Deutschland, 1943. Schwere Fliegerangriffe erschüttern immer häufiger die deutschen Städte. Die Zerstörungen sind gewaltig, ein geordneter Schulunterricht nicht mehr möglich. Weil Schulen vielerorts geschlossen sind, werden Kinder und Jugendliche in vermeintlich sichere Gebiete verschickt. Genau wie Ruth, die in einen kleinen Ort in Österreich gelangt. Doch während einige Lehrer verzweifelt versuchen, den Alltag für die Kinder und Jugendlichen aufrechtzuerhalten, rücken die Armeen der Sowjets immer näher. Trotzdem erlaubt das Nazi-Regime die Rückführung in die Heimat nicht. Der Kriegslärm ist schon zu hören, als der Direktor eine schwere Entscheidung treffen muss.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.12.2008Auf der Flucht
Eine Schülergruppe gerät in die Wirren der letzen Kriegstage
Waldameise” hieß das Losungswort. Doch die Leitung des Kinderlandverschickunsgslagers im österreichischen Maria Quell wartete 1945 nicht ab, bis es ausgerufen wird und die Bewohner den Heimweg nach Deutschland antreten konnten. Denn die Situation für die gut hundert „verschickten” Mädchen wurde immer brenzliger, die Russen rückten näher, so dass die Leitung und die Lehrerinnen im Schutz der Karsamstagnacht die Flucht zurück nach Oberhausen starten. Von hier aus waren die elf- bis siebzehnjährigen Oberschülerinnen aus dem Ruhrgebiet in die vermeintlich sichere „Ostmark” geschickt worden.
Es ist ein großes Thema für Willi Fährmann, den bald 80jährigen Erzähler vom Niederrhein, das er hier in seinem Roman So weit die Wolken ziehen aufgreift. Er knüpft damit an die Tradition seiner erfolgreichen historischen Romane an. Mit Sachkenntnis und Einfühlungsvermögen schildert er das KLV-Lager in der Nähe eines Wallfahrtsortes bei Wien und die Rückkehr der Mädchen nach Oberhausen.
So richtig spannend für junge Leser wird es erst im zweiten Teil der breit angelegten Handlung, denn auf dem Rückweg legen sich den Schülerinnen beträchtliche Hindernisse in den Weg. Unfälle und Krankheit schwächen die Truppe, dreizehn Mädchen kommen um. Aus Hunger und Not stehlen und betteln sie. Am Ende gibt es noch eine zarte Liebesromanze: Anna, mit ihrer Zwillingsschwester den Eltern daheim bereits als Tote gemeldet, erwidert erstmals die Zuneigung eines jungen, einarmigen Mannes, der später von den Sowjets erschossen wird.
Fährmann erzählt genau in seiner akribisch recherchierten Geschichte, schafft Atmospäre, in die er leisen Humor einfliessen lässt. Unmerklich wirbt er fürs Lesen und greift auch Glaubensthemen auf. Das Kriegsgeschehen hält er im Hintergrund, und trotzdem liefert dieser Roman ein erschütterndes Zeitbild über die Auflösung der gesellschaftlichen und humanen Ordnung am Ende des Krieges. Zum Glück schickt er den Schülerinnen in der größten Verzweiflung immer wieder menschliche Engel, Helfer aus allen Nöten. Wenn es sein muss, sogar dicke, wohlbeleibte, wie die rührige Wirtschafterin in Maria Taferl, oder die Aschacher Stationsvorsteherin. Sie sorgt für warme Brühe im kalten Bahnhofsnotquartier und heißt Frau Sonne. Sie macht, genauso wie das Gestirn am Himmel, Elend und Entbehrung erträglich.
Ein Abbild dieser Sonne hätte sich, statt der Wolken, für den Buchtitel besser geeignet. Auch wenn Wolkenbänke damals, in den letzten Kriegstagen im Frühling 1945, bei dichter Niedriglage, die bombardierenden Tiefflieger abhielten und noch Schlimmeres verhinderten. (Für Jugendliche und Erwachsene) HANS GÄRTNER
Willi Fährmann
So weit die Wolken ziehen
Arena 2008. 490 Seiten, 24,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Eine Schülergruppe gerät in die Wirren der letzen Kriegstage
Waldameise” hieß das Losungswort. Doch die Leitung des Kinderlandverschickunsgslagers im österreichischen Maria Quell wartete 1945 nicht ab, bis es ausgerufen wird und die Bewohner den Heimweg nach Deutschland antreten konnten. Denn die Situation für die gut hundert „verschickten” Mädchen wurde immer brenzliger, die Russen rückten näher, so dass die Leitung und die Lehrerinnen im Schutz der Karsamstagnacht die Flucht zurück nach Oberhausen starten. Von hier aus waren die elf- bis siebzehnjährigen Oberschülerinnen aus dem Ruhrgebiet in die vermeintlich sichere „Ostmark” geschickt worden.
Es ist ein großes Thema für Willi Fährmann, den bald 80jährigen Erzähler vom Niederrhein, das er hier in seinem Roman So weit die Wolken ziehen aufgreift. Er knüpft damit an die Tradition seiner erfolgreichen historischen Romane an. Mit Sachkenntnis und Einfühlungsvermögen schildert er das KLV-Lager in der Nähe eines Wallfahrtsortes bei Wien und die Rückkehr der Mädchen nach Oberhausen.
So richtig spannend für junge Leser wird es erst im zweiten Teil der breit angelegten Handlung, denn auf dem Rückweg legen sich den Schülerinnen beträchtliche Hindernisse in den Weg. Unfälle und Krankheit schwächen die Truppe, dreizehn Mädchen kommen um. Aus Hunger und Not stehlen und betteln sie. Am Ende gibt es noch eine zarte Liebesromanze: Anna, mit ihrer Zwillingsschwester den Eltern daheim bereits als Tote gemeldet, erwidert erstmals die Zuneigung eines jungen, einarmigen Mannes, der später von den Sowjets erschossen wird.
Fährmann erzählt genau in seiner akribisch recherchierten Geschichte, schafft Atmospäre, in die er leisen Humor einfliessen lässt. Unmerklich wirbt er fürs Lesen und greift auch Glaubensthemen auf. Das Kriegsgeschehen hält er im Hintergrund, und trotzdem liefert dieser Roman ein erschütterndes Zeitbild über die Auflösung der gesellschaftlichen und humanen Ordnung am Ende des Krieges. Zum Glück schickt er den Schülerinnen in der größten Verzweiflung immer wieder menschliche Engel, Helfer aus allen Nöten. Wenn es sein muss, sogar dicke, wohlbeleibte, wie die rührige Wirtschafterin in Maria Taferl, oder die Aschacher Stationsvorsteherin. Sie sorgt für warme Brühe im kalten Bahnhofsnotquartier und heißt Frau Sonne. Sie macht, genauso wie das Gestirn am Himmel, Elend und Entbehrung erträglich.
Ein Abbild dieser Sonne hätte sich, statt der Wolken, für den Buchtitel besser geeignet. Auch wenn Wolkenbänke damals, in den letzten Kriegstagen im Frühling 1945, bei dichter Niedriglage, die bombardierenden Tiefflieger abhielten und noch Schlimmeres verhinderten. (Für Jugendliche und Erwachsene) HANS GÄRTNER
Willi Fährmann
So weit die Wolken ziehen
Arena 2008. 490 Seiten, 24,95 Euro.
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