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Noch im 21. Jahrhundert ist der Glaube an Hexerei und Magie verbreitet. In jüngerer Zeit ergangene Judikate belegen, dass es sich hierbei um ein ernstes gesellschaftliches Problem handelt, dem sich die Strafrechtswissenschaft bislang weitgehend entzogen hat. Im Kern geht es um die Strafbarkeit magischer Praktiken wegen Betrugs, abergläubischen Versuchs, Nötigung und Bedrohung, Körperverletzung sowie Verstößen gegen das Heilpraktikergesetz. Verena Dorn-Haag hinterfragt kritisch, ob es dem dogmatisch ausdifferenzierten, geltenden Strafrecht gelingt, Irrationales systematisch konsequent zu…mehr

Produktbeschreibung
Noch im 21. Jahrhundert ist der Glaube an Hexerei und Magie verbreitet. In jüngerer Zeit ergangene Judikate belegen, dass es sich hierbei um ein ernstes gesellschaftliches Problem handelt, dem sich die Strafrechtswissenschaft bislang weitgehend entzogen hat. Im Kern geht es um die Strafbarkeit magischer Praktiken wegen Betrugs, abergläubischen Versuchs, Nötigung und Bedrohung, Körperverletzung sowie Verstößen gegen das Heilpraktikergesetz. Verena Dorn-Haag hinterfragt kritisch, ob es dem dogmatisch ausdifferenzierten, geltenden Strafrecht gelingt, Irrationales systematisch konsequent zu beurteilen. Zugleich ordnet sie die aktuellen Fragen in einen dogmenhistorischen Kontext ein: Seit Abschaffung des Hexereidelikts im Zeitalter der Aufklärung stellten Sachverhalte mit Bezug zum Übersinnlichen eine Herausforderung für das Strafrecht dar. Die Autorin zeigt auf, dass bei der Beurteilung von Hexerei und Magie Kontinuitäten bestehen, die bis heute die dogmatische Diskussion prägen.
Autorenporträt
Geboren 1985; Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Augsburg; Erstes juristisches Staatsexamen; seit 2010 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Risiko- und Präventionsstrafrecht sowie Juristische Zeitgeschichte an der Universität Augsburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2016

Menschenopfer für den Katzenkönig

Hexen und Hellseher, Geister und Voodoo: Verena J. Dorn-Haag zeigt, wie die Rechtsprechung mit dem Übersinnlichen umgeht. Eine Geschichte voller Irrungen und Wirrungen.

Eigentlich möchte man annehmen, dass solche Fälle nur der Phantasie von Lehrbuchautoren entspringen können: Eine Frau will ihren Ehemann loswerden. Sie bittet eine Bekannte, die unliebsame Zeitgenossen angeblich totbeten kann, gegen Entgelt um Hilfe. Alle Versuche scheitern jedoch. Oder: Einem Polizisten (!) wird die Existenz eines mystischen Katzenkönigs vorgegaukelt. Dieser mächtige Herrscher verlange ein Menschenopfer. Erbringe der Polizist es nicht, müssten Millionen sterben, weil der Katzenkönig sie vernichten werde. Der Polizist schreitet zur Tat. Sein Opfer überlebt zwar, ist aber schwer verletzt. Oder: Eine Frau, die "Madame" genannt wird, zwingt ein junges Mädchen aus Nigeria dadurch zur Prostitution, dass sie ihr einen Voodoo-Zauber androht.

So unwahrscheinlich es klingen mag: All das ist Realität gewesen. Die Fälle haben Gerichte beschäftigt. Und seit kurzem wird vor dem Amtsgericht Hamburg St. Georg eine Strafsache verhandelt, bei der eine verliebte Siebenundsechzigjährige einer Hellseherin mehr als 300 000 Euro zahlte, damit Letztere einen Mann per "spirituellem Energiefeld" zu einem Heiratsantrag bewog.

Meist sind es vier große Fragenkomplexe gewesen, um die in solchen Verfahren gerechtet wird: Ist der Versuch eines Verbrechens strafbar, wenn dazu Mittel eingesetzt werden, die einem rational denkenden Menschen als abwegig oder - um es in der nüchternen Sprache der Jurisprudenz zu sagen - untauglich erscheinen? Darf jemand zu Notwehr oder Nothilfe greifen, wenn er subjektiv eine Gefahr annimmt, über die man objektiv bestenfalls den Kopf schütteln kann? Wird man betrogen, wenn man Vermögen für eine Leistung opfert, deren Erbringung ein verständiger Mensch von vornherein nur in der Fabelwelt erwartet hätte? Und schließlich: Wird man genötigt, wenn man mit einem Zauber bedroht wird, obschon das in Aussicht gestellte Übel allenfalls deshalb Angst einflößt, weil es kulturelle Vorprägungen gibt, die dem Normalsterblichen Gott oder der Vernunft sei Dank erspart geblieben sind?

Gewiss besteht im Ergebnis Einigkeit über die rechtliche Würdigung der jeweiligen Untat. Versuchtes Totbeten ist straflos. Geld dafür nehmen ist Betrug. Der Befehl des Katzenkönigs rechtfertigt und entschuldigt nichts. Und wer mit Voodoo droht, kann sich wegen Nötigung strafbar machen. Eine schlüssige Begründung der Verdikte macht indes oft Schwierigkeiten. Was ist der Strafgrund von Versuchsdelikten? Schon die böse Absicht oder erst das Ansetzen zur Tat und die damit verbundene Gefährdung anderer? Entlastet die Leichtgläubigkeit des Opfers den Täter, der sie einfach nur ausnutzt? Kann der Glaube an Hexerei und Magie zu einem "kulturellen Rabatt" für den Verbrecher führen?

Strafrechtler ringen mit solchen Fragen. Es gibt Meinungen über Meinungen. Selbst grundsätzlich als richtig geltende Erkenntnisse werden akademisch immer wieder angezweifelt. Für fast jedes tatsächliche oder auch nur gefühlte Problem gibt es eine subjektive, eine objektive, eine normative und eine vermittelnde Theorie, ganz zu schweigen von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. An jeder juristischen Fakultät beschäftigen sich Lehrstühle mit Subtilitäten, die an scholastische Debatten über Engel auf einer Nadelspitze erinnern. Generationen von Studierenden werden mit ihnen in Examina traktiert. Am Ende steht meist die bittere Einsicht, dass keine Lehre je vollends überzeugt.

Verena J. Dorn-Haag, eine junge Wissenschaftlerin der Universität Augsburg, hat sich jetzt in einer eindrucksvollen Untersuchung den dogmatischen Problemen gewidmet, mit denen die Strafrechtswissenschaft und -praxis sich hierzulande beim Umgang mit Hexerei und Magie konfrontiert sieht. Das hat sie auf ansprechende und zuweilen regelrecht raffinierte Weise getan, indem sie ihr Thema in einen breiten historischen Kontext eingebettet hat. Ausgehend vom spätmittelalterlichen Hexereidelikt als dem Sinnbild eines theokratischen Strafrechtsverhältnisses, welches den Unrechtskern der Hexerei in Idolatrie, Apostasie und Ketzerei sah, schildert sie nicht nur wie dieser Tatbestand im Zeitalter der Aufklärung allmählich verschwand. Sie zeigt vielmehr auch, wie ein säkularisiertes Strafrecht den keineswegs überwundenen Volksaberglauben und die mit ihm einhergehenden magischen Praktiken einer vollständigen Neubewertung unterzog.

Nicht mehr die selbständige Straftat "Hexerei", sondern der Betrugstatbestand und die im Interesse der öffentlichen Ordnung normierten Religionsdelikte nahmen jetzt die zentrale Rolle ein. Kodifikationen wie das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 wurden zum Vorbild für den neuen, aufgeklärten Umgang mit dem vermeintlich Übersinnlichen.

Vor allem der Zeitraum zwischen Spätaufklärung und Gegenwart dient Dorn-Haag dazu, die Geschichte der sukzessiven gedanklichen Durchdringung sowie der legislatorischen Entwicklung des Betrugstatbestandes, des abergläubischen Versuches, der strafrechtlich relevanten Drohung sowie der Delikte zum Schutz von Leben, Leib und Gesundheit anhand von Taten mit magischen Praktiken zu analysieren. Die dabei zutage tretenden Irrungen und Wirrungen der juristischen Dogmatik sowie der Rechtsprechung im Umgang mit dem Übernatürlichen unterstützen die These, dass es nicht hilft, den Glauben an Irrrationales ins Lächerliche zu ziehen und die Realität abergläubischer Umtriebe für irrelevant zu erklären.

Gefragt ist vielmehr die Erkenntnis, dass auch heute noch - nicht zuletzt in Kreisen von Esoterikern, Heilern und Anhängern der modernen Geisterbeschwörung in Form des "Channeling" - Seltsamkeiten geschehen, die der Rechtsordnung schlüssige und generalisierbare Antworten abfordern. Ob es dazu - wie Dorn-Haag offenbar meint - am Ende des Gesetzgebers bedarf, mag freilich dahinstehen. Bedauerlich ist allenfalls, dass Dorn-Haag ihrer Untersuchung einen Magiebegriff zugrunde legt, der an der Mitwirkung "böser Geister" anknüpft. Damit ist die an sich überaus quellengesättigte Arbeit ausgerechnet in diesem Punkt auf Sekundärliteratur hereingefallen, die das Phänomen der Magie erheblich verkürzt.

Hätte die Verfasserin bei ihren Definitionsversuchen auf Material aus dem Zeitalter der Aufklärung zurückgegriffen, hätte sie feststellen können, dass viele Gelehrtenschriften wie zum Beispiel die berühmten "Abhandlungen vom physikalischen Aberglauben und der Magie" (1778) des Hallenser Professors Johann Peter Eberhard unter Magie schlicht und neutral die Überwindung der Denk- und Naturgesetze verstanden. Sie subsumierten unter den Terminus somit auch das, was man heute als Zauberkunst bezeichnet, selbst wenn es dort bloß um den unterhaltsamen Anschein von Hokuspokus geht. Und mehr noch: Schon 1584 hatte ein englischer Friedensrichter namens Reginald Scot in einer berühmt gewordenen Untersuchung mit dem Titel "Discoverie of Witchcraft" gerade die Tricks der Taschenspieler und Gaukler als Beleg dafür ins Feld geführt, dass die Berufung auf das Übernatürliche in aller Regel ins Abseits führt und folglich nichts rechtfertigen und schon gar nichts entschuldigen kann.

Überdies hätte das Phänomen des Zaubertricks auch Stoff für weiteres Nachdenken gegeben. Tatsächlich kann sich die Frage nach strafrechtlicher Verantwortlichkeit nämlich auch bei gefährlichen Kunststücken stellen. Das zeigt beispielsweise der sogenannte Kugelfang. Bei diesem Trick fängt der Zauberkünstler eine auf ihn geschossene Pistolenkugel (scheinbar) mit dem Mund auf. Dazu sucht er sich einen Freiwilligen aus dem Publikum. Diesem gibt er eine scharf geladene Waffe in die Hand. Der Freiwillige zielt auf den Kopf des Künstlers und drückt ab. Der Künstler hat die scharfe Patrone jedoch zuvor durch einen Kniff gegen eine Platzpatrone getauscht und das scharfe Projektil bereits heimlich in seinem Mund versteckt.

Zwölf Fälle in der Geschichte der Zauberkunst sind dokumentiert, bei denen das Kunststück schiefging. Ist der Schütze in diesen Fällen eines Tötungsdeliktes schuldig? Oder kann die Risiko-Einwilligung des Zauberkünstlers trotz fatalen Ausgangs der Sache zur Straffreiheit des Schützen führen? Es hat den Anschein, als sei auch hier noch einiges ungeklärt. Platz also für neue subjektive, objektive, normative und vermittelnde Theorien. Und für ein Urteil des Bundesgerichtshofs.

PETER RAWERT

Verena J. Dorn-Haag: "Hexerei und Magie im Strafrecht". Historische und dogmatische Aspekte.

Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2016. 474 S., geb., 99,- [Euro].

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