mit "Steine und Träume", das in Deutschland 1998 erschien. In der Erzählung zeigte sie erstmals ihre Vorliebe für literarische Chiffren und Rätsel. Sie zeichnete darin eine Stadt, die sich sowohl als Warschau in einem bestimmten historischen Moment als auch als die Stadt im Allgemeinen interpretieren ließ. Und in dem 1998 im Original und 2000 auf Deutsch erschienenen Roman "In Rot" führte sie Figuren vor, die diverse Höhepunkte der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts personifizierten und so den immer gleichen Handlungsort zu deren eindrucksvoller Metapher machten.
Eine weitere symbolische Bilderwelt entwirft Magdalena Tulli in "Getriebe", das mit den früheren Büchern sowohl die traumartige Beschaffenheit der Erzählmaterie, die poetische Sprache und der Hang zu einer dezenten, doch stets spürbaren Ironie als auch die vielen Möglichkeiten der Gattungszuordnung und der Interpretation verbindet. Ist es ein Roman? Ein Essay? Handelt es von der Krise des postmodernen Romans? Von der Unerfüllbarkeit des Wunsches, für die Welt eine adäquate Erzählform zu finden? Von der Undurchsichtigkeit dieser Welt und Sinnlosigkeit unserer Existenz? "Welten erschaffen! Nichts ist leichter als das. Angeblich werden sie aus dem Ärmel geschüttelt." Wie ironisch die ersten Sätze des Romans gemeint sind, begreift der Leser insofern schnell, als Tulli sofort dazu übergeht, seine Illusionen bezüglich der demiurgischen Möglichkeiten eines Autors zu zerstören: Sie konstruiert eine Handlung, die nur der Ansatz einer Handlung bleibt, entwirft Situationen, die einen hypothetischen Charakter haben, erfindet Figuren, die ein eigenes Leben führen.
Was dieses literarische Chaos perfekt macht, ist die Situation des Erzählers, der denselben Gesetzen zu unterliegen scheint wie seine literarischen Kreationen: Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als die ihm zugeschriebene Rolle zu spielen. Er wird schon "beim bloßen Gedanken an den nächsten Satz müde", würde am liebsten weggehen und die Handlung ihrem Schicksal überlassen, doch er kann es nicht: Seine Rolle besteht ja darin, sie zu erzählen. Also wandert er durch die labyrinthartigen Korridore des alten Hotels, in dem er wohnt, und versucht, die Erzählung in Gang zu bringen. Er erfindet eine Figur nach der anderen, da ein Seiltänzerpaar, dort ein Kind, dann wiederum einen deutschen Geschäftsmann, setzt sich selbst in Szene, um besser die Kontrolle über alles zu behalten. Doch die Geschichten, die er erzählt, wollen sich schon deshalb zu keinem logischen Ganzen zusammenfügen, weil sie immer wieder von ihm, dem Lustlosen, unterbrochen und in Frage gestellt werden. Denn wozu erzählt er sie eigentlich? "Um das Auge mit ihrem Schillern zu erfreuen, wenn sie zitternd wie Seifenblasen aufsteigen?" Er weiß doch, noch "während sie emporsteigen, sind sie schon so gut wie versunken".
Ein Buch über die schöpferischen Qualen eines Schriftstellers also? Nicht ganz. Es geht wohl vielmehr um die Unzulänglichkeit der Sprache und die Übersetzbarkeit der Welt im Allgemeinen. Sie zu erzählen, in welcher Form auch immer, bedeutet laut Magdalena Tulli, sich in das "Getriebe" der Sprache hineinzwängen zu lassen, obwohl man weiß, dass diese unfähig ist, die Welt treu wiederzugeben, weil sie selbst ein Teil dieser Welt ist. Nicht zufällig lässt sie die Erzählräume nahtlos in reale Räume übergehen. Die Handlung verzweigt sich "in alle Richtungen, die Korridore, die das Foyer kreuzen, scheinen keine Enden zu haben, man kann sich ihre unzähligen immer weiteren Verästelungen vorstellen, alle gleichermaßen vollgestopft und nach Desinfektionsmittel riechend".
Schuld an der "Unerzählbarkeit" der Welt ist für Magdalena Tulli auch die Historie, die bewirkt, dass manche Worte von vornherein eine schlechte Konnotation haben, zu sehr mit negativer Bedeutung befrachtet sind. Sobald man etwa die Massenmorde thematisiert, die Judenvernichtung oder die Massaker in Afrika, muss man auf ein bestimmtes Vokabular zurückgreifen, die dem Thema zugeschriebenen Worte und Wendungen gebrauchen. Das macht das ohnehin komplizierte Verhältnis zwischen Realität und Sprache nicht gerade einfacher.
Was also tun? Schweigen? Auch das hält Magdalena Tulli für gefährlich. Sie weiß: "Die Stille ist wie ein grenzenloser Ozean, in dem Welten versinken." Deshalb sollte man sie trotz allem irgendwie benennen, denn die Unzulänglichkeit ist immer noch besser als nichts. Das Schweigen würde nämlich bedeuten, dass uns zusammen mit dem Begreifen der Welt auch die Wahrheit über unser Leben fehlt. In diesem Sinne ist "Getriebe" kein erfreuliches Buch - es führt uns zu deutlich die Nichtigkeit unseres Daseins und den Mangel an dessen metaphysischem Sinn vor Augen. Doch zugleich hat es etwas Tröstliches an sich: Man weiß genauso wenig die Antwort auf die Frage nach der Bedeutung des Lebens wie auf die, warum man schreibt. Doch muss man das eigentlich wissen? Man tut das eine wie das andere - und das ist gut so.
MARTA KIJOWSKA
Magdalena Tulli: "Getriebe". Roman. Aus dem Polnischen von Esther Kinsky. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2008. 160 S., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main