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»Ich schnallte in Grimme meinen Tornister, und wir gingen.« So lakonisch beginnt Seume, der ein in jeder Hinsicht sehr bewegtes Leben hatte, seine Reisebeschreibung, die ihn vom 9. Dezember 1801 bis August 1802 durch halb Europa, von Sachsen nach Sizilien und wieder zurück bis Paris führte. »Spaziergang« ist ein recht euphemistischer Ausdruck für diese zum größten Teil zu Fuß zurückgelegte abenteuerliche Wanderung. Der »Spaziergang nach Syrakus« ist ein großer Klassiker der Reiseschriftstellerei, der auch heutzutage im Gepäck keines Italienreisenden fehlen sollte.

Produktbeschreibung
»Ich schnallte in Grimme meinen Tornister, und wir gingen.« So lakonisch beginnt Seume, der ein in jeder Hinsicht sehr bewegtes Leben hatte, seine Reisebeschreibung, die ihn vom 9. Dezember 1801 bis August 1802 durch halb Europa, von Sachsen nach Sizilien und wieder zurück bis Paris führte. »Spaziergang« ist ein recht euphemistischer Ausdruck für diese zum größten Teil zu Fuß zurückgelegte abenteuerliche Wanderung. Der »Spaziergang nach Syrakus« ist ein großer Klassiker der Reiseschriftstellerei, der auch heutzutage im Gepäck keines Italienreisenden fehlen sollte.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.04.2002

Um nichts schlägt man doch keine Leute tot
Mit Mut und Vernunft durch die Welt tornistern: Johann Gottfried Seumes „Spaziergang nach Syrakus” in einer kommentierten Neuausgabe
„Ich schnallte in Grimme meinen Tornister, und wir gingen. ” Mit so knapper Geste beginnt eine der bemerkenswertesten Reisen der deutschen Literatur, der „Spaziergang nach Syrakus” des Johann Gottfried Seume. Jahrelang hat er als Lektor und Druckaufseher im Verlag des Georg Joachim Göschen, der in der sächsischen Kleinstadt Grimma saß, gearbeitet und gespart, und nun, im Dezember des Jahres 1801, macht er sich auf. Warum? „Meine meisten Schicksale lagen in den Verhältnissen meines Lebens; und der letzte Gang nach Sicilien war vielleicht der erste ganz freie Entschluß von einiger Bedeutung.”
Die sicht- und fühlbarste Form der Freiheit ist allemal die Reisefreiheit; sie ist wichtiger sogar als die Reise selbst. Nicht als ob Seume früher keine Gelegenheit zum Reisen gehabt hätte: Als englischer Söldner war er nach Amerika gegangen, wo die dreizehn Kolonien um ihre Unabhängigkeiten kämpften, und in russischen Diensten hatte er den polnischen Aufstand von 1794 miterlebt samt der dritten, endgültigen Teilung des Landes. Aber das, wie gesagt, gehörte den „Verhältnissen” an, die es eben auch mit sich brachten, dass er sich zweimal auf der Seite der Unfreiheit fand. Nun ist er ganz Privatmann und mit Lust auf dessen physischen Leib reduziert. Dem steht es an, zu gehen, und zwar allein zu gehen (die Reisebegleiter verabschiedet er bald) - nicht etwa zu fahren: Denn Fahren verstrickt sofort in Zusammenhänge, es ist das Privileg der höheren Stände und führt auch bloß wieder mit anderen Privilegierten zusammen, es isoliert den Reisenden in einem geschlossenen System der Kutschwagen und Posthaltereien; es bestimmt sich durch seinen Zweck, und sei dieser Zweck selbst die „Bildung”.
Seume will gerade keine Bildungsreise machen, an den Sehenswürdigkeiten zieht er vorüber oder äußert sich „skoptisch” über sie, spöttisch also: eins seiner Lieblingswörter. In Tusculum trifft er ungefähr an der Stelle, wo Ciceros Landhaus gewesen sein muss, auf eine Papiermühle, und findet das eine ganz passende Fortsetzung. Und der Petersdom, meint er, müsste eines Tages doch einmal eine allerliebste Ruine geben; sonst beeindruckt ihn das Gemäuer wenig. Obwohl der Name nicht fällt, betreibt Seume das trotzige Gegenprojekt zu Goethes Italienischer Reise. „Die Herren waren ganz verblüfft zu hören, daß ich von Leipzig nach Agrigent tornistern wollte, bloß um an dem südlichen Ufer Siziliens etwas herumzuschlendern und etwa junge Mandeln und ganz frische Apfelsinen dort zu essen.” Dies sind die Augenblicke, in denen sich die Freiheit rein genießt.
Auch „tornistern” ist ein Lieblingswort von Seume; er hat es eigens geprägt. Der Tornister ist, bei allem knappen Schnitt, ein Wunderwerk der Effizienz, aus Seehundsfell gefertigt; es geht dort alles hinein, was der Wanderer benötigt, von den Werken der alten Schriftsteller (die neuen bräuchten entschieden zu viel Platz) bis zu einem zusammenlegbaren Becher aus „Resine”, wohl einer Art Gummi (man wüsste gern, wie das Ding aussah).
Außerdem verkündet er den italienischen Straßenräubern, dass hier nichts zu holen sei, „und um nichts schlägt man doch nirgends die Leute tot.” Für den Fall, dass dies nicht genügen sollte, führt er noch ein zweites Attribut mit: „Ich gehe getrost vorwärts und verlasse mich etwas auf einen guten, schwerbezwingten Knotenstock, mit dem ich tüchtig schlagen und noch einige Zoll in die Rippen nachstoßen kann.” Knotenstock und Tornister scheinen mit dem Körper dieses friedlichen, aber wehrhaften Spaziergängers verwachsen wie ein Geweih oder Stoßzahn; er trägt sie bei sich wie Götterbilder des Mutes und der Vernunft.
Vernunft und Mut: Sie sind mehr als persönliche Eigenschaften, sie sind das Richtmass, an dem die Politik zu messen ist. Im Jahr 1802 hat wohl jeder in Europa das Gefühl, dass die Epoche auf dem Punkt der Entscheidung steht. Die Einrichtungen der alten Zeit, wie das Heilige Römische Reich, liegen in den letzten Zügen, dauern aber einstweilen noch an; der Terreur der Revolution steckt noch allen in den Knochen, ist aber schon vorbei; Napoleon hat schon die Macht, lässt aber noch nicht erkennen, welche Form er ihr zu geben gedenkt. Hier heißt es offenbar wählen oder ansonsten sich ducken, bis der Sturm vorüber ist.
Seume tut keins von beiden; er schaut sich die Leute an, die handeln, und das Volk, das es ausbaden muss. Der Kaiser (noch der heilige römische, der sich erst vier Jahre später in den von Österreich verwandeln wird), hat Venedig erbeutet. Wie sieht das aus? „Das Traurigste ist in Venedig die Armut und Bettelei. Man kann nicht zehn Schritte gehen, ohne in den schneidendsten Ausdrücken um Mitleid angefleht zu werden; und der Anblick des Elends unterstützt das Notgeschrei des Jammers. Um alles in der Welt möchte ich jetzt nicht Beherrscher von Venedig sein; ich würde unter der Last meiner Gefühle erliegen.” Napoleon verachtet er nicht so sehr deswegen, weil er Tausende niederkartätscht hat, sondern weil er beim Ägyptenfeldzug von 1799 floh und seine Soldaten ihrem Schicksal überließ. Und die Exzesse der Revolution verabscheut Seume nicht, weil sie so viel Köpfe gekostet haben, sondern weil auch sie, wie alles in Frankreich, letztlich eine Mode waren, eine tödliche Mode.
Am meisten von allen hasst er Robespierre, den „Aftergallier”, den „Blutmenschen”, den „Genius, der mild und menschlich heißt”. Menschlichkeit als Prinzip, das sich von den Menschen löst, Vernunft als abstrakte Idee, die die konkretesten Opfer verlangt und darum, wie Seume sagt, zu ihrer „Antiphrase” wird – dem stellt er sein Privatisieren entgegen. Robespierre war berühmt für seine „vertu”, seine Tugendhaftigkeit; sie schien ihn zu seiner grausamen Strenge zu berechtigen. Seume versetzt das Wort an den lateinischen Ursprung zurück, „virtus”: die männliche Festigkeit, die stets am Einzelnen haftet.
Seume selbst würde es natürlich nicht so ausdrücken, ihm wäre das alles schon wieder zu advokatisch. Er sagt statt dessen: „Ich habe nun einmal die Schwachheit, daß es mir nicht schmeckt, wenn Andere in meiner Nähe hungern.” Oder: „Wenn ich im Himmel abgewiesen werde, komme ich nicht wieder.” Und wer möchte behaupten, dass Seumes Urteil über die Staatsverschuldung nach zweihundert Jahren veraltet wäre? „Wo hätte der Staat die Verbindlichkeit, den Reichen auf Kosten der Armen ihre Kapitale zu verzinsen? Und das ist doch am Ende das Fazit jeder Staatsschuld.”
Zurecht hat man bemerkt, dass alles, was Seume schreibt, unmittelbar seinem Charakter entspringt. Damit steht er in einer Reihe neben Lessing und Schopenhauer, bei denen gleichfalls der Charakter die Kraft hat, Stil zu werden – übrigens in allen drei Fällen ein ganz ähnlicher Stil, worin die Schulung am Lateinischen ins Reich der Freiheit hinaustritt und das paradoxe Aussehen einer grimmigen Heiterkeit gewinnt. Auch die Einzelgänger vermögen Tradition zu bilden.
An Tradition kann Seume nur brauchen, was in die zwei engen, aber wohlgenutzten Behältnisse seines Tornisters und seines Gedächtnisses passt. Der verdienstvolle Erläuterungsteil, den Jörg Drews der Neuedition mitgegeben hat, weist ihm in seinen zahlreichen Zitaten Fehler über Fehler nach; aber anders kann es nicht sein, wo aus dem Kopf zitiert wird. Man sollte, wenn man mit diesem Buch fertig ist, gleich das andere von Friedrich Christian Delius lesen, „Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus”. Es handelt davon, wie der Kellner Paul Gompitz, noch hartnäckiger als sein Vorbild, sieben Jahre lang nicht ruht, bis er es in einer abenteuerlichen Flucht geschafft hat, aus der DDR der Achtziger auf den Spuren Seumes bis nach Sizilien zu gelangen – und wieder heimzukommen. Was ihn gepackt hatte, war Seumes Wendung vom „ersten ganz freien Entschluss”.
BURKHARD MÜLLER
JOHANN GOTTFRIED SEUME: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Jörg Drews. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2002. 496 Seiten, 32,90 Euro.
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