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Mit sechs Monaten wird die Autorin Jeanette Winterson als Waisenkind zu einem kinderlosen Ehepaar in ein nordenglisches Arbeiterstädtchen gegeben. Die Adoptivmutter, eine streng gläubige Pfingstlerin, lebt in ständiger Erwartung der Apokalypse und sperrt Jeanette in den Kohlenkeller. Jeanette flüchtet sich aus der Realität, in der sie leben muss, und stürzt sich in die Lektüre von Büchern. Mit 16 verliebt sie sich in eine Frau und zieht aus. Viele Jahre später trifft sie auf ihre leibliche Mutter und fragt sich, was aus ihr selbst geworden wäre ohne all die Strenge und Freudlosigkeit der…mehr

Produktbeschreibung
Mit sechs Monaten wird die Autorin Jeanette Winterson als Waisenkind zu einem kinderlosen Ehepaar in ein nordenglisches Arbeiterstädtchen gegeben. Die Adoptivmutter, eine streng gläubige Pfingstlerin, lebt in ständiger Erwartung der Apokalypse und sperrt Jeanette in den Kohlenkeller. Jeanette flüchtet sich aus der Realität, in der sie leben muss, und stürzt sich in die Lektüre von Büchern. Mit 16 verliebt sie sich in eine Frau und zieht aus. Viele Jahre später trifft sie auf ihre leibliche Mutter und fragt sich, was aus ihr selbst geworden wäre ohne all die Strenge und Freudlosigkeit der Adoptivmutter. Mit bissigem Witz und kraftvoll poetischer Sprache erzählt Winterson ihre Lebensgeschichte. Bewegend, komisch, furchtlos, wahr.
Autorenporträt
Jeanette Winterson wurde 1959 in Manchester geboren. Für ihr literarisches Schaffen wurde sie vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Withbread Prize und dem John Llewellyn Rhys Prize. Sie lebt als freie Schriftstellerin in London.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.03.2013

Der Teufel am Bett
Jeannette Winterson über die Geister ihrer Kindheit
Das A bis Z der englischsprachigen Literatur beginnt bei Austen und führt über Chandler, Coleridge und Dickinson vorerst bis zum Buchstaben M - M wie Marvell, ein nicht allzu bekannter Dichter des 17. Jahrhunderts. Bei M ist Jeanette Winterson sechzehn Jahre alt: Sie ist gerade zuhause rausgeschmissen worden, übernachtet im Auto und sitzt tagsüber in der Bibliothek. Wer sich dem Alphabet nach durch die Literatur fräst, stammt nicht aus bürgerlichen Verhältnissen, wo das Wahre, Gute und Schöne meistens wohlgeordnet serviert wird. Der Vorteil einer anarcho-alphabetischen Ordnung besteht aber darin, dass man über die weniger bekannten Dichter des 17. Jahrhunderts stolpert. So wirkt die Literatur mit voller existentieller Wucht auf die junge Seele.
  Die Schriftstellerin Jeannette Winterson hat in zartem Alter schon Wuchtigeres erlebt als manche Dreißigjährige, und das liegt nicht nur an den Verhältnissen, in denen sie aufwuchs. Sie ist die Adoptivtochter eines nordenglischen Arbeiterpaars, das sich der pfingstbewegten „Elim Church“ verschrieben hat. Und sie liebt gleichgeschlechtlich, was weder von der Pfingstlergemeinde noch von der wahnhaft religiösen Mutter goutiert wird. Als sie die Tochter im Bett mit einem Mädchen erwischt, bestellt Mrs. Winterson erstmal eine exorzistische Gebetstruppe ein. Nach wiederholtem Vergehen wird Jeanette auf die Straße gesetzt.
  Diese Prüderie ereignet sich in den vermeintlich emanzipatorischen Sechzigern und Siebzigern – Jeanette Winterson, Jahrgang 1959, erzählt in „Warum glücklich statt einfach nur normal?“ ihre eigene Geschichte, die so abgründig und absurd, tieftraurig und zugleich komisch ist, dass man sie nicht besser hätte erfinden können. Das Pfingstwunder besteht darin, dass Jeanette – vielleicht wegen der Härte, die ihr entgegenschlägt –, einen unersättlichen Lebenshunger und eine atemberaubende Gier nach Wörtern an den Tag legt. Irgendwann schafft sie es nach Oxford, als „Arbeiterexperiment“, wie man ihr huldvoll erklärt; ein paar Jahre später erscheint ihr Romandebüt „Orangen sind nicht die einzige Frucht“, ein lesbisches Kult- und Selbstfindungsbuch der späten achtziger Jahre.
  Als Kind muss sie nächtelang draußen auf der Treppe sitzen oder wird in den Kohlenkeller gesperrt, wo sie sich davonträumt: „Ich weiß, dass das gängige Überlebensmethoden sind, aber vielleicht lässt eine Weigerung, sich brechen zu lassen, genug Licht und Luft herein, um weiterhin an die Welt zu glauben.“ Von ganz ähnlichen Fluchten handelte Angelika Klüssendorfs vor drei Jahren erschienener Roman „Das Mädchen“: Auch dort befreit sich ein Kind aus Keller- und Knastzuständen, und auch dort scheint es, als könne man den Schrecken am besten verdauen, indem man ihn zum Glänzen bringt. Und gelegentlich auch seine Komik herauspoliert.
  Zuallererst ist Jeanette Winterson nämlich eine so versierte wie komische Anekdotenerzählerin. Sie macht ihre Heimatstadt Accrington zum Setzkasten voller verschrobener Gestalten: In diesem nostalgisch angestrahlten Arbeiterkosmos betreibt ein weibliches Duo – beide Schnurrbartträgerinnen! – einen Süßigkeitenladen (ob die beiden als lesbische role models taugen, ist allerdings nicht ganz klar). Ein Lumpensammler hört Opern und verkauft Gesamtausgaben von Dickens. Und eine alte Frau trägt immer nur einen Mantel – weil sie nichts anderes anzuziehen hat.
  Im Zentrum des Schreckens aber sitzt das Trauma der Adoption. „Der Teufel hat uns ans falsche Bettchen geführt“, sagt die monströse Mrs. Winterson ihrer Tochter, die sich bis ins Erwachsenenleben ungewollt fühlt. „Warum glücklich statt einfach nur normal?“ ist auch ein therapeutisches Aufarbeitungsbuch. Oft wirkt sich das negativ auf die literarische Qualität aus, ist hier aber durch trockenen Humor gebannt, der das Erzählte in seiner rotzigen Schrecklichkeit schillern lässt. Nur im letzten Drittel, wenn sich alles um die Suche nach der leiblichen Mutter dreht, klingen ein paar Lebensweisheiten dann doch verdächtig nach Küchenpsychologie.
  Wintersons Romane der letzten Jahre waren psychedelischer als der Realismus ihrer Anfänge; „Das Powerbook“ war eine eine Cyberspace-Story, „Die steinernen Götter“ ein Science-Fiction-Szenario zur ewigen Jugend. „Warum glücklich statt einfach nur normal?“ eröffnet ein neues Spielfeld im schönen Genre Memoir – weder Autobiographie noch Memoiren, nah am wahren Leben und doch erzählerisch weit ausschwingend. Das ermöglicht nicht nur einen Abgesang auf den nordenglischen Arbeiterkosmos; auch die Schreckensmutter funkelt vieldeutig im schwefelgelben Zwielicht. Jeanette Winterson verwandelt alttestamentarischen Hass in ein komplexes Fadenknäuel; ihre Freakshow namens Mutter zeigt, dass auch die Pfingstlerbotschaften eine Art Zauber ausstrahlten. Am Ende notiert die Tochter einen Satz, der ihr die Deutungshoheit über das eigene Leben zurückgibt: „Sie war ein Monster, aber sie war mein Monster.“
JUTTA PERSON
Jeanette Winterson: Warum glücklich statt einfach nur normal? Aus dem Englischen von Monika Schmalz. Verlag Hanser Berlin, Berlin 2013. 256 Seiten, 18,90 Euro.
Es läuft eine Freakshow namens
Mutter: „Sie war ein Monster,
aber sie war mein Monster.“
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Denise Rothmair ist begeistert von Jeanette Wintersons Roman "Warum glücklich statt einfach nur normal?". Die feministische Schriftstellerin hat ein Buch geschrieben, das auch mutig feministische Konventionen hinterfragt, mutig, weil der "Kampf um Identitätsbildung und um Selbstbestimmtheit" in seiner mutmaßlichen Ausweglosigkeit geschildert wird, weil die Flucht in Literatur und Vergangenheit, in die zwei großen Fiktionen also, als einzig konkrete Hoffnung erscheint und die Autorin dennoch der Welt zugewandt  bleibt, erklärt die Rezensentin. Auch die Zeit heilt nicht alle Wunden, so könnte, etwas verflacht, eine ernüchternde Erkenntnis Wintersons lauten, meint Rothmair. Wie in ihrem ersten Roman setzt sich die Autorin in diesem Buch mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinander, mit dem Trauma der Adoption, mit ihrer herrischen Mutter, die sie in den Kohlenkeller einsperrte, mit den Schwierigkeiten als lesbisches Mädchen in einer Gemeinde der strengen "Elim Church" aufzuwachsen, die gar Exorzistengruppen auf sie jagte. Viel besser lässt sich ein zeitgenössisches Buch über das Anderssein nicht schreiben, findet die Rezensentin.

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