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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
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Andreas Pröve folgt im Rollstuhl
dem Lauf des Mekong
Zuerst sind es die Kinder, die sich um Andreas Pröve versammeln. Dann kommen nach und nach die Frauen, die Alten und schließlich die Männer dazu. Er gibt offenbar ein seltsames Bild ab, dieser fremde Mann in dem ebenso fremden Gefährt. Er hat keine gemeinsame Sprache mit den staunenden Dorfbewohnern in Vietnam, aber das hält den Autor Andreas Pröve nicht davon ab, ihnen seine Geschichte zu erzählen: Mit Gesten erklärt er, wie er mit dem Motorrad gestürzt ist und sich die Wirbelsäule gebrochen hat – daher also der Rollstuhl. Und der Handantrieb? Der soll ihm eine Reise über eine Distanz von mehr als 5000 Kilometern ermöglichen – von Vietnam bis nach Tibet entlang dem Mekong, über die er den Bericht „Abenteuer Mekong“ verfasst hat.
Der Fluss scheint dabei manchmal das einzige verbindende Element der Etappen zu sein, denn die Stationen auf Pröves Weg könnten kaum gegensätzlicher sein: Die Reise beginnt in Ho-Chi-Minh-Stadt, mitten im wogenden Verkehr. Und sie endet an der Quelle des Mekong im tibetischen Hochland, dem Gegenteil von Trubel. Nicht immer ist Andreas Pröve mit dem Handfahrrad unterwegs – Teile der Strecke legt er im Boot zurück, im Bus oder im Tuk-Tuk; auf den letzten Metern im Gebirge hängt er an Zeltstangen, die auf den Schultern von vier Trägern ruhen.
Unterwegs kommt Pröve immer wieder mit Menschen in Kontakt, die ihn zum Staunen bringen. Da ist zum Beispiel die Kambodschanerin Chanary, die auf dem Bürgersteig ein Picknick für ihre Ahnen ausbreitet – inklusive Kokosnüssen, Limonade, Zigaretten und einem Schweinekopf. Ihre Mutter sei kürzlich gestorben und durchwühle seither nachts die Schränke in ihrem Haus, darum greife sie jetzt zu drastischen Maßnahmen. Wie stark viele der Menschen, denen Pröve begegnet, ihr Leben nach dem Glauben an Geister ausrichten, kann der Autor nur schwer verstehen. Auch sonst bleibt ihm vieles fremd, etwa die an Resignation grenzende Gelassenheit, mit der viele der Südostasiaten ihr Schicksal hinnehmen. Trotzdem versucht er zu verstehen, was hinter den Ansichten der Einheimischen steckt. Er hat keine Scheu, Fremde anzusprechen und ausführlich über ihr Leben zu befragen.
Eine Sache gibt es allerdings, bei der hört Pröves Toleranz auf: Massentourismus. Er könnte sich wahrscheinlich nicht als Abenteurer fühlen, wenn er nicht an mehreren Stellen seines Buches seine Verachtung für die ausgetretenen Pfade der Rucksacktouristen kundtun würde. Manchmal kommt er aber nicht umhin, sie selbst zu benutzen: Einen Teil des Weges muss er mangels Alternativen auf dem „Banana Pancake Trail“ zurücklegen, wo es alles zu essen gibt, außer das, wovon die Einheimischen sich ernähren. Oder in Kunming: Dort hat seine Stadtführerin Catleen ein Händchen dafür, ihn an Orte zu bringen, die jedes Klischee bedienen. In ein „Nationalitätendorf“ zum Beispiel – eine Art Themenpark, wo perfekt geschminkte Menschen das Leben der chinesischen Minderheiten verkörpern sollen. Aber sie nimmt ihn auch mit zu ihrem Dozenten, der grundsätzlich rückwärts läuft, um sein Gehirn zu trainieren. Und sie präsentiert ihm eine Delikatesse der Region: einen Raupenpilz, der angeblich die Kräfte des Körpers mobilisiert und den Chinesen reihenweise Olympiamedaillen verschafft hat – aber dann doch fast ein bisschen zu authentisch schmeckt.
Die meiste Zeit über begleitet den Autor sein Freund Nagender, den er Jahre zuvor bei einer Reise durch Indien kennen gelernt hat. Er hilft Andreas Pröve manchmal, Stufen zu überwinden, oder führt knallharte Preisverhandlungen mit Grenzbeamten – wie gut die beiden aufeinander eingespielt sind, wird aber vor allem daran deutlich, wie sie miteinander kommunizieren, ohne viele Worte zu gebrauchen. Und wenn der Autor an Tempeltreppen scheitert, zieht Nagender mit dem Fotoapparat los und lässt ihn zumindest durch die Bilder teilhaben.
Von all dem erzählt Andreas Pröve ohne Bitterkeit. Man merkt, wie stolz er darauf ist, seine Grenzen nicht zu akzeptieren, sondern immer wieder auszuweiten. Allerdings erspart er dem Leser auch nicht die unangenehmen Details: In allen Einzelheiten erzählt er von einer Nekrose am Fuß, die ihn bei einer früheren Reise wochenlang lahmlegte. Oder von seiner Angst, von Räubern als leichte Beute wahrgenommen zu werden. An den Rollstuhl gebunden zu sein, schließt für den Autor manche Türen, aber es öffnet auch einige. Er wirkt nicht besonders bedrohlich – das hilft, wenn man offene Gesprächspartner sucht oder eine Unterkunft. Viele Menschen haben indessen klare Vorstellungen, wie Pröve in dieser Situation gelandet ist: Er muss in einem vergangenen Leben irgendetwas gehörig falsch gemacht haben. Irgendetwas hat er wohl auch richtig gemacht, denn egal wie unvernünftig er sich entscheidet und welche Risiken er eingeht, am Ende erreicht er doch fast immer, was er sich vorgenommen hat.
ANNA OECHSLEN
Andreas Pröve: Abenteuer Mekong. 5700 Kilometer von Vietnam bis ins Hochland von Tibet. Malik Verlag, München 2013. 302 Seiten, 22,99 Euro.
Ein Picknick soll den Geist der
toten Mutter beschwichtigen
Weil er nicht bedrohlich wirkt,
öffnen sich dem Autor Türen
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