Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 15,00 €
  • Gebundenes Buch

Die Mysterienvilla ist eine antike Villenanlage bei Pompeji, die beim Ausbruch des Vesuv im Jahr 79 verschüttet wurde. Aufgrund der dort gefundenen Fresken gilt die Villa als einer der bedeutendsten Fundorte der klassischen Archäologie. Das Hauptstück im Esszimmer der Villa ist der Mysterienfries: 20 m lang, 2 m hoch, bedecken Fresken alle Wände des Raums. Die Frage, was die Fresken zeigen, beschäftigt seit der Entdeckung 1911 Generationen von Archäologen und Althistorikern. Paul Veyne bietet hier seine ganz eigene Auslegung. Demnach geht es um die Vorbereitungen auf eine Hochzeit, die…mehr

Produktbeschreibung
Die Mysterienvilla ist eine antike Villenanlage bei Pompeji, die beim Ausbruch des Vesuv im Jahr 79 verschüttet wurde. Aufgrund der dort gefundenen Fresken gilt die Villa als einer der bedeutendsten Fundorte der klassischen Archäologie. Das Hauptstück im Esszimmer der Villa ist der Mysterienfries: 20 m lang, 2 m hoch, bedecken Fresken alle Wände des Raums. Die Frage, was die Fresken zeigen, beschäftigt seit der Entdeckung 1911 Generationen von Archäologen und Althistorikern. Paul Veyne bietet hier seine ganz eigene Auslegung. Demnach geht es um die Vorbereitungen auf eine Hochzeit, die Toilette der Braut, das Fest, das zeremonielle Bad und die Vorbereitung auf die "Ehepflichten" in der Hochzeitsnacht. Diese Interpretation belegt Veyne Stück für Stück und Szene für Szene - immer auch durch den Vergleich mit einem römischen Freskogemälde aus augusteischer Zeit, der Aldobrandinischen Hochzeit. Erstmals mit Bildern, die die Fresken nach der 2015 abgeschlossenen Restaurierung zeigen.
Autorenporträt
Paul Veyne, geb. 1930, ist Professor für Alte Geschichte am College de France und einer der bedeutendsten Gelehrten seines Fachs. In Deutschland wurde er einem breiteren Publikum vor allem durch den von ihm herausgebenen ersten Band der »Geschichte des privaten Lebens« und sein großes Buch über »Brot und Spiele. Gesellschaftliche Macht und politische Herrschaft in der Antike« bekannt. 2016 erschien von ihm: »Palmyra. Requiem für eine Stadt«.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2018

Ein Bild aus einer rein weiblichen Welt

Ketzerische Antithese: Paul Veyne entzaubert das "Mysterienfresko" in Pompeji. Und für das göttliche Geschlechtsteil hat er auch eine Erklärung.

Von Simon Strauß

Jetzt, wo wir aufgrund neuer archäologischer Funde endlich sicher wissen, dass Pompeji ein paar Monate später untergegangen ist als gedacht (F.A.Z. vom 18. Oktober 2018), können wir uns in aller Ruhe wieder seinen Überresten zuwenden. Sogar noch einmal einen Abstecher zu einer seiner bekanntesten Sehenswürdigkeiten machen: Der Villa dei Misteri, der sogenannten "Mysterienvilla" im Norden der weltberühmten Ausgrabungsstätte.

Seit langem tobt in der archäologisch informierten Althistorie ein heftiger Deutungskampf um die römischen Wandmalereien, die dort in schier unglaublicher Brillanz zu sehen sind. Durchgesetzt hatte sich gerade die These, dass auf dem antiken Gemälde Mysterien, also geheime Initiationsriten im Zusammenhang mit dem Dionysos-Kult dargestellt sind. Aber nun reißt eine der großen Autoritäten des Faches mit großem Aplomb das einigermaßen stabile Thesengerüst wieder ein und setzt eine eigene Interpretation an dessen Stelle. Paul Veyne, der achtundachtzigjährige Nestor der französischen Altertumswissenschaft, enger Freund von Michel Foucault, Autor zahlreicher aufregender Studien zur römischen Religionsund Gesellschaftsgeschichte und einer vielbeachteten Autobiographie, wendet sich in seiner neusten Darstellung dem wohl rätselhaftesten Fresko der antiken Bildgeschichte zu: Neunundzwanzig lebensgroße, zumeist weibliche Figuren gehen vor dekorativen Hintergrundelementen unterschiedlichen Beschäftigungen nach, lassen sich frisieren, scharen sich um einen Kessel, tanzen nackt.

Insbesondere die Anwesenheit eines Weidenkorbes mit einem verhüllten Phallus hat viele Betrachter dazu verführt, hier einen kultischen Kontext zu vermuten, das unter dem Schleier verborgene erigierte Glied als göttliches Geschlechtsteil und somit das gesamte Geschehen als Einweihungspraxis in die heiligen Mysterien des Dionysos zu deuten.

Veyne nun leitet seine "ketzerische Gegeninterpretation" mit der scheinbar beiläufigen Gegenfrage ein, warum "keine der Figuren bei dieser angeblichen Initiation ein priesterliches oder festliches Gewand" trage. Worauf Veyne hinauswill, damit hält er nicht lange hinterm Berg: Er deutet das traditionell heiliggesprochene Geschehen ganz profan als "einen normalen Hochzeitstag". In der Darstellung erkennt er die verschiedenen Stadien einer Eheschließung, von der morgendlichen Toilette über die hochzeitstypische Verteilung von Sesamkuchen bis zur Vorbereitung der Hochzeitsnacht. Um das Gemälde zu entsakralisieren, bemüht Veyne verschiedene Techniken der historisch-kritischen Analyse. Neben einem detailliert dekonstruierenden "close reading" der einzelnen Bildmotive und ihrer falschen kultischen Aufladung, vergleicht er den pompejanischen Fries mit einem "regelrechten Parallelbild" aus den Vatikanischen Museen, das unumstritten eine Hochzeitsfeier zeigt.

En passant setzt er währenddessen auch noch eine geschlechtergeschichtliche Pointe: Da auf dem Fresko bis auf einen Knaben nur Frauen anwesend sind, böte es, so Veyne, dem Blick der antiken Männer das fremdartige Gegenbild einer rein weiblichen Welt. Als ursprünglichen Verwendungszweck des Gemäldes nimmt er allerdings an, dass es sich um das Hochzeitgeschenk eines Mannes gehandelt habe, der seine Braut auf die anderen Umstände ihres künftigen Lebens vorbereiten wollte. In dieser Hinsicht scheint das Kunstwerk dann also doch wiederum ganz und gar unter männlichen Vorzeichen zu stehen. Bis heute wirke die Angst der unerfahrenen Jungfrau vor dem, was sie gleich im Ehebett erwartet, für den Betrachter "aufregend", so Veyne.

Ausführlich deutet der gewitzt bis witzig argumentierende Althistoriker den "mystischen Phallus-Korb", der einem erschrockenem Mädchen präsentiert wird, mithin als metaphorischen Verweis auf die bevorstehende Hochzeitsnacht. Statt um eine Initiation in die bacchische Kultgemeinschaft geht es seiner Meinung nach um das erste Mal einer ängstlichen Jungfrau. Ihre Angst übrigens war berechtigt: In antiken Quellen ist wiederholt von lautem Gesang vor dem Hochzeitsgemach die Rede, damit die Schreie der zum Teil noch kindlich jungen Mädchen übertönt wurden.

Neben der einen großen Gegenthese hat dieses reich bebilderte Buch auch eine Menge an althistorischem Wissenswerten zu bieten. Daran, dass in Rom die Eheschließung weder ein Rechtsakt noch ein religiöses Sakrament war, sondern im Regelfall allein durch "drei gemeinsam unter einem Dach verbrachte Nächte" gültig wurde, wird man ebenso erinnert wie an die seltsamen Praktiken antiker Empfängnisverhütung durch ein kaltes Wasserbad oder das heftige Schütteln des Unterleibs. Zumindest im Hellenismus galt nämlich das männliche Sperma selbst bereits als Kind, wie unter anderem eine Tertullian-Stelle belegt, nach der bei jeder Fellatio "ein rohes Kind gegessen" würde.

Mit solch außergewöhnlichem Detailwissen wird versorgt, wer Veyne auf seinem Kreuzzug gegen jene folgt, die in den weltberühmten pompejianischen Fresken "zwanghaft" - das Adjektiv fällt möglicherweise einmal zu oft - ein Mysterienspiel erkennen wollen. In der weiteren Konsequenz geht es seiner ikonographischen Entzauberung nicht zuletzt auch noch einmal darum, die Antike als das uns "nächste Fremde" zu apostrophieren. Nicht alles, was für uns heute nach Ritual aussieht, muss gestern gleich sakral gewesen sein.

Paul Veyne: "Das Geheimnis der Fresken". Die Mysterienvilla in Pompeji.

Aus dem Französischen von A. und W. H. Leube. WBG / Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt 2018. 207 S., Abb., geb., 49,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
»Neben der einen großen Gegenthese hat dieses reich bebilderte Buch auch eine Menge an althistorischem Wissenswerten zu bieten.« Frankfurter Allgemeine Zeitung »Der Band bietet ... schöne Abbildungen, die die Fresken nach ihrer Restaurierung 2015 zeigen. Man kann sich auch heute noch ihrer großen Ausdruckskraft nicht entziehen.« Damals »...eine aufregende Neuinterpretation...« SPIEGEL Geschichte