Franziska zu Reventlows Schlüsselroman über die Schwabinger Szene - eine der Keimzellen der deutschen Avantgarden - ist alles, was gute Literatur sein kann: kurz, komisch, ein Dokument, ein Versuch das Leben - und was für eines hatte diese Frau geführt - durch Sprache irgendwie in den Griff zu bekommen. Reventlow beschreibt naiv-ironisch die Kleinkriege und Capricen der Münchener Bohemiens, Dandys, Spätaufsteher, Spinner, Esoteriker und sonstiger verschrobener und doch wunderbarer Gestalten, die München vor dem großen Zusammenbruch zu einem Zentrum der deutschen Kultur gemacht haben.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.07.2008Wahnmochings Anziehungskraft
Franziska Gräfin zu Reventlow: „Herrn Dames Aufzeichnungen”
Sonderlinge, Kunstbesessene, Möchtegern-Philosophen, Geheimnistuer und ein über allem schwebender Meister – sie alle machen das aus, was Franziska zu Reventlow in ihrem locker gefügten, lakonischen Schlüsselbuch „Herrn Dames Aufzeichnungen”, 1913 erschienen, als Wahnmoching bezeichnete, jenes Münchner Künstlerviertel Schwabing, das um die Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert zum Eldorado für Dichter, Maler und Lebenskünstler sonder Zahl wurde.
Die in Husum 1871 geborene Franziska, eigentlich Fanny, Gräfin zu Reventlow suchte hier ein von den traditionellen Vorstellungen ihrer Eltern und Verwandten freies Leben. 1895 zog sie nach München, verheiratet, 1897 wurde Sohn Rolf geboren, und sie wurde geschieden. Die Reventlow schlug sich, Malerei studierend, als Schriftstellerin, Übersetzerin, Schauspielerin durch. Kein leichtes, doch ein unbeugsames Leben für die „Skandalgräfin”, das auch von Krankheit begleitet wurde. Affären hatte sie viele, in bitterster Not soll sie sich auch prostituiert haben. Ihr Malereistudium war nicht erfolgreich. Am Ende jedoch war ihr das ganze Leben zum Kunstwerk besonderer Art geraten.
Bei aller Boheme-Begeisterung war die Reventlow eine scharfsichtige Beobachterin der „Schwabingerei”, wie Thomas Mann das Treiben im Künstlerviertel einmal genannt hat. In „Herrn Dames Aufzeichnungen” treten Gestalten wie Stefan George , der Dichter Karl Wolfskehl und andere Künstler verschlüsselt auf bei Seancen, in Maskeraden und bei rauschhaftenKostümfesten. Herr Dame gerät als eher schüchterner Mensch ins Getriebe Wahnmochings, dessen abstrus geheimnisvoll tuenden Kreise aus Kosmikern, Mutterrechtlern, Enormen und anderen schrägen Ideologen er allmählich durchdringt, ohne mit ihnen gemein zu werden. Die Reventlow, selbst in zwei Frauen, Susanna und Maria, personifiziert, karikierte, für Wissende sofort erkennbar, Hauptfiguren der Schwabinger Szene. Heute bietet das Identifizieren von George, Wolfskehl, Klages, Schuler und anderer nicht mehr den Hauptreiz. Vielmehr lebt dieses nur scheinbar leicht hingeworfene Tagebuch von den Beobachtungen aus nächster Nähe. Man spürt die Erschöpfung nach durchfeierten Nächten, ahnt, wie es in den Wohn-und Schlafgemeinschaften wohl roch, nimmt teil am In-den-Tag-leben von einem Fest zum andern und kann sich an der Skurrilität der Helden einer berühmten, aber vergangenen Künstler-, Dichter- und Denkerhorde durchaus amüsieren.
1910 verließ sie München und ging in die Schweiz, trotz Notlage aufrecht und stolz bleibend. Sie heiratete 1911 zum Schein, um mit ihrem Mann an dessen Erbe zu kommen. 1918 starb sie in Locarno. Ihr schriftstellerisches Werk hat sie nicht sehr hoch geschätzt. Zu Unrecht, denn ihr Herr Dame, der wegen seines Namens meint, nicht heiraten zu können, entlarvt wie nebenbei Schwabings Glanz als verrückt-verschrobenes Lebensgefühl. HARALD EGGEBRECHT
Franziska Gräfin zu Reventlow Süddeutsche Zeitung Photo
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Franziska Gräfin zu Reventlow: „Herrn Dames Aufzeichnungen”
Sonderlinge, Kunstbesessene, Möchtegern-Philosophen, Geheimnistuer und ein über allem schwebender Meister – sie alle machen das aus, was Franziska zu Reventlow in ihrem locker gefügten, lakonischen Schlüsselbuch „Herrn Dames Aufzeichnungen”, 1913 erschienen, als Wahnmoching bezeichnete, jenes Münchner Künstlerviertel Schwabing, das um die Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert zum Eldorado für Dichter, Maler und Lebenskünstler sonder Zahl wurde.
Die in Husum 1871 geborene Franziska, eigentlich Fanny, Gräfin zu Reventlow suchte hier ein von den traditionellen Vorstellungen ihrer Eltern und Verwandten freies Leben. 1895 zog sie nach München, verheiratet, 1897 wurde Sohn Rolf geboren, und sie wurde geschieden. Die Reventlow schlug sich, Malerei studierend, als Schriftstellerin, Übersetzerin, Schauspielerin durch. Kein leichtes, doch ein unbeugsames Leben für die „Skandalgräfin”, das auch von Krankheit begleitet wurde. Affären hatte sie viele, in bitterster Not soll sie sich auch prostituiert haben. Ihr Malereistudium war nicht erfolgreich. Am Ende jedoch war ihr das ganze Leben zum Kunstwerk besonderer Art geraten.
Bei aller Boheme-Begeisterung war die Reventlow eine scharfsichtige Beobachterin der „Schwabingerei”, wie Thomas Mann das Treiben im Künstlerviertel einmal genannt hat. In „Herrn Dames Aufzeichnungen” treten Gestalten wie Stefan George , der Dichter Karl Wolfskehl und andere Künstler verschlüsselt auf bei Seancen, in Maskeraden und bei rauschhaftenKostümfesten. Herr Dame gerät als eher schüchterner Mensch ins Getriebe Wahnmochings, dessen abstrus geheimnisvoll tuenden Kreise aus Kosmikern, Mutterrechtlern, Enormen und anderen schrägen Ideologen er allmählich durchdringt, ohne mit ihnen gemein zu werden. Die Reventlow, selbst in zwei Frauen, Susanna und Maria, personifiziert, karikierte, für Wissende sofort erkennbar, Hauptfiguren der Schwabinger Szene. Heute bietet das Identifizieren von George, Wolfskehl, Klages, Schuler und anderer nicht mehr den Hauptreiz. Vielmehr lebt dieses nur scheinbar leicht hingeworfene Tagebuch von den Beobachtungen aus nächster Nähe. Man spürt die Erschöpfung nach durchfeierten Nächten, ahnt, wie es in den Wohn-und Schlafgemeinschaften wohl roch, nimmt teil am In-den-Tag-leben von einem Fest zum andern und kann sich an der Skurrilität der Helden einer berühmten, aber vergangenen Künstler-, Dichter- und Denkerhorde durchaus amüsieren.
1910 verließ sie München und ging in die Schweiz, trotz Notlage aufrecht und stolz bleibend. Sie heiratete 1911 zum Schein, um mit ihrem Mann an dessen Erbe zu kommen. 1918 starb sie in Locarno. Ihr schriftstellerisches Werk hat sie nicht sehr hoch geschätzt. Zu Unrecht, denn ihr Herr Dame, der wegen seines Namens meint, nicht heiraten zu können, entlarvt wie nebenbei Schwabings Glanz als verrückt-verschrobenes Lebensgefühl. HARALD EGGEBRECHT
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