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Aus großer Nähe, relevant, poetisch, humorvoll und eindringlich erzählt Jens Mühling von einem Meer zwischen den Trennlinien Europas, von seinen Ufer- und Wasserbewohnern, seinen Strömungen und Migrationswegen, seiner Vergangenheit und Zukunft - und führt uns vor Augen, dass alle Grenzen letztlich fließende sind.
«Ich habe das Schwarze Meer von allen Seiten gesehen, und von keiner Seite war es schwarz. Es war silbrig, als ich im Frühling die noch menschenleeren Strände der russischen Kaukasusküste entlangfuhr. Es wurde blau, als ich im Mai Georgien erreichte. In der Türkei schien es dem
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Produktbeschreibung
Aus großer Nähe, relevant, poetisch, humorvoll und eindringlich erzählt Jens Mühling von einem Meer zwischen den Trennlinien Europas, von seinen Ufer- und Wasserbewohnern, seinen Strömungen und Migrationswegen, seiner Vergangenheit und Zukunft - und führt uns vor Augen, dass alle Grenzen letztlich fließende sind.

«Ich habe das Schwarze Meer von allen Seiten gesehen, und von keiner Seite war es schwarz. Es war silbrig, als ich im Frühling die noch menschenleeren Strände der russischen Kaukasusküste entlangfuhr. Es wurde blau, als ich im Mai Georgien erreichte. In der Türkei schien es dem Grün der Teeplantagen und Haselnussfelder an seinen Ufern ähnlicher zu werden, und grün blieb es, bis ich im Spätsommer den Bosporus erreichte. Die ersten Herbststürme färbten es braun, als über der Küste Bulgariens die Vögel südwärts und die Touristen heimwärts zogen. Im rumänischen Donaudelta schien der Himmel so tief über dem Meer zu hängen, dass sein bleierner Ton auf das Wasser abfärbte. Als ich die Ukraine erreichte, schoben die Wellen schmutzgraue Eisschollen über die Strände. Erst auf der Krim hellte die Wintersonne das Meer wieder auf, und hier nahm es den Ton an, den es in meiner Erinnerung immer haben wird: ein trübes, milchiges Grün, wie ein Sud aus Algen und Sonnencreme.»
Autorenporträt
Mühling, JensJens Mühling, geboren 1976 in Siegen, arbeitete zwei Jahre lang für die «Moskauer Deutsche Zeitung», seit 2005 ist er Redakteur beim Berliner «Tagesspiegel». Seine Reportagen und Essays über Osteuropa wurden mehrfach ausgezeichnet und sein erstes Buch «Mein russisches Abenteuer» war in Großbritannien für den renommierten Dolman Travel Book Award nominiert.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2020

Der Oligarch und die schwimmenden Bäume
Der Reporter Jens Mühling reist um das Schwarze Meer und fördert erstaunliche Geschichten zutage
Es gibt Geschichten, die kann man nur an wenigen Orten der Welt erleben. Besonders skurrile und oft schier unglaubliche passieren in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Dort, wo in kurzer Zeit sehr viele Menschen arm wurden und sehr wenige extrem reich. Die sich daraus ergebenden Widersprüche und Verwerfungen interessieren den Berliner Reporter Jens Mühling, der im Uhrzeigersinn einmal um das Schwarze Meer gereist ist.
Eine der auch für ihn erstaunlichsten Geschichten spielt in Georgien: jene der übers Meer schwimmenden Baumriesen. Ein Taxifahrer aus der Hafenstadt Poti fährt einen Umweg mit den Worten, er müsse ihm zeigen, was der Oligarch Iwanischwili mit den Bäumen Megreliens anstelle. Sie kommen an ein Dorf, in dem gerade ein 30 Meter hoher Ahorn ausgegraben wird, samt Erde und Wurzelwerk in einer Art hausgroßem Holzblumentopf. „Der Hundesohn sammelt Bäume“, sagt der Taxifahrer. Ein japanischer Wahrsager habe ihm das eingeredet, denn Iwanischwilis Söhne seien Albinos und bräuchten deshalb den Schatten hoher Bäume. „Wir wissen nicht, wie wir im Winter unser Brennholz bezahlen sollen, und er gibt Millionen aus, um Bäume zu verpflanzen.“
Mühling kann dies kaum glauben, trifft aber Menschen, bei denen die Leute des Milliardärs ebenfalls waren, weil in ihrem Garten schöne alte Bäume standen. Einer ist völlig verzweifelt, weil die „Techniker“ des Oligarchen den bereits per Handschlag besiegelten Geldregen zunichte machten: der Sattelschlepper passe einfach nicht zwischen die Häuser, auch das Angebot eines Abrisses kann sie nicht umstimmen. Und am Ende sieht Mühling tatsächlich, wie ein riesiger Eukalyptus auf einem Schiff die Schwarzmeerküste entlangtransportiert wird, um im Park der Villa Iwanischwilis zu verschwinden: „Ich hatte das deutliche Gefühl etwas zu sehen, was ich in diesem Leben kein zweites Mal sehen würde. Es war, als kehrten sich die Naturgesetze um: Der Baum war in Bewegung, die Menschen erstarrten.“
Mühlings Buch ist voll von solchen Pointen, erschöpft sich aber nicht darin. Sein Leitmotiv ist die Verpflanzung im übertragenden Sinn, vor allem die gewaltsame Umsiedlung und Vertreibung von Bewohnern der Schwarzmeerküste. Sein historisches Wissen verknüpft er dabei gekonnt und sehr unterhaltsam mit den vielen Begegnungen, die er mit den in dieser Weltgegend durchaus kuriosen Volksgruppen macht. Er trifft Mescheten, die, je nach Sichtweise, türkische Georgier oder georgische Türken sind und von Stalin brutal umgesiedelt wurden; er spricht mit Lasen, den „Ostfriesen der Türkei“, die die Jagd mit Falken perfektioniert haben. Auch pontische Griechen, Kosaken und Tataren erzählen Mühling die Schicksale ihrer Familien, die mal im Namen des Nationalismus, dann wieder in jenem des sowjetischen Imperialismus hin- und hergeschoben wurden wie Spielsteine auf einem Brett.
Seine Reise beginnt auf der Krim, die gerade frisch von den Russen besetzt ist. Die Russen, die er trifft, sagen alle das Gleiche: Die Krim sei immer russisch gewesen, es handle sich nicht um eine Eroberung, sondern um eine Heimholung. Natürlich ist das falsch, genauso wie die Behauptung der Ukrainer, sie seien die Ersten hier gewesen. Mühling zeigt daran exemplarisch die Müßigkeit der von den Volksgruppen immer wieder gestellten Frage, wer die älteren Rechte hat: Oleg, ein ansonsten netter Russe von der Krim, mit dem der Autor Schaschliks grillt und Wodka trinkt, sagt: „Alter russischer Boden. Die Regierung will hier keine Moscheen haben – hier sollen nur Glocken läuten.“ Mühling klärt den Leser auf: Der Boden hier sei Tataren-Erde gewesen, bevor die Zarin Katharina ihn zu Kosaken-Erde gemacht hat, weil sie diese aus der Ukraine vertrieben hatte. „Aber ich verkniff mir den Einwand.“
Durch seine Russischkenntnisse ist Mühling sehr nahe an den Menschen dran, wird oft eingeladen und bekommt viel Interessantes erzählt. Das ist oft witzig, auch traurig und natürlich nicht immer wahr, veranschaulicht aber die Stimmung der Menschen in den Ländern am Schwarzen Meer. Sobald er in den Sendebereich des Propaganda-Fernsehens des Kremls kommt, der bis ins russisch kontrollierte Abchasien reicht, wird er stets mit denselben rassistischen Fragen gelöchert: Weshalb die Deutschen so dumm seien, so viele Schwarze und Muslime in ihr Land zu lassen, die ihre Frauen vergewaltigten und Kirchen schändeten. Mühling bleibt trotzdem immer gelassen und den meisten Menschen wohlwollend zugewandt. Er trinkt mit einer georgischen Diebesbande, besucht ein russisches Pionierlager, dessen Leiterin Liebeleien zwischen den Jugendlichen zulässt und ihm erklärt, wie das Lager im Gegensatz zur Sowjetzeit funktioniere: „Heute ohne Ideologie“; er fährt mit georgischen Fischern hinaus, die Sardinen fangen, und erklärt nebenbei, dass der Sardinenreichtum des Schwarzen Meeres der Grund war, weshalb die Griechen in der Antike seine Küsten kolonisiert haben. In Sotschi erfährt Mühling von einem Botaniker, dass das mediterrane Flair der Stadt eine Erfindung des 19. Jahrhunderts war, als die Palmen und anderen subtropischen Pflanzen erst eingeführt wurden. Ein russischer Meeresforscher berichtet ihm hingegen besorgt von der aus Asien eingeschleppten fleischfressenden Schnecke Rapana venosa, die sich rasend schnell vermehrt und andere Weichtiere dezimiert. „Ich wurde das Gefühl nicht los, dass sich beide Migrationsgeschichten auch mit unterschiedlichen Vorzeichen erzählen ließen. Mir schien, dass Menschen die Wanderung von Bäumen oder Schnecken in erster Linie nach ihrem Nutzen für sie selbst beurteilten.“
Mühlings intensive Beobachtungen und die treffende Schlüsse daraus, sein scharfer Sinn für gute Geschichten machen dieses Reisebuch zu einem großen Gewinn. Denn solche Erlebnisse sind es, die den wahren Reisenden vom Urlauber unterscheiden.
HANS GASSER
Er trinkt mit einer georgischen
Diebesbande und besucht ein
russisches Pionierlager
Jens Mühling: Schwere See. Eine Reise um das Schwarze Meer. Rowohlt Verlag, Hamburg 2020. 320 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.01.2021

Gespräche mit dem Schnauzbart

Welch tolle Idee: Jens Mühling ist rund um das Schwarze Meer gefahren. Der Berliner Journalist hat Bücher über Russland und die Ukraine geschrieben, hat in Moskau gelebt und spricht etwas Türkisch. Seine Reise beginnt in Russland, an der schmalen Meerenge zur Krim, also gleich an einem politisch schwierigen Ort. Stets geht es durch ein Völkerwirrwarr aus Klein- und Kleinstethnien, willkürliche Grenzen haben diese Menschen einer Nation zugeordnet. Einer der zentralen Sätze des Buches ist, wer sich zivilisiert fühlen wolle, brauche barbarische Nachbarn. Denn Mühling findet unterwegs immer Menschen, die schlecht reden über andere, oft die Nachbarn, immer über die Roma. Man hört von wenig bekannten Volksgruppen, etwa von den Mescheten - georgischen Türken oder türkischen Georgiern. Er trifft auf Griechen, die Türkisch sprechen - in Russland. Es ist alles sehr verwirrend, aber der Autor sortiert es gut für die Leser. Man ist nach der Lektüre klüger als vorher, und dennoch hat Mühling ein unterhaltsames, gut lesbares Reisebuch geschrieben. In der langen Reisereportage ist der Autor präsent, aber nicht im Vordergrund, und er freut sich auch einfach übers Unterwegssein, wenn er "das Grinsen nicht aus dem Gesicht bekommt" bei der Fahrt über den Bosporus, während der er Möwen mit Sesamkringeln füttert. Störend ist nur, dass Mühling fast einzig Männer trifft. Oft alte Männer, mit prächtigen Schnauzbärten; Taxifahrer, Gastarbeiter, Fischer und Forscher. Als würden am Schwarzen Meer keine Frauen leben, als hätten Frauen nichts zu erzählen. Erst in der Ukraine ändert sich das. Ausgerechnet dort kommt es zu einer ergreifenden Begegnung mit einer Geschichte von großem Unglück. Wie benommen sitzt man danach da. Vielleicht möchte Jens Mühling gar nicht als Reisebuchautor bezeichnet werden, aber sein aktuelles Buch gehört zu den besten dieser Gattung.

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"Schwere See. Eine Reise um das Schwarze Meer" von Jens Mühling. Rowohlt Verlag, Hamburg 2020. 320 Seiten. Gebunden, 22 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Mühlings intensive Beobachtungen, sein scharfer Sinn für gute Geschichten machen dieses Reisebuch zu einem großen Gewinn. Denn solche Erlebnisse sind es, die den wahren Reisenden vom Urlauber unterscheiden. Hans Gasser Süddeutsche Zeitung 20200310