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Vom Reiz der Peripherie - Gnam, Andrea
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Fotografie weiß Dinge zu zeigen, die wir ohne sie nicht sehen würden. Ganz besonders berührt uns dies in fotografischen Arbeiten, die sich dem eigentlich Vertrauten widmen: der Peripherie, den Plattenbauten, Städten im Ruhrgebiet, dem strukturschwachen ländlichen Raum, dem Alltag in Deutschland, wie ihn Dokumentarfotografinnen sahen, die noch als Kind den Weltkrieg erlebt hatten. Mit einem Exkurs zu Blinden in der Fotografie, zeigt Andrea Gnam, Kapitel für Kapitel welche Bedeutung architektonisch gestalteten oder vernachlässigten Räumen in unserem Leben zukommt, wie sie unsere Erinnerung…mehr

Produktbeschreibung
Fotografie weiß Dinge zu zeigen, die wir ohne sie nicht sehen würden. Ganz besonders berührt uns dies in fotografischen Arbeiten, die sich dem eigentlich Vertrauten widmen: der Peripherie, den Plattenbauten, Städten im Ruhrgebiet, dem strukturschwachen ländlichen Raum, dem Alltag in Deutschland, wie ihn Dokumentarfotografinnen sahen, die noch als Kind den Weltkrieg erlebt hatten. Mit einem Exkurs zu Blinden in der Fotografie, zeigt Andrea Gnam, Kapitel für Kapitel welche Bedeutung architektonisch gestalteten oder vernachlässigten Räumen in unserem Leben zukommt, wie sie unsere Erinnerung bestimmen und welche bedeutende Rolle hier die Fotografie einnimmt.
Autorenporträt
Andrea Gnam, geb. 1959, publiziert in Printmedien und Radio zu Kunst, Architektur, Fotografie und Literatur und unterhält seit 2012 den ersten deutschsprachigen Blog mit Rezensionen, Betrachtungen und Vorträgen zur Fotografie. Privatdozentin für deutsche Literatur an der Humboldt Universität zu Berlin, lehrte sie in den letzten zehn Jahren zu Medienästhetik und Medientheorie an der Universität Wien. 2008 Berufung in die Deutsche Fotografische Akademie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.11.2023

Neue Heimat

Von Niklas Maak

Es ist ja erst mal ein gutes Zeichen, wenn der Bundeskanzler selbst sich für die Frage interessiert, wie und in welchen Häusern wir in Zukunft leben wollen; wenn er über Architektur nachdenkt und nicht nur über die Frage, wie man den bereits größten Regierungssitz der Welt, das Berliner Kanzleramt, für noch mal eine Milliarde Euro erweitern könnte; wenn er über die Städte nachdenkt und ein "radikales Umdenken in der Baupolitik" fordert. Man müsse, hat Olaf Scholz gesagt, um die Wohnungsnot in den großen Städten einzudämmen, neue Stadtviertel auf der grünen Wiese planen, "zwanzig neue Stadtteile in den meistgefragten Städten und Regionen", sagte Scholz, "so wie in den Siebzigerjahren". Das reichte, um bei vielen Kommentatoren reflexartige Panik auszulösen: Will Scholz das alte sozialdemokratische Gespenst der Neuen Heimat mit ihren gruseligen Wohnsilos reanimieren?

Das ist natürlich Unsinn. Was bisher an seriellem Bauen geplant wurde, sieht viel eher wie ein Wiedergänger alter Trostlosigkeiten aus. So gesehen ist jedes radikale Umdenken erst mal gut. Vielleicht wäre es noch hilfreicher, wenn ein erstes Resultat dieses Umdenkens dazu führte, dass man einerseits die gesetzlichen Vorgaben für den Umbau etwa leerer Bürogebäude zu Wohnungen massiv lockert und so Umwandlung statt Abriss erst ökonomisch sinnvoll werden lässt. Und dass man andererseits im Fall von Spekulationen mit Baugrund - also der Unsitte, Grundstücke, auf denen gebaut werden dürfte, unbebaut liegen zu lassen, um sie dann mit Gewinn weiterzuverkaufen - eine 100-Prozent-Steuer auf "leistungslosen Wertzuwachs" erhebt.

Aber das und der Umbau des Leerstands und auch die Aufstockung von Flachdachbauten werden nicht reichen. Wo soll man neu bauen und wie? Und: Muss das "Bauen auf der grünen Wiese" zwangsläufig aussehen wie die Türme von Halle-Neustadt? Oder könnten dabei nicht auch neue Gartenstädte mit Kanälen hinter großen Gärten und künstlichen Seen und verdichteten Haustypologien wie in holländischen Städten oder in New Yorks West Village entstehen - suburbane Gartenstädte mit mehrgeschossigen Bauten als Alternative zum endlosen Einfamilienhauselend? Man müsste nur mit dem Bau der Infrastrukturen - Markt, Schulen, Bahnlinien - anfangen. Und man müsste die Peripherie neu sehen lernen. Was passiert dort? Viele Häuser stehen leer, es gibt Brachfläche und Nischen, die voll- beziehungsweise weitergebaut werden könnten. Sind das Chaos und der vermurkste Schrott dort am Ende liebenswerter als die bis zur Verödung durchgestylten, mit Designeinfällen zugestopften Innenstädte?

Gerade ist ein wunderbares Buch von Andrea Gnam ("Vom Reiz der Peripherie", Wasmuth & Zohlen Verlag) mit Essays zu Architektur und Fotografie erschienen; sie entdeckt in der Vorstadt einen "Zustand der Schwebe", in dem "Altes zu Neuem übergehen kann" in einem "Zwischenreich noch unausgeschöpfter Möglichkeiten fern des Zwangs zur ästhetischen Optimierung". Gnam schreibt über Joachim Schumacher, der seit Jahrzehnten Leerstellen zwischen Häusern im Ruhrgebiet fotografiert, in denen die Bewohner sich zwischen Satellitenschüsseln und Kleingärten eingerichtet haben. Sie entdeckt mit einem anderen Fotografen, Joachim Hildebrand, eine "nachträgliche Schönheit der Neue-Heimat-Siedlungen der fünfziger Jahre", die sich "einen Anflug von Eleganz leisten" - etwa mit Balkonen, die "an die Karosserie italienischer Kinderwagen" erinnern.

Baut man die von Scholz avisierten neuen Vorstädte so, dass sie ihre Bewohner mit solchen Opulenzen erfreuen und ihnen Freiräume für Bricolage, Gärtnerei und eine entspannte Normalität geben, dann könnte es sein, dass später einmal ähnlich liebevoll über sie geschrieben wird.

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