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Die erste Globalisierung vor 1914: Cornelius Torp zeigt, wie die deutsche Politik immer mehr in den Sog zunehmender wirtschaftlicher Verflechtung geriet.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts setzte ein, was aus heutiger Sicht als erste Welle der ökonomischen Globalisierung erscheint. Die weltwirtschaftliche Integration erreichte innerhalb nur weniger Jahrzehnte ein Ausmaß, das durchaus an das gegenwärtige Niveau heranreicht und es zum Teil noch immer übertrifft. Cornelius Torp zeigt, wie groß die Herausforderung war, die die Globalisierung für die Gesellschaft und die Politik des Deutschen…mehr

Produktbeschreibung
Die erste Globalisierung vor 1914: Cornelius Torp zeigt, wie die deutsche Politik immer mehr in den Sog zunehmender wirtschaftlicher Verflechtung geriet.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts setzte ein, was aus heutiger Sicht als erste Welle der ökonomischen Globalisierung erscheint. Die weltwirtschaftliche Integration erreichte innerhalb nur weniger Jahrzehnte ein Ausmaß, das durchaus an das gegenwärtige Niveau heranreicht und es zum Teil noch immer übertrifft. Cornelius Torp zeigt, wie groß die Herausforderung war, die die Globalisierung für die Gesellschaft und die Politik des Deutschen Kaiserreichs darstellte, als die Außenhandelspolitik in das Zentrum der politischen Auseinandersetzungen rückte und den Handlungsspielraum der Regierung beschränkte. Die Studie verbindet in vorbildlicher Weise ökonomische und historische Analyse, die in ihren Ergebnissen einen neuen, ertragreichen Zugriff auf die Geschichte des deutschen Kaiserreichs bietet.
Autorenporträt
PD Dr. Cornelius Torp ist Hannah-Arendt-Gastprofessor an der University of Toronto.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2005

Geblendete Geschichtswissenschaft
Das Verhältnis von Politik, Wirtschaft und Außenhandel im kaiserlichen Deutschland / Von Klaus Hildebrand

Das Phänomen der Globalisierung wirft die Frage nach der Zukunft des klassischen Nationalstaates auf. Den historischen Ursprüngen dieses Problems geht Cornelius Torp in einer außerordentlich anregenden Monographie nach, die das Verhältnis von Wirtschaft und Politik in Deutschland zwischen 1860 und 1914 untersucht. Im Zentrum steht die Geschichte der deutschen Außenhandelspolitik. Ihre Entwicklung wird im Banne jener "ersten Globalisierungswelle" verfolgt, deren Entstehung nicht zuletzt mit einer "Revolution" des Transportwesens im 19. Jahrhundert eng zusammenhing: Diese hat nach zeitgenössischem Empfinden, das im Deutschen Reichstag am 3. Dezember 1901 seinen Ausdruck fand, den "Erdball zusammengepreßt wie einen Gummiball". Gleichwohl unterscheidet der Autor die damals aufkommende Globalisierung, die in die Belle Époque der Weltwirtschaft zwischen 1890 und 1914 einmündete, von jener zweiten Globalisierungswelle, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einsetzte und nicht zuletzt durch die Existenz multinationaler Unternehmen neue Qualität gewann.

Vor diesem Hintergrund will der Verfasser die Frage klären, "inwieweit die ökonomische Globalisierung die Grundbedingungen nationalstaatlicher Politik beeinflußt". Ob und wie die voranschreitende weltwirtschaftliche Integration "die Rahmenbedingungen und Handlungsmöglichkeiten der deutschen Politik vor dem Ersten Weltkrieg veränderte", wird im Anschluß an die vergleichsweise kurze Phase des Freihandels im Hinblick auf den "Umbruch zum Protektionismus" während der Ära Bismarck, die Caprivischen Handelsverträge, den "Streit um den Bülow-Tarif" und die deutsche Handelspolitik gegenüber Rußland sowie den Vereinigten Staaten von Amerika im einzelnen abgehandelt.

Zu politischen Zwecken bediente sich Otto von Bismarck der geschichtsmächtigen Tendenzen zum Protektionismus, wurde ihr "Architekt" und instrumentalisierte sie im Kampf gegen die ihm nicht genehmen, auf Parlamentarisierung drängenden Kräfte aus dem Lager der Nationalliberalen. Mit voranschreitender Zeit warf der ökonomische Fortschritt zunehmend schärfer die Frage nach dessen zukünftiger Verfaßtheit und Orientierung auf: Agrarstaat oder Industriestaat, lautete im Grundsatz die Alternative, welche die allgemeinen Zeitumstände gleichsam bis zum Zerreißen strapazierte. Um ebendieses Grundproblem zukünftiger Existenz ging es bei allen einschlägigen Auseinandersetzungen während der Kanzlerschaften Georg Leo Graf von Caprivis und Bernhard von Bülows. Der "Konflikt zwischen agrarprotektionistischen und weltmarktorientierten Interessen", zwischen "grundsätzlich verschiedenen Gesellschaftsmodellen", zwischen wissenschaftlichen Repräsentanten wie Lujo Brentano, Max Weber und Heinrich Dietzel, die eine industriestaatliche Entwicklung favorisierten, und ihren Kontrahenten wie Adolph Wagner, Karl Oldenberg und Max Sering, die am agrarstaatlichen Ideal festhielten, zwischen den Exponenten aus "Handel, Exportindustrie und den linksliberalen Parteien" und ihren Kritikern aus den Reihen der Landwirtschaft, einer "protektionistisch orientierten Reichstagsmehrheit und teilweise auch der Interessenverbände" reichte bis in die maßgeblichen Ränge der Ministerialbürokratie hinein, welche die jeweils fälligen Entscheidungen der Politik vorzubereiten und zu vollziehen hatte.

Daß sich angesichts eines rapiden Gestaltwandels der herkömmlichen Bedingungen Interessenverbände ganz unterschiedcher Provenienz ausbildeten, spielte in dieser Perspektive eine auch zuvor bereits untersuchte Rolle. Mehr als aufschlußreich stellt Cornelius Torp jedoch darüber hinaus fest, wie rasch und intensiv parlamentarische Institutionen, weil sie "dem Druck der auf handelsbeschränkende Maßnahmen abzielenden Interessenverbände weit unmittelbarer und existentieller ausgesetzt sind als die Exekutive", protektionistischen Neigungen nachzugeben bereit sind. Die betörend attraktive Formel vom angeblichen Gleichklang zwischen Freihandel und Demokratie, Humanität und Frieden kommt einem zunehmend fragwürdig vor, je weiter man sich auf die gedankenreichen Betrachtungen des Autors einläßt: Angesichts der Tatsache, daß der Prozeß der Globalisierung während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein um das andere Mal durch mächtige Blockaden und historische Gegentendenzen aufgehalten wurde, erscheint die Frage tatsächlich mehr als offen, ob am Ende die nationalstaatliche oder die weltwirtschaftliche Tendenz der Entwicklung obsiegen wird.

Um so mehr gilt diese Feststellung, wenn der Blick auf die deutsche Außenhandelspolitik gegenüber Rußland und den Vereinigten Staaten von Amerika gerichtet wird. Daß sich das Zarenreich unter dem verheerenden Eindruck schwerer Niederlagen im Krieg gegen Japan 1904/05 beim Abschluß des Handelsvertrages mit dem Deutschen Reich im Sommer 1904 den Interessen des westlichen Nachbarn beugen mußte, verweist, zumindest was diesen Fall angeht, auf die maßgebliche Beeinflussung eines ökonomischen Vorgangs durch die große Politik. Daß sich die außenwirtschaftlichen Beziehungen des wilhelminischen Kaiserreichs gegenüber den Vereinigten Staaten dagegen ganz anders ausnahmen, hat bevorzugt damit zu tun, daß sich Amerika als "Mutterland des modernen Protektionismus" beinahe jeder Intervention von seiten der Deutschen zu entziehen vermochte. Die Amerikaner standen in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht autonom da, waren kaum angreifbar und jedwedem Druck gegenüber unempfindlich, im Gegenteil: Im Streit um die anstehenden Zollprobleme während der Ära Bülow hielt der Staatssekretär des Inneren, Arthur Graf Posadowsky, dem Preußischen Staatsministerium eindringlich vor Augen, die deutsche Ausfuhr "nach den Vereinigten Staaten besteht zum überwiegenden Teil aus Industrieerzeugnissen, die die Vereinigten Staaten vielfach aus anderen Ländern beziehen könnten". Und sei das nicht der Fall, so fuhr er fort, liege immer noch "die Gefahr vor, daß die deutschen Fabrikanten sich genötigt sähen, Filialfabriken in den Vereinigten Staaten zu gründen, die auch nach der Beendigung des Zollkrieges bestehen bleiben und unserer heimischen Industrie Konkurrenz machen würden". Die amerikanische Union habe einfach "in diesem Spiel alle Figuren in der Hand, die schlügen", und daher müsse "ein Weg gesucht werden, der geeignet ist, einen Konflikt mit den Vereinigten Staaten unter allen Umständen zu vermeiden". Daß diese Tatsache weit über das Wirtschaftliche hinaus auch für die politischen und militärischen Auseinandersetzungen ihre zwingende Gültigkeit hatte, mußten die Deutschen in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts bitter erfahren.

Torps Darstellung gibt - was jedenfalls die Starken der Weltgeschichte angeht - die politische Multivalenz ökonomischer Sachverhalte zu erkennen, also die Vereinbarkeit von wirtschaftlicher Globalisierung mit freihändlerischer oder protektionistischer Außen(wirtschafts)politik. Mehr noch: Die allen historischen Großtheorien gegenüber kritische Untersuchung macht deutlich, daß eine vom Primat der Innenpolitik geblendete Geschichtswissenschaft über Jahrzehnte hinweg einem Dogma gehuldigt hat, das mit der Geschichte, so wie sie eigentlich gewesen ist, viel weniger zu tun hat, als behauptet wurde, daß also das, "was bislang vor allem als das Ergebnis endogener Triebkräfte gedeutet wurde, lediglich Teil einer allgemeinen transnationalen Reaktion war, deren länderspezifische Ausformung mindestens ebensosehr von der Weltmarktposition einer Volkswirtschaft und internationalen Interaktionszusammenhängen wie von nationalgeschichtlich abzuleitenden Faktoren abhing".

Cornelius Torp: Die Herausforderung der Globalisierung. Wirtschaft und Politik in Deutschland 1860-1914. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005. 430 S., 48,90 [Euro]

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Aus Cornelius Torps "außerordentlich anregender" Geschichte der deutschen Außenhandelspolitik zwischen 1860 und 1914 hat Klaus Hildebrand eine ganze Reihe an Erkenntnissen gezogen. Der Autor komme in dieser allen "historischen Großtheorien" entsagenden Untersuchung zu dem Schluss, dass die Geschichtswissenschaft bisher vom vorherrschenden Dogma des "Primats der Innenpolitik" daran gehindert wurde, die eigentlich entscheidenden internationalen Zusammenhänge in den Blick zu nehmen. Dem kann unser Rezensent nur zustimmen. Und auch die Einzelbetrachtungen findet Hildebrand oft "mehr als aufschlussreich". So belege Torp, wie anfällig gerade parlamentarische Institutionen gegenüber den protektionistischen Lobbygruppen der Industrie sind oder wie politische Umstände die Wirtschaft beeinflussen können, so beim deutsch-russischen Handelsvertrag 1904. Und auch für das mögliche Nebeneinander von Globalisierung und Protektionismus habe es anscheinend schon vor 1914 genügend Beispiele gegeben.

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