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Uns modernen Menschen erscheint die Sesshaftigkeit so natürlich wie dem Fisch das Wasser. Wie selbstverständlich gehen wir und auch weite Teile der historischen Forschung davon aus, dass die neolithische Revolution, in deren Verlauf der Mensch seine nomadische Existenz aufgab und zum Ackerbauer und Viehzüchter wurde, ein bedeutender zivilisatorischer Fortschritt war, dessen Früchte wir noch heute genießen.
James C. Scott erzählt in seinem provokanten Buch eine ganz andere Geschichte. Gestützt auf archäologische Befunde, entwickelt er die These, dass die ersten bäuerlichen Staaten aus der
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Produktbeschreibung
Uns modernen Menschen erscheint die Sesshaftigkeit so natürlich wie dem Fisch das Wasser. Wie selbstverständlich gehen wir und auch weite Teile der historischen Forschung davon aus, dass die neolithische Revolution, in deren Verlauf der Mensch seine nomadische Existenz aufgab und zum Ackerbauer und Viehzüchter wurde, ein bedeutender zivilisatorischer Fortschritt war, dessen Früchte wir noch heute genießen.

James C. Scott erzählt in seinem provokanten Buch eine ganz andere Geschichte. Gestützt auf archäologische Befunde, entwickelt er die These, dass die ersten bäuerlichen Staaten aus der Kontrolle über die Reproduktion entstanden und ein hartes Regime der Domestizierung errichteten, nicht nur mit Blick auf Pflanzen und Tiere. Auch die Bürger samt ihren Sklaven und Frauen wurden der Herrschaft dieser frühesten Staaten unterworfen. Sie brachte Strapazen, Epidemien, Ungleichheiten und Kriege mit sich.

Einzig die »Barbaren« haben sich gegen die Mühlen der Zivilisation gestemmt, sich der Sesshaftigkeit und den neuen Besteuerungssystemen verweigert und damit der Unterordnung unter eine staatliche Macht. Sie sind die heimlichen Helden dieses Buches, das unseren Blick auf die Menschheitsgeschichte verändert.
Autorenporträt
Scott, James C.§
James C. Scott, geboren 1936, ist Sterling Professor of Political Science und Direktor des agrarwissenschaftlichen Programms der Yale University. Er ist Fellow der American Academy of Arts and Sciences und war Fellow sowohl am Wissenschaftskolleg zu Berlin als auch der Guggenheim Stiftung. Seine Bücher zur Geschichte der Staatlichkeit sowie zu Widerstandsbewegungen gelten bereits heute als Klassiker und sind vielfach preisgekrönt. Zuletzt erhielt er 2015 den Benjamin E. Lippincott Award der American Political Science Association und 2018 schließlich den Prize for High Achievement in Political Science von der International Political Science Association für sein Lebenswerk.
Brühmann, Horst§
Horst Brühmann, geboren 1951 in Borken, studierte Philosophie, Politik- und Literaturwissenschaft in Frankfurt am Main. Er war als Lehrbeauftragter an der Universität in Frankfurt am Main und Lektor im wissenschaftlichen Lektorat tätig. Heute arbeitet er hauptberuflich als Übersetzer für wissenschaftliche Texte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.08.2019

Am Anfang stand der Steuereintreiber

Lob der Barbaren: Der amerikanische Politikwissenschaftler James C. Scott entwirft eine Theorie der Entstehung der frühesten Staaten, die mit einigen provokanten Thesen aufwartet.

Der amerikanische Politikwissenschaftler James C. Scott beschäftigt sich in seinem Buch mit dem Entstehen der frühesten Staaten. Ganz uneitel stellt er es im Vorwort als Werk eines Autors vor, der in verschiedenen Bereichen der Archäologie und der Anthropologie "gewildert" habe. Nun wird das Überschreiten von Fachgrenzen gerne beschworen, aber häufig wenig konkret betrieben und gefördert. Insofern ist es zu begrüßen, dass hier eine wichtige Periode der Menschheitsgeschichte einer transdisziplinären Betrachtung unterworfen wird.

Die Entwicklung der Menschheit von den biologischen Anfängen bis zur Schrift hat Hermann Parzinger vor kurzem in einer "Reise durch die Menschheitsgeschichte" ausführlich dargestellt (F.A.Z. vom 31. August 2016). In manchen Rezensionen wurde allerdings beklagt, dass Parzinger kein kohärentes Gesamtbild mit griffigen Formulierungen anbietet, wie es die "Neolithische Revolution" für den Beginn der bäuerlichen Lebensweise und die "Urbane Revolution" für die Herausbildung der städtischen Gesellschaften sind. Es sind gerade diese beiden "Revolutionen", die Scott sich kritisch vornimmt. Gemäß der angelsächsischen Tradition überwiegt bei Scott aber ein Theoriengebäude, das auf einer einigermaßen eklektischen Faktenauswahl beruht.

Dabei rennt er bezüglich der "Neolithischen Revolution" offene Türen ein. Denn in den archäologischen Wissenschaften ist es schon lange Konsens, dass die Domestikation von Pflanzen und Tieren und das Aufkommen der sesshaften Lebensweise kein revolutionärer Umschlag, sondern ein allmählicher interaktiver Prozess mit wechselseitigen Abhängigkeiten von Mensch und Natur war. Es war auch zunächst kein eindeutiger Fortschritt, denn die neue Lebensweise war zunächst eine Last, wie es etwa auch die Geschichte von Adam und Eva nahelegt: "Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen."

Hinzu kamen neue Krankheiten und Epidemien. Warum es trotzdem zur Sesshaftigkeit kam, ist strittig. Möglicherweise kam es in der Kältezeit der Jüngeren Dryas nach dem Ende der Eiszeit zu einer Verknappung der vorher üppigen natürlichen Ressourcen, aber es gibt auch Dutzende anderer Erklärungsversuche. Jedenfalls scheint es sich bei diesem Prozess um eine Überlebensstrategie gehandelt zu haben. Seine folgenschwerste Auswirkung war eine rasche Bevölkerungszunahme. Im Gegensatz zur früheren nomadisierenden Lebensweise war nun eine hohe Anzahl von Kindern förderlich, einerseits zum Einsatz als Arbeitskräfte, anderseits um die Todesraten durch grassierenden Krankheiten zu kompensieren.

Scott interessiert sich aber ohnehin mehr für die zweite, die "Urbane Revolution". Dabei überspringt er viertausend Jahre an Entwicklungen innerhalb der sesshaften Gemeinschaften, die zur Herausbildung von Arbeitsteilung und Stratifizierung führten. Wichtiger noch ist die Monopolisierung eines Allgemeingutes, des Nahrungsangebotes der Natur, als Folge der Sesshaftwerdung: Es entstehen Privateigentum und Rechtsnormen, oft religiös begründet, als Keim für eine soziale Differenzierung.

Scott beschreibt die Staatenbildung in Südmesopotamien am Fall von Uruk im späten vierten Jahrtausend vor Christus. Dabei hebt er drei Merkmale eines Staates hervor: Mauern, Steuererhebung und Beamte. Hier stimmt er mit Max Weber überein, der den Staat als menschliche Gemeinschaft definierte, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht. Dass dies einer Legitimation bedarf, welche die Religion lieferte, kommt bei Scott zu kurz.

Dafür werden die Zwangsmittel des Staates von Scott ausführlich behandelt, die Abschöpfung des Produktionsüberschusses (Steuern), die Bevölkerungskontrolle und die erzwungene Arbeit durch Sklaven, Kriegsgefangene und andere Gruppen. Das Eintreiben von Steuern nimmt einen großen Raum in Scotts Theoriegebäude ein. Es verleitet ihn zu der gewagten Verallgemeinerung, dass im Altertum Staaten einzig auf der Basis des Anbaus von Getreide entstehen konnten, weil sich nur dessen Ernte vom Steuereintreiber genau genug kontrollieren ließ. Dass eine komplizierte Organisation des Eintreibens und Verwaltens der Getreideabgaben die Entwicklung der Schrift begünstigte, die tatsächlich in Uruk zum ersten Mal auftaucht und zunächst vorwiegend für Warenlisten verwendet wurde, ist unbestritten.

Uruk war von einer Stadtmauer umgeben, der Scott sowohl Schutz- als auch Käfigfunktion zuweist. Ihr Zweck war demnach einerseits, Privateigentum zu schützen, und andererseits aus Sicht der regierenden Elite, die Flucht von Steuerzahlern und Sklaven gering zu halten. Obwohl er einräumt, dass Sklaverei und Knechtschaft nicht von Staaten erfunden wurden, vertritt Scott die These, dass die Staaten im Altertum wesentlich auf erzwungene Arbeit angewiesen waren. Dass es Sklaven und Leibeigene gab, ist allgemein bekannt; die Frage ist, welchen Anteil deren Arbeit an der Gesamtwirtschaft hatte. Scott hält ihn im Gegensatz zur vorherrschenden Auffassung in den archäologischen Wissenschaften für entscheidend.

Insgesamt wird das Leben der Stadtbewohner von Scott in grauen Tönen gezeichnet, ständig bedroht von Seuchen, Kriegen, Hungersnöten und Naturkatastrophen. Ähnlich hat schon Jared Diamond in "Kollaps" argumentiert, allerdings nicht beschränkt auf städtische Gemeinschaften. Dementsprechend versteht Scott den Zusammenbruch einer solchen Gemeinschaft weniger als Scheitern denn als Befreiung. Als Beispiel führt er den Zusammenbruch der Palastwirtschaft im spätbronzezeitlichen Griechenland an, auf den die "dunklen" Jahrhunderte folgten.

Scott sieht solche Phasen eher als periodische und vielleicht sogar heilsame Neufassung der politischen Ordnung. Dabei neigt er zur Verherrlichung der "Barbaren", die sich einer staatlichen Ordnung widersetzen. Obgleich bei solchen Zusammenbrüchen meist kleinere Einheiten entstehen, die ebenfalls hierarchisch strukturiert sind, Typ "Warlord", oder die "Barbaren" das zentralistische System übernehmen wie etwa im mittelalterlichen China oder Mittelasien.

Insgesamt bietet das Buch eine lesenswerte, bündige Darstellung der Zivilisationsgeschichte des Menschen, wenn auch nicht immer auf dem neuesten Stand. Einige provokante Thesen, offensichtlich Rückprojektionen politologischer Konzepte, werden in den archäologischen Wissenschaften vielleicht für Debatten sorgen. Ein überzeugender Gesamtentwurf einer Theorie der Entstehung von Staaten ist es aber nicht.

ERNST PERNICKA

James C. Scott: "Die Mühlen der Zivilisation". Eine Tiefengeschichte der

frühesten Staaten.

Aus dem Englischen von Horst Brühmann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 329 S., Abb., geb., 32,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Scott trifft den Nagel auf den Kopf, indem er aufdeckt, welch erschütternden Preis unsere Vorfahren für die Zivilisation und politischeOrdnung gezahlt haben.«
Financial Times 27.11.2018