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Eine verrückte Familiengeschichte, weltumspannend, voll jüdischem Witz
Samuel Leiser ist ein einsamer Vogel. Sein Vater Yehuda entkam den Nazis, indem er vorgab, Autor zu sein und als Künstler nach Amerika einreisen durfte - wo er zum gefeierten Kriminalschriftsteller Jonathan Still wurde. Nun übersetzt Samuel seine Bücher ins Deutsche. Zwischen den Zeilen sucht und findet er versteckte Botschaften. Doch was bedeuten sie?
In einem Sommer Anfang der Siebziger zieht Samuels frühreife Tochter Ashley aus England zu ihm nach Paris, damit sich beide einmal in Ruhe kennenlernen. Bald aber
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Produktbeschreibung
Eine verrückte Familiengeschichte, weltumspannend, voll jüdischem Witz

Samuel Leiser ist ein einsamer Vogel. Sein Vater Yehuda entkam den Nazis, indem er vorgab, Autor zu sein und als Künstler nach Amerika einreisen durfte - wo er zum gefeierten Kriminalschriftsteller Jonathan Still wurde. Nun übersetzt Samuel seine Bücher ins Deutsche. Zwischen den Zeilen sucht und findet er versteckte Botschaften. Doch was bedeuten sie?
In einem Sommer Anfang der Siebziger zieht Samuels frühreife Tochter Ashley aus England zu ihm nach Paris, damit sich beide einmal in Ruhe kennenlernen. Bald aber wird es eng in der kleinen Wohnung: Samuels Ex-Frau Letitia kommt mit Vater und neuem Freund zu Besuch. Durchreisende bleiben länger als erwartet, sogar Yehuda fliegt samt Gangster-Verwandtschaft ein. Dem turbulenten Familientreffen zwischen Eheschwüren und Eifersuchtsdramen entkommt Samuel nicht einmal, indem er sich in seine Spanischlehrerin verliebt. Denn nicht nur die Menschen seines Lebens überfallen ihn, sondern auch ihre Geschichten und ererbten Alpträume - bis zum furiosen Finale.
Martin Kluger erzählt eine drei Generationen umspannende Geschichte um die Liebe: eine melancholisch-ironische Comedie humaine.
Autorenporträt
Martin Kluger wurde 1948 in Berlin geboren. Er arbeitete als Übersetzer (u.a. Malcolm Lowry, Donald Barthelme, Iris Murdoch, Aharon Appelfeld) und schrieb Drehbücher für Film und Fernsehen. Bei DuMont erschienen der Erzählungsband 'Der Koch, der nicht ganz richtig war' (2006) sowie seine Romane 'Abwesende Tiere' (2002) und 'Die Gehilfin' (2006). Martin Kluger wurde 2008 mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichnet sowie mit dem Candide-Preis der Stadt Minden. Er starb 2021 im Alter von 73 Jahren.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.05.2008

Schwaches Lid, großes Glück
Ein Buch voller Heiterkeit und Lebenswitz: Martin Klugers Roman „ Der Vogel, der spazieren ging”
„Das Leben konnte, wenn man es nicht überdosierte, schön sein.” Nur können wir leider die richtige Lebensdosis nicht verlässlich einstellen. Manchmal kommt das Leben ungefragt über uns, was es nicht unbedingt schöner, aber vielleicht erzählenswerter macht. Martin Klugers neuer Roman „Der Vogel, der spazieren ging” erzählt aus dem prallen – oder sollte man sagen: dem vollen – Leben, aber diese Überdosis scheint den Figuren nicht zu schaden. Im Gegenteil, es liegt über diesen turbulenten, traurig-komischen Familienbegebenheiten eine unverwüstlich gute Laune. Die Schönheit dieses Romans resultiert geradewegs aus einer Überdosis – von Witz, Heiterkeit, Imagination und anderen Zutaten. Auf Deutsch ist so etwas zwar eher selten, Kluger-Leser kennen die beglückenden Effekte dieser Prosa indes schon länger.
Dies ist ein deutsch-jüdisch-französisch-amerikanisch-uruguayischer „Familienroman” (durchaus im Freudschen Wortsinn) mit einer verstreuten, farbenfrohen und vielgestaltigen „mischpoke”. Erzählt wird das zunehmend turbulente Geschehen von einem Mann namens Samuel Leiser oder, um den Romantitel zu zitieren, vom „Vogel, der spazieren ging”. Wenn Samuel Leiser fliegen könnte, würde er schreiben wie sein Vater Yehuda Leiser, der vor dem Holocaust nach Philadelphia floh und dort unter dem „nom de plume” Jonathan Still (von Leiser zu Still!) als Krimiautor Weltruhm erlangte. Im Schatten des berühmten Vaters hat es für Leiser jr. nur zum Übersetzer gereicht.
Jedes Jahr erscheint ein neuer Roman mit Kommissar Perrone, den der Sohn dann getreulich ins Deutsche übersetzt – von Paris aus, wo Leiser der Jüngere nach mancherlei Umwegen seinen Wohnsitz bezogen hat. Das alles spielt nicht etwa im Jahre 1972 – erzählt oder besser „diktiert” wird es erst Jahrzehnte später von Samuel Leiser „in der kleinen Klinik am Meer (. . . ), die seit vielen Jahren meine Zuflucht ist”.
Schwer lastet der Schatten des alten Leiser auf dem Sohn, die „Camouflage”, der „Größenwahn” und die „Lügenmärchen”, mit denen sich der Vater durchs Leben schlug, aber auch Leiser der Jüngere ist kein Kind von Traurigkeit, sondern eher ein Filou, der noch seine „angeborene Lidhebeschwäche (Ptosis)” erotisch nutzbringend einzusetzen weiß und zur Verbesserung des Sehvermögens gern den Blick nach oben richtet.
Ein kleiner Fisch und Bassin
„Der Effekt war (und ist) herzergreifend”, weiß der Sohn zu berichten, und weil er den Blick so gern gen Himmel richtet, ist dieser Roman voll von den schönsten, stimmigsten Wolkenbildern. Dem jungen Leiser und anderen Figuren mag es in diesem Roman mitunter und wirklich schlecht gehen, aber alle ihre Angst wird aufgefangen von einem Überschuss an Witz und Weisheit. Wem wie Samuel Leiser andauernd Sachen einfallen wie diese: „Küchen, auch lichtlose, handtuchschmale, zum Hinterhaus gelegene, sind sentimentale Orte, Backstuben der Erinnerung”, dem kann im Leben nichts passieren.
Was passiert denn überhaupt? Leiser bekommt Besuch. Von seiner halbwüchsigen Tochter Ashley, die in Montevideo zur Welt kam, und über Paris nach England gelangte, wo sie ins Internat geht, weil ihre Mutter Letitia, Leisers urugayische Exfrau, ihre Sorgepflicht nur unzureichend wahrnimmt. „Ashley war immer ein introvertiertes Menschenkind gewesen”, erzählt der Vater, „ihr eigener kleiner Fisch, der in seinem eigenen kleinen Bassin gründelte. Sie liebte es, sich melancholischen Stimmungen hinzugeben (was Wunder, sie war am Rio de la Plata geboren worden, Welthauptquartier der Schwermut).” Ach, dieser Autor kennt sich aus in der Welt, am Rio de Plata und an der amerikanischen Ostküste, in London und im Jazz (Monk! Bill Evans!), er weiß unglaublich viel und prunkt ab und zu auch ein bisschen damit („Im Lycée St. Louis war ich mit dem Direktor übereingekommen, sie ob ihrer guten englischen Zeugnisse gleich in den Circus Maximus der vierzehn- bis fünfzehnjährigen Parisiennes zu werfen.”) Aber es gelingt ihm, eine Welt zu entwerfen, die niemals konstruiert oder bloß erdacht wirkt, eine tiefe, dichte Welt, in die man sich als Leser am Liebsten hinein kopieren würde.
Die Tochter will ein Schuljahr in Paris verbringen, und natürlich gestaltet sich die Wiederannäherung von Vater und Tochter kompliziert, und außerdem hat sich Samuel Leiser ernstlich in seine Spanischlehrerin verliebt. Turbulenzen allenthalben, und dies auf der (Nicht-)Grundlage einer „bodenlosen” Existenz, die ohnehin „auf Vaters Lügenarche” schwankt. Draußen, wir schreiben 1972, geht die Geschichte weiter: „In Montevideo hatten sie Raúl Sendic verhaftet, in München israelische Ringer ermordet. (. . . ) Man verlor die Lust an Horror und Terror, wenn man liebte.” Aber schon wird das Liebesglück getrübt durch die Ankunft von Jonathan Still persönlich – wie stets in Begleitung von „Onkel Meyer”, dem Mann, der ihn aus einem deutschen Städtchen namens Hargensee in die Neue Welt lotste und fortan sein Wächter blieb. Ein neues Buch, Presse-Interviews in Paris, und der Sohn lauert auf eine geheime Nachricht, die für ihn und nur für ihn bestimmt sein könnte.
Man ahnt, Schlimmes muss vorgefallen sein in früheren Zeiten, das die Verständigung bis heute erschwert. „Wie seinen Lesern, seinen Nutten, dem Milchmann und seinen neunundzwanzig anderen Übersetzern”, so der Sohn, „gab er mir gerne Rätsel dieser Art auf, kleine Sprachspiele, Zitate, durch die Blume Gesagtes.” Dann taucht auch noch die Ex-Frau Letitia in Paris auf (sie dreht dort einen Film mit ihrem neuen Ehemann). Erinnerungen werden wach und wollen erzählt werden, und begierig folgt man der Erzählung in jede weitere Abschweifung hinein, als ginge es hier um unsere eigene mischpoke oder um alle mischpoken dieser Welt. Zum Ende hin wird es dann dramatisch, auch wenn bis zuletzt der Überschwang obsiegt, der auch die hässlicheren Vorkommnisse erotisch versöhnt.
Die Puppe auf der Ottomane
Es kommt zu einem kathartischen Showdown, sogar zu einer „Familienaufstellung” (damals sicher noch etwas ganz Neues) und einer fast schon rituellen Waschung auch noch der schmutzigsten Wäsche aus familiärer Vorzeit, Morde und Totschläge eingerechnet. Und „ich”, das ist Samuel Leiser, der offenkundig die Dienste einer Klinik in Anspruch nimmt, „sank auf die Ottomane zurück und betrachtete meine Lieben. Man hatte sich in Grüppchen niedergelassen und ging friedvollen Tätigkeiten nach, es wirkte fast wie eine barocke Schäferpuppe.”
Ashley, die zeitweilig verschollen war, ist nach Hause zurückgekehrt, dann nach Israel übersiedelt und betreibt mit ihrem Mann die einzige Esel-Klinik dieser Welt. Das also – wir sind erleichtert – ist die Klinik, aus der Samuel Leiser seine Erinnerungen diktiert hat. Alles wird gut, ohne dass es je gut wäre. Das Leben kann, wenn man es nicht überdosiert, schön sein. CHRISTOPH BARTMANN
MARTIN KLUGER: Der Vogel, der spazieren ging. Roman. DuMont Buchverlag, Köln 2008. 318 S., 19, 90 Euro.
Gegen eine Lidhebeschwäche hilft der Blick nach oben: In Martin Klugers Roman fängt der Held die schönsten Wolkenbilder ein. Foto: Corbis
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2008

Auch schräge Vögel haben Flugangst

Wie entbrimborisiert man eine Familie? In Martin Klugers neuem Roman "Der Vogel, der spazieren ging" entwickelt ein jüdisches Küken großen Appetit auf die dunklen Seiten ihrer Ahnengeschichte.

Von Wolfgang Schneider

Das jüdische Leben mit seinen osteuropäischen Wurzeln hat es Martin Kluger angetan. In "Der Koch, der nicht ganz richtig war" spannte der 1948 geborene Autor zuletzt ein eigenwilliges Universum der Emigration auf und erzählte von Menschen, die zu Umhergetriebenen und großen "Länderverlassern" wurden. Den Geschichten der Verfolgungen mischte er eine gute Prise Märchenaroma bei; das Ergebnis erinnerte - bei aller Eigenständigkeit - teils an die "Zimtläden" des Bruno Schulz, teils an die feine Kunstgewerblichkeit eines Chagall.

"Der Vogel, der spazieren ging" nimmt jetzt nicht nur den Rhythmus des früheren Titels, sondern auch den Faden des Geschehens auf und lässt einige Figuren wiederkehren, ohne dass die Kenntnis der früheren Erzählungen zum Verständnis nötig wäre. Der Märchenton wird zurückgenommen und stattdessen eine Tragikomödie angerichtet. Im Mittelpunkt steht eine übermächtige Vaterfigur, die es sich leisten kann, erst im letzten Viertel des Romans persönlich aufzutreten: Yehuda Leiser, der Sonnengott einer über die Welt verstreuten Familie. Vor den Nazis konnte er sich hinüber in die Staaten retten, wo er die Vergangenheit abschüttelte und sich Jonathan Still nannte. Ein Name, der bald für kriminalistische Qualitätsprodukte stand - Still erschrieb sich ein Vermögen mit den Romanen um den Detektiv Paul Perrone, eine schlagkräftige Symbolfigur, die antritt, eine Welt, in der sich "friedliche Nachbarn" in "bösartige Oger" verwandeln, immer wieder einzurenken.

Sohn Samuel Leiser, der Ich-Erzähler des Romans, laboriert am Berühmter-Vater-Komplex. Er flieht vor dem breiten Schatten des Erzeugers nach Paris und schlägt sich dort durch - als einer von neunundzwanzig Perrone-Übersetzern. Seine Beziehung mit der uruguayischstämmigen Regisseurin Letitia Weintraub, die ebenfalls einer jüdischen Familie enstammt und den Lebenskünstler Ludovico Weintraub (noch in amüsanter Erinnerung aus dem Erzählband) zum Vater hat, ist in die Brüche gegangen, die gemeinsame Tochter Ashley lebt bei der Mutter in England. Dennoch gibt sich Sam als Erzähler durchaus nicht kleinlaut, sondern pflegt einen aufgekratzten, elaborierten Tonfall. Soll heißen: Er könnte der eigentliche Schriftsteller der Familie sein, wenn er nicht ein Vogel wäre, der spazieren geht - weil er unter Flugangst leidet.

Die Handlung kommt in Gang, als sich eines schönen Sommers in den frühen siebziger Jahren Ashley beim Vater in Paris einquartiert. Ein Pubertätskrach mit der Mutter und ihrem neuen Lebensgefährten, dem eitlen Star-Schauspieler Ringold Schneider, scheint der zureichende Anlass. Aber bald spürt man: Da ist ein Projekt in Gang. Ashley ist versessen auf alles Jüdische, kocht "Tzimmes und Kugels", und vor allem hat sie den großen Hunger auf Familiengeschichte. Eine Geschichte ist das, dunkel grundiert von den Lagern und der Auslöschung. Dunkel auch deshalb, weil aufgrund der biographischen Schnitte der dreißiger Jahre das Vorleben entrückt ist - eine mythische Vorzeit, die schon eine reiche Mitgift an Kränkungen und "Kuddelmuddel" im Gepäck hatte, kaum greifbar für die Nachgeborenen. Aber Ashley will endlich wissen, was gespielt wird und die jüdischen Fundamente des schiefen Familienbaus freilegen.

Im Folgenden werden verschlossene Tagebücher aufgebrochen und ein Attentat auf ein wertvolles Cello verübt. Eine "liebestolle Germanin" namens Hildegard stellt dem Ich-Erzähler nach, der am Ende beinahe noch durch einen heimtückischen Stoß in die Baugrube von Les Halles ermordet wird. Das Töchterchen verschwindet, dafür taucht Ringold Schneider, der "Herr der Tränendrüsen", in Paris auf, und bald stellt sich die gesamte "Mishpoche" aus allen Enden der Welt ein. Schließlich fährt Jonathan Still höchstselbst vor, mitsamt seiner neuen Lebensgefährtin Rahel, einer Bestsellerautorin. Sams Wohnung wird zur Komödien-Karawanserei, zur Station für "durchreisende Gespenster". Gelegentlich schaut auch der Tod fürsorglich um die Ecke und versichert auf seine unnachahmlich belebende Weise: "Falls ihr mich vergessen haben solltet, ich bin immer für euch da."

"Beschreibung ist Sehnsucht", heißt es an einer Stelle. Und: "Küchen sind Backstuben der Erinnerung." So wird in diesem Roman gekonnt beschrieben und zünftig gebacken - nur geht der Erinnerungskuchen irgendwie nicht richtig auf. Kein Zweifel, ein Roman, der sich mit lange nachwirkenden Familientraumata beschäftigt, der die Wiederkehr des Verdrängten, wie stockend auch immer, in Gang setzt und von der Suche nach Vätern erzählt, die lieber nicht gefunden sein wollen - ein solcher Roman hat die Psychologie zur Mutter. Zugleich aber pflegt Kluger ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber allem literarischen Psychologisieren. Die gebahnten Wege des Verständnisses will er seine Figuren nicht gehen lassen und lässt vieles lieber im Unausgesprochenen, ganz wie Jonathan Still, der auf die familiäre Neigung zu Albträumen mit dem beschwichtigenden antifreudianischen Bonmot reagiert, Träume seien nichts als "Müllhalden um Mitternacht".

So mehren sich die Zeichen, aber wofür stehen sie? So wächst der Müllberg, aber wer holt ihn ab? Bei aller Turbulenz des Geschehens fährt die Familientragikomödie gleichsam mit angezogener Handbremse. Auch wenn am Ende tatsächlich noch Psychodrama und "Familienaufstellung" gespielt und alte Tränen dabei hochgepumpt werden - es bleibt eine halbherzige Rückkehr in die Vergangenheit, bei der die Reiseapotheke freilich gut gefüllt ist: Marihuana, Valium und viel Alkohol.

Bevor er sich mit den Romanen "Abwesende Tiere" und "Die Gehilfin" als markante Stimme der deutschen Gegenwartsliteratur etablierte, hat Kluger Drehbücher geschrieben. Das routinierte Gespür für den Aufbau von Szenen und Dialogen ist auch seinem Roman anzumerken, dessen Plot an die Tradition der Screwball-Komödie à la Lubitsch erinnert. Hinzu kommen eminente Prosa-Qualitäten: eine Sprache, die an den extravaganten Stil Nabokovs erinnert, von dessen "walking birds" aus dem Roman "Sieh doch die Harlekine" der Titel inspiriert ist. Englische, französische, spanische oder jiddische Zungenschläge tragen zur Sprachmusik des Romans ebenso bei wie ein außerordentliches Rhythmusgefühl im Satzbau. Bisweilen stört man sich allerdings an gewollter Originalität, an Worten wie "entbrimborisiert" oder "Plapperistencafé".

Alle glücklichen Familien seien einander ähnlich, jede unglückliche aber auf ihre ganz eigene Art unglücklich, befand Tolstoi. In Klugers Roman geht die Eigenwilligkeit im Unglücklichsein allerdings so weit, dass man sich bisweilen fragt, warum man sich für die Querelen all dieser "phantastischen Leute" interessieren soll. Verfolgt Kluger nicht, mit viel erzählerischem Aufwand, eine Privatmythologie? Man muss sich vom Erzähler Samuel Leiser gewissermaßen adoptieren lassen für die Lektüre. Mit dem solcherart begründeten Verwandtschaftsgefühl wird man Anteil nehmen an Klugers sorgsam gehegten Schicksalsgestalten.

- Martin Kluger: "Der Vogel, der spazieren ging". Roman. Dumont Verlag, Köln 2008. 318 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Die herzzerreißende Komik dieses Totentanzes schöpft Martin Kluger aus dem Stoff der Träume: Kinostoff, zusammengesetzt aus leuchtenden Einfällen, Sentenzen und Verweisen von Danny Kaye bis William Shakespeare und souverän kombiniert mit den Mitteln des klassischen Entertainment."
NZZ

"So beschwingt erzählen nur wenige vom Schweren und Unberechenbaren: 'Der Vogel, der spazieren ging' hebt tatsächlich ab, wenn er seine Hauptfigur mit gestutztem Gefieder durch die große Stadt Paris und seinen Vater-Sohn-Konflik torkeln lässt. [...] Wie schwer ist es, eine Identität wieder aufzubauen, wenn sie einem erstmals genommen wurde, auch davon spricht dieser Roman dieses wunderbar sprachstilistischen, fantasiebegabten Erzählers."
DER TAGESSPIEGEL

"Martin Kluger erzählt eine 'verfremdete Familiengeschichte' - temporeich und mit viel Witz. [...] Ein Soufflé sei sein neuer Roman, 'ein Soufflé, in dem ein paar Giftpfeile stecken': leicht, luftig und gehaltvoll. [...] Martin Klugers neuer Roman, ist zweifelsohne sein bislang amüsantester - allen 'Giftpfeilen' zum Trotz."
KÖLNER STADT-ANZEIGER

"Ein Buch voller Heiterkeit und Lebenswitz [...] Die Schönheit dieses Romans resultiert geradewegs aus eine Überdosis - von Witz, Heiterkeit, Imagination und anderen Zutaten. [...] Aber es gelingt ihm, eine Welt zu entwerfen, die niemals konstruiert oder bloß erdacht wirkt, eine tiefe, dichte Welt, in die man sich als Leser am Liebsten hinein kopieren würde."
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Viel Sympathie, auch Bewunderung für das Talent Martin Klugers legt der Rezensent Wolfgang Schneider an den Tag. So richtig glücklich geworden ist er mit dem Roman aber trotz eigentlich stimmiger Ingredienzien nicht. Entfaltet wird, teils anschließend an den Erzählband "Der Koch, der nicht ganz richtig war", die Geschichte eines übermächtigen Vaters, unter dessen Ruhm als Krimiautor der ich-erzählende Sohn Samuel Leiser zu leiden hat. Dessen Tochter wiederum entwickelt einen Enthusiasmus für alles, was jüdisch ist - und damit auch für die Geschichte ihrer Familie. Verdrängtes tritt zutage, mal komödiantisch, mal eher tragisch. Zugleich misstraut, so Schneider, der Autor der Psychologie, weshalb vieles bedeutungsvoll scheint, ohne dass die Bedeutung ganz klar wird. Bei allem Geschick des ehemaligen Drehbuchautors für den Konfliktaufbau und den "eminenten Prosa-Qualitäten" a la Nabokov zum Trotz: Irgendwie fehlt dem Rezensenten etwas, irgendwie scheint ihm das ganze ein wenig zu sehr konzentriert auf eine "Privatmythologie".

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