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Das TheaterLebensBuch, das vor dem Ende seiner 17jährigen Intendanz am Berliner Ensemble und vor seinem 80. Geburtstag erscheint, dokumentiert Claus Peymanns Weg durch die Niederungen und Höhen der Theaterkunst. Texte, Interviews, Dokumente, Briefe, Telegramme, Aktennotizen, Verlautbarungen und Erklärungen erzählen Theatergeschichte: Wie und warum die Theater, die Peymann in Frankfurt/Main (TAT 1966), Stuttgart (1974-1979), Bochum (1979-1986), Wien (1986-1999) und Berlin (2000-2017) geleitet hat, zu den spannendsten, besten und skandalträchtigsten Häusern wurden und warum Theater seinen Platz…mehr

Produktbeschreibung
Das TheaterLebensBuch, das vor dem Ende seiner 17jährigen Intendanz am Berliner Ensemble und vor seinem 80. Geburtstag erscheint, dokumentiert Claus Peymanns Weg durch die Niederungen und Höhen der Theaterkunst.
Texte, Interviews, Dokumente, Briefe, Telegramme, Aktennotizen, Verlautbarungen und Erklärungen erzählen Theatergeschichte: Wie und warum die Theater, die Peymann in Frankfurt/Main (TAT 1966), Stuttgart (1974-1979), Bochum (1979-1986), Wien (1986-1999) und Berlin (2000-2017) geleitet hat, zu den spannendsten, besten und skandalträchtigsten Häusern wurden und warum Theater seinen Platz in der Gesellschaft haben muss.
Neben Peymanns Texten finden sich Äußerungen von Mitstreitern, Weggefährten und Gegnern: Elfriede Jelinek, Hermann Beil, Thomas Bernhard, Thomas Brasch, Peter Handke, André Heller, Rolf Hochhuth, Heiner Müller, Einar Schleef, Peter Turrini u.a.

Zahlreiche Abbildungen und ein Register vervollständigen das Buch.
Autorenporträt
Claus Peymann, geboren 1937 in Bremen, war nach Anfängen am Frankfurter TAT in Stuttgart, dann in Bochum der erfolgreichste deutsche Schauspieldirektor. Später leitete er 13 Jahre das Wiener Burgtheater und machte es zum kultisch umkämpften Ort der Szene. Seit 1999 ist er Intendant am Berliner Ensemble.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2017

Ich war und bin der Naivere

Fast wie eine Figur von Thomas Bernhard: Claus Peymann wird achtzig, und lässt in drei Bänden sein Theaterleben vorüberziehen.

Als siebter Zwerg im Weihnachtsmärchen war der kleine Klaus Eberhard Peymann eine Fehlbesetzung. Auch die große Axt, die man ihm unvorsichtigerweise in die Hand gedrückt hat und die leicht ein frühes Markenzeichen hätte werden können, änderte nichts daran. Das Kind weinte und weinte und wurde schließlich nach Hause geschickt. Das war in den vierziger Jahren. Ein klassischer Bühnenfehlstart, der sich vielleicht hätte vermeiden lassen, wenn man den Jungen als ersten Zwerg besetzt hätte. Seitdem gilt für alle Niederlagen im Leben des Theatermachers Peymann, dass sie ihn zwar mitunter zu Tränen der Wut und des Schmerzes bewegt haben, auf Dauer jedoch nicht bremsen konnten.

Später, im Laufe der Schulzeit, wurde der Name geändert: Mit dem Wechsel vom biederen Klaus zum schickeren Claus hatte er sich zumindest im Alphabet um acht Ränge nach vorn gearbeitet. Schon damals muss sich angedeutet haben, was ihn bis heute auszeichnet: forcierte Unaufhaltsamkeit. Shakespeares Zettel als Dompteur: Er hält den Reifen nicht nur, er zündet ihn auch an, um als Löwe selbst hindurchzuspringen.

Der Vater war Obersturmbannführer, die Mutter gegen die Nazis eingestellt: Als am 20. Juli 1944 die Nachricht vom Attentat auf Hitler im Radio verkündet wurde, hisste sie freudig die alte Reichsflagge, was ihr dem Sohn zufolge zwei Wochen Lagerhaft einbrachte. Die Goldmedaille im Turnen bei den Olympischen Spielen von 1936, die er dem Vater über Jahrzehnte beharrlich andichtete, war ebenso erfunden wie die Ergebnisse der Umfragen, die der Student für ein Marktforschungsinstitut sammeln sollte. Obwohl er mit seinen Antworten, die er sich kurzerhand ausgedacht hatte, "immer im Trend" lag, wurde er rausgeschmissen. Es sollte nicht der einzige Versuch eines Rauswurfs bleiben, ist aber vermutlich der letzte, aus dem Claus Peymann keinen Triumph zu machen verstand.

Eigentlich wollte er Schriftsteller werden, und die Ehrfurcht vor den Texten und ihren Produzenten hat er nie abgelegt. Er verehrt die Dichter, was ihn nicht daran hindert, schlecht über sie zu reden. Das gilt für Handke und Heiner Müller wie für Schauspieler, Regisseure, Intendantenkollegen. Beinahe ist er eine Thomas-Bernhard-Figur. Wenn der Ich-Erzähler in "Wittgensteins Neffe" sich mit seinem Freund hinter "dem Arsch der Oper" zusammensetzt, um die ganze Welt in Grund und Boden zu bezichtigen, liegt der Unterschied zu Peymann darin, dass dieser weder die Unterstützung eines Freundes noch eine Sitzgelegenheit benötigt: Er beleidigt im Alleingang und wie im Vorübergehen. Als er 1988 André Müller ein Interview gab, das erst zum Skandal und dann zur Legende werden sollte, notierte der Interviewer anschließend die Liste derer, die sich durch Peymann beleidigt fühlen durften. Sie umfasste 21 Namen. Für ein einziges Interview ist das nicht schlecht. Dass seine Dreistigkeit nicht effizient sei, will sich Peymann nicht nachsagen lassen.

Geltungsbedürfnis, Eitelkeit, Effizienz allein dürften aber kaum hinreichen, um zur Theaterlegende zu werden. Claus Peymann liest auch gern und hat sich nicht nur deshalb zu seinem achtzigsten Geburtstag drei Bände schenken lassen. Auf etwa 1500 Seiten versammeln sie alles, was Peymann der Welt über sich und seine Arbeit kund- und zu wissen geben möchte. Ein Selbstinszenierungsmarathon, der mit einem Eintrag ins Klassenbuch 1947 beginnt - "Peymann rülpst - und schaut sich triumphierend um" - und mit der Beifallsbilanz der Ära Peymann am Berliner Ensemble endet: 28 Tage, fünf Stunden, 19 Minuten oder 40 639 Minuten Applaus in achtzehn Jahren, verteilt auf 190 Inszenierungen.

Während "Das schönste Theater", die zweibändige Chronik der Jahre am BE, die Dokumentation einer Ära ist, die mit Hunderten von Inszenierungsfotos vor allem zum Blättern und Schauen einlädt, rundet sich der Band "Mord und Totschlag" zu einer Peymannschen Lebenschronik, die Lektürefleiß verlangt - und belohnt. Was hier an Selbstauskünften, Interviews, Briefen, Anekdoten, Sottisen, Statistiken und Exkursen versammelt ist, lässt hinter dem oft an der Grenze zur Selbstkarikatur operierenden Theaterlautsprecher doch sehr deutlich den besessenen und seine Besessenheit reflektierenden Theatermacher erkennbar werden, dessen prägender Einfluss auf die deutschsprachigen Bühnen nicht ohne Grund seit einem halben Jahrhundert währt. Die Seiten über die Anfänge an der Studiobühne der Universität Hamburg, wo Peymann Hans Henny Jahnns "Neuen Lübecker Totentanz" uraufführte, oder die Erlanger "Olympiade" der Studententheater, wo so unterschiedliche Köpfe wie Joachim Kaiser, Walter Höllerer und Chlodwig Poth aufeinandertrafen, geben einen faszinierenden Eindruck vom Aroma der Jahre vor 1967.

In jenem Jahr, Peymann war bereits seit 1965 am Frankfurter Theater am Turm, dem TAT, schrieb er sich dann in die Theatergeschichte ein. Mit der Uraufführung von Handkes "Publikumsbeschimpfung", dem "Urknall für ein anderes Theater" (Günther Rühle), setzte sich Peymann an die Spitze der Regisseure seiner Generation. Den Älteren rief er damals zu "Euer Theater ist tot", den Altersgenossen wie Peter Stein, Hans Neuenfels, Klaus Michael Grüber und Dieter Dorn schritt er zumindest für eine kurze Weile voran. "Wir hatten leichtes Spiel", sagt er heute im Rückblick auf jene Jahre.

Für die Berliner Schaubühne, die er mitbegründet hatte, war er zu bürgerlich, für das bürgerliche Stuttgart, wo er 1974 auf Peter Palitzsch folgte, war er zu links, wie sich spätestens in der "Zahnspendenaffäre" zeigte. Gudrun Ensslins Mutter wollte Geld für die Zahnbehandlung einiger in Stammheim inhaftierten Terroristen sammeln, und Peymann hatte ihren Brief am Schwarzen Brett des Schauspielhauses ausgehängt und selbst hundert Mark gespendet. Das konservative Schwabenland tobte, nur Stuttgarts Oberbürgermeister Manfred Rommel (CDU) hielt zu ihm und verhinderte den Rauswurf. Peymann wechselte 1979 nach Bochum, wo er Triumphe feierte, bevor er 1986 an die Burg wechselte, wo man ihn und Thomas Bernhard mit Mist bewarf, den die Wiener mittlerweile und nostalgie-, mentalitäts- und konservierungshalber kandiert und ins Theatermuseum gestellt haben. Die Verfechter des Performance-Theaters sollten lesen, was Günther Rühle über eine Peymann-Performance im Jahr 1969 berichtet, als die Zuschauer die leer bleibende Bühne eroberten, verwüsteten und pflichtschuldig wieder aufräumten. "Ich war und bin der Naivere", hat Peymann, Antitheoretiker und selbsternanntes Sonntagskind, über sich gesagt. Das ist nur die halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit, sie steckt hier: "Absicht ist alles, und trotzdem ist es Instinkt, verstehen Sie?"

HUBERT SPIEGEL

"Claus Peymann". Mord und Totschlag. Theater / Leben.

Hrsg. von Jutta Ferbers. Alexander Verlag, Berlin 2016. 536 S., Abb., br., 29,90 [Euro].

"Das schönste Theater". Bertolt-Brecht-Platz 1. Berliner Ensemble 1999-2017.

Hrsg. von Jutta Ferbers und Claus Peymann.

Alexander Verlag, Berlin 2017. Zwei Bände, zus. 950 S., Abb., br., 35,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Rezensent Uwe Mattheiß erfährt aus Claus Peymanns dicker, reich bebilderter Selbsterkundung, wie hoch es bei den Pressekonferenzen in der Burg herging, aber auch, wie sehr die Kunst (nicht nur Peymanns) in der Simulation gefangen blieb. Respektvoll liest der Rezensent das Buch daher gegen die Intention des Verfassers und lernt mehr über den Wandel der Formen und Inhalte auf dem Theater als irgendwo sonst, wie er versichert. Am biografischen Faden wie auch in den Anekdoten, erklärt er, lassen sich die wesentlichen Diskurse des Theaters nach dem Krieg gut nachvollziehen.

© Perlentaucher Medien GmbH