aber sie sind so jäh vorüber, wie sie ausbrachen. Geprägt wird der mehr als zweistündige Film nicht von Action-Mustern, sondern von einer geradezu kontemplativen Gelassenheit. Der Zuschauer darf sich auf sie einlassen, ohne Gefahr zu laufen, auch nur einen Moment gelangweilt zu werden. Dies konnte man bisher von nur wenigen Filmen beim Berliner Festival sagen.
Gestützt auf eine größere Erzählung Stephen Kings, die ausnahmsweise keine Horrorphantasien einkreist, erzählt der amerikanische Regisseur Darabont, der jüngst noch bei Kenneth Branaghs Frankenstein-Film Koautor war, von einem unschuldigen Bürger, der in mehr als zwanzig Jahren Haft nicht nur das Überleben und die Selbsterhaltung lernen muß, sondern auch systematisch zum Betrüger abgerichtet wird. Angeklagt des Doppelmords an seiner Ehefrau und deren Liebhaber und trotz seiner Unschuldsbeteuerungen 1947 auf Gerichtsbeschluß ins Staatsgefängnis von Maine in New England verfrachtet, kann sich der einstige Bankmanager (Tim Robbins) mit dem Anschein stoischen Gleichmuts gegen die Hoffnungslosigkeit wappnen, zu der man ihn zweimal lebenslänglich verurteilte. Dabei helfen ihm die kinoträchtige Männerfreundschaft mit einem anderen Lebenslänglichen (Morgan Freeman) und seine Kenntnisse finanzieller Winkelzüge, mit denen er sich beim Wachpersonal und beim Gefängnisdirektor unentbehrlich macht und insgeheim eine Flucht vorbereitet, wie sie raffinierter kaum sein könnte.
Darabonts Film handelt vom Gleichmaß der Zeit, von Geduld und einem so altmodischen Wert wie Loyalität, die sich natürlich am Ende im wahrsten Sinn des Wortes auszahlen muß. Auch Robert Bentons amerikanischer Wettbewerbsbeitrag "Nobody's Fool" hat einen Verlierer zum Helden, der im Sinn einer höheren Wahrheit nur als Sieger von der Walstatt gehen kann. Als Vater ein Versager, kann sich der Sechzigjährige (Paul Newman in einer fabelhaften Rolle) zum wunderbaren Großvater mausern. Als Arbeiter mit seinem kaputten Knie ein halber Krüppel, bietet er genug Mutterwitz auf, sich gegen seine Widersacher, ja selbst gegen die Obrigkeit zu behaupten. Als Verehrer einer schönen, scheinbar unerreichbaren Frau (Melanie Griffith) bleibt er genügend realistisch, sich nicht zu überschätzen, sobald diese ihm eine Chance gibt. Noch ein Film über altmodische Werte, Freundschaft, Treue, Altruismus, der die gehörige Portion Sentiment, die so etwas im Kino braucht, selbstironisch auffängt.
"Nobody's Fool" liegt ein Roman von Richard Russo zugrunde. Sind in der Literatur tatsächlich die überzeugenderen Kinogeschichten verborgen, sind Dichter die Leute mit den besseren Drehbucheinfällen? Kein Geringerer als Anton Tschechow nährt den Verdacht, dem Louis Malles jüngster Film "Vanya on 42nd Street" sich verdankt (im Forum der Berlinale gezeigt). Ein halbes Dutzend amerikanischer Schauspieler rund um den kugelköpfigen Wallace Shawn probiert, eben noch mit den eigenen Widrigkeiten befaßt, das tragische Schauspiel um Tschechows "Onkel Wanja" und dessen elend versäumtes Leben. Malles spielerisch intensiver, aber dabei überhaupt nicht schwermütiger Film erweist sich als Etüde über das Ingenium modernen Theaters und die Alterslosigkeit der Kunst. Die scheinbar selbstverständliche Präsenz der amerikanischen Darsteller ist staunenswert. Nicht zuletzt auf sie gründet der Triumph ihres Kinos, das nicht nur den deutschen Markt, sondern bisher auch das Berliner Festival beherrscht. HANS-DIETER SEIDEL
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