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Der Altmeister Simon Price (der leider 2011 bereits viel zu früh verstarb) und der aufstrebende Jungstar Peter Thonemann, beide University of Oxford, bieten in ihrem großen Buch beides: Einerseits eine klassische, chronologische Gesamtdarstellung der griechisch-römischen antiken Welt. Andererseits brechen sie diese klassische Form der Darstellung radikal, indem sie durch drei das gesamte Buch durchziehende Grundprinzipien unser Antikenbild auf den Kopf stellen: Sie interpretieren die Ereignisse aus der Vorstellung der Zeit und dem zeitgenössischen Geschichtsbild; sie betonen als Fokus der…mehr

Produktbeschreibung
Der Altmeister Simon Price (der leider 2011 bereits viel zu früh verstarb) und der aufstrebende Jungstar Peter Thonemann, beide University of Oxford, bieten in ihrem großen Buch beides: Einerseits eine klassische, chronologische Gesamtdarstellung der griechisch-römischen antiken Welt. Andererseits brechen sie diese klassische Form der Darstellung radikal, indem sie durch drei das gesamte Buch durchziehende Grundprinzipien unser Antikenbild auf den Kopf stellen: Sie interpretieren die Ereignisse aus der Vorstellung der Zeit und dem zeitgenössischen Geschichtsbild; sie betonen als Fokus der damaligen Wahrnehmung die regionale und kommunale Perspektive; und sie reflektieren immer mit, was das antike Europa für unseren Kontinent heute bedeutet. So entsteht eine klassische, umfassende Darstellung für jeden an der Antike Interessierten, und gleichzeitig eine lebendige, moderne Analyse. Wer sich für die Wurzeln unseres Europa interessiert, kommt an diesem Werk nicht vorbei.
Autorenporträt
Cornelius Hartz ist Klassischer Philologe und arbeitet als freier Lektor, Autor und Übersetzer in Hamburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.09.2018

Sulla kam nicht, um sich belehren zu lassen
Griechen und Römer waren stark auf Erinnerungen fixiert: Simon Price und Peter Thonemann wissen, was das für die Geburt Europas bedeutete

Über die Alte Welt in ihrer Gesamtheit werden immer wieder Bücher geschrieben, kommen diese doch einem verbreiteten Bedürfnis entgegen. Aber wer das Ganze in den Griff bekommen möchte, braucht klare Perspektiven und Auswahlkriterien. In dem vor acht Jahren publizierten Werk der beiden in Oxford wirkenden Althistoriker - Simon Price verstarb kurz nach Erscheinen des Bandes -, das mit den Minoern beginnt und bei Augustinus endet, firmiert als Leitmotiv zuvörderst die Erinnerung: Mythen, der Umgang mit ihnen, Geschichtsschreibung, die Erinnerungskulturen der Griechen und Römer.

Der zweite Aspekt, die Frage einer gemeinsamen Identität, hängt eng damit zusammen, während sich der dritte Gesichtspunkt, nämlich die wechselnden Vorstellungen davon, was Europa war, aus dem Entstehungskontext des Buches ergibt: Es bildete den Auftakt einer achtbändigen Geschichte des so schwierig zu bestimmenden Kontinents, und so spielen auch Deutung und Nutzung der Antike in der Neuzeit eine wichtige Rolle.

Grau markierte Kurzessays skizzieren prägnante Fälle, die mitunter bis in die unmittelbare Gegenwart reichen, so der Streit zwischen Athen und Skopje um die Benennung der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien. Brillante Vignetten mit Titeln wie "Herodot und die Irokesen", "Leonidas in Stalingrad" oder "Alexander der Große und die Osmanen" allein lohnen den Blick in das Buch, und die mittelalterliche Konstruktion einer Abstammung der Briten von den Trojanern hat es gar in den Haupttext geschafft.

Wer sich schon einigermaßen in der Alten Welt auskennt, erfährt ebenfalls viel Neues, weil sich die Autoren Zeit nehmen, exemplarische Befunde ausführlicher vorzustellen. Manchmal wäre über die allgemeinen kommentierten Literaturhinweise hinaus ein Beleg willkommen, zumal wenn es um relativ neue Funde oder Strittiges wie die Größe des bronzezeitlichen Troja oder die Landkarte auf dem Artemidor-Papyrus geht. In jedem Fall ist dies keine Überblicksdarstellung im üblichen Sinn. Referierende Routine, oft der Tod solcher Werke, gibt es nicht, und Kenner sehen, wie oft aktuelle Forschungskonsense auf zwei, drei Zeilen kondensiert wurden.

Der Preis sind ungewohnte Proportionen: Großereignisse wie der Peloponnesische Krieg werden auf kaum mehr als einer Seite abgehandelt, dafür bekommt die Gründung der Stadt Messene nach der Niederlage Spartas eine Generation später ziemlich breiten Raum, weil hier eine ganze Staatsbildung auf einer konstruierten ethnisch-politischen Erinnerung geruht habe. An manchen Stellen gelingt es den Autoren übrigens vorzüglich, die Neil-MacGregor-Technik anzuwenden: Von Einzelobjekten und kleinen Details ausgehend, vermitteln sie die weiterführenden Fakten, Deutungen und methodischen Kontroversen. Bei der Warnung etwa, Artefakte nicht vorschnell als Beweise für Ethnizität und politische Transformationen zu nehmen, konnten sie aus ihrer archäologischen Expertise schöpfen. Aus der Sicht einer älteren, zumal hierzulande einst starken Interpretationstradition, welche die komplementäre Polarität von Stadt und Reich oder allgemeiner von Freiheit und Herrschaft bei der Deutung der Alten Welt privilegierte, kann die Fixierung auf Erinnerung als Ausfluss einer schon nicht mehr ganz taufrischen kulturalistischen Mode erscheinen: An die Stelle von Begriffen und Institutionengefügen als Verdichtungen beziehungsweise Gehäusen des Politischen sind konstruierte Bewusstseinsinhalte getreten. Das ist heuristisch riskant, denn wir können aus dem Material meist nur Absichten erkennen, kaum jemals jedoch die tatsächliche "Eindringtiefe" von Mythos und Memoria.

Die auf Verwandtschaft und urvordenkliche Verdienste verweisenden Vergangenheitsbezüge der klassischen griechischen Poliswelt stellten jedenfalls kaum mehr als eine Art diplomatische Kleiderordnung dar. Als Sulla dabei war, die abtrünnigen Athener zur Räson zu bringen, baten diese unter Hinweis auf den Ruhm der Stadt von Theseus bis Salamis um Schonung. Der römische Feldherr erwiderte nur, er sei nicht gekommen, sich über Geschichte belehren zu lassen, er wolle Athen eine Lektion erteilen. Price und Thonemann berichten die Episode, behaupten aber zugleich, der Prozess der römischen Großmachtbildung vom Beginn der Republik bis zur Zerstörung Karthagos müsse in den Kontext der historischen Erinnerung eingeordnet werden: Nichts habe die Entwicklung und Interaktion von Römern, Italikern und Karthagern so sehr geprägt wie "die Vorstellungen und Debatten über die eigene Frühzeit und die entsprechenden Überlieferungen". Das ist mindestens kühn, vielleicht auch Resultat einer Blickverkürzung bei Historikern, die ihr eigenes Geschäft allzu wichtig nehmen.

Hinzu kommt die Frage, wie repräsentativ und breitenwirksam die hier in den Vordergrund gerückten Phänomene sind: Die klassische verfassungs- und sozialgeschichtliche Analyse antiker historischer Formationen hat zwar ebenfalls mit einer elitenfixierten Überlieferung zu kämpfen und bekommt die Menschen im Schatten der Geschichte nur schwer in den Blick, aber sie hat zumindest ein Instrumentarium zur Hand, um ganze Ordnungsgefüge in funktionaler, aber auch in universal-vergleichender Sicht zu untersuchen.

Price und Thonemann tragen auf beinahe jeder Seite etwas vor, was das Nachdenken lohnt; so beobachten sie, dass antike Gesellschaften keine kognitive Andockstelle für Wandel und Neuheit hatten, stets suchte man sich in eine lange und folgerichtige Reihe einzuordnen. Augustus hätte in der Tat kaum verstanden, warum Althistoriker die Schlacht von Actium zur Wasserscheide seiner Biographie stilisieren. Aber wer Genaueres über die athenische Demokratie oder das komplexe Verhältnis von Stadt und Herrscher im Hellenismus erfahren und nicht mit Formeln wie "makedonische Militärdiktatur" vorliebnehmen möchte, muss andere Bücher lesen.

Die europäische Motivlinie ist ebenfalls nicht leicht durchzuhalten. Das verhältnismäßig ausführlich und sehr sachkundig vorgestellte bronzezeitliche Griechenland war Peripherie der vorderasiatischen Supermächte, und die eisenzeitlichen Formationen nördlich der Alpen erscheinen mangels greifbarer eigener Überlieferungskonstruktionen hier vornehmlich als Handelspartner der mediterranen Akteure oder als Projektionsflächen von Erinnerung an Barbareneinfälle, während umgekehrt die Mittelmeerwelt um 500 vor Christus "zum allerersten Mal eine echte kulturelle Einheit dargestellt" habe. Letzteres kann mit Gründen bestritten werden, und selbst beim Imperium Romanum, als man einer gewissen Homogenität sehr viel näher war als ein gutes halbes Jahrtausend zuvor, ist es mit "Europa" schwierig, denn Nordafrika gehörte zu den Kernregionen des Reiches, und von dessen später überlebendem Teil, Byzanz, lagen große Teile auf einem anderen Kontinent.

Fazit: eine (sinnvoll illustrierte) pointiert geschriebene Einladung zum Mit- und Nachdenken.

UWE WALTER

Simon Price und Peter Thonemann: "Die Geburt des klassischen Europa".

Aus dem Englischen von Cornelius Hartz.

WBG/Theiss Verlag,

Darmstadt 2018.

464 S., geb., 29,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Uwe Walter bekommt mit dem acht Jahre nach der englischen Originalveröffentlichung bei uns erscheinendem Buch der Althistoriker Simon Price und Peter Thonemann eine Einladung zum Mit- und Weiterdenken. Pointiert geschrieben, mit brillanten Vignetten und Kurzessays, vermittelt ihm der Band ausgehend von den Minoern die Erinnerungskulturen der Antike und frühe Vorstellungen von einer gemeinsamen europäischen Identität. Neues für Kenner bietet der Band laut Walter, als Überblicksdarstellung taugt er allerdings weniger, warnt er. Das Aufstellen der oder anderen steilen These, das Heranzoomen von Details zwecks Vorstellung von Daten und Fakten und methodischen Kontroversen sowie das Beobachten von nachdenkenswerten Zusammenhängen beherrschen die Autoren laut Rezensent vorbildlich.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Fazit: eine (sinnvoll illustrierte) pointiert geschriebene Einladung zum Mit- und Nachdenken.« Frankfurter Allgemeine Zeitung »Combines a strong narrative with sophisticated thematic analysis and reflection... Despite the immense ground covered, there is no impression of the breathlessness and superficiality which one might have thought unavoidable.« The Times Literary Supplement (UK) »Peter Thonemann und der 2011 leider verstorbene große Althistoriker Simon Price zeichnen ein Bild der klassischen Antike in ganz neuen, kräftigen Farben. Ihr glänzend geschriebenes Buch bringt modernen Lesern die Antike durch das Prisma ihrer Erinnerungskultur nahe: Pflichtlektüre für unser geschichtsvergessenes Zeitalter!« Prof. Michael Sommer, Oldenburg »Das Thema der europäischen Werte und ihrer Wurzeln hat derzeit Konjunktur. Unter den zahlreichen Publikationen dazu sticht 'Die Geburt des klassischen Europa' hervor. Die Autoren sind ausgewiesene Altertumswissenschaftler, die ihr Metier verstehen. Auf der Grundlage souveräner Kenntnisse liefern sie eine knappe und pointierte Darstellung. Geistreich und ohne verbreitete Klischees regt sie zum Nachdenken über wichtige Grundlagen unserer zeitgenössischen Orientierung an.« Prof. Hans-Joachim Gehrke »So entsteht eine klassische, umfassende Darstellung für jeden an der Antike Interessierten, und gleichzeitig eine lebendige, moderne Analyse.« (MBL 22)