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Zwei Jahre vor dem Olympiaanschlag 1972 lag München schon einmal im Brennpunkt des Terrors: mit einer blutigen, wenn auch gescheiterten Flugzeugentführung auf dem Flughafen Riem, einem Brandanschlag auf das Israelitische Gemeindehaus, bei dem sieben Holocaustüberlebende starben, und Paketbombenattentaten auf zwei Verkehrsflugzeuge, von denen das eine notlanden konnte, während das andere abstürzte und alle 38 Passagiere und 9 Besatzungsmitglieder in den Tod riss. Wolfgang Kraushaar kann zeigen, dass eine der Taten höchstwahrscheinlich aus dem unmittelbaren Umfeld einer Gruppe deutscher…mehr

Produktbeschreibung
Zwei Jahre vor dem Olympiaanschlag 1972 lag München schon einmal im Brennpunkt des Terrors: mit einer blutigen, wenn auch gescheiterten Flugzeugentführung auf dem Flughafen Riem, einem Brandanschlag auf das Israelitische Gemeindehaus, bei dem sieben Holocaustüberlebende starben, und Paketbombenattentaten auf zwei Verkehrsflugzeuge, von denen das eine notlanden konnte, während das andere abstürzte und alle 38 Passagiere und 9 Besatzungsmitglieder in den Tod riss.
Wolfgang Kraushaar kann zeigen, dass eine der Taten höchstwahrscheinlich aus dem unmittelbaren Umfeld einer Gruppe deutscher Linksradikaler verübt wurde. Von ihr aus führen Verbindungslinien zu palästinensischen Terrororganisationen, aus deren Reihen die Täter und Hintermänner der anderen drei Aktionen kamen. Warum wurden sie nie vor Gericht gestellt, obwohl die meisten von ihnen rasch verhaftet worden waren? Welche Rolle spielte die damalige Bundesregierung? Wie konnte es trotz der Erfahrungen im Februar 1970 noch zurGeiselnahme auf der Olympiade kommen - und welche Zusammenhänge gibt es zwischen den Terroraktionen?
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Kraushaar, WolfgangDr. Wolfgang Kraushaar arbeitet seit 1987 als Politikwissenschaftler am Hamburger Institut für Sozialforschung. Im Zentrum seiner Forschungen stehen Protestbewegungen und der moderne Terrorismus. Zu seinen wichtigsten Publikationen zählen «Die Protest-Chronik 1949-1959», «Frankfurter Schule und Studentenbewegung», «Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus» sowie «Die RAF und der linke Terrorismus».
Rezensionen
Kraushaars Buch hellt so manche verborgene, unverstandene Passage der Geschichte der siebziger Jahre entscheidend auf. Der Tagesspiegel

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eine Debatte über den Antisemitismus des deutschen Linksradikalismus findet Petra Weber notwendig, auch wie der antifaschistische Kampf in einen antizionistischen umschlagen konnte, ist ihrer Ansicht nach noch lange nicht ausreichend geklärt. Trotzdem nennt sie Wolfgang Kraushaars Buch "ein Ärgernis". Auf 880 Seiten verfolgt der Autor seine These, dass für den Anschlag auf das jüdische Altersheim in München 1970 die Stadtguerilla um Dieter Kunzelmann und Fritz Teufel verantwortlich war. In Webers Augen fördert Kraushaar dabei keinerlei neue Erkenntnisse zutage, er arbeite allein mit Vermutungen und Hypothesen und lasse außer Acht, dass die Behörden damals durchaus in diese Richtung, aber ergebnislos ermittelt haben. Geradezu unanständig findet sie Kraushaars Unterstellungen gegenüber dem SPD-Politiker Hans-Jürgen Wischnewski, der in den Verdacht eines Komplizentums gerate, weil er in seinen Verhandlungen mit palästinensischen Attentätern - gemäß der damals weltweit üblichen Politik - auf die Geiselfreipressungen einging. Obsessiv findet Weber diese Arbeit.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.2013

Der Brandanschlag in Münchens Reichenbachstraße
Wolfgang Kraushaar arbeitet mit Vermutungen und Hypothesen, um terroristische Aktionen von 1970 zu deuten

Wolfgang Kraushaars sensationerheischendes Buch - der Klappentext verspricht, "spektakuläres" neues Licht zu werfen auf die 68er-Bewegung und auf vier terroristische Aktionen, die im Februar 1970 in München verübt wurden - hat ein kaum mehr zu überbietendes Medienecho gefunden. Wie schon seine 2005 erschienene Arbeit "Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus" löste es eine Debatte über die Rolle des Antisemitismus als Geburtshelfer des deutschen Linksterrorismus aus. In seiner letztgenannten Studie hatte Kraushaar Dieter Kunzelmann (der 1969 im Westteil Berlins eine Stadtguerrilla nach lateinamerikanischem Vorbild konstituiert und zum "Kampf gegen die heilige Kuh Israel" aufgerufen hatte, um dadurch die Revolution im eigenen Lande voranzutreiben) als Drahtzieher des Bombenattentats auf das Jüdische Gemeindehaus in West-Berlin am 9. November 1969, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, ausfindig gemacht. Die Bombe aus den Arsenalen des West-Berliner Amtes für Verfassungsschutz war funktionsuntüchtig und explodierte nicht.

In dem bis heute nicht aufgeklärten Brandanschlag auf das Gebäude der Israelitischen Kultusgemeinde in der Münchener Reichenbachstraße am 13. Februar 1970, bei dem sieben Menschen, meist Überlebende des Holocausts, zu Tode kamen und zwei Dutzend physisch und psychisch verletzt wurden, glaubt Kraushaar die ",Vollendung' des am 9. November 1969 versuchten, aber gescheiterten Bombenanschlags auf das Jüdische Gemeindehaus in West-Berlin" erkennen zu können. Für diese Behauptung fehlen ihm jedoch ebenso handfeste Belege wie für seine Hypothese, dass die fehlgeschlagene Flugzeugentführung in München-Riem, zwei Bombenanschläge auf Flugzeuge, einer davon auf eine Swissair-Maschine, die mit 47 Menschen an Bord abstürzte, und der Brandanschlag auf die Israelitische Kultusgemeinde, die allesamt innerhalb von elf Tagen im Februar 1970 begangen wurden, in einem engen Zusammenhang stehen. Kraushaar vermutet ein arbeitsteiliges Vorgehen palästinensischer und deutscher Terroristen und fahndet nach einem "zentralen Akteur, der im Hintergrund die Fäden zog", den er jedoch nicht zu finden vermag. Die Justiz behandelte die kriminellen Taten von Anfang an wie Einzelfälle.

Obwohl die Ermittlungsbehörden den anfänglichen Verdacht, dass der führende Kopf der Münchener Stadtguerrilla, Fritz Teufel, der einst mit Kunzelmann in der berühmten "Kommune I" zusammengelebt hatte, den Brand im Gebäude der Israelitischen Kultusgemeinde gelegt habe, nicht erhärten konnten, hält Kraushaar obsessiv an dem Verdacht fest, dass Linksextremisten aus dem Umfeld der Münchener Stadtguerrilla die diabolische Tat begangen hatten, wenngleich diese sich von dem Verbrechen eindeutig distanzierte.

Kraushaar stützt seine Vermutung nicht zuletzt darauf, dass Fritz Teufel just an dem Tag des Brandanschlags in der Münchener Reichenbachstraße eine "große Frühjahrsoffensive" ankündigte, die jedoch nicht antifaschistisch motiviert war, sondern sich gegen die Justiz richtete, deren vermeintlicher Unrechtscharakter entlarvt werden sollte. Teufels Ankündigung folgten mehrere kleine Anschläge gegen Justizangehörige. Er selbst büßte Anfang 1971 für seinen neurotischen Kleinkrieg gegen die Justiz mit einer Verurteilung zu zwei Jahren Gefängnis. Ihm wurde versuchte Brandstiftung im Münchener Amtsgericht zur Last gelegt.

Als im August 1972 die Olympischen Spiele in München eröffnet wurden, saßen Fritz Teufel und Dieter Kunzelmann in Haft. Kunzelmanns Mitstreiter in der Berliner Stadtguerrilla, Georg von Rauch, war von der Polizei im Dezember 1971 erschossen worden. Nichtsdestotrotz fragt Kraushaar, ob von den drei Linksterroristen nicht der entscheidende Anstoß zur Geiselnahme der israelischen Herrenmannschaft durch die palästinensische Terrorgruppe "Schwarzer September" ausgegangen sei. Ohne Zweifel war Teufel die "unbestrittene Ikone der antiolympischen Bewegung", die sich gegen Leistungssport und eine Kommerzialisierung des olympischen Gedankens wandte. Er wie auch Rauch kündigten als Rache für ein kurz vor der Eröffnung der Olympischen Spiele 1968 in Mexiko verübtes Massaker an Studenten eine Sprengung der Olympischen Spiele in München an. Der drogensüchtige Rauch entwickelte zudem surreale Pläne für die Stürmung des Olympischen Dorfes, die wundersamerweise zur Bildung neuer Kommunen führen sollte.

Die Polizei nahm die linksradikalen Drohungen zu Recht nicht ernst, was Kraushaar freilich nicht zu verstehen vermag. Zur Untermauerung seiner Hypothese, dass die deutschen Linksterroristen hinter dem Olympia-Attentat steckten, versucht er auch noch zu insinuieren, dass Kunzelmann während seines Aufenthalts in Ausbildungslagern der al Fatah die Palästinenser erst auf den Gedanken eines Überfalls während der Olympischen Spiele gebracht habe. Die palästinensische Terrorgruppe "Schwarzer September", die die erpresserische Geiselnahme der israelischen Herrenmannschaft hochprofessionell vorbereitete und eiskalt durchführte, bedurfte indes nicht der Unterstützung bundesdeutscher Terroristen und auch nicht der Einflüsterung eines drogensüchtigen Berliner Stadtguerrillero.

Dass Ulrike Meinhof die Gewalttat der Gruppe "Schwarzer September" als "revolutionäre Aktion", die sie in völliger Verblendung auch noch als antifaschistisch bezeichnete, rechtfertigte, verweist freilich auf die immer enger werdende Kooperation zwischen palästinensischen Terrorgruppen und der RAF, bei der nun der Antizionismus endgültig in Antisemitismus umschlug. Bei einer Entführung eines Passagierflugzeugs der Air France nach Entebbe durch palästinensische und deutsche Terroristen trennten diese die als Juden identifizierten Geiseln von den übrigen Geiseln, die freigelassen wurden. Für die Geschichte der RAF, deren antisemitische Wurzeln offenkundig sind, interessiert sich Kraushaar jedoch nicht.

Vielmehr drängt sich ihm der Eindruck auf, dass es bei den von ihm recherchierten Attentaten "am politischen Willen zu einer angemessenen Strafverfolgung gemangelt" habe, was vor allem ein an die Adresse der SPD gerichteter Vorwurf ist. So ist Kraushaar nahezu empört darüber, dass die SPD-geführte Bundesregierung Forderungen von Geiselnehmern nach Freilassung inhaftierter palästinensischer Attentäter nachgab. Er bezeichnet die erpresste Freilassung als "Abschiebung" der Attentäter und wertet sie als "Appeasement-Politik". Dass die auch von den übrigen westlichen Staaten bis Mitte der 1970er Jahre praktizierte Politik des Nachgebens der Hoffnung entsprang, auf diese Weise weitere Attentate verhindern zu können, fällt für Kraushaar nicht ins Gewicht. Ein Politiker wie Hans-Jürgen Wischnewski, der sich 1970 um die Freilassung deutscher Geiseln in Jordanien bemühte, wird nicht nur zum "einstigen Trotzkisten" erklärt, er wird auch ins moralische Zwielicht gestellt, indem ihm "außerordentlich gute Beziehungen" zu "einigen Hintermännern der palästinensischen Luftpiraten" unterstellt werden.

Dass sich führende Sozialdemokraten, unter ihnen wiederum Wischnewski, mit einem ehemaligen palästinensischen Terroristen wie Issam al-Sartawi, der inzwischen in Übereinstimmung mit PLO-Führer Yassir Arafat eine diplomatische Lösung des Nahost-Konflikts anstrebte, zu Gesprächen trafen, stößt bei Kraushaar selbstverständlich auf Unverständnis. Nicht nur die von ihm attackierte SPD-Führung, auch die meisten anderen westlichen Regierungen waren indes damals bereit, unkonventionelle Methoden zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu wählen. Auch die Regierung der Vereinigten Staaten unterhielt Geheimkontakte zu Sartawi und anderen ehemaligen Terroristen wie Ali Hasan Salameh und schloss mit ihnen einen wechselseitigen Nichtangriffspakt.

Kraushaar arbeitet mit Vermutungen und Hypothesen. Entsprechend springt er in seiner Arbeit von einem Thema zum anderen, womit er verdecken kann, dass ihm aufgrund fehlender eindeutiger Belege eine stringente Beweisführung nicht möglich ist. Wie ein Staatsanwalt rollt er die Tathergänge immer wieder von neuem auf, fördert aber keine neuen Erkenntnisse zutage. Einige Kapitel sind in der 880 Seiten umfassenden Arbeit völlig überflüssig. Was die versehentliche Ermordung eines marokkanischen Kellners durch den israelitischen Geheimdienst im norwegischen Lillehammer mit den antisemitischen Wurzeln des deutschen Linksterrorismus zu tun haben soll, bleibt unergründlich.

Das Buch ist ein Ärgernis, aber es hat ohne Zweifel eine wichtige Debatte über die antisemitischen Prägungen des deutschen Linksradikalismus ausgelöst, die hoffentlich bald den Anstoß für eine Studie gibt, die aufgrund überzeugender Quellen nachzeichnet, wie der antifaschistische Kampf der 68er-Bewegung gegen das Schweigen der Väter über ihre Verstrickungen in die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes schon früh in einen antizionistischen Kampf umschlagen konnte, bei dem der Antisemitismus der Vätergeneration immer stärker hervortrat.

PETRA WEBER.

Wolfgang Kraushaar: "Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?" München 1970: Über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013. 880 S., 34,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.02.2013

Möglicherweise
Wie man Geschichte konstruiert, indem man die Welt im Konjunktiv betrachtet: Wolfgang Kraushaar versucht, die Münchner
Tupamaros und Kommunarden als Antisemiten zu entlarven und sie nachträglich zur Hilfstruppe der Palästinenser zu erklären
VON WILLI WINKLER
Warum eigentlich nicht gleich Wim Wenders? Der war nicht immer weltberühmt, sondern lebte 1969 in einer Kommune in der Münchner Metzstraße. In demselben Haus wohnten zeitweise Personen, die damals weit bekannter waren als er („legendär“ nennt Wenders sie): Fritz Teufel, Brigitte Mohnhaupt, Rolf Heißler, Irmgard Möller, das sogenannte Busenwunder Rosy Rosy. Der junge Wenders, der eben seine ersten Kurzfilme gedreht hatte, gehörte zu dieser Szene, aus der auch die „Tupamaros München“ sowie mehrere Mitglieder der späteren RAF hervorgingen.
  In einem an entlegener Stelle erschienenem Prosagedicht erinnert sich Wenders an die beginnende Militanz: „Die Demos aus dem Vorjahr hatten sich irgendwie abgenutzt, / die politischen Happenings und sonstigen Aktionen ebenso, / und im Raum standen neue Strategien.“ Von gewaltsamen Aktionen wurde geredet, und vielleicht war es nur ein schlimmer LSD-Trip, der Wenders daran hinderte, sich am Werfen „irgendwelcher Brandsätze oder ‚Bomben‘ / die nachts irgendwo losgehen sollten“, zu beteiligen. Trotzdem: Wenders war es mutmaßlich nicht.
  Bis heute ist nicht bekannt, wer am
13. Februar 1970 im Vordergebäude der Israelitischen Kultusgemeinde in der Münchner Reichenbachstraße Benzin im Treppenhaus ausgegossen und dann angezündet hat. Sieben Menschen starben bei diesem Anschlag. Sie hatten Auschwitz überlebt und mussten jetzt elend verbrennen. Die Täter wurden nie entdeckt. Es konnten Rechtsradikale getan haben, linke Anarchisten wurden verdächtigt, es konnte ein privater Racheakt gewesen sein – aufgeklärt wurde der Anschlag trotz eines Jagdaufrufs in der Bild -Zeitung, trotz umfangreicher Ermittlungen in den vier Jahrzehnten seither nicht.
  Wolfgang Kraushaar kann den Fall auch nicht aufklären, deshalb arbeitet er mit Unterstellungen und Behauptungen. Schon im Juli wurde in der ARD-Dokumentation „München 1970: Als der Terror zu uns kam“ von Georg M. Hafner, in der Kraushaar auftrat und auch als wissenschaftlicher Berater mitwirkte, ohne den geringsten Beleg behauptet, der Kommune-Gründer und unheilbare Gaudibursch Dieter Kunzelmann sei nach seiner Palästina-Reise im Sommer 1969 „der Strippenzieher für die Al Fatah in Deutschland“ geworden. Obwohl Kunzelmann sich wiederholt drastisch antisemitisch geäußert hat – sein Satz von der „heiligen Kuh Israel“, die es endlich zu bekämpfen gelte, liefert den Titel –, gibt es keinen Beweis dafür, dass er bei diesem Anschlag die Strippen gezogen hätte oder gar beteiligt gewesen wäre. Schon nach dem Hafner-Film sprach Michael Wolffsohn von „Kaffeesatzleserei“. Und wirklich dürfte es wenige Bücher geben, in denen so viel zu sein „scheint“ oder auch nur „offenbar“ zu sein scheint, alles Mögliche „wahrscheinlich“ ist oder „nicht auszuschließen“, in denen Täter „mutmaßliche“ Täter sind (und in einem Fall sogar „mutmaßliche Brüder“) und in denen der oder jener „möglicherweise“ mit irgendwas zu tun hat.
  Der spätere Politikwissenschaftler Wolffsohn war im Frühjahr 1970 als Soldat in Israel, wo das Bedauern über die Toten im jüdischen Altersheim nicht groß gewesen sei. „Why are they in Munich?“ habe es geheißen. „Warum kommen sie nicht hier-her?“ Und die Fatah? „Terroristen sind doch hochrational in der Auswahl ihrer Ziele, und ein Altersheim als Terrorziel ist einfach nicht spektakulär genug.“ Die Behauptung, Kunzelmann sei Fatah-Mann gewesen, ist für Michael Wolffsohn „weder guter Journalismus noch gute Wissenschaft – das ist gar nichts.“
  Fest steht, dass wenige Tage vor dem Brand ebenfalls in München ein palästinensisches Terrorkommando die Passagiere einer El-Al-Maschine überfiel. Ein Israeli starb, als er seinen Vater schützen wollte; die berühmte Schauspielerin Hanna Maron wurde durch eine Handgranate schwer verletzt. Außerdem wurde in München wenige Tage später ein Paket mit einer Bombe aufgegeben, die eine Swissair-Maschine zum Absturz brachte. Alle 47 Insassen starben. Doch trotz der Anwesenheit des legendären Fritz Teufel macht das München noch nicht zu der Terrorzentrale, die der unermüdliche Rechercheur Kraushaar entdeckt haben will.
  Aber weil für ihn alles mit allem zusammenhängt, liest er aus der Bemerkung Teufels, für die Olympischen Spiele „schwebt mir da etwas vor“, unweigerlich den Überfall heraus, bei dem ein weiteres Palästinenser-Kommando 1972 Mitglieder der israelischen Mannschaft ermordete. Zwar wusste der Spiegel schon 1981, dass sich der Olympia-Stoßtrupp des „Schwarzen September“ deutscher Helfer aus rechtsradikalen Kreisen bedient hatte, aber davon ist bei Kraushaar keine Rede.
  Was für seine Generation zuvor der Imperialismus war, der altböse Feind, wird neuerdings durch den Antisemitismus-Vorwurf ersetzt, der mit einem vollkommenen Ablass für etwaige eigene Sünden verbunden ist. Seit seinem Buch über die „Bombe im Jüdischen Gemeindehaus“ (2005), in dem er mehrere, nicht unbedingt zuverlässige Zeugen dafür aufbieten konnte, dass Kunzelmann hinter dem Anschlag im November 1969 in Berlin stecken muss, will Kraushaar mit aller Gewalt die Linke des Antisemitismus überführen.
  Dabei hat sich der verdienstvolle Zeithistoriker auf eine Art Insinuations-Berichterstattung spezialisiert. In seinem Buch „Verena Becker und der Verfassungsschutz“ (2010) bringt er es fertig, 190 Seiten lang Vermutungen über eine bis 1972 zurückreichende Zusammenarbeit der 2.-Juni- und RAF-Kämpferin Becker mit den Geheimdiensten zusammenzutragen, um dann auf der folgenden, der letzten(!), Textseite zu erklären, er habe „keinen Beleg für eine Informantentätigkeit Verena Beckers vor 1977.“ Er wolle auch „nicht suggerieren, dass es so gewesen sein müsse“, schreibt er, und hat doch 190 Seiten lang nichts anderes getan.
  Nun ist der Reporter, gerade wenn er sich mit Zeitgeschichte beschäftigt, in ständiger Versuchung, überall Zusammenhänge zu sehen und am besten gleich eine Verschwörung aufzudecken. Muster: Wo zwei oder drei unter einen Begriff fallen, haben sie bestimmt was zusammen ausgeheckt, und wenn es bisher niemand wusste, ist die Verschwörung auch schon bestätigt. Kraushaar zieht deshalb ganz dicke Linien von der Palästinenser-Begeisterung der außerparlamentarischen Linken über die Bemühungen des SPD-Politikers Hans-Jürgen Wischnewski (ein „einstiger Trotz-kist“, natürlich!) um eine Freilassung der deutschen Geiseln 1970 in Jordanien bis zum PanAm-Anschlag 1988 bei Lockerbie.
  Wer naiv genug ist zu glauben, die „gel-tungssüchtigen Dampfplauderer“ (Christian Ude) von München wären doch ein bisschen zu unbedeutend für diese großen Aktionen, ahnt nichts von Kraushaars Talent, alles auf sein Lieblingsthema zurückzuführen. Komplexere Themen wie das Verhältnis der oft verfeindeten palästinensischen Fraktionen werden lieber nicht behandelt, Lücken in der Argumentation übergangen, indem er einfach ein neues Kapitel beginnt – aber dafür werden dubiose Zeugen wie die Aussteiger Gerhard Müller und Hans-Joachim Klein angeführt. Ansonsten wird der Leser mit der prickelnden Prosa der Ermittlungsakten verwöhnt, die Kraushaar meinungsstark aufdonnert.
  So bringt sein Buch zwar keine neuen Er-kenntnisse, schon gar keine Aufklärung, aber dafür wunderschöne Stilblüten. „Hier sind im Zuge der vorläufigen Ermittlungen bereits mögliche Indizien zusammengetragen“, eiert er, um es dann krachen zu lassen, „aus denen sich das Schreckbild einer so skandalträchtigen Schlagzeile hätte speisen können.“ Guten Appetit, sagt sich der Leser, bleibt aber trotzdem hungrig. „Während die genaueren Zusammenhänge im Dunkeln bleiben, scheint die Identität der beiden Personen klar zu sein“, faselt sich der Autor ins immer passende chiaroscuro der raunenden Kriminalerzählung. Über die Tupamaros in München und Berlin glaubt er zu wissen: „Im Grunde genommen traten die beiden Gruppen wie eineiige Zwillinge auf.“ Nur im Grunde genommen? Ist das auch wirklich recherchiert oder handelte es sich möglicherweise bloß um zweieiige Zwillinge?
  Wie im Buch über Verena Becker fehlt auch in dem neuen Buch jeder Beweis für das, was Titel und Klappentext an Sensation versprechen. Die ständig wiederholte Andeutung, es seien die Leute um Fritz Teufel und Dieter Kunzelmann gewesen, die – womöglich sogar im Auftrag der Palästinensischen Befreiungsfront – den Anschlag auf das jüdische Altersheim unternommen hätten, reicht nicht für eine Anklage. Kraushaar möchte aber – verständlicherweise – besser als die Polizei sein, also fabriziert er einen Beweis. Das gelingt mit einem Brief, den Ina Siepmann, die nach der gemeinsamen Reise zu den Palästinensern in Jordanien zurückgeblieben ist, an ihren Freund Kunzelmann in Deutschland richtet. Es ist Ende Dezember 1969. Ina Siepmann fühlt sich allein, sie bezieht sich auf gemeinsame Bekannte und schreibt: „Mein Gott wird das seltsam sein, wenn ich Euch plötzlich wiedersehe! Wenn Karl August kommt, freue ich mich ja sehr. Doch wo sind die Brandst. geblieben? Und warum steht in Deinem Brief nichts von N. aus Frankfurt? Hat er Euch doch nicht in Berlin besucht?“
  Was bedeutet „Brandst.“? Kraushaar findet dafür eine eigentümliche oder vielmehr genau die Auflösung, die er für seine These braucht. „Siepmanns vorwurfsvolle Frage, wo die Brandstiftungen geblieben seien, spricht dafür, dass noch während Kunzelmanns Aufenthalt bei den Palästinensern derartige Praktiken verabredet worden sein könnten.“ Kraushaar kann gar nicht genug von diesem juristisch abgesicherten Qualm-Deutsch kriegen, aber er will ja seine Verdächtigen überführen und ihnen außergerichtlich den Prozess machen, ohne seinerseits wegen Verleumdung belangt zu werden. „Die Frage lautet deshalb, ob der Brandanschlag in der Reichenbachstraße möglicherweise die Antwort auf Siepmanns Frage gewesen ist.“ Möglicherweise scheint es ihm offenbar so, nur ist es nicht so.
  Wie nämlich wäre es – um dem konditionalisierten Stil Kraushaars zu folgen –, wenn er in seinem Kombinationseifer die Stelle falsch verstanden, die Abkürzung so aufgelöst hätte, dass es passt? Hätte er nicht „Brandstiftungen“ gelesen, könnte er die Frage nicht in die Überschrift des Kapitels nehmen, könnte er nicht behaupten, „Kunzelmann selbst ist der Brandsatz“, und es fehlte ihm schließlich die Verbindung der Fatah und ihrer Berliner Bewunderer zum Brandanschlag von München, die er so dringend braucht, dass sie im Buch mit einer rührend hilflosen Grafik hergestellt werden muss. Wie also, wenn Kraushaar seriös arbeiten und die Abkürzung als „Brandstifter“ auflösen würde?
  Diese Lesart hat schon allein deshalb eine weit größere Plausibilität, weil in den Sätzen davor und danach nicht von Handlungen (oder wie Kraushaar es nennt, von „Praktiken“) die Rede ist, sondern von Per-sonen. Nach dieser Lesart wären damit Andreas Baader und Gudrun Ensslin ge-meint, die Anfang April 1968 in zwei Frankfurter Kaufhäusern einen Brand gelegt hatten, deswegen Ende Oktober 1968 verurteilt, im Juni 1969 vorläufig freigelassen worden waren.
  Die beiden waren da schon so berühmt, dass sie nicht nur Hubert Burda empfing, sondern Klaus Lemke bereits einen Film über sie gedreht hatte mit dem Titel: „Brandstifter“. Im Herbst 1969, als sie wieder in Haft kommen sollten, flohen die beiden nach Paris. Ina Siepmann hat also Grund, sich nach dem Verbleib der inzwischen in Rom angelangten Brandstifter zu erkundigen, zumal sie und Kunzelmann vor ihrer Palästinareise im Juli 1969 mit Baader und Ensslin in Frankfurt zusammen im Atelier des Zeichners Alfred von Meysenbug übernachtet haben. (Ja, es gibt Fotos, und Kraushaar, der als Angestellter des Hamburger Instituts für Sozialforschung über das von Kunzelmann vorsortierte Archiv des Sozialistischen Anwaltskollektivs verfügt, kennt sie auch.)
  Wie in dem Film Hafners soll auch hier die freie Assoziation erbringen, was die Fakten nicht hergeben. Das ist zwar schlechter Journalismus und dient bestimmt nicht der Wahrheitsfindung, erzeugt aber jenes Grundrauschen, das allen vertraut klingt, die schon immer ein Generalverdacht gegen die Linke plagte.
  Dafür kippt Kraushaar seinen überquel-lenden Dokumentenordner vor dem be-dauernswerten Leser aus, weil der nach 693 Seiten Text, 78 Seiten Fußnoten und weiteren hundert Seiten für Literatur, Kurzbiografien und ein doppeltes Register auch nicht mehr weiß als zuvor, nämlich, dass es 1969/70 in Berlin, München, Frankfurt und in der Nähe von Zürich Anschläge gab, die bis heute nicht vollständig aufgeklärt sind.
  Für Christian Ude liest sich das Ganze „fast wie ein Entlastungsangriff“ für den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), dessen ebenfalls nicht aufgeklärte Mordtaten im April vor Gericht kommen sollen. Als Reporter der Süddeutschen Zeitung hat sich der heutige Münchner Oberbürgermeister in jenen Jahren „Tag und Nacht in der Szene herumgetrieben“. Er kann sich erinnern, dass es „unreife, fast pubertäre Äußerungen“ gab, manche „Eseleien“, aber Antisemitisches hat er dort nie gehört. Kraushaars Projekt, der Linken schon vor der RAF eine Kollaboration mit radikalen Palästinensern in die Schuhe zu schieben, findet er „hochriskant“. Aufschlussreicher wäre doch ein Blick nach rechts: Warum zum Beispiel nach dem rechtsradikalen Anschlag aufs Oktoberfest zehn Jahre später gleich reihenweise Asservate verschwunden sind.
  „Überhaupt sind jene Tage / in meiner Erinnerung sehr verwaschen“, schreibt Wim Wenders. Bei Kraushaar entsteht trotz seiner ungeheuren Fleißarbeit kein wesentlich deutlicheres Bild. Es bleibt bei Andeutungen über einen „damals 18-jährigen Lehrling“, über den bösen Teufel, den noch böseren Kunzelmann, über die mordbereiten Palästinenser, die sich aber, wie Kraushaar in einem nüchternen Moment auffällt, ausgerechnet „mit einer sich am Rande der Drogensucht bewegenden Kleingruppe Berliner Kommunarden abgegeben haben“ sollen. „Es ist nicht klar, worin das Kalkül bestanden haben sollte.“ Das stimmt sogar, möglicherweise.  
Wolfgang Kraushaar: „Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?“ München 1970: über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013. 876 Seiten, 34,95 Euro.
Das ist „weder guter Journalismus
noch gute Wissenschaft –
das ist gar nichts“
„Überhaupt sind jene Tage /
in meiner Erinnerung
sehr verwaschen.“
München, Reichenbachstraße, 13. Februar 1970: Bei einem Brandanschlag auf das Altenheim im Vordergebäude der Israelitischen Kultusgemeinde sterben sieben Menschen. Zahlreiche andere erleiden Verbrennungen und Rauchvergiftungen. Das Bild zeigt die Bergung einer Verletzten an diesem Tag. Bis heute ist unklar, wer den Anschlag verübte. Das besprochene Buch wagt sich an eine These.
FOTO: DPA
Wolfgang Kraushaar , geb. 1948, gilt als Chronist der ’68er-Bewegung und als einer der wichtigsten Forscher zu Ursprung, Hintergrund und Geschichte des linksradikalen Terrorismus und der RAF.  FOTO: HAMBURGER
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"Wer über 68 mitreden will, muss Kraushaar lesen." -- Die Zeit