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Warum ist der Tod eines Menschen immer eine Art Skandal? Warum ruft dieses ganz normale Ereignis bei jenen, die dabei Zeuge sind, ebensoviel Neugier wie Grauen hervor? Wie kommt es, daß man sich nicht längst an dieses natürliche und doch stets zufällige Geschehen gewöhnt hat? Warum sind wir jedesmal, wenn ein Lebender stirbt, so erstaunt, als geschehe dies zum ersten Mal? Das sind die Fragen, die sich der große französische Philosoph Vladimir Jankélévitch in seinem nun endlich auf deutsch erscheinenden philosophischen Hauptwerk stellt, das zugleich die Leitlinien seines gesamten uvre aufnimmt…mehr

Produktbeschreibung
Warum ist der Tod eines Menschen immer eine Art Skandal? Warum ruft dieses ganz normale Ereignis bei jenen, die dabei Zeuge sind, ebensoviel Neugier wie Grauen hervor? Wie kommt es, daß man sich nicht längst an dieses natürliche und doch stets zufällige Geschehen gewöhnt hat? Warum sind wir jedesmal, wenn ein Lebender stirbt, so erstaunt, als geschehe dies zum ersten Mal?
Das sind die Fragen, die sich der große französische Philosoph Vladimir Jankélévitch in seinem nun endlich auf deutsch erscheinenden philosophischen Hauptwerk stellt, das zugleich die Leitlinien seines gesamten uvre aufnimmt und bündelt. In jedem seiner Bücher hat er versucht, den Grenzfall, die Extremsituation zu erfassen und für sie Begriffe zu finden. Denn an dem Punkt, wo der Mensch an diese Grenzen rührt, ist er der äußersten menschlichen Erfahrung ausgesetzt, einer Erfahrung, in der das Geheimnis, das Unaussprechliche und das Ungewisse den übergang vom Sein zum Nichts oder vom Wesen in das Absolut-Andere aufzeigen. Vladimir Jankélévitch analysiert das Ereignis des Todes in seiner ganzen Banalität und Fremdheit, in seiner Widersprüchlichkeit und auch im Kontext der komplexen Auslegungen, die der Tod in der Geschichte der Philosophie erfahren hat.

Autorenporträt
Vladimir Jankélévitch (1903-1985) war ein französischer Philosoph, Musiker und Musikwissenschaftler. Aufgrund seiner jüdischen Abstammung wurde ihm während des Zweiten Weltkriegs die Staatsangehörigkeit entzogen. 1941 trat er der Résistance bei. Nach dem Krieg unterrichtete er von 1951 bis 1979 auf dem Lehrstuhl für Moralphilosophie an der Sorbonne in Paris. Sein umfangreiches Werk ist in zahlreiche Sprachen übersetzt.

Thomas Kapielski, geboren 1951 in Berlin, ist ein deutscher Schriftsteller, Musiker und bildender Künstler. 2010 erhielt er den Preis der Literaturhäuser, 2011 wurde er mit dem Kasseler Preis für grotesken Humor ausgezeichnet. In der edition suhrkamp erschien zuletzt Kotmörtel. Roman eine Schwadronörs (es 2759).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.11.2005

Das Ach und das Vielleicht
Der französische Philosoph Vladimir Jankélévitch wird für deutsche Leser zugänglich. Die Lektüre macht trunken - seine Abhandlung „Der Tod” ist ein großes Werk über das Leben
Von Thomas Meyer
Als vor zwei Jahren Texte des französischen Philosophen Vladimir Jankélévitch auf deutsch erschienen, zeigte sich die Fachwelt auf dem falschen Fuß erwischt. Irgendwie musste der unerbittliche Ethiker (1903-1985), der nur auf den ersten Blick allein Henri Bergson verpflichtete Phänomenologe, bisher durch die Wahrnehmungsraster der Diskursdirektoren gefallen sein. Dass der Résistancekämpfer den Deutschen die Shoah nicht verzieh, nahm man verzweifelt zur Kenntnis; Derridas späte Beschäftigung mit Jankélévitch wurde holprig herbeizitiert oder Lévinas’ Fehleinschätzung kolportiert, das Werk zeichne sich durch „Atemlosigkeit” aus. Man bemühte die Kategorie, in der für viele deutsche Philosophen noch immer zahlreiche französischen Kollegen ihren Wohnsitz haben: die der „freihändigen Essayisten”.
Niemand ist für all das ein Vorwurf zu machen. Sieht man einmal von dem unermüdlichen Vermittler Bernhard Waldenfels ab, so hätten allenfalls die Musikwissenschaftler Nachhilfeunterricht geben können. Seit 1958 ist Jankélévitchs Ravel-Biographie übersetzt; seine Studien etwa zu Debussy, Liszt oder dem Nocturne gehören längst zum Kanon.
Jetzt legen die Verlage Suhrkamp und Turia + Kant zwei Bücher des sperrigen Denkers vor, die zu seinen Hauptwerken gehören. Die „Erste Philosophie” von 1953 und „Der Tod” von 1966 sind in Frankreich und Italien vieldiskutierte Dokumente einer Philosophie, die aus ihrer zutiefst geschichtlich geprägten Herkunft Neuland zu erschließen versucht.
Die „Erste Philosophie” ist eine selbstbewusste Vergewisserung der Möglichkeit kategorialen Denkens. Für dieses ist empirische Wirklichkeit „unbestreitbar”, ihre Erfassung nur mit einer „unwiderleglichen Metaempirie” möglich. Jankélévitch spricht von „Metalogik”. Ihm geht es um die Rückgewinnung des Grundsätzlichen - lange bevor Adorno Solidarität mit der Metaphysik im „Augenblick ihres Sturzes” einklagte.
Die Hilfe kommt aus zahlreichen Quellen: Während Heidegger in seiner „Sophistes”-Deutung Platon durch Aristoteles zu verstehen trachtet, kehrt Jankélévitch zur zeitlichen Reihenfolge zurück und gibt dem Autor der Ideenlehre den Vorzug. Doch er bleibt nicht allein. Die „Erste Philosophie” entwickelt sich zum Kommentar des Neuplatonikers Plotin. Aber auch Nikolaus von Kues, Leibniz, Kant, Goethe, Schopenhauer und Simmel sind in diesem Buch gegenwärtig, wenn auch nicht immer genannt.
Die „Erste Philosophie” ist ein schwieriges Werk, wie die hervorragende Übersetzung von Jürgen Brankel und sein kluges Nachwort nochmals verdeutlichen. Die Reflexionen über das Gott gemäße Epitheton und über die sich gegenseitig ins Wort fallenden Antipoden Kontingenz und Liebe sind hingegen schlicht große Literatur. Die Sätze Jankélévitchs verlassen niemals die strenge Observanz des systematischen Denkens, verleugnen aber nicht ihre poetische Intention; Philosophie und Literatur werden zum beiderseitigen Gewinn musikalisch.
Diese Beschreibung trifft insbesondere für die Studie über den „Tod” zu. Suhrkamp schenkt den deutschen Lesern in der Übertragung durch Brigitta Restorff ein Jahrhundertbuch. In ihm spricht nicht die Todestrunkenheit, die niemals ihren reaktionären Grundzug verleugnen kann, nicht die naive Hoffnung, dass sich der Mensch über die grandiose Tatsache der Geburt dem Ende ein anderes Antlitz geben könne. Weder Heidegger noch Arendt sind die Paten, auch wenn die - allerdings völlig anders gefärbte - Dimension der tragischen „Angst” prominent ist.
Es ist der Skandal des Todes, nicht der Tod selbst, der Jankélévitch nicht zur Ruhe kommen lässt. In genau kreisenden Bewegungen, rhythmisiert durch das stets exakt platzierte „Ach” eines dem Tod nicht Entrinnenden, wird das Ende eingefangen. Dazu reicht nicht die stolze Ahnenreihe der Philosophiegeschichte, vielmehr wird die große abendländische Literatur und Musik in den Zeugenstand gerufen. Einmal heißt es gegen die engen Grenzen der eigenen Zunft: „Die so geschwätzige Philosophie des Diesseits enthüllt uns nichts über den Tod.”
Jankélévitch inszeniert seinen Text jedoch nicht als Enthüllung, nicht als ewige Annäherung. Er beginnt und endet stattdessen mit der kaum zumutbaren Gewissheit, dass der „Tod an und für sich undenkbar” sei. Dennoch gilt es, sich des Versprechens zu vergewissern, dass bis zuletzt die „zeitliche Grenze des Lebens eine zukünftige ist”. So fängt der Mensch immer von neuem an, wiederholt seinen Anfang, versucht sein Leben vor dem Scheitern zu retten, und weiß doch: Es geht nicht.
Der Tod spannt den Menschen bei Jankélévitch allerdings nicht ein, ist aber auch in seiner Radikalität kein Freiheit ermöglichendes Ziel. Er ist eine Ordnungsmacht, die dem Menschen offenbart, was vor ihm war und nach ihm kommen kann. Gegen den Tod kann man gleichwohl nichts setzen, außer einem „Vielleicht”. Dieses „Vielleicht”, das kein theologisches Residuum meint, durchschießt den Text. Jankélévitch trotzt es den eigenen minutiösen Beobachtungen, Analysen, an- und abbrechenden Reflexionen, regelrecht ab. Das „Vielleicht” ist der Rest an Glaube an den Menschen als Schöpfer, den der Philosoph gegen seinen Feind aufrecht erhält. Aber kaum hat er dem längst im Sog des Hell-Dunkel-Kontrastes dieser Prosa gefügig gemachten Leser Hoffnung gegeben, schiebt sich ein abgrundtiefes „Schön und gut!” dazwischen.
Allmählich zeigt sich dann in den Bewegungen des Textes so etwas wie eine Methode. Sie ist nicht durchgängig praktiziert, eher ein zarter Hauch in allen Worten. Jankélévitch will sensibilisieren für den Unterschied von „todgeweiht” und „sterblich”. Der Mensch erleidet die Niederlage des Todes, doch das Bewusstsein für ihn kann angefüllt werden mit einer bestimmten Einsicht gerade darüber. Sie nimmt dem Menschen nichts von der Last seines Endes, gibt ihn aber nicht vollends verloren. „Das Mysterium der Vernichtung ist also paradoxerweise unsere Hoffnung, obwohl es keineswegs ein ‚Grund‘ zur Hoffung ist (denn Gründe und Beweise gibt es hier nicht).”
Aus dem „Ach” und dem „Vielleicht” hat Jankélévitch später eine umfassende Ethik entwickelt. Sie in Übersetzung folgen zu lassen, samt seiner Abhandlung über die „Ironie”, wäre zu wünschen, nachdem die Lektüre so trunken gemacht hat. Jankélévitchs Buch über den Tod ist ein Geschenk, seine Lektüre weckt auf, gibt Sicherheit dafür, dass es doch gerade jetzt nicht zu Ende gehen kann und darf. „Der Tod” schafft es auf wundersame Weise, dem Tod nicht nachzugeben. „Der Tod” ist ein großes Werk über das Leben.
Vladimir Jankélévitch
Erste Philosophie
Einleitung in eine Philosophie des „Beinahe”. Aus dem Französischen u. Nachwort von Jürgen Brankel, Turia + Kant, Wien 2005. 293 Seiten, 29 Euro.
Der Tod
Aus dem Französischen von Barbara Restorff. Nachworte von Thomas Kapielski und Christoph Lange. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 574 Seiten, 39,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2005

Die Sorge lebt zwischen Heute und Morgen
Vor Dürers Melancholie aufrecht stehen: Vladimir Jankélévitchs gut gebaute Studie über den Tod / Von Joseph Hanimann

Ein Buchtitel ist bei Vladimir Jankélévitch nie einfach eine Themenvorgabe, sondern Leitmotiv eines rhapsodischen Denkens mit Vor- und Rückgriffen auf andere Schriften. Dies besonders im Fall von "La mort", der schon im Wort einsilbig trocken in die sonst bei diesem Philosophen eher singenden Werktitel hallt. Im übrigen gilt, was Platon schon wußte: Daß es zum Tod nichts zu wissen gibt. Alles Nachdenken über den Tod hat, soll es nicht in Nachdenken übers Leben verfallen, nur die Wahl zwischen Siesta und Panik, schreibt der Autor. Beides war diesem Quergänger der französischen Nachkriegsphilosophie gleichermaßen fremd. Darum hat er sich zeitlebens mit diesem Thema befaßt. Sein erstes Seminar dazu soll er vierzigjährig am Ende des Zweiten Weltkriegs in einem Toulouser Café gehalten haben. 1966 erschien das hier vorliegende Monumentalwerk. Noch 1994, ein Jahr vor seinem Tod, veröffentlichte er das - auf deutsch seit zwei Jahren ebenfalls vorliegende - Gesprächsbuch "Kann man den Tod denken?"

Natürlich kann man das nicht. Das Buch sollte besser meiden, wer auf scharfe Konzepte, griffige Thesen, knappe Formulierungen, jähe Offenbarung aus ist. Obschon mit denkbar einfacher Kapiteleinteilung - der Tod diesseits des Todes, der Tod im Augenblick des Todes, der Tod jenseits des Todes - veranstaltet der Autor einen Reigen philosophischer, literarischer, musikalischer Zitate und Anspielungen, daß einem schwindlig werden kann. Doch hat das nichts mit der barocken Faszination am Grausen der "Danses macabres" zu tun, die der Philosoph, ebenso wie die euphemisierende Todesvision der Weisen und Frommen, abtut als "apophatische Inversion" - das wüste Knochenrasseln in Liszts Scherzos, die das "Dies irae" parodierende Staccato- und Pizzicato-Buffonnerie der "Danse macabre", die schrägen Späße Mephistos in der "Faust-Symphonie".

Von der barocken oder romantischen Totenschädelästhetik hält Jankélévitch so wenig wie von der philosophischen Verklärung - Lukrez tat, was er konnte, um uns von der Natürlichkeit des existentiell Widernatürlichen zu überzeugen, verkannte aber die Herausforderungskraft des Phänomens. Auch das unter Freunden Sich-in-den-Tod-Hineinreden von Sokrates in Platons "Phaidon" kommt dem Philosophen Jankélévitch verdächtig vor. Der über die Kapitel hin elliptisch kreisenden Darstellung Jankélévitchs zufolge ist der Tod jene radikal fremde Außeninstanz, die dem Leben von der Geburt an seine Form gibt und dieses zu einem Sein zum Tode macht - wenn auch anders als bei Heidegger. Dieser kommt bekanntlich bei Jankélévitchs nach dem Krieg so wenig wie alle anderen deutschen Philosophennamen mehr vor.

Das ist schade, hier besonders. Denn der Dialog zwischen den beiden wohl einzigen großen Philosophen Westeuropas, die im vergangenen Jahrhundert sich auf einen Entwurf zu diesem Thema einließen, wäre anregend gewesen. Gemeinsam ist ihnen, daß sie den Tod nicht als äußeren Endpunkt, sondern als ein der Existenz innewohnendes und zugrundeliegendes Agens verstanden. Im Unterschied zu Heidegger war der französische Moralphilosoph aber ein Metaphysiker. Er, der über Schelling promoviert hatte, ein großer Leser Georg Simmels war und als begabter Pianist Schubert und Schumann über alles schätzte, hatte nach der Erfahrung - als Résistant - mit dem Nationalsozialismus beschlossen, fortan ohne die deutsche Kultur auszukommen. Er spielte mit Vorliebe Ravel, Fauré, Debussy, denen er mehrere Studien widmete, bewunderte Mussorgski und zitiert in diesem Buch neben Platon oder Epikur gern Marc Aurel, Montaigne, Pascal, die Kirchenväter, die russische Literatur.

Da "der" Tod nicht gedacht werden kann, sieht der Autor nur zwei Möglichkeiten: jene des Nachdenkens "über" den Tod in Andeutung und Periphrase bis hin zum Schweigen beziehungsweise zum Geschwätz - oder die Möglichkeit, an etwas anderes zu denken, beispielsweise an Lebende, die sterblich sind und die es wissen. Zwischen dieser Alternative bewegt sich Jankélévitchs Reflexion, vorab im ausführlichen ersten Teil des Buchs über den Tod vor dem Augenblick des Sterbens, also mitten im Leben. Möge man im Sinne des "Memento mori" ihm fest ins Antlitz schauen und wie Pascal jede Ablenkung zurückweisen oder, wie nach dem Evangelium Fénelon oder Kierkegaard nahelegten, die Sorge lieber aufs Heute statt aufs Übermorgen richten - für Jankélévitch sind beide Haltungen legitim. Dürers dunkle Melancholie und Raphaels Strahlen von Madonna und Kind haben in der Todesahnung beide recht. Entscheidend ist, daß das Denken dem Tod nicht als etwas Allgemeinem begegnet und so das absolut Meinige daran - "la mort mienne" - verrät. Jankélévitch konjugiert diese Unterscheidung grammatikalisch in den drei Personen durch.

Der Tod in der dritten Person ist schmerzlos allgemein, ein reiner Philosophen-Tod, jener in der ersten Person ein schieres Erschrecken - es sei denn, man redet wie Sokrates im "Phaidon" pausenlos an der Sache vorbei bis hin zum letzten Wunsch, dem Asklepios möge doch noch ein Hahn entrichtet werden. Die einzige Situation, wo allgemeine Gesetzmäßigkeit und unmittelbare Erfahrung tragisch zusammenwachsen, ist der Tod in der zweiten Person - auch hier ergäbe sich ein interessanter Bezug zu Heideggers Ausführungen über den Tod der Anderen.

Jankélévitch entwickelt, weniger daseinsanalytisch als ontologisch orientiert, in diesem Zusammenhang seine eigene Terminologie für den paradoxen Zusammenhang von Sein und Nichts. Er spricht vom "Organon-Obstaculum", jenem instrumentalen Hindernis der Körperlichkeit, die zugleich "trotz" und "wegen" dem Tod lebend in die Zeitlichkeit führt und uns den tragischen Horizont des "Notwendig-Unmöglichen" öffnet. Alle Menschen sind sterblich, wie wir mit logischer Unfehlbarkeit wissen - doch Wanja (aus Tolstojs "Tod des Iwan Iljitsch") ist ein Mensch, schreibt Jankélévitch. Die Hinzufügung dieser konzessiven Konjunktion ist wunderbar. Denn, so schreibt der Autor weiter, "beim Übergang vom doch zum deshalb, wenn es sich um diesen Wanja mit diesem gestreiften Spielball handelt, läßt uns ein schmerzlicher Widerstand stocken". In solchem Stocken des Denkens ist Jankélévitchs Buch der überbordenden Assoziationen am schönsten. Es wirkt wie das Eingeständnis, doch höchst gelehrsam und kunstvoll auf sechshundert Seiten gebreitet: Eigentlich gebe es zu diesem Thema nichts zu sagen. Man liest unwillkürlich weiter, überspringt, springt zurück und steht im Bann einer brillanten Causerie über Zeitlichkeit, Werden, Sinn, Absurdität, Freiheit, Hoffnung, das Nichts, das Abschiednehmen, die Ironie.

Noch weniger als über den Tod vor dem Tod scheint über den Tod im Todesmoment zu sagen zu sein. Es ist ein ausdehnungsloser Punkt, an dem, im Normalfall, Nichtsein Bewußtsein ablöst. Alle wichtigen Ereignisse wie Feldzüge, Schlachten, Naturkatastrophen, Geburten lassen sich in eine Unmenge narrativ ergiebiger Unterereignisse auflösen, konstatiert der Autor: nicht so der Tod. Wie aber mit Totenglocke und Totenmesse dem infinitesimal kurzen Augenblick des Sterbens ein Stück Ewigkeit abgetrotzt und dieser listvoll in Dauer überführt wird, so versteht auch Jankélévitch selbst diesen Moment mit Betrachtung zu blähen. Haben wir, so schreibt er, "da sich die Schwelle zwischen Diesseits und Jenseits dem Diskurs entzieht, lediglich die Wahl zwischen der Erzählung des Diesseits, die Biographie, und dem Roman des Jenseits, der Eschatologie und phantastische Erzählung ist?" - Nein, wir haben die virtuose Begriffspoesie eines Denkers, der alles verbindet. Ob wir dann mit den "Requiem"-Stürmen von Berlioz, dem finsteren Triumphmarsch von Liszts "Tasso" oder mit dem Pianissimo-Poeten Debussy auf den Herzstillstand horchen, überläßt der Autor uns. In allen Fällen sind seine Ausführungen Mahnung, den Tod uns nicht durch klinisch-experimentelle Letaldifferenzierung aus der Tasche spielen zu lassen.

Daraus dürfte klar sein, daß das Todesthema hier nicht die "ultima philosophia" eines mit einem Fuß schon über dem Abgrund schwebenden Jenseitswandlers ist. Dem umgänglichen Philosophen Jankélévitch bot dieses Thema Gelegenheit, sein Lieblingsthema der Grenzerfahrung bis an den äußersten Rand denkerisch abzuschreiten. Zahlreiche seiner Publikationen spielen schon im Titel auf die Grenzsituation an wie "Das schlechte Gewissen", "Die Ironie", "Abenteuer, Langeweile, Ernst", "Das Verzeihen", das (im Parerga Verlag ebenfalls gerade auf deutsch erscheinende) Buch "Von der Lüge" oder das im Titel wohl schönste Werk Jankélévitchs: "Le Jene-sais-quoi et le Presque-rien" (1957). Der Bergson-Schüler, der von 1951 bis 1979 an der Sorbonne gegen die philosophischen Zeitströmungen mehrere Studentengenerationen wie ein aus der Zeit La Rochefoucaulds verirrter Moralist in Sachen Freiheit unterwies und diese Freiheit mit seiner distanzierten Sympathie im Mai 68 auch unter Beweis stellte, hat das heute wiedererwachte allgemeine Gesellschaftsinteresse an philosophischer Reflexion subtil vorausbedient - selbst dort, wo er in seinen Büchern stolz auf jede Übersetzung der griechischen und lateinischen Textzitate verzichtete.

Die deutsche Fassung bietet in den Fußnoten auch die Übersetzungen. Die Übertragung von Brigitta Restorff ist ein Wunderwerk an Exaktheit. Jeder, dem die heutige Rückwendung zur Philosophie mehr als eine Modeströmung wert ist, wird in diesem Buch die Seiten finden, die ihn persönlich angehen.

Vladimir Jankélévitch: "Der Tod". Aus dem Französischen von Brigitta Restorff. Herausgegeben und mit einer Nachbemerkung von Christoph Lange. Vorwort von Thomas Kapielski. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 573 S., geb., 39,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Hocherfreut zeigt sich Rezensent Sascha Michel darüber, dass Vladimir Jankelevitchs Hauptwerk "Der Tod" nach fast dreißig Jahren endlich in deutscher Übersetzung vorliegt. Er würdigt den 1985 fast vergessen in Paris verstorbenen Philosophen als Solitär, der sich keiner Hauptströmung der neueren Philosophie zuordnen lässt, und charakterisiert ihn als einen "bewusst antisystematischen Denker", der seinen Gegenstand eher essayistisch umkreise, als ihn auf einen sicheren Begriff zu bringen. Wie Michel berichtet, wendet sich Jankelevitch scharf gegen jede Beschönigung des Todes, gegen die Annahmen beruhigender Kontinuitäten, und betont immer wieder dessen Sinnlosigkeit. Trotzdem wertet Michel das Werk nicht als ein "düsteres oder pessimistisches" Buch, findet er doch als Kehrseite der Bestürzung über den Tod das Staunen und die Bejahung des Lebens. Insgesamt hat Michel das Buch, dessen Übersetzung er als "vorzüglich" lobt, überaus fasziniert, auch oder gerade weil es keine leichte Kost bietet. "Jede Zeile dieses Buches knirscht unverdaulich zwischen den Zähnen", kommentiert der Rezensent zusammenfassend, "in seiner philosophischen Literarizität ist es geradezu höllisch scharf von Erkenntnis; und bei aller Bitterkeit ist es von einem humanen Staunenkönnen über unsere Welt erfüllt, das einem in der Tat den Schlaf rauben kann".

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»Suhrkamp schenkt den deutschen Lesern in der Übertragung durch Brigitta Restorff ein Jahrhundertbuch. ... Jankélévitchs Buch über den Tod ist ein Geschenk, seine Lektüre weckt auf, gibt Sicherheit dafür, dass es doch gerade jetzt nicht zu Ende gehen darf. ... Der Tod ist ein großes Werk über das Leben.« Süddeutsche Zeitung