Abstammung und arbeitet als Lehrerin; Vater Bev Parsons hat im Weltkrieg Bomben auf Japan hageln lassen, später ist er mit der Army viel umgezogen, so dass die Kinder, Dell hat eine Zwillingsschwester, nirgends Wurzeln schlagen konnten. Er versucht sich glücklos als Autohändler und hilft der Familie mit illegalem Fleischhandel auf. Die Indianer, mit denen er sich einlässt, bedrohen ihn, als für eine Ladung Gammelfleisch das Geld ausbleibt. So entsteht der Plan eines rettenden Banküberfalls, die Beute ist gering, die Konsequenz riesig: Die Eltern müssen ins Gefängnis, die Familie ist zerschlagen.

Vermittelt über eine Freundin der Mutter, findet Dell Zuflucht in der kanadischen Prärie, bei Arthur Remlinger, dem Besitzer eines Jagdhotels. Er bekommt es mit rauhen Kerlen zu tun, mit Jägern und Fallenstellern, nicht gerade pädagogisch wertvoller Elternersatz. Und wer über die Grenze geht, trifft auf andere, die über die Grenze gegangen sind. Remlinger hatte gute Gründe, sich in Saskatchewan zu verstecken: Als junger Mann war der Anarchist und Gewerkschaftsfeind beteiligt an einem Bombenanschlag, der einen Funktionär zerfetzte. Noch immer wird der Täter gesucht. Remlingers Leben ist ein Versteckspiel. Die dunkle Vergangenheit holt ihn ein, und für Dell wird Kanada zum menschlichen Albtraum.

Ford lässt Dell als Mittsechziger im fernen Rückblick berichten. Die distanzierte Erzählperspektive schafft ein Dilemma. Sie ist einerseits notwendig, weil der fünfzehnjährige Junge von den Dingen, die um ihn geschehen, allenfalls eine Ahnung hat - er registriert viele bedrohliche Zeichen, und eine Atmosphäre der Angst durchzieht seine Geschichte. Selten gab es in einem Roman mehr bedrohliche Vorzeichen. Für einen präzisen Realismus à la Ford muss allerdings ein Erzähler her, der nicht nur die Schrecken seiner Jugend erinnert, sondern inzwischen auch die zahlreichen Informationslücken (etwa über den genauen Ablauf des Bankraubs) glaubhaft gefüllt hat. Wie aber lebt ein Mensch weiter, nachdem die Fundamente seiner Existenz zerstört wurden, wie bewältigt er traumatische Ereignisse bis hin zu Morden, die er aus nächster Nähe beobachten musste? Diese Frage wird durch die Erzählkonstruktion unvermeidlich in den Raum gestellt. Es bleibt aber eine Leerstelle, denn die fünfzig Jahre zwischen dem jugendlichen Chaos und Dells ordnungsgemäßer Pensionierung als Englischlehrer spart der Roman aus. Das hat zur Folge, dass sich Fords Erzähler ersatzweise oft in klischeehaften Schicksalsbeschwörungen ergeht, von alles verändernden "Weichenstellungen" raunt und die nachhaltigen Wirkungen der elterlichen Verbrechensidiotie floskelhaft-ungelenk dahin behauptet, obwohl sie doch kein Leser in Zweifel ziehen würde: "Mit anderen Worten: meine Kindheit war unter der Wucht ihres furchtbaren Absturzes praktisch begraben." Großer Stil ist das nicht.

Eine Qualität des Romans ist dagegen Fords geradezu überpräzise Menschendarstellung - ob Dells Eltern, ob Arthur Remlinger und der Indianer Charlie Quarters, diese beiden unheimlichen Portalsfiguren in ein beschädigtes Leben, ob die beiden Polizisten, die den Eltern nach einem langen, unguten "Gespräch" schließlich Handschellen anlegen, oder die beiden Ermittler, die von Detroit dreitausend Kilometer nach Kanada hinauffahren, bloß um von Remlinger erschossen zu werden, vorher aber noch eine beklemmende Gesprächsszene mit ihrem Mörder absolvieren, in der die ganze nackenschwitzende Unbehaglichkeit der Detektivarbeit deutlich wird -, all diese Figuren stellt Ford so plastisch auf die Erzählbühne, dass es ein Lesevergnügen ist. Die treffende Beschreibung ist seine Stärke, Formulierungen, die Details an einem Menschen, einem Tier, einer Landschaft, einem Zimmer, einem Ding lupenscharf fixieren, und sei es nur ein angebranntes Steak, "hart wie eine Schindel".

Schon in früheren Werken war Ford ein Meister darin, die Erwachsenenwelt aus der Perspektive Jugendlicher zu schildern, wie einen nahen, zugleich aber sehr fremden Kontinent, wo sich jederzeit - und in aller Beiläufigkeit - Entsetzliches ereignen kann. Bedrohlich wirkt die männliche Kumpanei der Gänsejäger; ein reales Schreckgespenst ist die grimmige Nonne, die Dell unversehens beschimpft und aus der Schule vertreibt. Er sehnt sich ja in Kanada nach einem normalen Leben mit Schulbesuch und gesunden Hobbys wie Schach und Bienenzucht, und als er einmal auf eigene Faust mit dem Fahrrad dreißig Kilometer zu einem abgelegenen Landschulheim fährt, um sich dort vielleicht anzumelden, ist das ausgerechnet ein christliches Internat für "gefallene Mädchen", regiert von der fuchtelnden Nonne. Am einprägsamsten aber ist jene Szene, in der Dell mit Remlinger im Auto unterwegs ist. Plötzlich sind Fasane vor ihnen auf der Straße. Remlinger fährt ungerührt in vollem Tempo über die Vögel hinweg, sie klatschen gegen die Windschutzscheibe oder werden zu explodierenden Federhaufen. Das ist ebenso anschaulich wie symbolisch. Und verheißt, wieder einmal, nichts Gutes.

WOLFGANG SCHNEIDER

Richard Ford: "Kanada".

Roman.

Aus dem Englischen von Frank Heibert. Hanser Berlin, Berlin 2012. 464 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.08.2012

Im Bannkreis des Unheils
Von Rot nach Dunkelrot: Richard Ford erzählt in seinem neuen Roman „Kanada“
in erhabener Monochromie vom kleinen und großen Grenzverkehr zwischen Gut und Böse
VON GUSTAV SEIBT
Mitten durch Richard Fords Roman „Kanada“ verläuft eine Grenze, die ihn in zwei Hälften zerteilt wie eines der großflächigen Farbgemälde von Mark Rothko. Die zwei Hälften bezeichnen, da es sich um Literatur handelt, nicht nur eine räumliche Ordnung – hier Vereinigte Staaten, da Kanada –, sondern auch ein Vorher und Nachher und eine Sinnopposition, die man behelfsweise mit Ordnung und Unordnung im Leben des Helden beschreiben könnte, oder auch – Amerika ist ein religiöser Kontinent – mit der Abfolge: vor dem Sündenfall und nach ihm, also mit Schuld und Unschuld.
  Aber schon bald erweist sich, dass die amerikanisch-kanadische Grenze, um die herum sich die Handlung entwickelt, zwar einen existenziellen Einschnitt symbolisiert, aber keinen grundsätzlichen Gegensatz zweier Welten. Fords Roman bleibt klassisch-modern wie ein Rothko-Bild, dessen Farben oft aus demselben Teil des Spektrums stammen, meist zweimal Rot.
  Die Geschichte spielt im Hochsommer und Herbst 1960, wir hören von Sputnik und dem Wahlkampf Kennedy-Nixon. Ihr Held und Ich-Erzähler, der Junge Dell Parsons, ist fünfzehn; er und seine Zwillingsschwester Berner kamen 1945 zur Welt, als ihre Eltern, ein Luftwaffenoffizier und eine Lehrerin, sich verliebten und überstürzt heirateten. Dell und Berner sind also Kinder des Friedens, nach einem Krieg, in dem ihr Vater Bomben auf Japan geworfen hatte; ihre Mutter stammt aus einer jüdischen Familie, die schon vor langer Zeit nach Amerika auswanderte. Wir sind mitten im 20. Jahrhundert. Erzählt wird im Jahre 2010, wie man schon recht früh erfährt, von einem gnädigen Ende aus, und zwar von Dell, der Highschool-Lehrer für Literatur geworden ist.
  Nach diesem gnädigen Ende sieht es nun fast die gesamte Strecke des Buches nicht aus. Über ihm liegt vielmehr die Last eines schier unentrinnbaren Unheils, des Unglücks, das aus dem Verbrechen kommt. Nun ist es trivial, dass jedes Verbrechen auch ein Unglück ist, nämlich für die Opfer, und meist auch für die Täter. Schuld zerstört das Leben der Beteiligten. Aber das ist nicht Fords Thema. Sein so geometrisch konstruiertes Buch handelt vom Unglück der Unordnung allgemein, dem Unheil, das für die nicht beteiligten Nächsten entsteht, die weder Täter noch Opfer sind, sondern nur in den Bannkreis des Verbrechens geraten. Dell und Berner nämlich, die fünfzehnjährigen Zwillinge, sind Kinder von Bankräubern.
  Dieses Verbrechen hat Ford mit großer Geschicklichkeit absichtsvoll denkbar unspektakulär angelegt (Herumfuchteln mit der Pistole in einer provinziellen Filiale an der kanadischen Grenze, kleine Beute, rasche Überführung der Schuldigen). Seine Kunst besteht darin, dieses nach jedem Krimi-Maßstab läppische und unspannende Vergehen als Katastrophe für die Kinder zu exponieren, die dabei mit einem Schlag Eltern, Familie, Lebenspläne, alle Sicherheiten verlieren.
  Wenn es ein Kriterium bedeutender Literatur ist, dass sich ihr Wesentliches nicht durch Nacherzählung vermitteln lässt, dann ist „Kanada“ ein überragender Roman. Die Streckung der Zeit in den wenigen Tagen, in denen das Unglück sich aufbaut, die Selbstzerstörung des Elternpaares, das aus Leichtsinn und Verdruss agiert und nur minimale kriminelle Energie entwickelt, der daraus folgende Zusammenbruch kindlichen Weltvertrauens, das hat bei Ford etwas so Herzeinschnürendes, dass man schon in der Mitte des Buches denkt: Roman, bitte hör auf! Und natürlich gerade deshalb nicht loskommt.
  Die Eltern sind im Gefängnis, das Mädchen läuft weg, der Junge Dell wird von einer befreundeten Frau über die Grenze nach Kanada verbracht, ins Prärieland Saskatchewan, denn Dell soll nicht ins Waisenhaus unter staatliche Pflege. Dort im beeindruckenden Niemandsland einer Weite aus Kornfeldern, Vogelzügen, Wind, Sonne und später Schnee darf er in einem Jagdhotel arbeiten, arm, aber gerettet. Doch es ist nur der Übertritt von Schuld zu noch tieferer Schuld.
  Der arme Junge nämlich gerät in den Bannkreis des Hotelbesitzers, der ein dandyhafter Satan ist und, wie sich herausstellt, selbst ein Verbrechen begangen hat (auch nur etwas fast Beiläufiges, einen Totschlag durch eine Bombe, die niemanden treffen, sondern nur etwas Protestkrach erzeugen sollte) und deshalb ebenfalls aus den USA über die Grenze nach Kanada geflohen ist – von Rot nach Dunkelrot. Dieser Arthur Remlinger, so viel darf man verraten, vertritt im Grundriss des Romans die schreckliche Möglichkeit, die für Dell nun auch nahe liegt: aus dem Paria-Raum des Verbrechens nicht mehr hinauszufinden, in der Ordnung des Unheils zu verbleiben, noch tiefer zu sinken.
  Dell, der schuldlose Sohn schuldiger Eltern, muss sich von seinem neuen Mentor als Zeuge in kaltblütige Morde verwickeln lassen. Auch sie zerdehnt Ford unter Vermeidung aller Suspense-Effekte in die erzählerische Zeitlupe der Grässlichkeit. Die Flucht von den Vereinigten Staaten über die so symbolische – daher kaum bewachte – Grenze nach Kanada führt noch tiefer in den Abgrund. An diesem Punkt steht das Buch zwar schon auf der vierhundertsten Seite, ist aber in seiner erzählten Zeit nur um wenige Wochen vorangerückt.
  Dells Rettung ist Gnade. Er hat ein gutes Gemüt – jeder Leser wird dieses Kind in sein Herz schließen. Die Darstellung seiner ursprünglichen Reinheit ist vielleicht sogar die größte Kunstleistung des Romans, weil hier die Kitschgefahr so nahe liegt. Darüber hinaus hat Dell aber Glück, denn ausgerechnet die dubioseste Gestalt des Romans, ein kanadischer Mestize von beeindruckender Unappetitlichkeit, warnt ihn gerade noch rechtzeitig vor dem dämonischen Satan, an den er geraten ist. Die Rettung Dells, an der auch die Freundin des mörderischen Remlinger, eine Malerin, beteiligt ist, trägt allegorische Züge, wie sie in einem europäischen Erzählwerk heute unvorstellbar wären. In Amerika geht das noch, auch weil Ford in dem kanadischen Teil mit Unmengen naturalistischer Stimmungsdetails aufwartet. Hier gibt es sogar einige Längen, aber gerade hier bewundert man auch die überragende Leistung des Übersetzers Frank Heibert besonders.
  Richard Ford ist ein bedachter, liebevoller, perfektionistischer Erzähler. Seine wenigen Figuren – gesehen alle von dem Ich-Erzähler Dell – zeichnet er mit wundervoller Verschiedenheit. Seine Stärke ist der langsame Aufbau von Situationen, die quälerische Zerdehnung des Schrecklichen, das er braucht, um die frohe Botschaft des Buches erscheinen zu lassen: Wunderbarerweise hat der Junge Dell sein Leben dann doch nicht vergeigt. Selbst ein etwas mechanischer erzähltechnischer Trick gelingt ihm: Weil Dell beim Banküberfall seiner Eltern nicht dabei sein kann, braucht Ford eine „Chronik“ von dessen Mutter, die diese vor ihrem Selbstmord im Gefängnis verfasst hat. Diese Chronik aber wird zum Auslöser der erzählenden Erinnerung überhaupt, die den Roman gebiert.
  Und so trägt ihn der untergründige Strom der verzweifelten Liebe zu den verlorenen, schuldig gewordenen Eltern.Deren versautes Leben, das auch das Leben ihrer Tochter – Berner sehen wir am Ende als von Alkohol, Krankheit und Medikamenten zerstörtes Wrack – versaut hat und beinahe das ihres Sohnes versaut hätte, war nur ein Hüpfer über eine Grenze. Sie trennt bei Ford uramerikanisch-schlicht Gut und Böse; das Böse ist das Naheliegende, Wahrscheinliche, das Gute ist das Unwahrscheinliche. Und kurioserweise liegen Gut und Böse, also starkes Unheil und schwache Gnade, dann doch auf beiden Seiten der Grenze, die das Buch durchschneidet. Dieser religiöse Erzähler arbeitet in erhabener Monochromie.
Dieses geometrisch
konstruierte Buch handelt
vom Unglück der Unordnung
Schon in der Mitte des
herzeinschnürenden Buches
denkt man: Roman, bitte hör auf!
Wenn es ein Kriterium bedeutender Literatur ist, dass sich ihr Wesentliches nicht durch Nacherzählung vermitteln lässt, dann ist sein neues Buch „Kanada“ ein überragender Roman: Der amerikanische Schriftsteller Richard Ford (siehe auch SZ am Wochenende) vor seinem Haus in Maine.
FOTO: THE NEW YORK TIMES/REDUX/LAIF
  
      
  
    
Richard Ford: Kanada.
Roman. Aus dem Englischen von Frank Heibert.
Hanser Berlin Verlag, München 2012. 464 Seiten, 24,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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"Nach seinem letzten großen Roman wollte Richard Ford eigentlich nur noch kleine Bücher schreiben. ,Kanada' ist in jeder Hinsicht etwas anderes geworden: mehr als vierhundert Seiten dick, brillant komponiert, mit einem riesigen Thema: wie man mit Verlusten lebt. Es geht also um Amerika." Verena Lueken, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.07.12

"Richard Ford erzählt in seinem neuen Roman ,Kanada' in erhabener Monochromie vom kleinen und großen Grenzverkehr zwischen Gut und Böse." Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung, 25.08.12

"Vierzig Jahre lang hat Richard Ford von den Brüchen im amerikanischen Zusammenleben erzählt und wie die Menschen damit hadern. Jetzt, mit 68, hat er ein Buch über Demut geschrieben und über das Einverständnis mit dem Schicksal." Philipp Oehmke, Der Spiegel, 27.08.12

"Sein bisher bestes Buch." Wolfgang Herles, ZDF das blaue Sofa, 14.09.12

"Er ist und bleibt ein Meister der überpräzisen Menschendarstellung: Der neue Roman ,Kanada' vonRichard Ford ist auch ein halber Krimi." Wolfgang Schneider, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.10.12