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Ingeborg Bachmann hat von ihrem schönsten Gedicht »Böhmen liegt am Meer« gesagt, sie könne gar nicht glauben, dass sie es selbst geschrieben habe. Alles, was ihr Leben und Schreiben ausmacht, steht in diesem Gedicht. Die Entstehungsgeschichte gerade dieses Gedichts ist staunenswert und berührend: Ein Jahr nach der Trennung von Max Frisch und ihrem Zusammenbruch reiste die Dichterin im Jänner 1964 mit einem jungen Begleiter von Berlin nach Prag. Dieser Reise verdanken wir nicht nur »Böhmen liegt am Meer«, sondern einen bisher unbemerkt gebliebenen Gedichtzyklus. Hans Höller und Arturo Larcati,…mehr

Produktbeschreibung
Ingeborg Bachmann hat von ihrem schönsten Gedicht »Böhmen liegt am Meer« gesagt, sie könne gar nicht glauben, dass sie es selbst geschrieben habe. Alles, was ihr Leben und Schreiben ausmacht, steht in diesem Gedicht. Die Entstehungsgeschichte gerade dieses Gedichts ist staunenswert und berührend: Ein Jahr nach der Trennung von Max Frisch und ihrem Zusammenbruch reiste die Dichterin im Jänner 1964 mit einem jungen Begleiter von Berlin nach Prag. Dieser Reise verdanken wir nicht nur »Böhmen liegt am Meer«, sondern einen bisher unbemerkt gebliebenen Gedichtzyklus. Hans Höller und Arturo Larcati, beide Herausgeber der Salzburger Bachmann Edition, leuchten die biografischen Hintergründe dieses Zyklus aus.
Autorenporträt
Der Herausgeber Hans Höller, geboren 1947, lehrt als Professor für Germanistik an der Universität Salzburg und hat u.a. Ingeborg Bachmanns »Letzte Gedichte« herausgegeben sowie zahlreiche Monographien über sie veröffentlicht. Seit 2014 arbeitet er am Salzburger Literaturarchiv als federführender Gesamtherausgeber an der Ingeborg-Bachmann-Werkausgabe.

Arturo Larcati ist Professor an der Universität Verona. Er arbeitet an der Salzburger Bachmann Edition mit.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Literaturwissenschaft auf der Höhe ihrer Möglichkeiten bekommt Helmut Böttiger mit dieser Vorabpublikation zur großen Salzburger Bachmann-Edition von Hans Höller und Arturo Larcati. Der kleine Essay hat es laut Böttiger in sich. Als Meisterleistung feiert der Rezensent das Aufspüren eines bisher nur verstreut veröffentlichten Prager Gedichtzyklus Bachmanns aus dem Jahr 1964 und dessen philologische Detailanalyse, die laut Böttiger nicht weniger als eine Poetologie der letzten Jahre Bachmanns eröffnen, lebens- und werkgeschichtlich bedeutsam, wie Böttiger findet. Das Ende der Beziehung zu Max Frisch, Bachmanns Versuch, das Böhmische als das Andere im Eigenen zu erkennen, sowie motivische Entwicklungen und intertextuelle Bezüge, etwa zum Romanfragment "Der Fall Franza" werden für Böttiger in der subtilen Feinanalyse sichtbar.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.12.2016

Wie wird man in der
eigenen Sprache Nomade?
Ingeborg Bachmanns „Prager Winterreise“
Der Nachruhm der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann wird größer und größer. Das liegt nicht nur an den Definitionen von „weiblichem Schreiben“, die nacheinander an ihr ausprobiert wurden, es liegt auch am Geheimnis ihrer Person: etwas Flirrendes und Flackerndes geht von ihr aus.
Die letzten zehn Jahre vor ihrem frühen, von etlichen Spekulationen umstellten Tod als 47-Jährige im Jahr 1973 sind am dunkelsten – auch wenn man inzwischen weiß, dass das Ende ihrer vier Jahre dauernden Beziehung zum Schweizer Erfolgsschriftsteller Max Frisch 1962 ein Schlüsselmoment war. Einen Selbstmordversuch überlebte sie nur knapp, und sie entwickelte eine gravierende Medikamentensucht: „Gnade Morphium“ heißt es einmal in den von ihr nie zur Veröffentlichung gedachten Gedichten „Ich weiß keine bessere Welt“ aus der Zeit der tiefen Krise, die im Nachlass gefunden wurden.
In letzter Zeit tauchen immer wieder Zitate aus bisher unbekannten Quellen auf. Einen ersten Eindruck der neuen groß angelegten „Salzburger Bachmann-Edition“, von der die ersten beiden Bände im Frühjahr erscheinen und die das Bachmann-Bild vermutlich deutlicher konturieren wird, vermittelt ein schmaler, aber gewichtiger Essay der Herausgeber Hans Höller und Arturo Larcati. Er erscheint gesondert und begleitet den Beginn der neuen Werkausgabe fast wie ein Trompetensignal – denn er ist voller Entdeckungen und beiläufig mitgeteilten Funden.
Zentrum der Studie ist Bachmanns von den Autoren so bezeichnete „Winterreise nach Prag“ im Januar 1964. Höller und Larcati haben einen siebenteiligen Gedichtzyklus aufgespürt, von dem die meisten Texte zwar bereits an verstreuten Orten veröffentlicht wurden, doch war ihr Zusammenhang nicht erkannt worden. In philologischen Detailanalysen ergeben sich aufschlussreiche Einblicke in die Poetologie des letzten Lebensjahrzehnts von Bachmann. Auslöser für die Reise nach Prag war der Besuch des jungen Bewunderers Adolf Opel während ihres Stipendien-Aufenthalts in Berlin im Januar 1964. Als er von seinem geplanten Aufenthalt dort erzählte, schloss sie sich ihm an. Der um einiges jüngere Opel hat in der Forschung und der Bachmann-Rezeption lange Zeit eine schlechte Presse gehabt, da man seine Veröffentlichungen über die Liaison und seine Reisen mit Bachmann als unangemessen empfand.
Höller und Larcati hingegen konstatieren, er habe eine „lebens- und werkgeschichtliche Bedeutung“ für die an ihrer schweren Erkrankung laborierende Schriftstellerin gehabt. Und es gibt immerhin Briefe von ihr an ihn, in denen Sätze stehen wie derjenige, „dass Sie mein Leben sind, in diesen Augenblicken sicherlich, und dass mir Ihretwegen noch etwas daran liegt, eines zu haben und bald immer mehr davon zu haben.“
Eine biografisch angelegte Spurensuche gilt der Literaturwissenschaft teilweise immer noch als Sakrileg. Höller und Larcati aber belegen mit dieser Studie, dass das Wissen um biografische Hintergründe der Textinterpretation unschätzbare Hinweise geben kann. Die Parallele zu Peter Szondis bahnbrechenden „Celan-Studien“, die einen ähnlichen Versuch bei einem als kanonisch geltenden Autor unternahmen, drängt sich auf. In den sieben Prag-Gedichten Bachmanns erkennen die beiden Wissenschaftler, wie die Lyrikerin schrittweise ein „Prinzip Hoffnung“ umzusetzen versuchte. Nach der existenziellen Krise im Winter 1962/63 ist hier ein Neuansatz ihres Schreibens zu erkennen, und er zeigt sich vor allem in einem Motiv: dem Übergang von Eis zu fließendem Wasser.
Kafkas mittlerweile fast zu Tode zitierte Briefstelle, wonach Literatur „die Axt“ sein müsse „für das gefrorene Meer in uns“, bildet einen geheimen Subtext in Bachmanns Prag-Zyklus. Dessen Höhepunkt ist das Gedicht „Böhmen liegt am Meer“, das zuerst in der mythenumrankten Nr. 15 des „Kursbuchs“ im Jahr 1968 erschien. Ingeborg Bachmann hielt es kurz vor ihrem Tod glaubwürdig für ihr „schönstes“. In Shakespeares „Wintermärchen“ wird Böhmen als „A desert country near the sea“ bezeichnet, und die Anfrage aus London, anlässlich des 400. Geburtstags von Shakespeare Gedichte zu schreiben, erhielt während Bachmanns Reise eine besondere Färbung. „Prag“, „Böhmen“, die „Moldau“ werden hier zu konkreten Namensträgern für Bachmanns Habsburg-Vorstellungen: ihr erträumtes Kindheitsland, in dem die Grenzen nicht als trennend, sondern als verbindend erfahren werden.
„Ich grenz noch an ein Wort und an ein andres Land“ – das zielt auf die Vision eines anderen, in der Geschichte versunkenen Österreichs, in dem die vielen Sprachen und die vielen Grenzen als bereichernd empfunden werden. Es ist gelegentlich schon festgestellt worden, dass Bachmanns Bild des ehemaligen habsburgischen Vielvölkerstaats zu einer in die Zukunft und die Literatur gerichteten Utopie wird. So konkret wie hier war sie allerdings noch nie.
Erhellend ist der Bezug, den Höller und Larcati zu Deleuzes/Guattaris Begriff der „kleinen Literatur“ herstellen: Es geht ums Ausgraben, ums Freisetzen und um die Frage: „Wie wird man in der eigenen Sprache Nomade, Fremder, Zigeuner?“ Was Deleuze/Guattari am Beispiel Kafkas entwickelten, zeigen Höller und Larcati an Bachmanns Versuch, das „Böhmische“ als das zu erreichende andere im Eigenen wahrzunehmen. Es stehe für ihr „Lebensmotiv“, „zu Hause sein im Heimatlosen und im Aneinandergrenzen“. Die Autoren zeigen direkte Linien zum Romanfragment „Der Fall Franza“ und zur letzten Erzählung „Drei Wege zum See“ auf, und der bekannte Bezug zu Jean Améry wird präzisiert – dass, so Bachmann, die Sprachen „sich nie ganz begegnen“ und jeder „den andren ein wenig übersetzen muss“.
Im politischen Tauwetter des Januar 1964 in Prag – die Kafka-Konferenz von Liblice im Jahr 1963 gilt als der Beginn des „Prager Frühlings“ – erkennt Bachmann einen Zusammenhang zwischen Ich und Welt. Es ist sehr subtil, wie Höller und Larcati die private, intime Dimension mit einbeziehen: die Trennung von Max Frisch und den Versuch, diese Erfahrung literarisch zu bearbeiten. Als Frisch sie im März 1972 bittet, ihm fünf Gedichte für eine Sondernummer der amerikanischen Zeitschrift Partisan Review zur deutschen Gegenwartsliteratur zuzuschicken (die Publikation ist nicht zustande gekommen), werden ihr Antwortbrief und ihre Zusammenstellung zu einem literaturgeschichtlichen Dokument ersten Ranges.
Wenn Bachmann ihr frühes Gedicht „Alle Tage“ von 1953 an den Anfang ihrer Auswahl stellt – „Der Krieg wird nicht mehr erklärt, / sondern fortgesetzt“ – entsteht ein anspielungsreicher neuer biografisch-literarischer Raum. Nicht nur hier zeigen Höller und Larcati, wie man aus der Feinanalyse eines siebenteiligen Gedichtzyklus ein Gesamtwerk erhellen kann – Literaturwissenschaft ganz auf der Höhe ihrer Möglichkeiten.
HELMUT BÖTTIGER
Hans Höller/Arturo Larcati: Ingeborg Bachmanns Winterreise nach Prag. Die Geschichte von „Böhmen liegt am Meer“. Piper Verlag, München und Berlin. 170 Seiten, 18 Euro. E-Book 17,99 Euro.
Das Zentralmotiv ist der Übergang
von Eis zu fließendem Wasser
„Der Krieg wird nicht mehr
erklärt, / sondern fortgesetzt“
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»Sehr behutsam und höchst präzise zeichnen Höller und Larcati die Entstehungsgeschichte dieses Winterreise-Zyklus nach und beleuchten methodologisch versiert dessen intertextuelle und biographische Referenzen.« literaturhaus.at 20170111