die Ökonomie" entsteht, ist jedoch eine absurde These des in Schottland lehrenden Hochschullehrers für Management. Roscoe bezieht sich auf die Forschungen über die "Performativität" von Äußerungen. Der Begriff meint, dass Äußerungen niemals nur deklaratorisch, sondern immer auch konstitutiv seien. So wird mit der Aussage "Hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau", gesprochen von einem Standesbeamten, zugleich der Akt der Eheschließung vollzogen.
Der Brite John Austin veröffentlichte diese Theorie im Jahre 1962. Seitdem wurde sie immer wieder benutzt, um Benachteiligungen oder Ungleichheit zu erklären. Judith Butler hat dies in beeindruckender Weise in der Geschlechtertheorie getan, aber Roscoe scheitert hier: "Durch ihre Sprache und ihr Werkzeug erschafft die Ökonomie genau den Agenten, über den sie theoretisiert: den egoistischen, berechnenden und sogar unehrlichen Menschen." Roscoe ist von Hause aus Theologe, mithin Experte für das Jenseits, und er war niemals Ökonomie-Student. Er gibt offen zu, Bauchschmerzen zu haben, den Managementnachwuchs zu unterrichten: "Wir können sagen, dass ein Effekt der Ausbildung in Wirtschaftswissenschaften darin besteht, den Glauben an die Allgegenwart, Angemessenheit und Erwünschtheit eines von Selbstinteresse geleiteten Verfahrens zu stärken, was dann wiederum zu mehr vom Selbstinteresse geleitetem Verfahren führt."
Diese Aussage fasst Roscoe aus Studien Dritter zusammen, um schließlich selbstherrlich zu folgern: "Dass Studenten der Wirtschaftswissenschaften eine besonders große Selbstsucht angeboren ist, können wir ausschließen." Weshalb? Stephan Meier und Bruno S. Frey kamen im Jahre 2004 anhand einer großen Untersuchung an der Universität Zürich zum gegenteiligen Ergebnis. Nach ihrer Studie werden Menschen, die sich weniger "sozial" im herkömmlichen Wortsinn zeigen, stärker von einem wirtschaftswissenschaftlichen Studiengang angezogen. Diese Forschungsergebnisse hat Roscoe komplett ausgeblendet. Stattdessen glaubt er, dass uns die Beschäftigung mit der Ökonome zu schlechten Menschen macht.
Absurd ist auch, was Roscoe über das Online-Dating meint. Dabei stört ihn die Fleischbeschau am Computer und dass man potentielle Partner anhand einiger weniger Merkmale ablehnt oder aussucht. Das raube diesen Menschen ihre Würde. Aber, fragt sich der Leser, ist das nicht immer schon so gewesen, und ist das nicht menschlich?
Ein Blick in den größten Grundgesetz-Kommentar zeigt zudem: Unter Hunderten von Beispielen über mögliche Verletzungen von Würde findet sich kein einziger Satz über Dating-Portale. Man wünscht dem Autor die Gelassenheit eines Walter Mitty, der in dem gleichnamigen Kinofilm lediglich den Mut aufbringt, einer Arbeitskollegin online "zuzuzwinkern", um sie erst danach im realen Leben kennenzulernen. Die beiden werden glücklich. Das ist Kino, aber wie ist die Realität? Dass die durch einen anfänglichen Internetkontakt entstandenen Ehen unglücklicher sind oder kürzer halten, vermag Roscoe natürlich auch nicht nachzuweisen. Immerhin schreibt er im hinteren Teil des nicht lesenswerten Buches: "In einem Zeitalter mit noch nie dagewesenem Wohlstand", und der Leser stimmt begeistert zu, und möchte "die Ökonomie, die Ökonomie" rufen, bis er den zweiten Teil des Satzes liest: "... sind wir unglücklicher als je zuvor. Das sind die wahren Kosten der Ökonomie!"
Wer, bitte, ist unglücklich? Der Gigolo Andrew Collins? Der schüchterne Walter Mitty? Am ehesten noch der Rezensent dieses Buches! Roscoe übersieht, dass es in früheren Jahrhunderten immer Vorbehalte gegen Liebesehen gab, besonders bei Besitzbürgern, die etwas zu vererben hatten und deshalb an der "guten Partie" für die Kinder festhalten wollten. Heute können Partnerschaften zumindest theoretisch auch partnerschaftlich ausgehandelt werden - was für ein Fortschritt! Aber nicht für Roscoe. An keiner Stelle erwähnt er die Soziologin Arlie Hochschild, die für Partnerschaften eine vielgelobte "Ökonomie der Dankbarkeit" entwickelt hat. Darin geht es um die Stiftung eines gemeinsamen Bandes und nicht darum, in einer Partnerschaft unbedingt immer eine gleichwertige Gegenleistung zu erhalten.
Auch banale Fehleinschätzungen gesellen sich dazu: "Da explodierende Autos spektakuläre aufrüttelnde Ereignisse sind, halten wir sie für viel wahrscheinlicher, als sie sind." Nun, sie sind gar nicht wahrscheinlich, denn brennende Autos explodieren nie. Ebenso wenig hat Roscoes Buch eine Explosion in England ausgelöst, als es Anfang des Jahres dort erschienen war. Den Sprengstoff eines Thomas Piketty trägt es nicht in sich, aber nur wenn Sprengstoff im Spiel ist, kann etwas explodieren.
Von den fünf größten Londoner Buchhandlungen hatte jüngst nur ein einziges Geschäft das Buch des Schotten vorrätig. Ein Vergleich der deutschen mit der englischen Ausgaben zeigt zudem, dass der Hanser Verlag noch etliche Fehler bei Zitaten im Rahmen der Übersetzung bereinigen musste. Mit Roscoes Text hätte jeder Student an einer deutschen Fakultät ein Fiasko erlebt. Auf die Frage "Rechnet sich das?" - gemünzt auf die Lektüre dieses Buches, bleibt leider nur eine Antwort: nein.
JOCHEN ZENTHÖFER
Philip Roscoe: Rechnet sich das? Hanser Verlag, München 2014, 316 Seiten, 21,90 Euro.
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