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Dass sie deutsch geschrieben sind, macht meine Bücher schon zu jüdischer Mystik. Dieses Paradox gibt Benyoetz Aphorismen und Essays ihre große Kraft. Wie eine Summe aus seinem Werk liest sich dieses Buch, das Elazar Benyoetz sich zu seinem siebzigsten Geburtstag, wie er sagt, versprochen hat: aus dem Geist der Tora erzählend, im Sinne des Talmud reflektierend, virtuos mit der deutschen Sprache jonglierend.

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Produktbeschreibung
Dass sie deutsch geschrieben sind, macht meine Bücher schon zu jüdischer Mystik. Dieses Paradox gibt Benyoetz Aphorismen und Essays ihre große Kraft. Wie eine Summe aus seinem Werk liest sich dieses Buch, das Elazar Benyoetz sich zu seinem siebzigsten Geburtstag, wie er sagt, versprochen hat: aus dem Geist der Tora erzählend, im Sinne des Talmud reflektierend, virtuos mit der deutschen Sprache jonglierend.
Autorenporträt
Elazar Benyoëtz, geboren 1937 in Wiener Neustadt, lebt seit 1939 in Jerusalem. 1988 wurde ihm der Adelbert von Chamisso-Preis, 1997 der Bundesverdienstorden verliehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.03.2007

Der Horchideenzüchter
Stiller Prophet aus Jerusalem: Aphorismen von Elazar Benyoëtz

Immer nur Aphorismen, geht das? Die Frage ist ein stehender Einwand gegen Elazar Benyoëtz. Warum aber soll es nicht gehen? Warum sollte man Aphorismen immer nur nebenher schreiben dürfen? Das neue Buch mit dem schönen biblischen Titel ist nicht leicht zu lesen, schwer aber auch nicht. Man sollte es zunächst einmal durchlesen, danach aber an den Anfang zurückgehen, um dann, wie in einer Ausstellung, von der man sich in zügigem Durchgang einen ersten Eindruck verschafft hat, auf Einzelnes mit Bedacht zurückzukommen.

Solcher Bedacht ist notwendig, denn hier wurde, wie es sich für Aphorismen gehört, nicht weniges und nicht immer leicht Auflösbares geballt. Und der Magie insgesamt dieses "Gewebes", denn dies heißt ja, etymologisch gesehen, "Text", muss man, damit sie sich einstellen kann, Zeit geben. Dann entfaltet es seine Magie. Übrigens wäre auch zu fragen, ob, was Benyoëtz hier schreibt, wirklich Aphorismen sind. Jedenfalls sind es Aphorismen besonderer Art.

Das Buch besteht aus sieben Kapiteln oder Teilen. In jedem kreisen die Beobachtungen und Reflexionen, locker thematisch geordnet, teils ernster, teils verspielter, um Metaphysisches und Praktisches. Und da ist wachsende Intensität. Und auch das Aphorismus-Thema wird explizit und engagiert aufgenommen. Dann folgen aber noch auf knapp fünfzig Seiten Anmerkungen, sehr untertreibend als "Nachweise" bezeichnet. Denn sie gehören ganz und gar dazu und sind im vollen Sinne interessant, zum Teil erregend. Sie führen die aparte und verzweigte Lesewelt dieses Autors vor. Auch daraus wird ja deutlich, dass es sich um reine Aphorismen nicht handelt, denn Aphorismen bedürfen keiner Anmerkungen. Oder vielmehr: das ihnen Hinzugesetzte hebt sie eigentlich auf. Sie müssen aus eigener Kraft stehen können. Und dennoch: Warum sollte hier ein Gattungsanspruch rein erfüllt werden? Es reicht doch, wenn das Ganze, das "Gewebe" insgesamt, von starkem Interesse ist. Alle "genres", sagte Voltaire, sind erlaubt, nur eines nicht: "le genre ennuyeux". Benyoëtz ist auch ein glänzender Zitierer. Oft sind seine Reflexionen wohlgesetzte Zitate und das Gegenteil von einem umgestürzten Zettelkasten. Die Welt von Benyoëtz ist zunächst die bei ihm recht unorthodox auftretende jüdisch-biblische Weisheit, dann seine fast ganz auf Bücher konzentrierte metaphysischpraktische Bildung: Wer kennt zum Beispiel Felix Poppenberg oder Hieronymus Lorm oder Benjamin Segel? Oder für wen sind etwa Otto Flake und Nikolai Berdjajew und Friedolin Stier jetzt noch Adressen? Die bildenden Künste übrigens, auch Musikalisches, stehen dieser Welt ferner. Der Rhythmus aber, ein Element der Sprache und der Musik, ist ihm zentral wichtig.

Mehrfach rekurriert Benyoëtz auf Bileam und auf Kohelet. Es gibt dem Buch zusätzliche Einheit. Bileam treffen wir im 4. Buch Mose. Er ist ein Prophet von außerhalb, vom Euphrat herbeigeholt, der, ohne es zu wollen und ganz gegen den Auftrag, der ihm erteilt wurde, die ins Land eingedrungenen Israeliten nicht verflucht, sondern sie preist - ein sozusagen objektiver, weil unbeteiligter Prophet, das reine Instrument. Und Kohelet ist der Verfasser, Mitte des dritten vorchristlichen Jahrhunderts, des biblischen Buchs, das auch so heißt (bei Luther heißt es "Prediger", in der Vulgata "Ecclesiastes"). Es ist ja das modernste, auch intellektuellste Buch der Bibel, und eine Sammlung von Aphorismen ist "Kohelet" auch.

Benyoëtz ist ehrgeizig in diesem Buch. Man spürt dies intensiv. Und es hat Vermächtnishaftes, was im Titel des fünften Teils "Ein Morgen letzter Hand" deutlich genug anklingt. Und um weniges geht es ihm ja wahrlich nicht. In spielerischem Ernst kreist er letztlich immer um Gott. Wirklich, das Buch ist heiter, spielerisch, zum Teil gar verspielt. Obwohl es sich also überhaupt nicht tiefsinnig gibt, ist es ernst. Und dann denkt dieser spät, aber sehr vollständig und mit liebender Neugier in unsere Sprache eingedrungene Autor in heller, ja überheller Sprachbewusstheit scharf und durchaus gewagt der deutschen Sprache entlang. Der erste Teil, nur als Beispiel, ist überschrieben mit "Entwegt". Dieses Wort gibt es nicht. Es gibt nur "unentwegt", das zu jenen Adjektiven zählt, die wir, wie etwa auch "unwirsch", nur in verneinter Form finden. "Unentwegt" ist ein Synonym für "imme", also heißt "entwegt" - für Benyoëtz und nun für uns - auf aparte Weise "nicht immer", "gelegentlich". Oder der Schüttelreim "monadisch, nomadisch" oder "hörsichtig", dann "schwerverschwendlich", "Namen und Ausnahmen", "am deutschlichsten", "platzt aus allen Nöten", "maiästhetisch" oder gar "gebibelt": "Der jüdische Humor geht nicht auf die Bibel zurück, da gibt es wenig zum Lachen; auf seinem Gipfel, im Jiddischen, ist er aber in volkstümlicher Weise durch und durch gebibelt."

Oder auch, so lautet eine Überschrift, "Tolle, ganz tolle Ränzler", eine Auflösung der Neubildung "Toleränzler" (die sind ihm suspekt). Man sieht - das geht weit. Schließlich "Horchideen": Ideen, die vom Horchen kommen. Und schon sind wir bei etwas sehr Jüdischem: Vorstellungen, die sich intensivem Hören verdanken, und da wären wir gleich bei der Formel des Paulus, nach welcher der Glaube "aus dem Hören" kommt - "fides ex auditu" ("aus der Predigt" bei Luther). Und semantisch bleibt natürlich in der "Horchidee" etwas von dem Edlen, dem Kostbaren der Orchidee. Man mag dies bedenklich oder auch albern finden. Es ist jedenfalls weit entfernt von Heideggers Sprachmystik. Es gehört einfach zu der fundamentalen und singulären Heiterkeit dieses zumindest über die Sprache auch "deutschen" Juden. Das Sprachkomische erscheint bei ihm eher in seiner "entlastenden" Funktion, die ihm vor allem Sigmund Freud zugesprochen hat. Übrigens treffen wir das sprachspielerische Element in diesem neuen Buch von Benyoëtz gegenüber dem vorausgehenden "Finden macht das Suchen leichter" (2004) eher zurückgedrängt an. Er ist jetzt zumindest als Autor ernster, scheint der "Entlastung" weniger zu bedürfen.

Elazar Benyoëtz, der in diesen Tagen siebzig wurde, hat uns Lesern, aber auch sich selbst, das Geschenk dieses schönen Buches gemacht. Geboren wurde er in Wiener Neustadt als Paul Koppel. Zweijährig kam er nach Tel Aviv. Mit dreißig brachte er seine erste Sammlung deutschsprachiger Aphorismen heraus. Er lebt in Jerusalem und ist sozusagen, dem Bileam insofern nicht unähnlich, ein "Stiller" von außerhalb.

HANS-MARTIN GAUGER.

Elazar Benyoëtz: "Die Eselin Bileam und Kohelets Hund". Carl Hanser Verlag, München 2007. 216 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ein schönes Geburtstagsgeschenk zum Siebzigsten ist dieser Aphorismenband nicht nur für Elazar Benyoetz selbst, sondern auch für seine Leser, freut sich Hans-Martin Gauger. Fragt der eingenommene Rezensent zunächst rhetorisch, ob man sich als Autor denn so ganz auf Aphorismen beschränken kann, wie der israelische, aber deutschsprachige Autor das tut (ja, man kann!), stellt er im nächsten Moment schon in Abrede, dass es sich bei den sieben Teile umfassenden Band überhaupt um reine Aphorismen handelt, hat Benyoetz ihnen doch fast 50 Seiten Anmerkungen angehängt, deren dieses Genre im strengen Sinn gar nicht bedarf. Gauger begeistert sich für die sprachspielerische Ader des Autors genauso wie er sich vom "Ernst" und der Tiefe der Texte inspirieren lässt. Insbesondere der bewusste Umgang mit der deutschen Sprache, Benyoetz gewinnt ihr so manche Neuschöpfung ab, findet der Rezensent wegen der gleichermaßen spielerischen wie metaphysischen Ebene sehr erhellend.

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