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Erhard Oeser ist mit der Züchtungsfrage auf den Hund gekommen
Ist die Menschenzucht à la Nietzsche, Peter Sloterdijk und Volker Gerhardt überhaupt Philosophensache? Oder wäre man mit diesem Thema nicht besser gleich auf den Hund gekommen? Ein Buch des Wiener Philosophieprofessors und Hundeliebhabers Erhard Oeser bricht die menschheitsgeschichtliche Züchtungsfrage auf Haustierperspektive herunter. Oeser macht eine Gegenperspektive auf: Nicht der Mensch hat den Wolf zum Hund und sich selbst zu des Menschen bestem Haustier, zum Humanisten nämlich, herabgezüchtet. Neuere Forschungsergebnisse legen vielmehr nahe, so berichtet der Autor, in der sozialen Intelligenz der Wölfe den entscheidenden Beitrag zur Menschwerdung des Affen zu sehen.
Zunächst einmal zeigten genetische Studien eine erstaunliche räumliche und zeitliche Koinzidenz von "Hominisation" und "Canisation". Und erst die einzigartige Zusammenarbeit der beiden Arten, die sich bei der Jagd mit ihren Sinnen und Fähigkeiten ergänzten, habe das globale Erfolgsmodell Homo sapiens hervorgebracht. Wichtiger noch: Die Caniden, die hundeartigen Vorfahren der Haushunde, lehrten unsere Urahnen vor hunderttausend Jahren erstmals Formen sozialer Kooperation, die über jenen engen, genetisch bedingten Familienverband hinausreichten, auf den noch heute die Interaktion der menschenähnlichen Affen beschränkt bleibt. In Koevolution mit der Hundheit trat also die Menschheit aus dem Reich der Tiere aus, lernte der Homo sapiens seine machiavellistische Vernunft wenigstens so weit in den Griff zu bekommen, daß er vom Wolfsrudel abgucken konnte, wie man sich in sozialen Einheiten organisiert.
Ohne Hund kein Staat, lautet entsprechend bündig Oesers Konklusion. Seine gattungsgeschichtliche Lesart eines Worts von Konrad Lorenz ("Es gibt Tiere, Menschen und Hunde"), das ihm auch sonst zur Richtschnur dient, hüllt er dabei geschickt ins Deckmäntelchen einer Kulturgeschichte. Gewiß, Platons Züchtungsphantasien, denen zufolge die idealen Wächter des idealen Staates nach dem Vorbild der Schäferhunde ausgelesen werden sollen, notiert der Verfasser ebenso wie Poppers demokratische Aversion gegen solcherlei Menschenzucht, die den Hund alarmiert als Feind der offenen Gesellschaft erkennt. Doch vor allem erzählt Oeser im Rahmen eines historischen Bilderbogens, der vom Hund als Wach-, Kampf- und Arbeitshund, als Versuchskaninchen, Nahrungsmittel und Eroberer handelt und seine Stellung zu Griechen und Adligen, zu Frauen und Polarforschern vermißt, eine Geschichte menschlicher Grausamkeit.
Schwer zu sagen, was sich schrecklicher liest: was Menschen Hunden antaten oder was sie sie Menschen anzutun lehrten. Daß wir irgendeiner Spezies Haustier seien, gehört gewiß nicht zu den Eindrücken, die man aus diesem Buch gewinnt. Unvermutet rückt der historische Rundblick denn auch ein Detail des amerikanischen Folterskandals von Abu Ghraib ins rechte Licht. Hunde gebrauchte man dort, um die Gefangenen zu verängstigen (wenn nicht zu Schlimmerem). Zur Frage, ob sich in den Torturen der Gefangenen ein "Muster" offenbare, liefert Oeser das historische Perspektiv: Spätestens seit der Vernichtung der Indianer gehört der scharfgemachte und auf Menschen losgelassene Hund zum festen Inventar des Rassismus. Bis zur Vermenschlichung des Menschen, scheint es, haben unsere unverdienten Freunde noch alle Pfoten voll zu tun.
MICHAEL ADRIAN
Erhard Oeser: "Hund und Mensch". Die Geschichte einer Beziehung. Primus Verlag, Darmstadt 2004. 192 S., geb., Abb., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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