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"Entzauberung" ist ein Schlüsselbegriff im Selbstverständnis der Moderne. Doch worum handelt es sich dabei eigentlich? Was genau meinte Max Weber damit? Und sind seine kanonisch gewordenen Vorstellungen überhaupt haltbar beziehungsweise: Sind sie alternativlos?
Die Macht des Heiligen ist der Versuch, "Entzauberung" zu entzaubern. Dazu widmet sich Hans Joas zunächst exemplarischen Fällen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Religion seit dem 18. Jahrhundert. In direkter Auseinandersetzung mit Weber entfaltet er sodann den Grundriss einer Theorie, die dem machtstützenden Potenzial von…mehr

Produktbeschreibung
"Entzauberung" ist ein Schlüsselbegriff im Selbstverständnis der Moderne. Doch worum handelt es sich dabei eigentlich? Was genau meinte Max Weber damit? Und sind seine kanonisch gewordenen Vorstellungen überhaupt haltbar beziehungsweise: Sind sie alternativlos?

Die Macht des Heiligen ist der Versuch, "Entzauberung" zu entzaubern. Dazu widmet sich Hans Joas zunächst exemplarischen Fällen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Religion seit dem 18. Jahrhundert. In direkter Auseinandersetzung mit Weber entfaltet er sodann den Grundriss einer Theorie, die dem machtstützenden Potenzial von Religion ebenso gerecht werden kann wie dem machtkritischen. An die Stelle des Geschichtsbilds vom unaufhaltsam fortschreitenden Prozess der Entzauberung tritt die Konzeption eines Spannungsfelds zwischen Dynamiken der Sakralisierung, ihrer reflexiven Brechung und den Gefahren ihrer Aneignung in Prozessen der Machtbildung. Das beinhaltet Zumutungen - für Gläubige ebenso wie für säkulare Geister.
Autorenporträt
Joas, Hans
Hans Joas, geboren 1948, ist Ernst-Troeltsch-Honorarprofessor an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Professor für Soziologie an der Universität Chicago. Für sein Werk wurde er vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Bielefelder Wissenschaftspreis, dem Hans-Kilian-Preis und zuletzt dem Max-Planck-Forschungspreis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.12.2017

Das Gefühl, aufgerufen zu sein
Der Begriff „Entzauberung“ suggeriere falsche Eindeutigkeit, sagt Hans Joas – und entzaubert ihn
Unter dem Titel „Die Sakralität der Person“ hatte der in Berlin und Chicago lehrende Soziologe Hans Joas 2011 eine „neue Genealogie der Menschenrechte“ veröffentlicht. Ideen vorstaatlicher Rechte des Menschen seien keineswegs nur im Westen, unter dem Einfluss des Christentums oder in der europäisch-nordamerikanischen Aufklärung, sondern auch in anderen Traditionen entwickelt worden. In „Glaube als Option“, einem 2012 erschienenen Buch über „Zukunftsmöglichkeiten des Christentums“, ging es wiederum um die bleibende Relevanz der Religion in der Moderne.
In seinem neuen Buch „Die Macht des Heiligen“ will Joas die diversen Stränge seiner Arbeiten zur „politischen Soziologie der Religion“ in einer systematischen Theorie des Sakralen zusammenführen. Es geht ganz klassisch um das spannungsreiche Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Vernunft und religiösem Glauben an die Sinnhaftigkeit individuellen Lebens. Joas, einer der führenden katholischen Intellektuellen im Lande, verfolgt auch ein religionspolitisches Ziel. Er will die oft beobachtbare Sprachlosigkeit zwischen religionskritischen Intellektuellen und vom Heiligen affektiv ergriffenen Frommen überwinden und „eine Sphäre öffnen, in der alle, Gläubige wie Nicht-Gläubige, ihre Erfahrungen und Annahmen artikulieren und aufeinander beziehen können“. Dazu muss die eigene Vernunft der Religion transparent gemacht werden.
In einer Art Gegengeschichte will Joas einen der „Schlüsselbegriffe des Selbstverständnisses der Moderne“, den Begriff der „Entzauberung“, nun selbst „entzaubern“. Nicht nur mangele es dem Begriff an Prägnanz und Klarheit. Vielmehr verhindere er es auch, die spannungsreiche religiöse Lage der Gegenwart angemessen zu erfassen. Gerade in ihrer schillernden Vieldeutigkeit suggeriere die Rede von fortschreitender „Entzauberung“ nur „falsche Eindeutigkeit“.
Wer von „Entzauberung“ spricht, kann von Max Weber nicht schweigen. Jahr für Jahr erscheinen weltweit Hunderte Abhandlungen über Webers Verständnis von „Rationalisierung“, „Säkularisierung“, „Entzauberung“ und überhaupt „Modernisierung“. Joas will diesen Diskurs konsequent historisieren. Er beschreibt zunächst drei Konstellationen wissenschaftlicher Religionsdeutung. Hätten einst nur Theologen und Philosophen denkende Aufmerksamkeit in den Glauben investiert, seien in und seit der Aufklärung neue Akteure in Sachen Religionsforschung aufgetreten: Religionshistoriker, Religionspsychologen und Religionssoziologen.
Die Erkenntnisinteressen der Historiker macht Joas mit Blick auf den religionsskeptischen Universalhistoriker David Hume und dessen Rezeption beim Weimarer Generalsuperintendenten Johann Gottfried Herder sichtbar. Die Psychologie religiöser Erfahrungen verdeutlicht der ausgezeichnete Kenner des nordamerikanischen Pragmatismus am Beispiel von William James’ „The Varieties of Religious Experience“ aus dem Jahre 1902; die These, dass James entscheidend vom jungen Schleiermacher geprägt sei, lehnt Joas ab, diskutiert aber ausführlich die Schleiermacher-Lektüren George Herbert Meads, John Deweys und der „Transcendentalists“ wie Ralph Waldo Emerson und Henry David Thoreau, durch deren Vermittlung James vom Erlebniskonzept des Berliner Theologen gehört haben dürfte. Aber James’ Phänomenologie der Religion sei ungleich reicher als die Schleiermachers.
Für das dritte der modernen religionsdeutenden Konkurrenzunternehmen zur Theologie bezieht Joas sich auf Emil Durkheims „Die elementaren Formen religiösen Lebens“ aus dem Jahr 1912; im Spross einer Dynastie französischer Rabbiner sieht er einen „militanten Laizisten“, der im Kampf gegen die alten Monotheismen eine universalistische Moral als Inbegriff säkularer Vernunft durchsetzen wollte. Höchst kundig schildert Joas die Vorgeschichten von Durkheims Ritualtheorie bei dem genialen Althistoriker Numa Denis Fustel de Coulanges und dem schottischen Alttestamentler Robertson Smith.
Die ausführliche Beschreibung komplexer Abhängigkeitsverhältnisse soll den schnellen, oft von kulturkämpferischen Konflikten begleiteten Wandel der religionstheoretischen Diskussionslage sichtbar machen. Schon vor der Etablierung von komparativer Religionswissenschaft, Religionspsychologie und Religionssoziologie als eigenständigen Disziplinen sei eine solche Überfülle an religionsbezogenem Wissen produziert worden, dass die Suche nach begrifflicher Durchdringung und Synthese heterogener Wissensbestände unausweichlich geworden sei.
Im vierten und längsten Kapitel, dem „strategisch zentralen Teil“ des Buches, führt Joas den Leser ins Heidelberger Gelehrtenmilieu um 1900. Die „Syntheseversuche“ der beiden Fachmenschenfreunde und „Rivalen“ Ernst Troeltsch und Max Weber deutet er als die damals produktivsten Reaktionen auf die aporetischen Problemkonstellationen in den Religionsdebatten. Joas vertritt eine „Behauptung“, die bei orthodoxen Weberianern Entsetzen provozieren dürfte: Der protestantische Theologe Troeltsch habe in seiner historischen Soziologie des Christentums die Probleme ungleich konstruktiver, auch ideenhistorisch informierter und begrifflich klarer bearbeitet als sein langjähriger, oft kranker Soziologenfreund. Beide seien „von substantiellen Fragen so angetrieben, ja besessen“ gewesen, „dass sich ihre Arbeit der disziplinären Zuordnung weithin entzieht“.
Durch eine subtile Rekonstruktion der „impliziten Methodologie“ in den „Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen“ von 1912 will Joas Ernst Troeltsch als „Klassiker der Sozialwissenschaften“ rehabilitieren. Weber hingegen wird scharf kritisiert. Zwar bestreitet Joas nicht, dass Weber um strengste Begriffsbildung bemüht war. Aber „Entzauberung“ sei gerade kein klares Konzept. Weber benutze den schon bei Georg Simmel nachweisbaren Begriff überhaupt erst 1913 und seitdem nur an siebzehn verstreuten Stellen.
In mikroskopisch dichter Lektüre der Texte will Joas zeigen, dass Weber keine konsistente Theorie der „Entzauberung“ zu entwerfen vermochte. Bisweilen bedeute „Entzauberung“ einen Prozess der Profanierung des einstmals als „heilig“ Erachteten. Andernorts gehe es Weber um „Enttranszendentalisierung“, also die Aufhebung der religiösen Grundunterscheidung von Immanenz und Transzendenz. Schließlich gebrauche er „Entzauberung“ als Synonym für Säkularisierung.
Die oft ignorierten Differenzen zwischen Webers und Troeltschs Theorieprogrammen führt Joas auf ihre unterschiedliche weltanschauliche Grundhaltung zurück. Trotz aller Kirchenkritik habe Troeltsch Chancen für ein „vitales Christentum unter radikal gewandelten Bedingungen in der europäischen Kultur“ ausloten wollen, Weber in heroischem Agnostizismus hingegen ein tragisch depressives Gefühl von Glaubens- und Sinnverlust kultiviert.
Joas operiert gern mit dem von Karl Jaspers geprägten Begriff der „Achsenzeit“. Gemeint ist ein Zeitraum um die Mitte des letzten vorchristlichen Jahrtausends, in dem alle großen Weltreligionen und auch die griechische Philosophie entstanden seien. Damals habe man ein mythisches Zeitalter durch eine erstmals auf Vorstellungen von Transzendenz bezogene „reflexive Sakralität“ abgelöst. Hier bleibt Entscheidendes unklar. Denn Konstruktionen von Denkrevolutionen in fernen Zeiten hängen stark von Vorannahmen des jeweiligen Universalgeschichtsdeuters ab.
Seine Gegengeschichte zum Entzauberungsnarrativ erzählt Joas mithilfe der Rede vom „Faktum der Idealbildung“. Menschen seien in ihrem Zusammenleben immer auch von Idealen geleitet, von Vorstellungen über das wahrhaft Gute und das radikal Böse. Dabei lasse sich eine enorme historische Variabilität beobachten.
Zudem bildeten Menschen Vorstellungen von „Transzendenz“ aus, die über bloß innerweltliche „Sakralität“ hinausführten. Erfahrungen der „Selbsttranszendenz“ bewirkten ein emotionsstarkes Erlebnis des „Heiligen“: „Wir können uns, so klein unsere Stellung im Universum ist, als bedeutungsvollen, in unserer Individualität einmaligen und zur Mitwirkung aufgerufenen Teil eines Ganzen empfinden, bei aller ständigen Gefährdung als berechtigt zum Vertrauen in eine uns tragende Ordnung.“
Ganz unterschiedliche Phänomene des Lebens können sakralisiert werden, das Königtum ebenso wie das Volk oder die individuelle Person. Doch trotz ausführlicher Analysen von Prozessen der „Selbstsakralisierung“ bleibt unklar, wie Gesellschaften diesen Gefahren begegnen können. Wie lässt sich verhindern, dass der Staat zum Gott gemacht wird? Wie lässt sich seine freiheitsdienliche Säkularität stärken? Im „normativen Schluss“ argumentiert Joas dann ganz weberianisch: Der je eigenen Stellungnahme zu den Spannungen zwischen einem moralischen Universalismus und partikularen Verpflichtungen, etwa gegenüber Freunden oder Familienangehörigen, könne niemand entgehen.
FRIEDRICH WILHELM GRAF
Wie lässt sich verhindern,
dass der Staat
zum Gott gemacht wird?
Hans Joas: Die Macht des Heiligen. Eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017.
543 Seiten, 35 Euro.
E-Book 29,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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" [...] eine wuchtige, gleichwohl respektvolle Kampfansage an die Soziologie."
Thomas Assheuer, DIE ZEIT 05.10.2017

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.01.2018

Heiliges verflicht sich stets mit Macht
Entzauberung der Entzauberung: Hans Joas nimmt sich Max Webers wirkungsreiche Diagnose der Moderne vor

Vor genau hundert Jahren hielt Max Weber in München einen Vortrag zum Thema Wissenschaft als Beruf. Eingewoben darin war die Diagnose der Entzauberung der Welt. In diesem Topos verknüpft Weber das Zurückdrängen magischer Vorstellungen mit einer Gesamtdeutung der Entwicklung hin zur Moderne: als Prozess der Rationalisierung, der auch die Stellung der Religion massiv beeinflusst. Dieses Narrativ ist ungemein einflussreich geworden für Selbstdeutungen der westlichen Welt, etwa im Rahmen von Konzepten der Modernisierung und Säkularisierung. Vor allem jene, die sich auf Weber stützten, verstanden Entzauberung oft als faktische Entwicklung, die der Religion unweigerlich einen prekären Status zuweist.

All dies provoziert Hans Joas zum Widerspruch: Erstens setzt er dem linearen Geschichtsverständnis ein Denken in Konstellationen entgegen. Zweitens bemängelt er die Kanonisierung des Topos der Entzauberung, der für die Religion letztlich keinen Platz in der Moderne vorsieht. Drittens schlägt er eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung vor, deren Leitfaden "das Wechselspiel von vielfältigen Prozessen der Sakralisierung mit vielfältigen Prozessen der Machtbildung" sein müsse.

An Stelle eines dominierenden Prozesses tritt demnach deren Vielzahl, an die Stelle der Linearität tritt die Figur des Wechselspiels, an die Stelle der Religion die Figur der Sakralisierung. Man könnte ergänzen: an die Stelle der bloß sanften Korrektur soziologischer Klassiker tritt deren ernsthafte Befragung. In der Haltung ist der Weber-Kritiker weberianisch.

Das vierte Kapitel, das sich mit Weber und Ernst Troeltsch befasst, ist das Herzstück des Buches, auf das hin und von dem her sich der Rest entwickelt. Dabei geht es dem Autor auch um andere Entwürfe, die er nutzt, um eine Alternative zu Weber zu skizzieren. Exemplarisch behandelt werden David Humes Universalgeschichte der Religion; William James mit seiner auf religiöse Erfahrung zielenden Religionspsychologie; der Diskurs über die Bedeutung kollektiver Rituale, für den Emile Durkheim und Numa Denis Fustel de Coulanges stehen. Joas folgert, dass "Religion auf historisch situierte menschliche Erfahrungen von etwas, das als heilig empfunden wird", zurückzuführen sei, die wir "nur dann richtig verstehen, wenn wir sie in einer semiotisch transformierten Psychologie des Selbst verkörpert denken".

Ein wichtiger Baustein ist zudem der Diskurs um die "Achsenzeit", in dem es um eine fundamentale Transformation im Verständnis des Heiligen geht. Als deren Resultat entstand im Zusammenhang mit einer grundsätzlichen Steigerung von Reflexivität ein starker Begriff von Transzendenz. Joas nennt dies Transzendenz als reflexiv gewordene Sakralität.

Joas' Buch ist eine beeindruckende Summe und Weiterführung seiner bisherigen Arbeiten. Indem er Prozesse der Sakralisierung ins Zentrum rückt, wählt er einen Begriff, den er als grundlegender ansieht als Religion. Nicht Religion sei anthropologisch universell, sondern "Erfahrungen der ,Selbsttranszendenz'" und die sich "daraus ergebenden Zuschreibungen von ,Heiligkeit'". Vor diesem Hintergrund skizziert er dann seine Alternative zur Geschichte der Entzauberung: den Grundriss einer Theorie der Sakralisierung, in der diese mit Prozessen der Idealbildung verknüpft wird, die nach Ausdeutung verlangen. Neu ist, dass das Heilige hier im Zusammenhang mit einer Theorie der Macht behandelt wird. Dafür führt Joas bereits Vorgelegtes zusammen und ergänzt es um den Gedanken der (kollektiven) Selbstsakralisierung als einer mit jeder Sakralisierung verbundenen Gefahr.

Joas verfolgt aber auch eine theoriepolitische Agenda. Er rechnet mit allen Ansätzen ab, bei denen er Linearitätsunterstellungen vermutet. Daraus entstünden "gefährliche Prozessbegriffe" wie Rationalisierung, funktionale Differenzierung und Modernisierung. Konsequenterweise schickt er sich an, Webers berühmte "Zwischenbetrachtung" mit ihrer Rede von der Autonomisierung der Wertsphären aus "der Tradition einer differenzierungstheoretischen Lesart" zu befreien. Die Vielzahl unterschiedlicher Spannungsverhältnisse ließe sich nicht auf einen solchen Nenner bringen.

Bestimmte Fragen bleiben dabei ungeklärt. Das überzeugende Plädoyer für die Untersuchung wechselnder Konstellationen von Sakralisierung und Macht erspart nicht schon die Frage nach möglichen längerfristigen Prozessen, im Verlauf derer etwa Religion zur "Option" geworden ist und sich Sakralisierungen an ganz anderen Stellen finden. Sollte es wirklich "gefährlich" sein, dafür einen Begriff wie Säkularisierung oder funktionale Differenzierung zu verwenden? Gerade die von Joas so gescholtenen Theorien funktionaler Differenzierung haben für Prozesse der Sakralisierung (die hier auf der Seite der Immanenz zu stehen kommen) durchaus Platz. Überdies schließt eine Theorie funktionaler Differenzierung natürlich nicht aus, dass Gläubige auch nichtreligiöse Sphären aus einem gläubigen Blickwinkel betrachten.

Bisweilen irritiert auch, dass manche Autoren chronisch unerwähnt bleiben und gerade dadurch als weiße Elefanten im Raum stehen: Schütz und Luckmann mit ihren drei Stufen der Transzendenz etwa, die sich bei Luckmann mit einem allgemeinen, anthropologisch fundierten Religionsbegriff verbinden, der Joas' Verständnis von Selbsttranszendierung recht nahe kommt. An dieser Stelle erweist sich übrigens der Vorteil des Begriffs der Selbsttranszendierung gegenüber einer anthropologischen Unhintergehbarkeit von Religion. Auch Carl Schmitts Auseinandersetzung mit Webers Konzept der Entzauberung und sein Anschluss an das Konzept des Charismas wären in einer Theorie, die sich mit dem Heiligen und der Macht befasst, gerade dort, wo es um die Gefahren der kollektiven Selbstsakralisierung geht, zumindest erwähnenswert. Der Münchner Religionswissenschaftler Robert Yelle befasst sich seit längerem mit dem Zusammenhang von "Sovereignty and the Sacred". Auf einen Austausch könnte man gespannt sein.

MONIKA WOHLRAB-SAHR.

Hans Joas: "Die Macht des Heiligen". Eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 543 S., geb., 35,- [Euro].

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