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Anlässlich des 80. Geburtstags des Autors: Eine Sammlung seiner bisher bei Libelle erschienenen Erinnerungstexte: Wohl denen die gelebt. Erinnerung an Marie Luise Kaschnitz, Hier wird Gold gewaschen. Erinnerung an Peter Huchel, Russische Zeit. Erinnerung an den Nachkrieg, Dunkler Weltteil. Erinnerung an afrikanische Zeit.Christoph Meckels Texte halten viele, Lektüren aus. Er erinnert sich in einer Sprache, die, entschlackt, geklärt und gehärtet, Vergangenem nachgeht, wo es virulent, geblieben ist: Erinnerung an lebensentscheidende, Begegnungen, ausgehaltene Verstörung, und Widersprüche in…mehr

Produktbeschreibung
Anlässlich des 80. Geburtstags des Autors: Eine Sammlung seiner bisher bei Libelle erschienenen Erinnerungstexte: Wohl denen die gelebt. Erinnerung an Marie Luise Kaschnitz, Hier wird Gold gewaschen. Erinnerung an Peter Huchel, Russische Zeit. Erinnerung an den Nachkrieg, Dunkler Weltteil. Erinnerung an afrikanische Zeit.Christoph Meckels Texte halten viele, Lektüren aus. Er erinnert sich in einer Sprache, die, entschlackt, geklärt und gehärtet, Vergangenem nachgeht, wo es virulent, geblieben ist: Erinnerung an lebensentscheidende, Begegnungen, ausgehaltene Verstörung, und Widersprüche in einer entschiedenen, Offenheit, die sich dem Unvertrauten, überlässt.
Autorenporträt
Christoph Meckel wurde 1935 in Berlin geboren. Nach zahlreichen Reisen durch Deutschland, Europa, Afrika und Amerika studierte er Grafik an der Kunstakademie in Freiburg und München. Er veröffentlichte verschiedene Radierzyklen sowie zahlreiche Prosa- und Gedichtbücher. Heute ist er Mitglied des PEN Zentrums in Deutschland und der Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Sein Werk wurde unter anderem mit dem Rainer-Maria-Rilke-Preis für Lyrik und dem Georg-Trakl-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.11.2015

Der Traumwandler
Von Freiburg über Thüringen nach Afrika: Der Schriftsteller Christoph Meckel gibt
in seinen fragmentarischen „Erinnerungen an Lebzeiten“ Proben seiner großen Prosa-Kunst
VON HELMUT BÖTTIGER
Im überbordenden und unüberschaubaren Gesamtwerk Christoph Meckels, der in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden ist, nehmen die poetischen Erinnerungstexte einen besonderen Platz ein. Sie unterscheiden sich von den hoch- und wegfliegenden, vagabundierenden Gedichtzeilen genauso wie von der immer härter und gläsern werdenden Prosa; sie sind losgelöst vom fiktionalen Terrain und beobachten genau, nehmen Geschehnisse und Einzelheiten wahr, verdichten Fakten und Realität. Dennoch haben sie mit Reportagen oder journalistischen Porträts nichts zu tun. Was diesen Unterschied ausmacht, ist eine spannende ästhetische Frage.
  Der kleine Schweizer Libelle-Verlag hat jetzt vier Texte, die Meckel in den vergangenen Jahren geschrieben hat, in einem Band zusammengefasst. Zwei längere autobiografische Reflexionen über das Kriegsende sowie über Afrika-Erfahrungen in den Sechzigerjahren stehen neben prägnanten Skizzen zu Peter Huchel und Marie-Luise Kaschnitz, zwei Schriftsteller, denen Meckel in seinem angestammten südbadischen Raum öfter begegnete.
  Es sind sehr unterschiedliche und zeitlich weit auseinanderliegende Bruchstücke biografischer Erfahrungen, und doch gibt es ein- und denselben Spannungsbogen – durch die charakteristische Art der sprachlichen Anverwandlung, durch den Bau der Sätze und die daraus entstehenden Schwingungen. Und das nimmt etwas auf, was in Meckels viel diskutiertem Vater-Buch (1980) und dem schwierigen Mutter-Buch (2002) bereits zu spüren war, vor allem auch in der „Erinnerung an Johannes Bobrowski“ (1978), die dieses spezielle Meckelsche Genre schon früh auf dem Höhepunkt seiner Möglichkeiten zeigte.
  „Russische Zone“ gibt einen unmittelbaren Einblick in die Erfahrungswelt des 9- bis 12-Jährigen. Im Dezember 1944 verließ Meckels Mutter mit ihren drei Kindern und dem Dienstmädchen Lucie das zerbombte Freiburg und schlug sich nach Erfurt durch, wo ihre Eltern lebten. Die Hoffnung, dort eher in Sicherheit zu sein erwies sich als Illusion. Nicht nur, dass die Bomben dann auch nach Erfurt kamen – die Familie erlebte das Chaos, die Brutalität und die Auflösungen des Kriegsendes besonders intensiv, mit der kurzen amerikanische Besatzung und danach der sowjetischen Machtübernahme.
  Die Flucht zurück nach Freiburg 1947, über undurchschaubare Grenzposten und unwegsames Gelände, bildet den abenteuerlichen Schlusspunkt. Das Abenteuer steht in Meckels Darstellung aber keineswegs im Zentrum. Es ist der unbestechliche Blick des Kindes, den der Erwachsene arrangiert und nachstellt; es geht um präzise kleine Momentaufnahmen, die das große Geschehen ausdrücken, ohne lange Erklärungen und Wortaufwand nötig zu haben. Vieles wird weggelassen, Zusammenhänge sind oft ausgeblendet, und in einzelnen Situationen fehlen meist das Vorher, das Nachher, die Gründe und die Motive – dadurch entsteht aber ein poetisches Flirren, eine Durchdringung, die mit den Mitteln des Reporters nicht erreicht werden kann. Meckels Text steht weit über allen aktuellen modischen Aneignungen des Zweiten Weltkriegs und seines Endes.
  „Dunkler Weltteil. Erinnerung an afrikanische Zeit“ führt in die Sechzigerjahre, als der junge Poet und Reisende Meckel seine Erkundungsfahrten bis nach Afrika ausdehnte, unverwüstlich, und vor allem literarische Erfahrungen sammelte: im Mittelpunkt stehen Begegnungen mit Schriftstellern, die von Gemeinsamkeiten sprechen und ein Licht zurück auf den hier Schreibenden werfen. Es gibt ein Einverständnis unter Dichtern, das immer wieder neu beschworen wird, und dass der Autor seine poetische Weltsicht ganz selbstverständlich voraussetzen kann, fällt auf.
  Dazwischen steht eine wunderbare Huldigung an den Freund, Weltreisenden und Afrikakenner Ulli Beier, der 2011 im Alter von 89 Jahren in Australien starb und von dessen Lebensklugheit, ästhetischen Entdeckungen und Neugierde Meckel offenkundig viel gelernt hat. Spuren der Nigeria-Erfahrung und der Wahrnehmung eines Städte-Molochs wie Lagos finden sich bis in seine dichte späte Prosa.
  Gerade die Afrika-Szenen aus den Sechzigerjahren wirken heute schmerzhaft entrückt. Vielleicht liegt es daran, dass Meckel einer privilegierten Generation angehört, wie es sie in Deutschland nie gab und nachher auch nicht mehr geben konnte: Die Möglichkeit, ein unbekanntes Terrain zu besetzen, Erfahrungen zu machen, von denen man vorher noch nichts wissen oder ahnen konnte, von einer Aufbruchstimmung zu profitieren und sich seiner literarischen Identität vollkommen sicher zu sein. Solch ein naturwüchsiges, poetisches Gefühl ist längst abhanden gekommen.
  Und es durchweht auch die beiden Texte über ältere Schriftstellerkollegen. Wenige Sätze genügen, und man hat ein genaues Bild von Peter Huchel und Marie Luise Kaschnitz vor Augen, man sieht sie plastisch vor sich, wie sie sprechen, sich bewegen. Diese Porträts haben auch grafische Qualitäten. Und dadurch, dass Meckel insgeheim von gleich zu gleich spricht, fehlen ihnen auch Elemente von distanzloser Verehrung und sentimentaler Überhöhung. Meckel sieht die beiden großen Kollegen als Menschen mit ihren Schwierigkeiten und Schwächen, die Einsamkeit des brandenburgischen Dichters, den es in die allzu schöne ferne Schwarzwaldlandschaft verschlagen hat genauso wie die Dame, die bei aller Zugewandtheit immer die Dame bleibt. Und plötzlich erscheint die zeitliche Entfernung vollkommen aufgehoben.
  Meckel ist alles Akademische, alles Theoretisierende fremd. Aber seine Bilder und Szenen sind hochdifferenziert. Und weil er nicht gefühlig wird, weil er als hochbewusster Traumwandler eine ästhetische Distanz zu dem schafft, was er gerade beschreibt, werden Sehnsüchte geweckt. Peter Huchel, so erzählt es Meckel, habe über einen jungen DDR-Dichter, den die bundesdeutschen Zeitungen sehr hochhielten, gesagt: er trage „einen amerikanischen Mantel“. Stark gepolstert also und imposant. Meckel führt hier dagegen einen leichten Staubmantel vor, einen Übergangsmantel, der sommerlich wirkt und Wärme abgibt.
Christoph Meckel: Erinnerungen an Lebzeiten. Mit Graphiken des Autors. Libelle Verlag, Lengwil 2015. 316 Seiten, 22,90 Euro.
Skizzen zu Peter Huchel und
Marie-Luise Kaschnitz hat Meckel
in seine Erinnerungen eingefügt
Als junger Mann reiste Meckel
nach Afrika – dieser Aufbruch
ist ein Höhepunkt des Buches
Nachbild einer Reise nach Afrika: Christoph Meckels Radierung aus „Tänze I-X“ (1966).
Foto: Libelle Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wärme empfindet Helmut Böttiger beim Lesen von Christoph Meckels poetischen Erinnerungstexten. Was die hier versammelten vier Texte von der Lyrik und der Prosa des Autors unterscheidet, erscheint ihm als spannende ästhetische Frage, die er an dieser Stelle allerdings nicht beantwortet. Vor allem sprachlich, syntaktisch findet er die autobiografischen Erinnerungen über das Kriegsende und Meckels Zeit in Afrika sowie die beiden Stücke über Peter Huchel und Marie-Luise Kaschnitz originell, weil der Satzbau einen Spannungsbogen bedingt, ein poetisches Flirren hervorruft, wie Böttiger schreibt. Dass Meckel in den Porträts unheimlich präzise ist, ohne distanzlos zu sein, ist für den Rezensenten ein weiterer Beleg für die Meisterschaft dieses Autors.

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