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Die große Historikerin Natalie Zemon Davis erzählt die exemplarische Lebensgeschichte des Leo Africanus wie einen Abenteuerroman:als Muslim geboren, von Katholiken vertrieben und vom Papst getauft...

Produktbeschreibung
Die große Historikerin Natalie Zemon Davis erzählt die exemplarische Lebensgeschichte des Leo Africanus wie einen Abenteuerroman:als Muslim geboren, von Katholiken vertrieben und vom Papst getauft...
Autorenporträt
Natalie Zemon Davis, 1928 in Detroit geboren, ist Historikerin und eine der wichtigsten Vordenkerinnen der interdisziplinären Kulturwissenschaft. Sie unterrichtete in Berkeley, Oxford und Princeton. Seit ihrer Emeritierung 1996 lebt sie als freie Schrifstellerin in Toronto und ist dort wieder an der Universität tätig.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2008

Getauft vom Papst und doch Muslim
Ein Vogel, der sowohl in der Luft wie unter Wasser leben konnte: Natalie Zemon Davis erzählt die Lebensgeschichte des Leo Africanus, eines Reisenden zwischen Orient und Okzident Von Stefan Weidner
Eine Monographie, scheint es, wie sie nicht besser in unsere Zeit passt: Abriss eines der frühesten in Europa aktenkundigen Werke der „Migrantenliteratur”; die wertneutrale Beschreibung einer anderen Kultur und Religion; Rom zur Zeit Luthers mit den Augen eines scheinkonvertierten Muslims gesehen; das Psychogramm eines Pendlers zwischen den Kulturen, zwischen Christentum und Islam, abgelesen an 1000 frühneuzeitlichen Foliantenseiten– das ist in wenigen Stichworten die Biographie der amerikanischen Historikerin Natalie Zemon Davis über al-Hassan al-Wazzan alias Yuhanna al-Asad alias Giovan Lioni Africano alias Leo Africanus, den wir heute vor allem als Helden des gleichnamigen Romans von Amin Maalouf aus dem Jahr 1986 kennen. Der auf französisch schreibende libanesische Schriftsteller hatte dank seines eigenen Vertriebenenschicksals als erster ein Gespür für die Archetypik der doppelten Identität von Leo Africanus, der seinen Ruhm seiner 1550 in Venedig gedruckten, vielfach übersetzten und nachgedruckte „Descrittione dell’Africa” verdankt.
War es früher der Informationsgehalt, der solche Schriften wertvoll machte, können wir heute Genaueres in jedem Reiseführer nachschlagen; das Genre der frühneuzeitlichen geographischen Literatur besitzt für Leser ohne speziellere Interessen fast nur noch Kuriositätswert. Bei Amin Maalouf und Natalie Zemon Davis sind daher im Fall von Leo Africanus die Verhältnisse umgekehrt: War in früheren Zeiten nur das Buch interessant, ohne dass man sich um den Verfasser weiter kümmerte, so liest heute nur der Historiker die „Beschreibung von Africa” (so die deutsche Übersetzung von 1805), während der bis dahin kaum greifbare Autor zu einer Ikone des Multikulturalismus mutiert.
Die Lebensdaten von Leo Africanus fallen in Orient und Okzident mit einer Zeitenwende zusammen, die beider Verhältnis neu ordnete. Geboren wurde er höchstwahrscheinlich in Granada als Sohn gutsituierter arabischer Beamter, wenige Jahre vor der Rückeroberung der Stadt durch die Kastilier 1492. Die verbliebenen Muslime mussten konvertieren oder, wie die Familie von Leo Africanus, auswandern. Die nächste islamisch-arabische Metropole war die nordmarokkanische Königstadt Fes – seit jeher die Schwesterstadt der andalusisch-arabischen Konglomerationen. Hier wuchs al-Hassan al-Wazzan auf, der sich später in einer Lektürenotiz auf einer Handschrift aus der Vatikanischen Bibliothek als „al-Fasi” („der aus Fes”) bezeichnet. Tatsächlich sind in der „Beschreibung Afrikas” die Schilderungen von Fes die ausführlichsten und bis heute lesenswertesten.
Al-Wazzan bekam eine solide Ausbildung in den islamischen Wissenschaften, lernte den Koran auswendig und konnte sich später in Rom „Faqih” nennen – Rechtsgelehrter. Seine Reisen in der islamischen Welt sind durch Angaben in der „Beschreibung” einigermaßen verbürgt, vor allem als Gesandter im Dienst des Sultans von Fes, der, einerseits von den in den Marokko gelandeten Portugiesen, andererseits von marokkanischen Kontrahenten unter Druck gesetzt, rege diplomatische Aktivitäten entwickelte. Al-Wazzan reiste bis nach Timbuktu und durch den Tschad und den Sudan bis an den Nil. Um das Jahr 1513 wird er sich in Kairo aufgehalten haben, 1515 in Algier und Tunis, und 1516 brach er nach Istanbul auf, offenbar um diplomatische Beziehungen zum expandierenden Osmanischen Reich unter Sultan Selim aufzunehmen.
Als dieser 1517 Kairo eroberte, reiste al-Wazzan ihm nach und begab sich von dort weiter auf die Pilgerfahrt nach Mekka und Medina. 1518 scheint er sich von Kairo mit dem Ziel Marokko eingeschifft zu haben. Doch sein Schiff wurde von dem Seeräuber Bobadilla gekapert. Der nordafrikanische Gesandte galt als besonders wertvoller Gefangener, und Bobadilla übergab ihn Papst Leo X., dem al-Wazzan seinen späteren lateinischen Namen Johannes Leo verdankt. Ende 1518 verzeichnet der Bibliothekar des Vatikans die Ausleihe eines arabischen Manuskriptes an „Faqih Hassan, den Gesandten des Königs aus Fes”. Noch während seiner Gefangenschaft in der Engelsburg scheint er angefangen zu haben, Italienisch und Latein zu lernen.
Wenige Monate, nachdem er in Kairo Sultan Selim begegnet war, wurde er in Rom – das damals nur halb so viele Einwohner zählte wie Fes – von einem Papst empfangen, der dem Islam den Kampf angesagt hatte und sich gleichzeitig mit Martin Luther auseinandersetzen musste. Al-Wazzan schien sich bezüglich der Türkengefahr als auskunftswillig zu erweisen, diente aber vor allem einem päpstlichen Propagandacoup: Am 6. Januar 1520, nach dreimonatiger Unterweisung im Katechismus, wurde er von Leo X. höchstpersönlich im alten Petersdom getauft. Auf arabisch nannte er sich nun Yuhanna al-Asad – die wörtliche Übersetzung von Johannes Leo.
Yuhanna al-Asad war nun ein freier Mann und dürfte als Übersetzer oder Berater vor allem für die päpstliche Bibliothek tätig gewesen sein. Ferner stand er im Dienst Alberto Pios, des Prinzen von Carpi, und des Kardinals Egidio da Viterbo, dessen Arabischlehrer er wurde. Anfang der 1520 Jahre begann er zusammen mit dem jüdischen Averroes-Übersetzer Jacob Mantino aus Bologna ein arabisch-hebräisch-lateinisches Wörterverzeichnis anzufertigen, das jedoch Fragment blieb. Kurz darauf schrieb er in einem noch fehlerhaften Latein ein Buch zur arabischen Verslehre, ein knappes biographisches Lexikon über „Berühmte Männer bei den Arabern” sowie eine verlorene Schrift über die in Nordafrika verbreitete malikitische Rechtsschule. Am 15. März 1526 schloss er sein Hauptwerk ab, die 939 Seiten starke, in einfachem Italienisch geschriebene „Beschreibung Afrikas”.
Eine vergleichbar umfangreiche und genaue Darstellung Afrikas sollte Europa bis ins neunzehnte Jahrhundert nicht kennenlernen – obwohl der Autor sich bei der Abfassung nur auf sein Gedächtnis, seine eigenen Reisen und das, was ihm seinerzeit berichtet wurde, stützen konnte und „Afrika” vornehmlich Nordafrika und die Subsaharischen Grenzgebiete meint. Es ist bedauerlich, dass Davis nur auf wenigen Seiten die Rezeption des Buches thematisiert und fast gar nicht darauf eingeht, ob und inwieweit es das europäische Afrika- und Islambild prägte. Die Druck- und Übersetzungsgeschichte zeugt von einer breiten Rezeption, aber über deren mentalitätsgeschichtliche Fortwirkungen erfahren wir nichts.
Die „Beschreibung” dürfte ebenso viele Vorurteile beseitigt wie neue geschaffen haben. So neutral und ausgewogen der Islam dargestellt wird, so sehr spiegelt die Darstellung die Vorlieben des Verfassers, der ihm missliebige Phänomene der Religion verurteilt, und zwar nicht aus der Sicht des Konvertiten, sondern eines Muslims aus gebildetem Haus. Yuhanna al-Asad, macht Davies überzeugend klar, ist innerlich al-Hassan al-Wazzan geblieben, ein Muslim. Er hat sich angepasst, ohne sich zu verleugnen, und dies scheint nicht einmal ein großes Problem gewesen zu sein, zumal der Islam einem Muslim in einer Zwangslage eine solche Verstellung zugesteht.
Davis bemüht als Vergleich die in der postmodernen Kulturtheorie so beliebte Figur des Tricksters („Trickster Travels” lautet der englische Originaltitel), des nach Belieben die Identitäten wechselnden Schelms, der in verschiedener Gestalt auch in der arabischen Literatur vorkommt. Der Vergleich wirkt jedoch forciert. Wenngleich Yuhanna al-Asad seiner neuen ebenso wie seiner alten Identität gerecht zu werden versucht und aus seiner doppelten Identität Kapital schlägt, hat er wenig von einer Spielernatur oder einem Scharlatan.
Am genausten charakterisiert er sich selbst an einer Stelle der „Beschreibung” in der Geschichte vom Vogel, der sowohl in der Luft wie unter Wasser leben konnte. Als der Vogelkönig von ihm die Steuern eintreibt, flieht er zu den Fischen und gibt sich als einer der ihren aus. Wenn dann nach einem Jahr der Fischkönig kommt und nach Steuern verlangt, flieht er wieder zu den Vögeln. „Ich werde es machen wie der Vogel”, schreibt Yuhanna al-Asad. Wenn die Afrikaner geschmäht werden, wird er zu verstehen geben, dass er nicht in Afrika, sondern in Granada geboren wurde. Und wenn die Grenadiner gegen ihn aufgebracht sind, wird er darauf hinweisen, dass er nicht in Granada aufgewachsen ist. Aber das bezieht sich weniger auf Al-Wazzans tatsächliches Leben denn auf seine Schreibhaltung, das Ziel einer ausgewogenen Darstellung, die ihm nur möglich ist, wenn er nicht klar auf der Seite einer einzigen Kultur steht. Tatsächlich gelingt es ihm, das an klassischen arabischen Vorbildern orientierte Genre der geographischen Literatur auf italienisch für ein abendländisches Publikum zu bedienen. Seinen Ruhm als Reiseschriftsteller zu genießen, war ihm versagt. Im Zuge der Wirren nach dem Sacco di Roma von 1527 flieht Leo offenbar nach Tunis, wo sich seine Spur verliert.
Angesichts der Dürftigkeit biographischer Zeugnisse besteht Davis’ Monographie vornehmlich aus rekonstruierter Zeitgeschichte. Wir erfahren viel über die Atmosphäre, in der Leo lebte, sehen am Horizont Luther, Benvenuto Cellini, Suleiman den Prächtigen und Rabelais vorbeiziehen, lernen en passant so manches über die arabische Literatur, hören von den Sexualpraktiken im Rom des frühen 16. Jahrhunderts ebenso wie von den dynastischen Wirren in Nordafrika. Aus den mit Hilfe von einhundert Seiten Anmerkungen errichteten Kulissen schließt die Autorin behutsam auf die Lebensumstände des Johann Leo Africanus zurück.
So viel dabei auch vermittelt wird, das Verfahren bleibt, ohne dass dies der Autorin anzulasten wäre, etwas unbefriedigend. Die Unzufriedenheit steigert sich noch, wenn man nach der Lektüre, neugierig geworden, die nirgends mehr zu einem vernünftigen Preis greifbare „Beschreibung Afrikas” endlich selber lesen will. Weniger Fixierung auf die Person Leos, mehr auf sein Buch und dessen Fortwirkung, wäre im Hinblick auf ein Publikum, das von Leo Africanus und seinem Werk allenfalls den Titel oder den Roman von Amin Maalouf kennt, womöglich angemessener gewesen. Wer sich für die Geschichte der abendländisch-islamischen Beziehungen interessiert, wird Natalie Zemon Davis’ Monographie aber nicht missen wollen.
Natalie Zemon Davis
Leo Africanus
Ein Reisender zwischen Orient
und Okzident. Aus dem Englischen
von Gennaro Ghiradelli. Verlag
Klaus Wagenbach, Berlin 2008.
383 Seiten, 36 Euro.
Während seiner Gefangenschaft in der Engelsburg lernte er Italienisch und Lateinisch
1520, nach seiner Taufe durch den Papst, schrieb Leo Africanus, der Verfasser der „Beschreibung Afrikas”, diese Signatur mit seinem neuen, christlichen Namen in eine Handschrift der Vatikanischen Bibliothek. Abb. aus dem besprochenen Band
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2008

Von vorne bis hinten getürkt

Natalie Zemon Davis schreibt mit "Leo Africanus" eine Antwort auf Samuel Huntington.

Von Nils Minkmar

Ein Vogel, der auch schwimmen kann, beschwert sich bei den Fischen: Der König der Vögel wolle ihn besteuern, dabei sei er doch einer von ihnen, ein Fisch. Also wohnt er so lange unter den Fischen, bis die Steuer beim König der Fische fällig wird, dann fliegt er steil in den Himmel empor, zu seinen gefiederten Verwandten und lebt unter denen, so lange, bis auch dort die Steuer fällig ist.

Der frühneuzeitliche Kosmograph Leo Africanus, geboren um 1487 in Granada und nach der Reconquista im marokkanischen Fez aufgewachsen, zitiert diese Parabel in seiner 1550 erschienenen Descrittione dell Africa, der ersten neuzeitlichen Beschreibung des Kontinents. Sie stamme, erläuterte er seinen Lesern, aus jener berühmten Sammlung arabischer Weisheit, dem "Buch der Hundert Geschichten". Er zitiert sie in programmatischer Absicht: Diese in der Parabel anklingende Möglichkeit einer zweiten Perspektive auf die Welt solle ihn bei der Arbeit an seinem Buch leiten: "Ich werde es machen wie der Vogel. Wenn die Afrikaner geschmäht werden, wird der Verfasser klar und deutlich zu verstehen geben, dass er nicht in Afrika, sondern in Granada geboren wurde. Und wenn die Leute aus Granada gegen ihn aufgebracht sind, wird er darauf hinweisen, dass er nicht in Granada aufgewachsen sei."

Er war einer der am meisten zitierten Autoren seiner Zeit.

Dies werde ihm erlauben, ohne Rücksicht auf Höflichkeiten auch Dinge zu schildern, die nicht so schön seien, ohne der Nestbeschmutzung angeklagt werden zu können. Er wolle sich, so zitiert er ein weiteres Mal das "Buch der Hundert Geschichten", so verhalten wie jener Scharfrichter, der seinen besten Freund auspeitschen musste. Der hoffte, einigermaßen gnädig davonzukommen, doch der Scharfrichter schlug im Gegenteil besonders fest zu, denn er müsse, sagte er dem Freund anschließend, eben "seine Pflicht tun". Das klingt sehr erbaulich, geradezu politisch korrekt, so viele Jahrhunderte vor unserer Zeit. Und doch ist an der Sache ein Haken: Es gibt kein "Buch der Hundert Geschichten" aus dem arabischen Raum. Die schönen Geschichten aus alter Weisheit, die dem Autor als Ausweis seines guten Willens dienen - die hat er selbst erfunden.

Wer hätte ihm auf die Schliche kommen können? Wer unter seinen Zeitgenossen hätte die Literaturlage in der arabischen Welt so gut kennen sollen, um auszuschließen, dass nicht doch irgendwo so ein Buch existiert? Und welcher gebildete Mensch der Renaissance hätte riskieren wollen, als Ignorant dazustehen, der von dieser legendären Quelle orientalischer Weisheit noch nichts gehört hat, als Einziger in ganz Rom?

Da musste sich schon eine Historikerin an die Arbeit machen, die die gesamte Geschichtenproduktion zunächst in Europa, später auch im Maghreb und im arabischen Raum studiert hat, die also zu ihrer stupenden Kenntnis der französischen, englischen, deutschen und italienischen Bibliotheken auch die Lage in Marokko, Tunesien, Ägypten und Andalusien einzuschätzen lernte. Da musste erst Natalie Zemon Davis kommen, die, seit vielen Jahrzehnten schon weltberühmt, mit achtzig Jahren ihr ambitioniertestes Buch vorlegt.

Davis legt dar, dass es zwar die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht gab, von der die Gebildeten vom Hörensagen wussten, aber in ihnen lässt sich weder ein amphibischer Vogel noch ein plichtbewusster Scharfrichter finden. Es gibt das Decamerone, das sich ganz ähnlich anhört, aber auch dort keine dieser Geschichten. Es ist einfach ein Trick des Autors. Es ist ein außergewöhnliches historiographisches Wagnis, sich der Biographie dieses religiös, sozial und geographisch hochmobilen Tricksers zu nähern. Denn obwohl Leo Africanus einer der am meisten zitierten Autoren seiner Zeit war und jeder Renaissancewissenschaftler ihn und seine Beschreibung Afrikas kennt, gibt es so gut wie keine Quellen über ihn. Keine Briefe, keine Erwähnungen, keine Zeitzeugenberichte, bloß die Bücher, ja - und ein- oder zweimal hat er seinen Namenszug in Bände geschrieben, die er aus der Vatikanischen Bibliothek entliehen hatte. Mehr nicht.

Schon der Name ist Teil des Problems: Leo Africanus ist der Autorenname, unter dem er etwa in Deutschland bekannt ist. Der Geburts-und Familienname lautet al Hassan al Wazzan. Taufname wiederum ist Joannes Leo de Medici. Die Autorin aber führt ihn unter der arabischen Fassung des italienischen Namens, also heißt der Mann im Buch durchweg Yuhanna Al Assad. Es ist wie mit den Fischen im Mittelmeer: an jeder Küste, auf jedem Fischerboot tragen sie einen anderen Namen und sind doch immer dieselben Tiere.

Sie nimmt die Ausweichmanöver der Menschen in den Blick.

Auch Leo Africanus wurde von den falschen Leuten aufgefischt: 1518 schnappen ihn christliche Piraten, als er von einer diplomatischen Mission in Kairo nach Marokko zurückfährt. Sie erkennen die umfassende Bildung des Mannes und führen ihn zu Papst Leo X., der ihn in christlicher Lehre unterweisen und konvertieren lässt. Leo alias Yuhanna versteht sich in Rom als Mittler. In Zeiten der osmanischen Expansion versucht er, die Fremdartigkeit und die Nähe Afrikas und des Islams plausibel zu machen. Er arbeitet an diversen Wörterbüchern und Kompendien, wird zum gefragten Experten für den Islam und Afrika. Und doch nutzt er die Gelegenheit, nach dem Sacco di Roma in seine Heimat zurückzukehren, in Marokko wechselt er abermals den Namen, die Spuren verlieren sich. Das Buch rührt an Probleme, die auch in der "Wiederkehr des Martin Guerre", dem Werk, das die Autorin weltberühmt machte, anklingen: Wie identifiziert man in Zeiten, in denen es keine Fotografie, keine Personalausweise und keine DNS-Tests gibt, einen Menschen, und wie soll es die Historikerin so viele Jahre später anstellen?

Natalie Zemon Davis hat mit Leo Africanus die intellektuell ambitionierte Antwort auf Samuel Huntingtons "Clash of Civilizations" geschrieben. Sie eröffnet dem Leser ohne pompöses theoretisches Brimborium den Entwurf einer Wissenschaft, die die Tricks, die Wandlungen und Ausweichmanöver von Menschen und Texten in den Blick nimmt. Das Flüchtige erscheint normal, der Mittler zwischen Christentum und Islam ist eine stetigere und zuverlässigere Figur als der eifernde Prediger.

Natalie Zemon Davis: "Leo Africanus". Ein Reisender zwischen Orient und Okzident. Aus dem Englischen von Gennaro Ghirardelli. Wagenbach Verlag, Berlin 2008. 400 S., Abb., geb., 36,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Judith von Sternburg preist Natalie Zemon Davis' in ihrem Buch über Leo Africanus unter Beweis gestellte unerhörte Belesenheit und schwärmt von der Gabe der Autorin, sowohl interessante Details als auch das große Ganze faszinierend zu beleuchten. Die gerade 80 Jahre alt gewordene amerikanische Historikerin lässt uns den in Nordafrika als Moslem aufgewachsenen Leo Africanus, der 1518 Papst Leo X. geschenkt wurde, als listigen Diplomaten sehen, der sich sowohl in der arabischen wie in der westlichen Welt zu behaupten wusste, stellt die Rezensentin fest. Wie Leo Africanus selbst, dessen berühmtestes Werk ein Buch über Afrika ist, weiß auch die Autorin, was die westlichen Leser fesselt, so Sternburg anerkennend, die sich deshalb auch gern von Davis durch die "fremden Welten" des 16. Jahrhunderts führen lässt. Und wenn die Autorin Leo Africanus dann eine "innere Verwandtschaft" mit dem französischen Erzähler Rabelais attestiert, mit dem sie in einem Epilog ein fiktives Zusammentreffen arrangiert, dann wird die Denk- und Schreibweise des Leo Africanus auch für den "europäischen Leser" vertraut, so die Rezensentin gefesselt.

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