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Der westliche Lebensstil bestimmt den Rhythmus der Welt. Zugleich mehren sich Krisenzeichen. Im internationalen Wettbewerb gehen diejenigen Nationen und Weltregionen in Führung, die ein solides kulturelles Fundament haben. Erfolg haben Kulturen, die zur dynamischen Weltwirtschaft passen, Menschen motivieren, ihnen Mitte und Identifikation bieten. Wer seine kulturellen Kraftquellen nicht pflegt, steigt ab. In Deutschland haben wir uns an alten Ideen und Mächten abgearbeitet und dabei Sinngehalte menschlicher Existenz verschüttet: Liebe, Intimität, Familie, die Erkenntnis, dass nur Kinder…mehr

Produktbeschreibung
Der westliche Lebensstil bestimmt den Rhythmus der Welt. Zugleich mehren sich Krisenzeichen. Im internationalen Wettbewerb gehen diejenigen Nationen und Weltregionen in Führung, die ein solides kulturelles Fundament haben. Erfolg haben Kulturen, die zur dynamischen Weltwirtschaft passen, Menschen motivieren, ihnen Mitte und Identifikation bieten. Wer seine kulturellen Kraftquellen nicht pflegt, steigt ab.
In Deutschland haben wir uns an alten Ideen und Mächten abgearbeitet und dabei Sinngehalte menschlicher Existenz verschüttet: Liebe, Intimität, Familie, die Erkenntnis, dass nur Kinder Zukunft bedeuten, Leistungswille, Achtung vor Anderen, Hilfsbereitschaft, religiöses Bekenntnis. Noch fehlen Konzepte, die persönlichen Erfolg, Glück und gemeinschaftliche Vitalität versprechen. Wir bekennen uns zur Freiheit, aber spüren wir auch ihren Eros?
Wir müssen den Aufbruch wagen in eine neue Epoche, mit einem Bürgerbegriff ohne soziale Schranken, mit weniger staatlicher Bevormundung, mehr
Leistungsfreude, mehr Sinn auch für Gemeinschaften, ohne die individuelles Freisein gar nicht möglich wäre. Gemeinschaften sind nur vital, wenn in ihnen eine stimmige Alltagsvernunft gepflegt wird. Ohne sprachliche und historisch gewachsene Kulturgemeinschaft vermag der freie Mensch sich nicht zu entfalten.
Der Verfasser analysiert brillant die Krise der westlichen Kultur und speziell die Lage in Deutschland. Er zieht seine Leser in Bann, indem er das Bewusstsein für Werte schärft, die vernachlässigt sind, und Wege in die Zukunft weist. Ein Anstoß auch zu Änderungen unserer staatlichen Ordnung, im Recht und bei der Rechtsprechung, um die Spielräume der Freiheit zum Wohle aller zu erweitern und ihre Grenzen neu zu justieren.
Autorenporträt
Vittorio Hösle ist Professor an der University of Notre Dame. Bei C.H.Beck ist von ihm u. a. lieferbar: Moral und Politik (1997).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Als einen "zeitgemäß konservativen Intellektuellen" bezeichnet Ludger Heidbrink den Verfassungsrichter Udo Di Fabio und findet diese Eigenschaften auch in dessen Verteidigung der bürgerlichen Gesellschaft wieder. Di Fabio plädiert für eine zukunftsorientierte Gemeinschaft, die sich mit "sachlicher Leidenschaft" weltoffen und wettbewerbsfähig präsentieren sollte und bringt gegen die Bedrohung des Westens "durch innere Selbstzweifel und äußeren Terror" bringt Di Fabio den "Eros der Freiheit" in Stellung. Der Rezensent liest in diesem Reformprogramm nicht nur Anleihen von Adorno, Spengler und Nietzsche, sondern findet auch metaphysische Sehnsüchte befriedigt. Dies schreibt er dann auch dem Erfolg des Buches zu: Es schütze die Leser vor den Unbilden der Globalisierung. Doch aus dem Mund eines Konservativen gesprochen, wecken diese Worte leisen Zweifel in Heidbrink, und er fragt sich, ob dem Autor das Dilemma gelingt, das bewahren zu wollen, was sich ständig ändert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.09.2005

Udo Di Fabios Kindermanifest

Je näher der Wahltag rückt, desto fiebriger auch die Debatte ums Kind. Sie hat groteske Züge angenommen: Kaum sagt jemand etwas zugunsten einer bestimmten Lebensweise (Hausfrauenehe, Karriereehe, Homoehe, gar keine Ehe), schon gibt es einen Aufschrei von irgend jemandem, der sich durch dieses Plädoyer in seiner eigenen, ganz anderen Lebensweise zurückgesetzt fühlt. So ist eine Situation der kommunikativen Blockade entstanden: Man kann kaum noch für oder gegen das Kind argumentieren, weil das Thema derart persönlich genommen wird, daß ein scharf geschnittenes Plädoyer in die eine oder die andere Richtung sogleich als Affront aufgefaßt wird. Man hat diesen Hysterie-Zirkel zuletzt bei entsprechenden Interventionen von Doris Schröder-Köpf, Alice Schwarzer und natürlich Paul Kirchhof erlebt, der mit seinem Satz "Zu einem erfüllten Leben gehören normalerweise Kinder" schrille Reaktionen hervorrief.

Jetzt, da der Endspurt des Wahlkampfs zunehmend als Wahlschlacht um Paul Kirchhof wahrgenommen wird, sei - was die Familienidee angeht - an Kirchhofs Verbündeten im Geiste erinnert: Nein, nicht an Guido Westerwelle, der schon längst aufgehört hat, Kirchhof einen Verbündeten im Geiste zu nennen, sondern an Udo Di Fabio, Verfassungsrichter wie ehemals Kirchhof. Di Fabio hat unter dem Titel "Die Kultur der Freiheit" (Verlag C. H. Beck, München 2005. 296 S., geb., 18,- [Euro]) ein Buch vorgelegt (F.A.Z. vom 25. Juli), das man - im Rahmen der vor dem 18. September sich weiter zuspitzenden Lebensformdebatte - auch als ein kulturelles Manifest für Deutschland am Vorabend der Wahl lesen kann: als ein Plädoyer für eine Kultur, in der dem Kind, dem nicht mehr selbstverständlichen Nachwuchs, auch jenseits von sozialtechnologischen Überlegungen ein herausragender Debattenplatz zusteht.

Di Fabio, der über Habermas und Luhmann promoviert hat, will die Demographiedebatte als Wertedebatte akzentuieren, weil er die politischen Rahmenbedingungen, so wichtig sie sind und in diesem Buch erörtert werden, für das höchstpersönliche Thema Kind doch nicht als entscheidend einschätzt. Di Fabios Befund: Vor lauter Rücksichten, keiner Minderheit zu nahe zu treten, habe man aufgehört, dem Lebensmodell für die statistische Mehrheit - der Familie mit Kind - die gebührende kulturelle Achtung zu erweisen, es als eine erfüllende, zur Nachahmung empfohlene Lebensform zu beschreiben - und dies in einer Zeit, da immer weniger Leute Kinder aus ihrem Nahbereich kennen. Der Autor begibt sich also in die strategische Defensive, um um so offensiver sein Kinderplädoyer vorzutragen und damit eine neue Themensetzung zu versuchen: das öffentliche Sprechen über die privaten Gründe und Gegengründe für die Lebensform Familie.

Di Fabios Grundfrage lautet: Wie läßt sich das Kind debattentauglich machen, dergestalt, daß es nicht nur als leidige Fußnote zur Sozialpolitik erscheint, sondern in seiner kulturellen Dimension erschlossen und meinungsführend aufgegriffen wird? Die Schneise, die Di Fabio in den Debattenwald ums Kind schlägt, befreit das Thema aus seiner sozialtechnologischen Zirkularität. Wenn man der Meinung ist, daß Kinder in den Zeiten des demographischen Erwachens auf der öffentlichen Agenda ganz oben zu stehen haben, dann schließt man sich mit um so mehr Grund der Meinung an, daß Di Fabios innovatives Buch ganz oben auf die Bestsellerliste gehört. Es ist, so gesehen, wahrscheinlich das wichtigste Sachbuch des Jahres.

Wo der Autor das Kind als gesellschaftliches Leitbild wiedergewinnen will, spricht sich nicht etwa ein Restaurator der Adenauer-Zeit aus. Die Pointe des Buches ist gerade, daß es auf dem Autonomieverständnis der Moderne fußt und insoweit das Kind nicht als bürgerliche Konvention beschwört, sondern als Freiheitsgewinn plausibel machen möchte. Wenn gesellschaftsweit gilt: "alles kann, nichts muß", dann hat die Entscheidung für das Kind allemal eine spielerische Note. Und dieses Wort "spielerisch" ist Di Fabio wichtig, wenn er die Attraktivität einer Biographie beschreibt, die sich um Kinder herum entwirft und damit gewiß ein bürgerliches Ideal verwirklicht - aber eben doch postkonventionell und selbstbestimmt: Wir können auch anders!

In diesem Sinne läßt sich der Spieler Di Fabio auch nicht als Frontmann einer Leitkultur vereinnahmen. "Ein Leitbild", schreibt er, "ist dann freiheitsgerecht, wenn es Abweichungen toleriert, nicht absolut vorgetragen wird oder herrisch gebietet, sondern werbend und verlockend ist." Das ist der Stil, in dem das Buch gehalten ist. Die Klarheit und Entschiedenheit der eigenen Position setzt diese doch nie absolut. So hat es durchaus nichts Erdrückendes, wenn der Jurist Di Fabio ganz unjuristisch gelegentlich einen existentialistischen Ton anschlägt, um das Kind als "Entscheidungssache" zu profilieren. "Das könnte heißen: eine entschiedene Hinwendung zu neuem menschlichen Leben, und zwar als Mittelpunkt des eigenen biographischen Plans, die Suche nach einer Intimität, die mehr ist als zeitlich begrenzte Nähe in einem nur dünn gesponnenen Netzwerk erlebnishungriger Selbstgenießer, die Wiedergewinnung einer geschichtsbewußten Bildungsidee und vor allem der Eros des Selbstentwurfs, des Wettstreits, des Kampfes um ein selbstbestimmtes und nicht verwaltetes Leben, das nicht endet, wenn die Zeit abläuft, sondern in den Augen, im Eigensinn und dem Erinnern der Kinder fortlebt, mit denen man gelebt und erlebt hat."

Es hätte der antiintellektualistischen Seitenhiebe, die sich der Autor im Zeichen der "Alltagsvernunft" hier und da erlaubt, nicht bedurft. Wer Di Fabios Lob des Kindes zu Ende liest, kommt ganz von selbst auf die Idee, daß es nicht sehr praktisch ist, sein Leben auf Theorie zu gründen.

CHRISTIAN GEYER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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'(...) Unserem Land (...) verordnet Di Fabio ein Programm des 'reflexiven' Pétainismus: Arbeit, Familie, Vaterland, alles unter dem Schutz des lieben Gottes. So würde Di Fabio es natürlich nicht sagen, aber es sei hier so deutlich formuliert um des Streits willen, den er sich wünscht und der seinen Angaben nach unter der Tyrannei von Antidiskriminierungsbeauftragten und Nichtregierungsorganisationen ebenso vom Aussterben bedroht ist wie eigentlich fast alles. (...) Mit der Kultur der Freiheit sind die Ordnungen gemeinschaftlichen Lebens gemeint, die dem Individuum seine Wahlmöglichkeiten erst eröffnen: Familie, Kirche, Volk. (...) Zu beherzigen ist Di Fabios Mahnung, wir sollten als Tatsache zur Kenntnis nehmen, daß es Gründe gibt, die 'westliche' Kultur grenzenloser Freizügigkeit geringzuachten. (...)'

Patrick Bahners, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.7.2005, zur 1. Auflage

'(...) Es ist die Handschrift eines 'leidenschaftlichen Konservativen', wie der parteilose, auf Vorschlag der Union gewählte Richter bisweilen genannt wurde. Wobei die Schublade 'konservativ' zu klein ist für den umfassend gebildeten Mann (...). In seinem (...) Buch 'Kultur der Freiheit' rückt der Vater von vier Kindern zwar konservative Werte wie Familie, Nation und Religion in den Mittelpunkt. Doch eigentlich versteht er sich als Erneuerer einer durch überzogenen Individualismus und Hedonismus geschwächten westlichen Kultur. (...)'

Wolfgang Janisch, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 22.7.2005, zur 1. Auflage

'(...) Marksteine einer neuen konservativen Agenda. (...) Di Fabio, Juraprofessor in Bonn und Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, gehört zu den besten Intellektuellen, die das Land derzeit vorzeigen kann. (...) Di Fabios Diagnose: Gesellschaften überaltern, verlieren Antriebskraft und Vitalität. Deutschland verlässt sich immer mehr auf sozialtechnische Regulierung (...). Die Gleichheitslogik der Umverteilung hat die damit verbundenen Freiheitsverluste in Kauf genommen. Überbordende Steuer- und Abgabensysteme nehmen das Recht moralischer Überlegenheit automatisch für sich in Anspruch (...). Damit ist eines klar: Es geht um mehr als um 'Vorfahrt für die Arbeit'. Staatsverschuldung und überlastete Sozialversicherungssysteme deuten darauf hin, daß eine Sozialpolitik, welche die Leistungsbereitschaft der Menschen und die Attraktivität des Standorts mindert, aus der Abwärtsspirale nicht herausführt. (...) Was der Jurist gegen seine eigene Diagnose der schleichenden Dekadenz anzubieten hat, ist nichts weniger als das konservative Programm einer neuen Freiheitslehre. Dazu sind zuallererst Werte gefordert: die Suche nach Liebe und Intimität; die Geborgenheit einer Familie; (...) das Verliebtsein in den Erfolg; die Entschiedenheit, etwas zu leisten (...). 'Gleichheit der Freien ist Rechtsgleichheit und nicht Verteilungs- oder Ergebnisgerechtigkeit', sagt Di Fabio. Das heißt auch: Gleichheit sichert den Raum in dem sich die natürlichen Ungleichheiten unterschiedlicher Begabungen auf dem Markt im Wettbewerb entfalten. (...) Die großartige Idee des Sozialstaats, meint Di Fabio, hat ihre Ursprünge nicht in der Gleichheit, sondern in der christlichen Nächstenliebe, also in der Solidarität und Subsidiarität. Damit ist das Prinzip der Umverteilung in einer Kultur der Freiheit nur so weit gerechtfertigt, als es für eine Gemeinschaft notwendig ist, um die Mindeststandards menschenwürdiger Existenz zu gewährleisten. Dieser Gedanke müsste der Union, die sich christlich und nicht wohlfahrtsstaatlich-egalitaristisch begründet, eigentlich besonders willkommen sein. (...)'

Rainer Hank, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 24.7.2005, zur 1. Auflage
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.07.2005

Furor und Gesetz
Udo Di Fabios Erneuerung des Bürgertums aus altem Geist
Im Theater des 19. Jahrhunderts, also bei Grillparzer, Hebbel und Richard Wagner, treten Furor und Gesetz gegeneinander an. In den stärksten Szenen agiert die ungezügelte Leidenschaft gegen die Disziplin; die Empörung versucht, die Ordnung aus den Angeln zu heben. Auf das Reglement der geordneten Szenen antworten Eskalation und Exaltation. In Drama und Theater ist der Furor immer weiblich besetzt; männliche Würdenträger treffen also auf rasende Frauen. In Karlsruhe, in der Residenz des Rechts, ist das anders. Verfassungsrichter Udo Di Fabio spielt beide Rollen selbst - die des Würdenträgers und die des Furors: Im Gerichtssaal des Bundesverfassungsgerichts ist er der Vertreter von Gesetz und Recht. In seinem soeben im C.H.Beck-Verlag erscheinenden Buch gibt er den Furor, der sich an der Rechtsprechung seines eigenen Gerichtes reibt, der zurück will in die angeblich goldene Welt der fünfziger Jahre, in die Welt, in der es noch keinen ausgebauten Sozialstaat gab. Di Fabios Furor gegen „sozialtechnische Regulierung” und einen „sozialtechnokratischen Politikstil” durchzieht das ganze Buch.
Kultur der jungen Freiheit
Es heißt „Die Kultur der Freiheit”, und es konstruiert den Überbau für einen libertären Konservativismus und damit die Rechtfertigung für Sozialabbau, weit „rechter” noch, als es sich die CDU leisten kann und die CSU leisten will. Di Fabio schmückt sich mit den Stichworten der Modernität, wenn er den Markt und den Wettbewerb preist und mischt das mit einem Plädoyer für eine erneuerte Religiosisierung der Gesellschaft und für einen doppelten Patriotismus: Er will ein Europa patriotisch lieben ohne „das ständige Streben nach Bundesstaatlichkeit” und „ohne territorialen Ausdehnungsehrgeiz” - das sind markige Worte für einen Richter, der über die Europäische Verfassung zu entscheiden hat. Dieser Patriotismus dürfe aber den nationalen Patriotismus nicht verdrängen.
Zu den absonderlichsten Seiten des Buches zählen die, auf denen Di Fabio „die Identität der Deutschen im Bann ihrer Geschichte” neu herstellen und an die Stelle der „Kanonisierung von Schuld” im Nationalsozialismus die „Unterscheidung von Schuld, Unvermögen und Tragik” setzen will: Hitler war kein Deutscher, schreibt Di Fabio: „Er war nur ein verkleideter Deutscher.” Der Nationalsozialismus sei etwas Undeutsches gewesen. Die Deutschen seien vom Dämon mit allen Mitteln der modernen Propaganda „verführt und belogen” worden - wie, ja wie „eine zu verführende Frau, die man mit Komplimenten, schönen Versprechungen und dem betörenden Bild von bürgerlicher Idylle lockt”. Zu diesem Frauenbild später. Die Deutschen waren also nicht Täter, sondern Opfer.
Das schreibt nicht einer der alten Historiker, die, noch von der Kaiserzeit geprägt, gleich nach der Katastrophe, also 1946, in hilflosen Traktaten das Ungeheuerliche zu erklären versuchten. Das ist auch keine der Stimmen aus den fünfziger Jahren, den Jahren also, die als Zeit der Verdrängung gelten. Damals erklärten sich die Täter zu Verführten, die Mitläufer zu Opfern und alle miteinander flüchteten in die Gegenwart des Wirtschaftswunders. Genau diese Zeit ist es, von der der Verfassungsrichter Di Fabio träumt. In diese Adenauerzeit flieht er mit seinem neuen Buch - und preist seine Flucht als „Zeitenwende”, als „Wende zur vitalen Gesellschaft”.
Diese Jahre waren, glaubt er, gute Jahre für Ehe und Familie, nämlich noch nicht von „emanzipativen Leitbildern” behelligt. Di Fabio will die Menschen davon überzeugen, dass „ein gutes Leben” eigentlich nur „in einer mit Kindern gesegneten Familie gelebt werden” kann; es ist sein eigenes Leben, sein Familienleben als Vater von vier Kindern, das er zum Maßstab für alle macht. Gegen seine Zufriedenheit mit dem eigenen Leben ist gar nichts zu sagen, dagegen, wie er andere Lebensformen diskreditiert, sehr wohl. Weil Udo Di Fabio, Jahrgang 1954, vom Glück seiner frühen Jahre träumt, übernimmt er auch die Irrungen der Geschichtsbetrachtung dieser Zeit: Die Deutschen hätten im Dritten Reich eigentlich nichts Böses gewollt, sie hatten nur ihr Häuschen haben und als gute Bürger leben wollen - seien aber „durch perfide Täuschung” dazu gebracht worden, „für das krankhaft wuchernde Böse zu arbeiten”. Die Deutschen waren gut, ihre Eliten schwach, weil sie das Volk einem „Dilettanten” ausgeliefert hatten - der, wie gesagt, kein Deutscher gewesen sei: „Nicht etwa, weil er österreichischer Herkunft war, sondern weil er kein Jota vom Anstand des preußischen Staatsdieners, weder Heimatgefühl noch Lebensfreude des bayerischen Katholizismus besaß, keinerlei Neigung für Fleiß und harte Arbeit, keinen Sinn für deutsche Lebensart, bürgerliche Vorlieben und christliche Traditionen.” Deutscher im Sinn Di Fabios ist nur, wer anständig, fleißig und lebensfroh ist.
„Die Kultur der Freiheit” heißt das Buch. An den zitierten Stellen möchte man ihm den Titel „Die Kultur der jungen Freiheit” geben, weil es dort, wie das Rechtsaußenblatt Junge Freiheit, weit hinter die große Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker vom 8. Mai 1985 zurückfällt. Man könnte diese Seiten als apologetisches Elaborat eines Staatsrechtsprofessors betrachten, der halt zurück will hinter den aufklärerischen Diskurs, der in den sechziger und siebziger Jahren begonnen hat. Di Fabio ist aber nicht ein Professor wie andere - er ist ein derzeit sehr gewichtiger Verfassungsrichter: Berichterstatter bei der Verfassungsbeschwerde gegen die EU-Verfassung, der zuständige Berichterstatter für die Frage, ob wegen der Vertrauensfrage Neuwahlen zum Bundestag stattfinden. Und es ist dieser einflussreiche Verfassungsrichter, dessen politisches Credo auf dem Dreiklang Nation, Religion, Familie fußt - und der auf dieser Basis eine Erneuerung des Bürgertums aus dem Geist der vermeintlichen Idylle der Nachkriegszeit propagiert.
Bei Gericht erweckt Di Fabio gern den Eindruck, über allen Wassern zu schweben. Das Buch freilich kreuzt in nationalkonservativen Gewässern - und dort lässt er Boote schwimmen mit Paaren, die in „einer romantischen und auf Bindung gerichteten Beziehung” leben wollen, ohne die heutigen „Gleichheits- und Selbstbehauptungsansprüche der Geschlechter”, Paare, die heraus wollen aus der angeblich sozialtechnischen Welt der Eheverträge, welche Di Fabio als Papiere „des Misstrauens und der Vorbehalte” betrachtet. Die Kultur der Freiheit erfährt, wenn die Eheleute Verträge schließen wollen, anscheinend ihre dialektische Wendung zur Unfreiheit. Damit übertrifft Di Fabio sogar das Bürgerliche Gesetzbuch in seiner Urfassung von 1900, das zwar im Sinne Di Fabios den Mann zum Oberhaupt der Familie krönte, aber der Freiheit, Verträge zu schließen, auch in der Ehe Platz ließ.
Tief im 19. Jahrhundert
Von der Rechtsprechung seines Gerichts ist Di Fabio hier Meilen entfernt. Manchmal scheint es gar, als sei er eher in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts als in denen des 20. Jahrhunderts zu Hause. Damals war der „Angel in the House”, nach einem Gedicht von Coventry Patmore aus dem Jahr 1854, das Frauenbild der viktorianischen Gesellschaft. Es beginnt so: „Man must be pleased; but him to please is woman’s In dieser Zeit, so Di Fabio, sei die bürgerliche Gesinnung gewachsen, die England und Deutschland groß gemacht und moralische Maßstäbe gesetzt habe.
Im Gericht gilt Di Fabio als fleißiger Arbeiter, der bei Senatsberatungen nicht den großen Auftritt inszeniert, sondern in der Stille des Büros juristisch bastelt. In seinem Buch fühlt man sich an den Ostjuristen Steffen Heitmann erinnert. Der war 1993, von Helmut Kohls Gnaden, Bundespräsidenten-Kandidat der CDU/CSU; er fiel auf mit merkwürdigen Äußerungen über die NS-Vergangenheit und über die Rolle der Frauen in der Gesellschaft. Vor allem letztere waren denen von Di Fabio sehr ähnlich. Heitmann war als Präsidentschaftskandidat nicht mehr zu halten. Staatsoberhaupt wurde Roman Herzog. Udo Di Fabio freilich ist als Verfassungsrichter längst gewählt - er amtiert seit dem Jahr 2000.
HERIBERT PRANTL
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Der erbitterten Kritik, die Udo Di Fabios Buch "Die Kultur der Freiheit" auf sich gezogen hat, kaum dass es auf den Markt ist, mag sich Rezensent Matthias Arning nicht anschließen. Er gibt sich eher moderat, auch wenn er nicht umhinkommt, das provokative Potenzial anzusprechen, welches das Buch des Verfassungsrichters in sich birgt - schließlich geht es um nichts geringeres als eine Rekonstruktion "deutscher Nationalkultur als Kultur der Freiheit" (Di Fabio). So plädiere Di Fabio an Gedanken Paul Noltes und Paul Kirchhoffs anknüpfend für einen Aufbruch in einer neue bürgerliche Epoche, in der Freiheit, Verantwortungsbewusstsein und vor allem Kinderliebe wieder gelten. Dass Di Fabio das Grundsätzliche liebt und "mächtig auf den Putz" haut, verhehlt Arning nicht. Er räumt ein, dass Di Fabios Ausführungen, insbesondere zum Nationalsozialismus, die auch Arning "völlig überzogen" erscheinen, gelegentlich irritieren können. Auch findet er Di Fabios Werben für eine kinderfreundlichere Gesellschaft ziemlich penetrant. Nichtsdestoweniger zollt er ihm seinen Respekt für den Mut, eine kämpferische Streitschrift vorgelegt zu haben, "die diese freudlose Republik ein bisschen erschüttert".

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