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Die Rede vom »staatlichen Gewaltmonopol« zählt zu den gängigsten Wendungen im Bereich der Sozialwissenschaften. Diese historisch-soziologische Studie untersucht am Beispiel der Polizei die Entstehung dieses Monopols in Preußen, England und »Amerika« - drei Ländern mit höchst unterschiedlicher gesamtgesellschaftlicher Problemlage. Die Ergebnisse ermöglichen eine kritische Einschätzung der von der Modernisierungstheorie unterstellten Uniformität von Entwicklungsprozessen.

Produktbeschreibung
Die Rede vom »staatlichen Gewaltmonopol« zählt zu den gängigsten Wendungen im Bereich der Sozialwissenschaften. Diese historisch-soziologische Studie untersucht am Beispiel der Polizei die Entstehung dieses Monopols in Preußen, England und »Amerika« - drei Ländern mit höchst unterschiedlicher gesamtgesellschaftlicher Problemlage. Die Ergebnisse ermöglichen eine kritische Einschätzung der von der Modernisierungstheorie unterstellten Uniformität von Entwicklungsprozessen.
Autorenporträt
Wolfgang Knöbl ist Direktor des Hamburger Instituts für Sozialforschung und nebenberufliche Professur für Politische Soziologie und Gewaltforschung an der Leuphana Universität Lüneburg. Von 2002 bis 2015 war er Professor für Soziologie an der Georg-August-Universität Göttingen. »Polizei und Herrschaft im Modernisierungsprozeß« war seine Dissertationsschrift.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.1999

Polizei läßt nicht mit sich spaßen
Zur historischen Soziologie geballter Gewalt

Die historische Soziologie will das Beste aus zwei Welten bieten: Hier soll sich die skrupulöse Empirie der Historiker mit der zupackenden Systematisierung der Soziologen verbinden. In der Realität der Wissenschaft ist die historische Soziologie meist freilich ein Niemandsland, in dem nur wenige Meister zweier Fächer virtuos agieren. In letzter Zeit sind diese vor allem Amerikaner wie Michael Mann und Theda Skocpol, und ihr Interesse richtet sich bevorzugt auf die Entwicklung von politischer Herrschaft, auf die Genese des "Staates". Skocpol hat die Devise des "Bringing the State Back in" ausgegeben. Davon inspiriert ist Wolfgang Knöbls Dreiländervergleich zur Geschichte der Polizei und ihrer Bedeutung für die Staatsbildung.

Im stark angewachsenen Schrifttum der Historiker zur Geschichte von Polizei, innerer Sicherheit und staatlicher Gewalt kennt Knöbl sich gut aus, und er hat darüber hinaus eine Fülle von Themen der allgemeinen Politik- und Sozialgeschichte im Blick, aber seine Zeichnung vieler Phänomene - sei es der ostelbischen Gutsherrschaft, sei es der städtischen Politik in den Vereinigten Staaten - fällt doch holzschnittartig aus. In vieler Hinsicht löst er sich andererseits nicht genügend von der Historie, und damit wird das Buch in den Augen vieler Soziologen schon zu sehr ins Detail gehen.

Welchen Weg sucht das Buch zwischen der alles zerkleinernden historischen Skylla und der alles verschlingenden soziologischen Charybdis? Der Aufbau ist übersichtlich: Es geht zuerst um die "vorindustrielle" Zeit, dann um die Phase der Industrialisierung und der frühindustriellen Gesellschaftskrise und schließlich, etwas knapper, um die hochindustrielle Klassengesellschaft um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert; Preußen, England und Nordamerika werden annähernd gleichgewichtig behandelt. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung der "Polizei" im engeren, modernen Sinne im Verhältnis zu konkurrierenden und doch lange mit ihr verquickten Institutionen wie Lokalverwaltung und Militär. Auffällig ist das Bild einer kontinuierlichen Entwicklung in allen drei Ländern. Die Stadt-Land-Differenz kristallisiert sich als Gemeinsamkeit heraus; überall unterschied sich ländliche von großstädtischer Polizei sehr klar; und überall erfolgten entscheidende Innovationen in den Städten, nicht zuletzt den Hauptstädten: Der Erfindung der Londoner "Bobbies" 1829 folgte die Bildung der "Schutzmannschaft" in der Berliner Revolution 1848.

Soziale Strukturen und Institutionen also bilden, in einem durchaus konventionellen methodischen Zugriff, den Ausgangspunkt. Heute sind ganz andere Strategien in Mode, doch die Berufung auf Foucault, die soziale Disziplinierung und den Polizei-"Diskurs" muß ja nicht das Alleinseligmachende sein. Eher irritiert, daß sich die dem sozialen Kontext zuliebe immer wieder eingestreuten Kurzgeschichten der Junker oder des Chartismus verselbständigen. Und sie suggerieren einen kausalen Zusammenhang nach der gar zu einfachen Faustregel "ökonomischer Wandel - soziale Unruhe - staatliche Kontrolle".

Der Autor wendet sich gegen einlinige Modernisierungstheorien, gegen die von ihnen vermeintlich unterstellte "Uniformität von Entwicklungsprozessen" - aber daran glaubt doch niemand mehr. Vielmehr gerät Knöbl selber in die Fangstricke eines modernisierungstheoretischen Typs des sozialhistorischen Vergleichs, bei dem man das Ergebnis immer schon vorher kennt, ganz gleich, ob es um Polizei oder Arbeiterbewegung, um Bürgertum oder Sozialpolitik geht: Am Ende war die Entwicklung in Preußen militärischer und bürokratischer geprägt, während in den Vereinigten Staaten Lokalismus und Zivilgesellschaft dominierten. Wo bleiben hier die Ambivalenzen? Und warum untersucht man die Polizei, wenn die Analyse des Bürgertums dasselbe Ergebnis liefert?

Ein Grundproblem des Buches ist der von Knöbl hergestellte Nexus zwischen der Polizeigeschichte und dem Staatsbildungsprozeß. Dem älteren Begriff der "Policey" als allgemeiner Innenverwaltung und Staatswohlfahrt wird wenig Beachtung geschenkt, obgleich sich gerade in ihm dieser Nexus exemplarisch - und natürlich: historisch - manifestiert. Seit sich der Bedeutungsinhalt von "Policey" jedoch verengt hat, löst sich dieser Zusammenhang gerade auf: Die Polizei als Institution hat mit "Staatsbildung" immer weniger zu tun, und man müßte deshalb eher solche Bereiche verfolgen, die als Funktionen der alten "Policey" aus dieser ausgegliedert und verselbständigt wurden wie etwa staatliche Lokalverwaltung oder Armenfürsorge. Vielleicht bürdet die Staatsbildungsthese dem Phänomen "Polizei" eine zu große Beweislast auf. Auch diese Schwierigkeit ist durch das Genre bedingt und nicht allein dem Autor anzulasten. Die historische Soziologie wünscht sich weite Ebenen mit Fernsicht; sie bleibt ein zerklüftetes Territorium, das gleichwohl auch weiterhin, und zu Recht, Neugierige anlocken wird.

PAUL NOLTE

Wolfgang Knöbl: "Polizei und Herrschaft im Modernisierungsprozeß". Staatsbildung und innere Sicherheit in Preußen, England und Amerika 1700-1914. Campus Verlag, Frankfurt a. M. 1998. 464 S., kt., 98,- DM.

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