Drei Söhne von neun Männern, das ist genug. In ihrer Garage surft die 80-jährige Herbjörg durchs Internet und begleicht letzte Rechnungen, während der Ofen für ihre Einäscherung heißläuft. Hallgrímur Helgasons neuer Roman ist ein Parforceritt durch die Geschichte des 20.Jahrhunderts: anrührend und voll isländischer Skurrilität. »Ich lebe hier allein in einer Garage, zusammen mit einem Laptop und einer alten Handgranate. Es ist wahnsinnig gemütlich.« »Ich möchte einen Termin für eine Einäscherung buchen.« »Einen Termin buchen?« »Genau.« »Aha. Ja ... wie war noch mal der Name?« »Herbjörg María Björnsson.« »Hallo? Ich kann den Namen in der Liste nicht finden. Haben Sie den Antrag auf Einäscherung schon eingereicht?« »Nein, nein. Ich möchte einen Termin für mich buchen. Für mich selbst.« »Naja, wir bearbeiten ihn nicht, bevor ... na, Sie wissen schon ... also bevor, äh ..., bevor die Leute tot sind, okay?« »Gut. Wenn es so weit ist, werde ich tot sein. Darauf können Sie sich verlassen. Also, wenn's eng wird, komme ich einfach vorbei, und ihr schiebt mich lebend in den Ofen.«
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Der isländische Schriftsteller Hallgrímur Helgason hat schon so manche groteske Figur geschaffen, aber Herbjörg María Björnsson, genannt Herra, ist mit Sicherheit sein Meisterstück, findet Uwe Stolzmann. Zu finden ist sie in seinem neuen Roman "Eine Frau bei 1000°", die alte Frau, die bloß mit einem Laptop und einer alten Handgranate aus dem Zweiten Weltkrieg in einer Garage haust, seit sie aus dem Altersheim geflohen ist. Jetzt verdreht sie mit gefälschten Profilen fremden Männern auf Facebook die Köpfe und lässt in ihrer Isolation noch einmal ihr Leben Revue passieren, fasst der Rezensent zusammen. Wenn die Alte flucht und verhöhnt und grantig mit allem und jedem abrechnet, ist das Buch im besten Sinne vulgär und komisch, meint Stolzmann. Ihre Erinnerungen an ihren Vater aber, einen "blonden Wikinger" in SS-Uniform, an das nationalsozialistische Deutschland allgemein, verwirren den Rezensenten zutiefst, weil er nicht einordnen kann, ob Helgason ernst oder ironisch schreibt, und warum er überhaupt dieses Thema aufgreift. Deshalb droht das Buch als Roman zu scheitern, findet Stolzmann, trotz der grantigen Alten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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» ... ein Wortakrobat, ein Fabulierer fast von Grimmelshausenschem Format.« Uwe Stolzmann, Neue Zürcher Zeitung, 13.07.2013 Uwe Stolzmann Neue Zürcher Zeitung 20130713