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In seiner Künstlernovelle »Der Pole« entwirft der Nobelpreisträger J. M. Coetzee eine zarte, elegische Liebesgeschichte, die spröde beginnt und traurig schön endet. Der Protagonist, ein ergrauter Maestro, ist Pianist, für den die Schönheit Chopins in der Präzision liegt. Beatriz ist nach seinem Konzert in Barcelona als Gastgeberin nur eingesprungen, doch der Pianist entdeckt in ihr den Stern, dem seine Liebe folgen will. Beatriz kommen seine Interpretationen von Chopins Nocturnes etwas reizlos vor und seine Liebeserklärung in Form eines Gedicht-Zyklus in einer fremden Sprache stellt sie vor…mehr

Produktbeschreibung
In seiner Künstlernovelle »Der Pole« entwirft der Nobelpreisträger J. M. Coetzee eine zarte, elegische Liebesgeschichte, die spröde beginnt und traurig schön endet. Der Protagonist, ein ergrauter Maestro, ist Pianist, für den die Schönheit Chopins in der Präzision liegt. Beatriz ist nach seinem Konzert in Barcelona als Gastgeberin nur eingesprungen, doch der Pianist entdeckt in ihr den Stern, dem seine Liebe folgen will. Beatriz kommen seine Interpretationen von Chopins Nocturnes etwas reizlos vor und seine Liebeserklärung in Form eines Gedicht-Zyklus in einer fremden Sprache stellt sie vor die Herausforderung deren Bedeutung erst mühsam dechiffrieren zu müssen. Dennoch entwickelt sich zwischen beiden eine Liebesbeziehung, die die Schwierigkeif aufzeigt, wahre Gefühle zu übermitteln. In einem wahren Meisterwerk entwickelt J. M. Coetzee eine Erzählung, in der es um den richtigen Ausdruck für die Leidenschaft geht, der den anderen überzeugt und so schwer zu finden ist wie der wahre Tastenanschlag für Chopin. Mit der Erkenntnis, dass man ihn manchmal auch zu spät erst findet...

»Mit welch eleganter Reduktion Coetzee diese Geschichte entblättert, leichtfüßig und klug, ganz zu schweigen von dem Humor - das ist alles wunderbar!« Jan Wilm

»Eine Sprache, die sich auf die kleinen Dinge des Lebens konzentriert.« Marie-Luise Knott, Deutschlandfunk, zu »Ein Haus in Spanien«
Autorenporträt
J. M. Coetzee, der 1940 in Kapstadt geboren wurde und von 1972 bis 2002 als Literaturprofessor in seiner Heimatstadt lehrte, gehört zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart. Er wurde für seine Romane und sein umfangreiches essayistisches Werk mit vielen internationalen Preisen ausgezeichnet, u. a. zweimal mit dem Booker Prize, 1983 für 'Leben und Zeit des Michael K.' und 1999 für 'Schande'. 2003 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. Coetzee lebt seit 2002 in Adelaide, Australien. Literaturpreise: u.a.: Lannan Literary Award 1998, Booker Prize 1983 (für 'Leben und Zeit des Michael K'.), Booker Prize 1999 (für 'Schande'), Commonwealth Writers Prize 1999 (für 'Schande'), ¿Königreich von Redonda-Preis¿ 2001, Literaturnobelpreis 2003 Reinhild Böhnke wurde 1944 in Bautzen geboren und ist als literarische Übersetzerin in Leipzig tätig. Sie ist Mitbegründerin des sächsischen Übersetzervereins. Seit 1998 überträgt sie die Werke J. M. Coetzees ins Deutsche, außerdem hat sie u.a. Werke von Margaret Atwood, Nuruddin Farah, D.H. Lawrence und Mark Twain ins Deutsche übertragen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Als "Versuchsanordnung mit der Liebe in postkolonialen Zeiten" liest Rezensent Stephan Wackwitz die neue Novelle von J.M.Coetzee: Sie beginnt zunächst mit der fünfzigjährigen Beatriz aus Barcelona, die eine Affäre mit dem zwanzig Jahre älteren polnischen Pianisten Witold anfängt. Witold umgarnt sie auf, wie Wackwitz betont, beinahe mittelalterlich-höfische Weise, nach kurzer Zeit ist die Beziehung der beiden vorerst beendet. Zwei Jahre später stirbt Witold und hinterlässt Beatriz höchst mittelmäßige Gedichte, sie reagiert mit Briefen an den Toten - für den Kritiker ist diese Kommunikationssituation eine interessante Aushandlung der romantischen Liebe und des Schreibens darüber, die ihn nachdrücklich zum Denken angeregt hat.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.05.2023

Eine Herzensaffäre
J. M. Coetzee ist Spezialist für absolute Verhängnisse, doch sein neuer Roman ist milde und ungewohnt versöhnlich. Es geht um die Liebe als Schicksal
Als die Liebe den Dichter Dante überfiel, irgendwann im späten dreizehnten Jahrhundert, verwandelte sich etwas Himmlisches in etwas beinahe Weltliches: „Siehe“, spricht der Poet und zitiert das Evangelium, „ein stärkerer Gott kommt und wird mich beherrschen.“ „Beatrice“ heißt der „junge Engel“ aus Florenz, der zu Dantes Schicksal wird und ihn durch Fegefeuer und Hölle leitet. Was diese Liebe war, geformt von Idealen höfischen Verhaltens und angelehnt an den Marienkult, erschließt sich einem heutigen Publikum nur noch mit Mühe. Die Abwesenheit des erotischen Begehrens erscheint als etwas Befremdliches, und ebenso irritierend wirkt es, wenn der Dichter seine Leser im Unklaren darüber lässt, ob und in welchem Maß sie es mit Fiktionen zu tun haben. „Beatriz“ heißt die Heldin in „Der Pole“, dem jüngsten Buch des ehemals südafrikanischen und heute australischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers J. M. Coetzee, „die elegante Frau mit dem gleitenden Gang, die Frau des Bankiers, die ihre Tage mit guten Werken verbringt“. Gewissenhaft und effizient ist diese Frau in ihren besten Jahren, die Sehnsucht, die Ausschweifung und alle anderen gesteigerten Anwandlungen des Gefühls sind ihr fern. Zusammen mit einigen Freundinnen und Bekannten aus der guten Gesellschaft Barcelonas richtet sie Konzerte klassischer Musik aus, die zwar öffentlich sind, aber hauptsächlich von Menschen gleicher Art und gleichen Sinnes besucht werden.
Ein polnischer Pianist mit einem unaussprechlichen Nachnamen wird eingeladen, ein hagerer Mann auf der Schwelle zum Alter, dessen Ruhm allmählich verblasst. Gegründet war diese Reputation auf Interpretationen der Werke Chopins, denen er das Schwärmerische ausgetrieben hatte. Und so lernen die beiden sich kennen, die nüchterne Dame und der asketische Romantiker. Weil es die Gastfreundschaft verlangt, gehen sie nach dem Konzert miteinander essen. Die Konversation verläuft mühsam, und am Ende des Abends freut sich die Dame, bald in ihrem Bett zu liegen, und sie ist allein.
Fünf Kapitel hat das schmale Buch, das der Verlag einen „Roman“ nennt, das aber eigentlich eine Novelle ist, einschließlich der „unerhörten Begebenheit“, die das Genre nach Goethe definiert. Ein jedes dieser Kapitel ist in mehrere Dutzend durchnummerierte Abschnitte (man könnte auch sagen: Etüden) geteilt, in die ein scheinbar anonymer Erzähler die Ereignisse gliedert, als müsse er einem ohnehin schon prosaischen Geschehen den letzten Anflug von höherer Gesinnung austreiben.
Doch ein Schicksal überfällt den Pianisten. Er weiß, was ihm geschieht: „Das ist eine Frau, der ich meine letzte Liebe widmen muss.“ Aber er hat keine Worte, und er hat keine Taten, in denen sich diese fatale Ergriffenheit fassen ließe. Er erreicht sie nicht. Und sie? „In meinem Leben gibt es keinen Platz für – wie soll ich es nennen? – eine Herzensaffäre.“ Der Satz ist wahr, und er ist es nicht. Denn längst hat das Schicksal auch sie ergriffen. Aber es ist weder romantisch noch sinnlich noch gefühlvoll und vermutlich nicht einmal angenehm.
Eine Herzensaffäre? Selbstverständlich können die Figuren dieses Buches reden, in sorgfältig erwogenen, prägnanten Sätzen, und der Pianist verfügt darüber hinaus über die Gabe des musikalischen Ausdrucks, in höchstem Maß. Doch alle Eloquenz hilft ihnen nicht. In den Angelegenheiten des Herzens wie überhaupt in allen Angelegenheiten von existenzieller Bedeutung bleiben sie stumm.
J. M. Coetzee hat eine ganze Reihe von literarischen Vorbildern in seine Geschichte gewoben, nicht nur die „Nova Vita“ Dantes, sondern auch den Trivialroman „Die Brücken am Fluss“ (1992) von Robert James Waller, den Clint Eastwood zu einem erfolgreichen Film machte. Und als reichte der gesamte poetische Aufwand nicht hin, um etwas tatsächlich Bedeutsames zu sagen, lässt er die entscheidende Begegnung zwischen der Dame und dem Pianisten auf Mallorca stattfinden, auf der Insel also, auf der die Schriftstellerin George Sand und der lungenkranke Chopin für einen Winter zusammenlebten (Chopin schrieb dort das „Regentropfen-Prélude“). Dort begeht die Dame den lang erwarteten Ehebruch. Eine Beseelung des Verhältnisses stellt sich indessen nicht ein – allenfalls ein Bewusstsein, einander nicht entgehen zu können, auch wenn man einander nicht trifft.
Die Sprache des Erzählers ist in diesem Buch fast kunstlos. Sie hat nichts von der allegorischen, dunkel schillernden, mit dem Inkommensurablen spielenden Kraft, die Coetzees „Jesus“-Triologie (2013 bis 2019) prägte. Stattdessen heißt es nun: „Der Pole hat sie geliebt, ernsthaft geliebt …, doch der Pole ist selbst ein Relikt der Geschichte, aus einem Zeitalter, als das Verlangen mit einem Anflug des Unerreichbaren versehen werden musste, bevor es als das Wahre durchgehen konnte.“ Coetzees Sprache ist in diesem Buch ein gewolltes Verfehlen, und er wählt den Umweg über andere Sprachen, um einen Anflug des Unerreichbaren gewärtig werden zu lassen. Auf Englisch wird „Der Pole“ erst im kommenden Herbst erscheinen.
Der Pianist ist tot. In seiner Wohnung, die wenig spektakulär in einem Plattenbau außerhalb von Warschau liegt, findet sich ein Archivkarton, auf den ihr Name geschrieben steht. Beatriz fliegt nach Polen, angezogen von einer Energie, die sie nicht einmal als solche wahrnimmt. Ein Hefter liegt in der Box. Er enthält vierundachtzig in lateinischen Ziffern nummerierte und selbstverständlich auf Polnisch geschriebene Gedichte, in denen sie immer wieder den Namen „Beatrice“ erkennt.
Die Musik hatte er lange vor seinem Tod aufgegeben, erfährt die Dame, und sich nur noch mit den Gedichten beschäftigt. Beatriz lässt die Lyrik übersetzen, von einer Fachkraft für juristische Texte. Die Gedichte sind keine große Poesie, und sie müssen es auch nicht sein: „ihr Bild hinter den zufallenden Augen / armes Flatterding in den Kammern des Gedächtnisses“. Nicht durch Fegefeuer und Höllenkreise zieht dieser Dante, sondern durch eine lauwarme Gegenwart, die mit metaphysischem Überschwang nichts anfangen kann. Doch kann er von seinem Schicksal, von seiner „donna de la mia mente“ („der Frau seines Geistes“ oder seiner „Vorstellung“) nicht lassen. Noch ein sechstes Kapitel hat das Buch. Darin wenden sich die Verhältnisse, auf eine vielleicht nicht sehr überraschende, aber eindringliche Weise, die auch den Anfang des Buches in einem anderen Licht erscheinen lässt.
Über mehr als fünfzig Jahre erstreckt sich das Werk Coetzees, eines Experten für unauflösliche Dilemmata. So war es in „Warten auf die Barbaren“ (1980), einem Roman, in dem von einem Versuch erzählt wurde, das Menschliche mit den Mitteln der Folter greifbar werden zu lassen. So war es in „Schande“ (1999), einem Buch, in dem die Hoffnung am Ende in Regression zu münden scheint. Und so war es in den Werken, in denen sich die Schriftstellerin Elisabeth Costello (2003) mit großer Schärfe an lauter Aporien abarbeitet, die man, wie den Verzehr von Tieren, im täglichen Leben hinnimmt, während es sich doch eigentlich um Unerträgliches handelt. Das kleine Buch „Der Pole“ ist anders. Es ist milder. Und wenn es auch den Verlust der Kunst, die gnadenlose Prosa der Verhältnisse und sogar den Tod einschließt, so ist es doch versöhnlich. Da mögen die Gedichte des Pianisten noch so mittelmäßig sein.
THOMAS STEINFELD
Nicht durch Höllenkreise zieht
dieser Dante, sondern durch
eine lauwarme Gegenwart
Sein Werk erstreckt sich über mehr als fünf Jahrzehnte: der Schriftsteller J. M. Coetzee.
Foto: imago images/El Mundo
J. M. Coetzee: Der Pole. Roman. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke.
S. Fischer Verlag, Frankfurt
am Main 2023.
144 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.06.2023

Unübersetzbar!

Warum der neue Roman des Schriftstellers J. M. Coetzee Welt-Literatur ist.

Von Simona Pfister

Was zur zeitgenössischen Weltliteratur zählt, ist meist durch den Erfolg im englischen Sprachraum bestimmt. Kaum ein Autor schafft den Weg zum internationalen Ruhm ohne Zwischenhalt in England oder den USA. Umso erstaunlicher, wenn ein auf Englisch schreibender Literaturnobelpreisträger sich weigert, sein neuestes Buch dort drucken zu lassen. Zumindest vorübergehend: Der in Südafrika geborene und in Australien lebende Schriftsteller J. M. Coetzee veröffentlichte seinen jüngsten Roman im vergangenen Jahr zuerst in Argentinien unter dem Titel "El Polaco" auf Spanisch, im März kam die niederländische Ausgabe "De Pool" heraus, jetzt die deutsche Übersetzung "Der Pole". Das englische "Original" dagegen will der zweimal mit dem Booker-Preis und 2003 mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Autor erst im Herbst veröffentlichen - wobei man an dieser Stelle "Original" schon in Anführungszeichen setzen muss. Denn mit "Der Pole" stellt Coetzee auf geniale Weise sowohl die herkömmlichen Vorstellungen von dem einen Originaltext in der einen Originalsprache infrage wie überhaupt die Macht des Englischen. Und das nicht nur durch seine Publikationspolitik, sondern auch inhaltlich.

Vordergründig handelt "Der Pole" von zwei Figuren, die ein auktorialer Erzähler - wie man ihn von Coetzee kennt - erst nur als "die Frau" und "der Mann" vorstellt. Sie, "die Frau", ist Beatriz, eine nachnamenlose Bankiersgattin aus Barcelona in ihren Mittvierzigern, die "den Mann", den siebzigjährigen polnischen Chopin-Interpreten Witold Walczykiewicz, zu einem Auftritt vor ihrer Konzertgesellschaft empfängt. Sofort ist der Pole ihr zuwider: Er ist ihr zu groß, seine Frisur zu extravagant, und sie wundert sich darüber, wie er daherredet. Das mag vielleicht an der Sprache liegen, muss Beatriz eingestehen, denn die beiden unterhalten sich - wie könnte es anders sein - auf Englisch. Und während die Spanierin diese Sprache hervorragend beherrscht, spricht Witold sie brüchig, ungeschickt und seltsam. Das hindert ihn aber nicht daran, sich für Beatriz zu begeistern: Bald darauf schickt er ihr Briefe und Geschenke und reist ihr nach. Von dieser plötzlichen Aufmerksamkeit durcheinandergebracht, beginnt sich auch Beatriz für Witold zu interessieren.

Als Leserin verfolgt man nun das Hin und Her in Beatriz' Gedanken und Handlungen - der auktoriale Erzähler tritt mehr und mehr zurück zu ihren Gunsten: Soll sie sich auf den Polen einlassen? Was macht sie zu seiner Auserwählten? Und wieso interessiert sie das? Coetzee vermag es dabei in allen Subtilitäten und durchaus vergnüglich zu schildern, wie man Gefallen an einem anderen Menschen finden kann, auch nur, weil dieser andere Mensch Gefallen an einem gefunden hat. Dabei wählt der Autor seine Worte gewohnt knapp und präzis. Der ganze Roman ist in nummerierte Abschnitte eingeteilt, die die Lektüre vorwärtstreiben und im Kontrast zum Durcheinander der Gefühle und der Sprachen stehen.

Die Frage nach den Möglichkeiten der Übersetzung und der "originalen" Bedeutung - und Coetzees Antwort darauf - ist das eigentlich Interessante an diesem Roman. Die Protagonisten werden beständig von Übersetzungsproblemen geplagt, und immer ist es das Englische, das scheinbar zwischen ihnen vermittelt und dabei doch verhindert, dass die beiden sich verstehen. So heißt es, als Beatriz über Witolds Worte nachdenkt: "Seine Komplimente gefallen ihr nicht. Sie klingen geübt, einstudiert. Doch vielleicht weiß er einfach nicht, wie er sich ungezwungen auf Englisch ausdrücken soll. Vielleicht ist er daheim in Polen ein richtiger charmanter Gentleman." Oder an anderer Stelle: "Manchmal kann man nur raten, was der Mann meint, mit seinem dürftigen Englisch. Sagt er etwas Tiefsinniges, oder erwischt er nur die falschen Wörter, wie ein Affe, der vor einer Schreibmaschine sitzt?" Auch Gesten helfen nicht weiter: "Er neigt den Kopf. Ja? Nein? Sie weiß seine Gesten nicht zu deuten. Vielleicht wird es ihr nie gelingen. Ein Fremder."

Witold, der sich seiner Übersetzungsschwierigkeiten bewusst ist, versucht es mit Musik. Doch auch die entpuppt sich nicht als universale Sprache: In seinen Chopin-Interpretationen findet Beatriz keine Leidenschaft, sondern nur ein nüchternes Abspielen "genauso wie die Deutsche-Grammophon-Aufnahme" und fragt sich daher, ob sie wohl etwas spezifisch Polnisches an Chopin nicht versteht. Der Pole wiederum greift nun zur Dichtung, vergleicht seine Liebe zu Beatriz mit Dantes Verehrung der himmlischen Beatrice, nicht zufällig ein Klassiker der Weltliteratur, und verfasst am Ende selbst Poesie. Aber weil er dies nur auf Polnisch kann, ist Beatriz abermals auf Übersetzung angewiesen und bleibt deswegen unsicher, ob sie seine Gedichte verstehen kann.

Die Charaktere und ihre Sprachen, ihre Kultur und ihre Art zu lieben bleiben in den Details unübersetzbar. Oder wie es im Text heißt: "All ihre Gespräche scheinen so zu sein: im Dunkeln hin und her gereichte Münzen, ohne ihren Wert zu kennen." Ganz im Sinne dieser Unübersetzbarkeit belässt Coetzee auch einige Wörter in ihrer Originalsprache, Begriffe, die mehr als alles andere deutlich machen, dass das Eigene einer Sprache nie ganz in einer anderen aufgehen kann, Ausdrücke wie "en famille", "swierk" oder "cariño".

Beim Lesen ist man sich seiner eigenen sprachlichen Verortung so stets bewusst: Welche fremdsprachigen Ausdrücke sind einem geläufig? Würde man selbst die Figuren anders verstehen, spräche man ihre Sprachen? Was geht durch deren Englisch verloren? Und man vergisst nie, dass man selbst eine Übersetzung aus dem Englischen vor sich hat - die schöne Übertragung von Reinhild Böhnke, die in enger Absprache mit Coetzee gearbeitet hat. Dieser deutsche Text enthält Bedeutungsebenen, die der englische nicht haben kann, etwa in der Höflichkeitsform: Die beiden Protagonisten wechseln an einem wichtigen Punkt der Handlung vom Sie zum Du, was sich so auf Englisch nicht markieren lässt. Im Spanischen dafür durchaus - und schon denkt die Leserin auch an die spanische Version. Diese hält Coetzee übrigens für authentischer als die englische Ausgabe, wie er in einem Interview meinte. Entscheidend für die Stimme von Beatriz seien nämlich die Anregungen der argentinischen Übersetzerin Mariana Dimópulos gewesen.

Auf diese Weise drängt Coetzee gekonnt die wohl meistvergessenen Figuren des Literaturbetriebs - die Übersetzer - ins Bewusstsein der Lesenden. Vor allem aber bringt er die herkömmlichen Auffassungen von Original und Übersetzung ins Wanken: Wenn seine Figuren Englisch miteinander sprechen, in ihren Muttersprachen aber besser verständlich scheinen; wenn der Autor auf Englisch schreibt, sich Teile der Bedeutung aber nur auf Spanisch, Deutsch oder in anderen Ausgaben erschließen und diese zuerst veröffentlicht werden - welche Version des Textes kann man als "Original" bezeichnen, welche ist "die Übersetzung"? Wo steckt die "wahre" Bedeutung?

Coetzees Antwort würde wohl lauten: überall. Ja, mit "Der Pole" schafft der Autor tatsächliche Welt-Literatur, nämlich ein Werk, dessen Semantik sich auf die verschiedenen Übersetzungen verteilt und sich also nur in der Gesamtheit seiner verschiedenen Sprachen fassen lässt. Genau darum scheint es Coetzee zu gehen: In einem Interview aus dem Jahr 2019 sagte er, dass er sich "in einem anderen Sinn als Weltautor" begreife, "als Schriftsteller, der nicht in einer bestimmten Sprache oder einem bestimmten Land verortet ist". Bereits damals hatte er einen Erzählband zuerst auf Spanisch in Argentinien veröffentlicht, kurz darauf auch den dritten Teil seiner Jesus-Trilogie. Damit richte er sich gegen die "kulturellen Torwächter der Metropolen", erklärte er, "die entscheiden, welche Geschichten, die der Süden über sich selbst erzählt, in das Repertoire der Weltliteratur aufgenommen werden und welche nicht". Und bei anderer Gelegenheit: Er wende sich gegen "den unhinterfragten Glauben, dass die Welt so sei, wie sie im Spiegel der englischen Sprache zu sein scheint".

Ganz in diesem Sinne erscheint bei "Der Pole" - innerhalb wie außerhalb des Textes - das sprachlich Eigene nicht als etwas, das durch Übersetzung überwunden werden kann, sondern es ist Teil eines Ganzen, das aus weiteren eigenen, unübersetzbaren Teilen besteht, die nur gemeinsam ihre ganze Bedeutung entfalten. Am Ende geht es den Figuren von "Der Pole" wie den verschiedenen Sprachen des Textes, dem sie entstammen: Sie finden zusammen, und zwar gerade in der Inkommensurabilität.

Wie in früheren Werken mischt Coetzee also auch diesmal Romanerzählung mit Literaturtheorie, allerdings viel subtiler als beispielsweise noch in "Tagebuch eines schlimmen Jahres" oder "Elizabeth Costello". Und wie in vielen früheren Werken lässt sich auch diesmal eine Figur als Alter Ego des Autors lesen, "der Pole" selbst. Nicht nur dass dieser als trocken und selten lachend beschrieben wird - Dinge, die auch Coetzee nachgesagt werden -, der 1943 geborene Witold soll dem Schauspieler Max von Sydow ähneln, dem auch der 1940 geborene Coetzee ähnlich sieht. Zudem hat Coetzee durch die polnisch-holländisch-deutschen Vorfahren seiner Mutter selbst eine familiäre Verbindung zu Polen, und auch für ihn war ein uneigentliches Englisch Sprache der Liebe, wenn auch einer ganz anderen: Seine Eltern, eigentlich afrikaanssprachig, erzogen ihn auf Englisch.

Dass der Text diese Parallele zwischen Coetzee und Witold suggeriert, ist erfrischend uneitel, erscheint Witold doch oft als lächerliche Figur, als verschrobener alter Mann, der einer jungen Frau nachschielt. Leider gibt es aber auch da eine gewisse Ähnlichkeit: Coetzee beschreibt die Frauen in seinem Roman klischeeartig und durch den Filter eines male gaze, eines männlichen Blicks: Plumpe Formulierungen wie ein "üppiger Busen" oder eine Frau, die aufgrund ihrer "Figur" "in jungen Jahren sexy" gewesen sein musste, schlagen in eine latente Misogynie um, wenn es heißt, dass Beatriz' "Klimakterium" bald da sei und sie dann "nicht mehr fruchtbar sein (. . .) und der leise Schrei des Körpers nach Vereinigung ersterben" werde.

Überhaupt erstaunen die pauschalen Aussagen über "die Frau" und "den Mann" und die Art, wie sie sich begehren, im Stile von: "Der Krieg zwischen Männern und Frauen, urzeitlich, nie endend". Gerade weil der Text sich so für sprachliche und kulturelle Vielfalt einsetzt, wirkt diese Sicht auf Geschlechter und ihre Beziehungen befremdlich und aus der Zeit gefallen. Auf einmal hat man das Gefühl, dass die Zeilen auch das Alter des Autors verraten. Vielleicht brauchte es also nicht nur eine neue Art der Übersetzung zwischen Sprachen, sondern auch eine zwischen den Generationen. Denn nicht nur die Sache mit den Sprachen, auch die mit den Geschlechtern ist komplizierter, als es einige gerne hätten.

J. M. Coetzee: "Der Pole". Roman. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer Verlag, 144 Seiten, 20 Euro.

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Mit der ihm eigenen Kühlheit und stilistisch gewohnt souverän erzählt Coetzee im Präsens von einer Passion mit Schieflage. Falter 20230705