subversive Kraft der Sprache bewies Gardi, indem er die vermeintlich ach so tolerante Leserschaft im Handumdrehen an die Grenzen ihrer Großmütigkeit führte. Von weiten Teilen der Kritik wurde Gardi exakt dafür gefeiert.
Auch sein jüngstes Buch, in diesem Fall auf Hebräisch geschrieben und von Anne Birkenhauer mit großem Gespür für dessen rhythmische Eigenwilligkeit übersetzt, ist ein anarchischer, zügellos komischer Roman über die Sprache selbst und über ihr Vermögen, Ordnungsprinzipien zu unterlaufen, sei es nun Linearität oder Kausalität. Und mehr noch: In einem universelleren Sinne wird das Erzählen bei Gardi zur wahrhaft lebensrettenden Maßnahme, indem es phantastische Schlupflöcher in das Zwangssystem Gesellschaft reißt.
Die Ausgangssituation ist beinahe allzu einfach und symptomatisch: Nachdem er alle Sicherheitskontrollen und Routinen durchlaufen hat, sitzt ein Mann dem zuständigen Beamten des Arbeitsamtes gegenüber. Der allerdings verweigert ihm umgehend die Daseinsberechtigung. "Er sagt, so einen Beruf gibt es nicht, Schriftsteller."
Aber anstatt sich in Diskussionen darüber zu verstricken, ob dieser Beruf nun existiert, verlegt Gardis Protagonist sich auf den praktischen Beweis: Er beginnt dem sichtlich konsternierten Beamten zu erzählen von Triumph und Qual in Stierkampfarenen, von einem rosafarbenen Fisch, der im Foyer des Arbeitsamtes seine vom gepanzerten Glas begrenzten Runden schwimmt. Sprunghaft und assoziativ ist dieses Erzählen, traumgleich mitunter, indem sich Bilder und Szenen mit leichten Modifikationen wiederholen, die allesamt um Gefangenschaft, Ausgeliefertsein und die fragile Hoffnung auf Flucht kreisen.
Gardi vollzieht eine permanente Verwandlung, nicht nur der Schauplätze, sondern auch der Erzählerfigur selbst, die plötzlich eine Frau, eine Schriftstellerin, ist. Und, Moment mal, lautet nicht schon der erste Satz des Romans: "Die Geschichte beginnt so"? Das Erzählen, so wird suggeriert, geht über die Einhegung durch die Buchdeckel hinaus, ohne dass man denjenigen oder diejenige, der oder die dort spricht, dingfest machen könnte.
Man würde dem Buch einen Bärendienst erweisen, wollte man sein Springen und Hakenschlagen sortieren und in eine Ordnung fügen. Denn genau darum geht es Gardi: zu zeigen, wie poetische Freiheit konkrete Freiheit stiften kann. Dass ein uraltes Märchen dafür Pate gestanden hat, ist nicht nur offenkundig, sondern wird als Kampfansage dem Beamten und damit auch den Lesern präsentiert - angriffslustig und provokant: "Tausendundeine Nacht!, sagte ich zu ihm. Sie sind der König und ich bin Ihre Scheherezade, eine Scheherezade des neoliberalen Zeitalters, ultra-konsumistisch, techno-eskapistisch, psycho-anti-terroristisch, und Sie, Sie sind der King, soll ich Ihnen einen blasen?"
Wie schon in "Broken German" schürt Gardi immerzu das Verlangen, das Ausbrechen aus festgefahrenen, menschenverachtenden Formen von der Literatur auf das Leben zu übertragen. Man sollte seinen Roman nicht nur als ein Verwirrspiel lesen, das träges Denken in Bewegung versetzt, sondern als sehr konkrete Mahnung, sich nicht zur Verfügungsmasse eines Systems degradieren zu lassen. So heißt es etwa über die biometrischen Lesegeräte am Eingang des Arbeitsamtes, in dem bald darauf zumindest ein erzählerischer Aufstand geprobt werden wird: "Wenn jemand einmal alle Arbeitslosen unseres Landes in einen großen Zwinger einsammeln will, und der Tag ist nicht fern, denn Arbeitslose sind kein stabiles Kollektiv, sie sind gefährlich, dann ist alles dafür bereit. Die Daten, das Programm, die Polizei, die Zwinger. Es braucht nur noch den Befehl."
Dass Gardi den Beweis der existentiellen Bedeutung von Literatur und die Kritik der heutigen Lebensbedingungen mit unerschrockener Leichtigkeit und mitreißender Widerständigkeit zu erbringen vermag, macht die fabelhafte Kraft dieses Romans aus.
WIEBKE POROMBKA
Tomer Gardi: "Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück". Roman.
Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2019. 160 S., geb., 20,- [Euro].
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