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Viel mehr als nur ein monumentales Rätsel, muß die 3000 Jahre andauernde ägyptische Hochkultur als Lebenswelt verstanden werden, in der alle heute noch erhaltenen Zeugnisse in einem vitalen Zusammenhang standen. Jan Assmann, Ägyptologe von Weltruf, verleiht diesen Zeugnissen einen symphonischen Klang und zeigt den enormen Einfluß auf, den die ägyptische Kultur durch alle Schleier hindurch auf Europa genommen hat.

Produktbeschreibung
Viel mehr als nur ein monumentales Rätsel, muß die 3000 Jahre andauernde ägyptische Hochkultur als Lebenswelt verstanden werden, in der alle heute noch erhaltenen Zeugnisse in einem vitalen Zusammenhang standen. Jan Assmann, Ägyptologe von Weltruf, verleiht diesen Zeugnissen einen symphonischen Klang und zeigt den enormen Einfluß auf, den die ägyptische Kultur durch alle Schleier hindurch auf Europa genommen hat.
Autorenporträt
Assmann, JanJan Assmann, geboren 1938, Professor em. für Ägyptologie an der Universität Heidelberg, Professor für Allgemeine Kulturwissenschaft und Religionstheorie an der Universität Konstanz und Ehrendoktor mehrerer Universitäten. Zahlreiche Auszeichnungen, u.a. Deutscher Historikerpreis (1998), Thomas-Mann-Preis (2011), Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa (2016), Karl-Jaspers-Preis (2017, mit Aleida Assmann), Balzan Preis (2017, mit Aleida Assmann), Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (2018, mit Aleida Assmann). Im Carl Hanser Verlag erschienen: Ägypten (1996), Moses der Ägypter (1998), Herrschaft und Heil (2000), Mosaische Unterscheidung (2003) und Die Zauberflöte. Oper und Mysterium (2005).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.04.1996

Das heilige Asyl der Hieroglyphen
Eine Veränderung der Riten wäre der Ruin der Welt: Jan Assmanns Sinngeschichte des alten Ägypten

Die Faszination, die das alte Ägypten ausübt, hält bis heute an. Ägypten blieb wie kein anderes Land über Jahrtausende hin im Bewußtsein der Völker der Alten Welt lebendig dank der steinernen Denkmäler, die im Lande selbst zu bestaunen waren und sind, dank auch des fast ununterbrochenen Stromes von mehr oder weniger echten Devotionalien, heute "Antiquitäten" genannt, nach Europa. Daran änderte die eigentliche Entdeckung der ägyptischen Kultur, die Entzifferung der Hieroglyphenschrift durch Champollion 1822, nichts Grundsätzliches. "Ägypten ist ein Teil jener Vergangenheit, die das Abendland sich selbst zurechnet", schreibt Jan Assmann.

Das beginnt bereits in der Antike. Keine der vorhellenischen Kulturen hat so tiefe Spuren im griechischen Denken, ja selbst in römischer Religion hinterlassen wie die ägyptische. Herodot widmet das zweite Buch seiner Historien vollständig dem Staat am Nil, während er für die ihm doch so viel näher liegenden Staaten an Euphrat und Tigris nur wenige Kapitel übrig hat. Hekataios von Abdera deutet bereits ägyptische Grabarchitektur, und Plutarch liefert in "De Iside et Osiride" eine erste tiefsinnige Deutung ägyptischer Religion. Nicht nur die Freimaurer - und in ihrem Gefolge Mozart und Schikaneder in der "Zauberflöte" - greifen darauf zurück. Der Bogen läßt sich spannen von Clemens Alexandrinus über Athanasius Kircher zu Thomas Mann - die Beschäftigung mit der Kultur am Nil ist eine Konstante der Kulturgeschichte Europas.

Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß auch unsere Zeit ihren Zugang zum "äffischen Ägyptenland" sucht. Da sind die Hunderttausende, die sich im Zeitalter des Massentourismus zwar in Abu Simbel und Elephantine, in Karnak und Luxor, in Kairo, Gizeh und Alexandria von der Masse des im Wüstensand Konservierten überwältigen lassen, die durch die von moderner Archäologie ergrabenen und restaurierten Ruinen in ihrer erhabenen Größe beeindruckt sind, ganz im Sinne des Napoleonischen Ausspruchs von den "Jahrtausenden, die auf sie herunterblicken". Aber wenn man mehr erfahren will? Jan Assmann, Ordinarius für Ägyptologie in Heidelberg, wird nicht müde, in immer neuen Anläufen die vielschichtigen Phänomene altägyptischer Kultur- und Geistesgeschichte über den Kreis der Fachgelehrten hinaus verständlich zu machen, zu deuten und das Fremde, die bruchstückhafte Überlieferung literarischer und archäologischer Quellen in einer Zusammenschau darzustellen.

Der Untertitel nennt das Vorhaben des Buches "eine Sinngeschichte". Das unterstellt, daß es in Ägypten nicht allein eine Geschichte, sondern eine auf deren Hintergrund sich formende oder bewußt gestaltete Sinngebung gegeben habe. Ein kulturelles Gedächtnis wird postuliert, das einen Gedanken, einen Ritus, eine Form, wenn sie einmal geschaffen sind, über die Jahrtausende hin weiterentwickelt, entfaltet, modifiziert, in ihren Grundzügen aber unverändert beibehält. So wird uns überzeugend vor Augen geführt, daß vieles von dem, was noch in der Spätzeit Ägyptens beobachtet werden kann - und die Masse der erhaltenen Denkmäler stammt aus recht später Zeit -, seine Wurzeln bereits in der Frühzeit, ja selbst in der Vorgeschichte hat.

Es ist deshalb kein Zufall, daß mit den Begriffen "Spuren", "Botschaften", "Erinnerung" wie spielerisch umgegangen wird. Das Vage, Andeutende, Suchende, das auch der modernen Ägyptologie bewußt ist, wenn sie Deutungen versucht, wird damit dem Leser unbemerkt nahegebracht. Er findet zwar in diesem Buch eine Kulturgeschichte, daß heißt eine historische Darstellung, die nicht primär die Fakten, sondern die bewegenden Ideen zur Darstellung bringt, wird aber häufig aus dem eigentlich zeitlichen Verlauf hinausgerissen. Vieles, was erst aus der Spätzeit überliefert ist, wird als Kern alt herausgestellt, so daß es schon in der Darstellung der Frühzeit seinen Platz finden muß. Das wird dann durch ausführliche Textzitate belegt, die allerdings auch erkennen lassen, wann eine Dichtung, eine "Lehre" entstand.

Natürlich ist sich Assmann seines Vorgehens bewußt. Mit dem Begriff des "ägyptischen Chronotops", der gleich zu Beginn eingeführt, im Verlauf der Darstellung mehrfach modifiziert und am Ende wiederaufgenommen wird, sucht er dem Vorwurf der ahistorischen Vorgehensweise zu entgehen: Die Sinngeschichte "versteht Geschichte nicht im Sinne eines universellen, gleichförmigen Rahmens, innerhalb dessen jede Kultur sich auf ihre Weise entfaltet. Für sie entsteht Geschichte überhaupt erst als Funktion dieses Entfaltungsprozesses . . ." Es wird also eine jeder Kultur eigene Dynamik vorausgesetzt, "natürlich nicht ohne Kontakte und Möglichkeiten gegenseitiger Verständigung und Übersetzbarkeit". Ohne dieses Zugeständnis wäre wohl auch uns der Zugang zu jeder fremden, besonders jeder vergangenen Kultur verschlossen, könnten wir auch den Sinn der geistigen und materiellen Phänomene in der ägyptischen Geschichte nicht erfassen und deutend nachvollziehen.

Von diesen Phänomenen ist unter den verschiedensten Aspekten die Rede: von der Architektur in Gestalt von Pyramiden, Tempeln und Gräbern, von der Literatur in der Form von Liedern, Gebeten, Ritualen und Lehren, von der Religion in der Form von Mythen, Riten, Orakeln und Sprachen. Verhältnismäßig wenig wird auf materielle Kultur Bezug genommen, so daß der Eindruck entstehen könnte, der durchschnittliche Ägypter habe sein Leben lediglich in frommer Kontemplation, in steter Bemühung um soziale Gerechtigkeit und in kultischer und ritueller Vorsorge für das Jenseits verbracht. Aber natürlich ist das, was die auf uns gekommene Überlieferung prägt, wovon auch dieses Buch handelt, fast ausschließlich ein Reflex der Sinnwelten der ägyptischen Oberschichten. "Von den Sinnvorstellungen des einfachen Volkes war nicht die Rede. Ihrer werden wir in den Spuren, Botschaften, Erinnerungen Ägyptens nicht ansichtig."

Das trifft insoweit nicht völlig zu, als manche der ethischen Grundsätze, wie sie etwa in den Lehren formuliert sind, zwar die Perspektive der Oberschicht vertreten. Die Lehren waren "Schulstoff" der Schreiber, vieles in ihnen ist gerade auf diesen Beruf zugeschnitten. Dennoch reflektieren sie allgemeinmenschliches Verhalten, auch und besonders im Blick auf den Untergebenen. Die "konnektive Gerechtigkeit", von Assmann als Wiedergabe des ägyptischen Wortes "Ma'at", des "Oberbegriffes für das Insgesamt aller sozialen Normen", gebraucht, bewährt sich auch und vor allem an Witwen und Waisen, darf nicht nur auf gleicher sozialer Ebene, sondern auch nach unten, zu den niedrigen Volksschichten hin Anwendung finden. Und das Totengericht, vom Mittleren Reich an auch durch ein "negatives Sündenbekenntnis" als ethischen Katechismus ergänzt, verschafft diesen sozialen Normen breite Anerkennung.

Es wäre verlockend, die zahlreichen Anregungen aufzunehmen, die das Buch auch für die Erforschung der Hochkulturen bietet, die Nachbarn Ägyptens waren. Viele der Fragestellungen, die Annalistik und Kanonbildung, Staatstheorie und Königsideologie, Recht und Gerechtigkeit, Ritus, Kultus und Mythos berühren, sind sicherlich übertragbar, keine lediglich ägyptischen Phänomene, wenn auch selten so vielfältig und breit in schriftlicher Überlieferung niedergelegt, so lange und einheitlich tradiert.

Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Bekanntlich ist der Text der Thora, der "Heiligen Bücher" der Juden, als Wort Gottes peinlich genau tradiert, "so daß auch kein Jota fehlt". Selbstverständlich wird in der Synagoge dieser Text verlesen, auch wenn der Vorleser ihn wörtlich auswendig weiß und sicherlich kein Wort auslassen würde. Heilige Texte Ägyptens, etwa die Pyramidentexte oder das Totenbuch, werden nun ihrerseits seit frühester Zeit und bis in die Perioden der Ptolemäer und Römer stets mit den gleichen Hieroglyphen aufgezeichnet. Der Laie ist aufgrund des Augenscheins schwerlich in der Lage, Alt und Neu in diesen Inschriften zu trennen. Daneben gibt es Kursivschriften: Hieratisch und Demotisch. Aber für bestimmte Texte, für den "monumentalen Diskurs" (Assmann) werden sie nicht angewendet. Hier sind es allein die Hieroglyphen, im Ägyptischen "Gottesworte", die Verwendung finden dürfen. Ebenso wie die Bauformen beibehalten werden, die durch ihren Zweck, durch den mit ihnen verbundenen Ritus geheiligt sind, so sind es die Texte und mit ihnen die Schrift, in der sie aufgezeichnet sind.

Da eine Veränderung der Riten eine Veränderung der Welt, und das kann nur heißen: deren Ruin, bewirken würde, können auch die Schriftzeichen nicht verändert werden, in denen diese aufgezeichnet sind. Das ist das eigentlich "Heilige" an den Hieroglyphen, und der neuplatonische Philosoph Jamblichos hat dazu bereits bemerkt, daß die Ägypter ihre Texte als "heilige Asyle" betrachten. Sie haben magische Kraft, und zwar im gesprochenen Wort und in der geschriebenen Form, und erhalten so die "heilige Kreisläufigkeit des kosmischen Lebens" aufrecht. Es wird deutlich, welche Verantwortlichkeit verbunden ist mit dem Sprechen einerseits, dem Schreiben des Textes andererseits, ein Bewußtsein von der Wirksamkeit eines Textes, das uns verlorengegangen ist.

Als Thomas Manns Joseph auf seiner Reise hinab auch nach Gizeh kommt, läßt ihn das Bild der Sphinx nicht schlafen. "Denn ungeheuerlich war es, das Untier der Zeiten im felsigen Königskopftuch, nicht nur seiner Größe nach und selbst nicht nur nach der Dunkelheit seines Ursprungs. Wie lautete sein Rätsel? Es lautete überhaupt nicht. Im Schweigen bestand es, in diesem ruhig-trunkenen Schweigen, mit dem das Unwesen hell und wüst über den Fragend-Befragten dahinblickte - mit seiner unvorhandenen Nase, die wirkte, als trage einer die Kalotte schief auf dem Ohr." Wer dennoch versuchen will, ein wenig hinter den Schleier zu blicken, auf der Spur des Rätsels zu bleiben, sich nicht mit dem Schweigen zu bescheiden - hier hat er ein Buch, mit dem er an den Botschaften Ägyptens teilnehmen kann, das ihn zum Mitdenken veranlaßt und damit zum besseren Begreifen des letztlich Unbegreiflichen an dieser Kultur. WOLFGANG RÖLLIG

Jan Assmann: "Ägypten". Eine Sinngeschichte. Carl Hanser Verlag, München/ Wien 1996. 550 S., geb., 68,- DM.

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