Matthias Jügler
Gebundenes Buch
Maifliegenzeit
Roman. 'Ein unheimlich eindringlicher Roman über ein himmelschreiendes Unrecht' DENIS SCHECK, ARD DRUCKFRISCH
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»Feinfühlig und zugleich kraftvoll erzählt Matthias Jügler in diesem spannenden Roman davon, dass die Vergangenheit nie vorbei ist.« Julia SchochFür Katrin und Hans wird der Alptraum aller Eltern wahr: Nach der Geburt verlieren sie noch im Krankenhaus unweit von Leipzig ihr erstes Kind - und kurz darauf auch sich als Paar. Denn Katrin quälen Zweifel an der Darstellung der Ärzte, Zweifel, von denen Hans nichts wissen will. Als Katrin Jahre später stirbt, wird klar, dass sie mit ihren Befürchtungen womöglich Recht hatte. Bei seinen Recherchen, die ihn tief in die Geschichte der DDR fÃ...
»Feinfühlig und zugleich kraftvoll erzählt Matthias Jügler in diesem spannenden Roman davon, dass die Vergangenheit nie vorbei ist.« Julia Schoch
Für Katrin und Hans wird der Alptraum aller Eltern wahr: Nach der Geburt verlieren sie noch im Krankenhaus unweit von Leipzig ihr erstes Kind - und kurz darauf auch sich als Paar. Denn Katrin quälen Zweifel an der Darstellung der Ärzte, Zweifel, von denen Hans nichts wissen will. Als Katrin Jahre später stirbt, wird klar, dass sie mit ihren Befürchtungen womöglich Recht hatte. Bei seinen Recherchen, die ihn tief in die Geschichte der DDR führen, stößt Hans auf Ungereimtheiten und eine Mauer des Schweigens. Klären kann er all seine Fragen in Zusammenhang mit dem Tod des Säuglings nicht, doch der Gedanke daran, in einem entscheidenden Moment seines Lebens versagt, etwas versäumt, einen Fehler begangen zu haben, lässt ihn künftig nicht mehr los. Da klingelt eines Tages das Telefon und sein Sohn ist am Apparat. Aufgewachsen in einer Adoptivfamilie, unterscheidet sich seine Vorstellung von der Vergangenheit grundlegend von dem, was Hans ihm erzählt. Wird sich die Kluft, die das Leben in einem Unrechtsstaat und vierzig fehlende gemeinsame Jahre gerissen haben, wieder schließen lassen?
Matthias Jügler zeichnet das bewegende Porträt eines traumatischen Verlustes, erzählt von folgenschweren Zweifeln, von der Kraft des Neubeginns und dem heilsamen Erleben der Natur. Ein feinsinniger Familienroman über ein dunkles Kapitel ostdeutscher Geschichte. - »Wahrhaftig und voller Hoffnung.« Anne Rabe
Für Katrin und Hans wird der Alptraum aller Eltern wahr: Nach der Geburt verlieren sie noch im Krankenhaus unweit von Leipzig ihr erstes Kind - und kurz darauf auch sich als Paar. Denn Katrin quälen Zweifel an der Darstellung der Ärzte, Zweifel, von denen Hans nichts wissen will. Als Katrin Jahre später stirbt, wird klar, dass sie mit ihren Befürchtungen womöglich Recht hatte. Bei seinen Recherchen, die ihn tief in die Geschichte der DDR führen, stößt Hans auf Ungereimtheiten und eine Mauer des Schweigens. Klären kann er all seine Fragen in Zusammenhang mit dem Tod des Säuglings nicht, doch der Gedanke daran, in einem entscheidenden Moment seines Lebens versagt, etwas versäumt, einen Fehler begangen zu haben, lässt ihn künftig nicht mehr los. Da klingelt eines Tages das Telefon und sein Sohn ist am Apparat. Aufgewachsen in einer Adoptivfamilie, unterscheidet sich seine Vorstellung von der Vergangenheit grundlegend von dem, was Hans ihm erzählt. Wird sich die Kluft, die das Leben in einem Unrechtsstaat und vierzig fehlende gemeinsame Jahre gerissen haben, wieder schließen lassen?
Matthias Jügler zeichnet das bewegende Porträt eines traumatischen Verlustes, erzählt von folgenschweren Zweifeln, von der Kraft des Neubeginns und dem heilsamen Erleben der Natur. Ein feinsinniger Familienroman über ein dunkles Kapitel ostdeutscher Geschichte. - »Wahrhaftig und voller Hoffnung.« Anne Rabe
Matthias Jügler, geboren 1984 in Halle/Saale, studierte Skandinavistik und Kunstgeschichte in Greifswald sowie Oslo und Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Für seine Romane wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. 2022 mit dem Klopstock-Preis für Literatur des Landes Sachsen-Anhalt, 2024 mit dem Rheingau Literatur Preis. 'Maifliegenzeit' (2024) stand auf der Shortlist des Evangelischen Buchpreises 2025. Jügler lebt mit seiner Familie in Leipzig, wo er auch als freier Lektor arbeitet.
Produktbeschreibung
- Verlag: Penguin Verlag München
- Originalausgabe
- Seitenzahl: 160
- Erscheinungstermin: 13. März 2024
- Deutsch
- Abmessung: 202mm x 129mm x 20mm
- Gewicht: 280g
- ISBN-13: 9783328602897
- ISBN-10: 3328602895
- Artikelnr.: 69298170
Herstellerkennzeichnung
Penguin Verlag
Neumarkter Straße 28
81673 München
produktsicherheit@penguinrandomhouse.de
»Es ist berückend, wie Matthias Jügler hier mit wenigen Worten Misstrauen auslotet. [...] Jügler hat sich mit einem dunklen Kapitel der DDR beschäftigt - spannend und bewegend zugleich. Für mich die Nummer eins auf der Bücherliste des Frühjahrs.« NDR Kultur, Claudia Ingenhoven
Was sich dem Blick entzieht, ist trotzdem existent
Matthias Jügler erzählt in "Maifliegenzeit" eine imaginäre Geschichte, die jedoch auf realen Ereignissen beruht: Zweitausend angeblich kurz nach der Geburt in der DDR gestorbene Kinder werden heute von ihren Eltern gesucht. Sie sollen an kinderlose fremde Ehepaare weitergereicht worden sein.
Von Melanie Mühl
Den dritten Roman von Matthias Jügler sollte man auf der letzten Seite zu lesen beginnen. In der Nachbemerkung offenbart sich das Ausmaß dieser ungeheuerlichen Geschichte, denn der Roman basiert auf historischen Begebenheiten. "Seit einigen Jahren ist nachgewiesen, dass es in der DDR Fälle von vorgetäuschtem Säuglingstod gab", heißt es dort. Den
Matthias Jügler erzählt in "Maifliegenzeit" eine imaginäre Geschichte, die jedoch auf realen Ereignissen beruht: Zweitausend angeblich kurz nach der Geburt in der DDR gestorbene Kinder werden heute von ihren Eltern gesucht. Sie sollen an kinderlose fremde Ehepaare weitergereicht worden sein.
Von Melanie Mühl
Den dritten Roman von Matthias Jügler sollte man auf der letzten Seite zu lesen beginnen. In der Nachbemerkung offenbart sich das Ausmaß dieser ungeheuerlichen Geschichte, denn der Roman basiert auf historischen Begebenheiten. "Seit einigen Jahren ist nachgewiesen, dass es in der DDR Fälle von vorgetäuschtem Säuglingstod gab", heißt es dort. Den
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leiblichen Eltern gegenüber wurden die Säuglinge für tot erklärt und zur Adoption an fremde Eltern gegeben. Es sei unklar, wie viele Kinder davon betroffen gewesen seien. "Aufgeklärt sind zum heutigen Zeitpunkt drei solcher Verbrechen, die Zahl der Verdachtsfälle liegt jedoch bei 2000." Zweitausend gestohlene Kinder, deren Eltern in die größte aller Tragödien gestürzt wurden: das eigene Kind zu verlieren, kaum dass es geboren worden ist.
Der Ich-Erzähler in Jüglers Roman "Maifliegenzeit" heißt Hans, ist Rentner, leidenschaftlicher Angler, er lebt in der Nähe von Leipzig und führt eine glückliche Beziehung. Die Vergangenheit hat er in einem hinteren Winkel seines Seelenlebens versteckt. Bis eines Tages ein Anruf kommt. Er ist beim Angeln, und Anne, seine Partnerin, nimmt den Hörer ab. Daniel ist dran, Hans' Sohn.
Vierzig Jahre sind seit dem traumatischen Verlust vergangen, und auch Katrin, Daniels Mutter, ist längst tot. Hans und sie lernten sich im Studium kennen, sie waren zwanzig, verliebt, zukunftsfroh. Als Katrin schwanger war, träumten sie schon von einem zweiten, einem dritten Kind. Doch dann, einen Tag nach der Geburt, tritt die Ärztin ins Krankenzimmer und überbringt jene Nachricht, die zwei Welten zusammenstürzen lässt: Daniel sei auf dem Weg ins Kinderkrankenhaus nach Jena verstorben. Das Herz sei zu schwach gewesen, es tue ihr leid. Ein Schicksalsschlag, bei dem man annehmen könnte, dass die Betroffenen ihren Schmerz nun teilen, einander Halt geben, gemeinsam trauern. Aber nichts davon geschieht, und so folgt auf die eine Tragödie gleich eine zweite, nämlich die der Entfremdung. Hans verfällt in eine Art Schockstarre, als fröre er ein, während Katrin an der Darstellung der Ärztin zweifelt. Sie hatte, von der Narkose nicht gänzlich betäubt, die Schreie ihres Sohnes gehört, laut und kräftig, die Schreie eines gesunden Kindes. Sie ist sich sicher, dass etwas faul ist, aber Hans will davon nichts wissen. Er hebt das Grab für seinen Sohn aus, den weder er noch Katrin je im Arm gehalten haben.
Jüglers Ton ist Pathos fremd, nüchtern und umso eindrucksvoller lässt er seinen Ich-Erzähler berichten, was ihm widerfahren ist. So funktioniert effizientes Erzählen auf knapp 160 Seiten, dass sich weder mit Nebensächlichkeiten aufhält, noch dem Rausch der eigenen Formulierungskunst erliegt.
Matthias Jügler wurde 1984 in Halle geboren, womit er wie die Autorinnen Anne Rabe und Charlotte Gneuß zu jener Generation der Nachgeborenen gehört, die in ihren Werken über die DDR schreiben, ohne sie selbst erlebt zu haben. Ihre Quellen sind Geschichtsbücher, Archivfunde, Familienerzählungen, Schicksale aus zweiter und dritter Hand, preisgegeben von Menschen, die ihre Lebensgeschichten erzählen möchten, ja müssen. Nur allzu gut in Erinnerung ist jene vergangenes Jahr entbrannte Debatte über die Frage, wer wie über die DDR und deren Unrechtsregime, über Gewalt- und Willkürherrschaft schreiben darf, wer wirklich authentisch erzählen kann, kurz: wer die Diskurshoheit hat. Dabei lautet die entscheidende Frage ja: Wem gelingt es, literarisch überzeugend dunkle Stellen deutscher Vergangenheit auszuleuchten und die Erinnerung daran wachzurufen, dass alle Vergangenheit stets Gegenwart ist - Stichwort transgenerationale Traumata. Das düstere Erbe der DDR wirkt fort. Matthias Jügler jedenfalls gelingt es, das Ungeheuerliche zu erzählen.
Kurz nach Mauerfall beantragt Hans Einsicht in die Krankenhausakten von Katrin und Daniel, aber die Ärzte speisen ihn mit fadenscheinigen Antworten ab. Wieder lädt Hans Schuld auf sich: das Versäumnis, diesem so offensichtlichen Verbrechen nachzugehen, das ihm nicht nur seinen Sohn, sondern auch seine Liebe Katrin genommen hat. Es dauert bis zum Jahr 2007, erst da rafft sich Hans, von Anne dazu gedrängt, zu einem neuen Anlauf auf.
Die Maifliegenzeit beginnt am Oberlauf der Unstrut um Pfingsten herum, und über dem Wasser schwirren dann Tausende Maifliegen, ein Schauspiel, dass Hans fasziniert, wie er überhaupt in der Natur Halt findet. Die Maifliegen sind Künstler der Tarnung. "Sie bevölkern mindestens ein Jahr lang den Grund unserer Flüsse und Bäche in so hoher Zahl, dass man es sich kaum vorstellen kann. Aber nur, weil sich etwas dem Blick so konsequent entzieht, heißt das nicht, dass es nicht existiert."
Auch Daniel existiert, aber er heißt Martin, das ist der Name, dem ihm seine Adoptiveltern, die inzwischen tot sind, gegeben haben. Als Hans im Haus seines telefonierenden Sohnes auf ihn wartet, dem imposanten Haus eines beruflich sehr erfolgreichen Mannes, fällt sein Blick auf eine Reihe gerahmter Fotos an der Wand. Sie zeigen seinen Sohn, Seite an Seite mit einer Frau und einem Mann, beide sympathisch, es sind die Adoptiveltern. An ihrer Stelle hätten er und Katrin stehen müssen. Ein paar Fotos, die von einem unwiederbringlich verlorenen Leben zeugen, um das die leiblichen Eltern von einem diktatorischen Staat betrogen worden sind.
Matthias Jügler: "Maifliegenzeit". Roman.
Penguin Verlag, München 2024.
160 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Ich-Erzähler in Jüglers Roman "Maifliegenzeit" heißt Hans, ist Rentner, leidenschaftlicher Angler, er lebt in der Nähe von Leipzig und führt eine glückliche Beziehung. Die Vergangenheit hat er in einem hinteren Winkel seines Seelenlebens versteckt. Bis eines Tages ein Anruf kommt. Er ist beim Angeln, und Anne, seine Partnerin, nimmt den Hörer ab. Daniel ist dran, Hans' Sohn.
Vierzig Jahre sind seit dem traumatischen Verlust vergangen, und auch Katrin, Daniels Mutter, ist längst tot. Hans und sie lernten sich im Studium kennen, sie waren zwanzig, verliebt, zukunftsfroh. Als Katrin schwanger war, träumten sie schon von einem zweiten, einem dritten Kind. Doch dann, einen Tag nach der Geburt, tritt die Ärztin ins Krankenzimmer und überbringt jene Nachricht, die zwei Welten zusammenstürzen lässt: Daniel sei auf dem Weg ins Kinderkrankenhaus nach Jena verstorben. Das Herz sei zu schwach gewesen, es tue ihr leid. Ein Schicksalsschlag, bei dem man annehmen könnte, dass die Betroffenen ihren Schmerz nun teilen, einander Halt geben, gemeinsam trauern. Aber nichts davon geschieht, und so folgt auf die eine Tragödie gleich eine zweite, nämlich die der Entfremdung. Hans verfällt in eine Art Schockstarre, als fröre er ein, während Katrin an der Darstellung der Ärztin zweifelt. Sie hatte, von der Narkose nicht gänzlich betäubt, die Schreie ihres Sohnes gehört, laut und kräftig, die Schreie eines gesunden Kindes. Sie ist sich sicher, dass etwas faul ist, aber Hans will davon nichts wissen. Er hebt das Grab für seinen Sohn aus, den weder er noch Katrin je im Arm gehalten haben.
Jüglers Ton ist Pathos fremd, nüchtern und umso eindrucksvoller lässt er seinen Ich-Erzähler berichten, was ihm widerfahren ist. So funktioniert effizientes Erzählen auf knapp 160 Seiten, dass sich weder mit Nebensächlichkeiten aufhält, noch dem Rausch der eigenen Formulierungskunst erliegt.
Matthias Jügler wurde 1984 in Halle geboren, womit er wie die Autorinnen Anne Rabe und Charlotte Gneuß zu jener Generation der Nachgeborenen gehört, die in ihren Werken über die DDR schreiben, ohne sie selbst erlebt zu haben. Ihre Quellen sind Geschichtsbücher, Archivfunde, Familienerzählungen, Schicksale aus zweiter und dritter Hand, preisgegeben von Menschen, die ihre Lebensgeschichten erzählen möchten, ja müssen. Nur allzu gut in Erinnerung ist jene vergangenes Jahr entbrannte Debatte über die Frage, wer wie über die DDR und deren Unrechtsregime, über Gewalt- und Willkürherrschaft schreiben darf, wer wirklich authentisch erzählen kann, kurz: wer die Diskurshoheit hat. Dabei lautet die entscheidende Frage ja: Wem gelingt es, literarisch überzeugend dunkle Stellen deutscher Vergangenheit auszuleuchten und die Erinnerung daran wachzurufen, dass alle Vergangenheit stets Gegenwart ist - Stichwort transgenerationale Traumata. Das düstere Erbe der DDR wirkt fort. Matthias Jügler jedenfalls gelingt es, das Ungeheuerliche zu erzählen.
Kurz nach Mauerfall beantragt Hans Einsicht in die Krankenhausakten von Katrin und Daniel, aber die Ärzte speisen ihn mit fadenscheinigen Antworten ab. Wieder lädt Hans Schuld auf sich: das Versäumnis, diesem so offensichtlichen Verbrechen nachzugehen, das ihm nicht nur seinen Sohn, sondern auch seine Liebe Katrin genommen hat. Es dauert bis zum Jahr 2007, erst da rafft sich Hans, von Anne dazu gedrängt, zu einem neuen Anlauf auf.
Die Maifliegenzeit beginnt am Oberlauf der Unstrut um Pfingsten herum, und über dem Wasser schwirren dann Tausende Maifliegen, ein Schauspiel, dass Hans fasziniert, wie er überhaupt in der Natur Halt findet. Die Maifliegen sind Künstler der Tarnung. "Sie bevölkern mindestens ein Jahr lang den Grund unserer Flüsse und Bäche in so hoher Zahl, dass man es sich kaum vorstellen kann. Aber nur, weil sich etwas dem Blick so konsequent entzieht, heißt das nicht, dass es nicht existiert."
Auch Daniel existiert, aber er heißt Martin, das ist der Name, dem ihm seine Adoptiveltern, die inzwischen tot sind, gegeben haben. Als Hans im Haus seines telefonierenden Sohnes auf ihn wartet, dem imposanten Haus eines beruflich sehr erfolgreichen Mannes, fällt sein Blick auf eine Reihe gerahmter Fotos an der Wand. Sie zeigen seinen Sohn, Seite an Seite mit einer Frau und einem Mann, beide sympathisch, es sind die Adoptiveltern. An ihrer Stelle hätten er und Katrin stehen müssen. Ein paar Fotos, die von einem unwiederbringlich verlorenen Leben zeugen, um das die leiblichen Eltern von einem diktatorischen Staat betrogen worden sind.
Matthias Jügler: "Maifliegenzeit". Roman.
Penguin Verlag, München 2024.
160 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Efeu-Rezension
Spürbar ungebührlich findet es Andreas Platthaus in der FAZ, dass der Leiter des Literaturhauses Leipzig, Thorsten Ahrend, den Schriftsteller Matthias Jügler vor einer Lesung aus dessen Roman "Maifliegenzeit" um einen Beleg gebeten hat für dessen in der Nachbemerkung zu seinem Roman gefallene Behauptung: "Seit einigen Jahren ist nachgewiesen, dass es in der DDR Fälle von vorgetäuschtem Säuglingstod gab." Ahrend beruft sich auf Studien, die keinen Nachweis dafür erbringen konnten, Jügler wiederum auf anekdotisches Wissen - die Lesung ist abgesagt. "Was ist das für ein Verständnis von Literatur, vor allem ihrer Fähigkeit, über Dinge, die nicht nach
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juristischen (oder auch journalistischen) Kriterien belegbar sind, zu erzählen und damit eine Debatte zu eröffnen", ärgert sich Platthaus. "Dass Jügler keine Lust hatte, sich von vorneherein auf unliterarisches Terrain zu begeben, ist verständlich. Er ist kein Archivar, er ist Romancier. Romane ziehen ihre Berechtigung nicht aus Wahrheit, sondern aus Wahrhaftigkeit." Dass systematisch Säuglinge entführt wurden, lege Jügler im übrigen eh nicht nahe: "'In der DDR' ist für Menschen, die lesen können, eine probate Orts- und Zeitbestimmung. Wer darin eine Systembeschreibung sieht, macht sich die Gleichsetzung von Diktatur und Alltag zu eigen, die gerade von Ostdeutschen immer wieder kritisiert wird."
© Perlentaucher Medien GmbH
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Wenn Jörg Schüttauf liest, meint man, Hans fühlen zu können, so viel Bedacht und Empathie liegt in seiner Stimmhaltung. Sie korrespondiert mit dem Feinsinn und der Klugheit, mit der der Autor dieses Thema präsentiert. Da fließen Gegenwarts- und Vergangenheitsebene gekonnt ineinander. Da wird die Beschreibung eines Angelrituals zur Allegorie auf Hans' Geschichte. Das ist einfach grandios konzipiert. Einen Roman spannend und gleichzeitig in einem solch ruhigen Ton zu schreiben, gelingt nicht vielen.
Als der 65-jährige Hans einen Anruf erhält, glaubt er, seinen Ohren nicht zu trauen. Es ist Daniel, sein Sohn, der kurz nach dessen Geburt vor 40 Jahren im Krankenhaus von Naumburg an der Saale für tot erklärt wurde. Ohne vorherige Warnung, ohne irgendwelche Anzeichen von …
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Als der 65-jährige Hans einen Anruf erhält, glaubt er, seinen Ohren nicht zu trauen. Es ist Daniel, sein Sohn, der kurz nach dessen Geburt vor 40 Jahren im Krankenhaus von Naumburg an der Saale für tot erklärt wurde. Ohne vorherige Warnung, ohne irgendwelche Anzeichen von Krankheiten. Seine Frau Katrin hatte von Beginn an Zweifel an dieser Geschichte, doch mittlerweile ist auch Katrin seit langer Zeit tot. Wie geht ein Vater damit um, wenn er erkennt, dass er nicht genug getan hat, um das Schicksal seines Kindes zu verfolgen? Und wie reagiert ein Sohn, wenn er nach so langer Zeit eine ganz neue Identität aufgezwängt bekommt? Davon und von so viel mehr erzählt Matthias Jügler in seinem neuen Roman "Maifliegenzeit", der jüngst im Penguin Verlag erschienen ist.
Ursprünglich wollte Jügler über das Thema "Zwangsadoptionen in der DDR" schreiben, über Eltern, die vom Unrechtsstaat aus verschiedensten Gründen als untauglich eingestuft wurden, ein Kind zu erziehen. Ohne es gegeneinander aufwiegen zu wollen, wirkt das Sujet von "Maifliegenzeit" ungleich dramatischer. Es geht um Eltern, deren Kinder unmittelbar nach der Geburt für tot erklärt wurden, um offenbar linientreue Elternpaare mit deren Erziehung zu beauftragen. Es geht aber auch um Väter und ihre Söhne, um ihre komplizierten Beziehungen und um verschiedene Generationen von Eltern. Und es geht um die Liebe zur Natur und zur Region und nicht zuletzt um das Angeln.
Denn "Maifliegenzeit" ist auch eine warmherzige Liebeserklärung an die Unstrut, einen Nebenfluss der Saale, und ihre Bewohner: die Fische. Detailliert und voller Respekt erzählt Jügler von diesen Tieren. Von der Barbe, die sich am liebsten ihr Leben lang versteckt hält, von der goldschimmernden Rotfeder und vom Karpfen, der aus Mitleid vom jungen Hans kurzerhand mal eben zurück ins Wasser geworfen wird. Und tatsächlich sind diese Naturbeschreibungen, die liebevollen Details, das große Plus dieses Romans. Jüglers Sprache ist einfach bezaubernd. Wer gedacht hat, dass ein Roman über das Angeln langweilig sein muss, der möge dieses gerade einmal 150 Seiten umfassende kleine Werk vorurteilsfrei zur Hand nehmen und sich eines Besseren belehren lassen.
Doch auch auf der Handlungsebene weiß der Roman zu überzeugen. Wie Ich-Erzähler Hans nicht nur in seine Kindheit zurückblickt, sondern auch, wie er sich auf die langjährige Suche nach seinem Sohn und nach der Wahrheit begibt, liest sich für ein so stilles Buch bemerkenswert spannend. Zwischenzeitlich wähnt man sich fast in einem Krimi. Dabei gelingt es Jügler hervorragend, die Bilder der Fische mit den skandalösen Ereignissen rund um die Suche nach Daniel kongenial zu verknüpfen. Scheinbar spielend umgeht er dabei sogar eine möglicherweise drohende Kitschgefahr. Wenn beispielsweise Hans in einer unglaublich anmutenden Szene dazu gezwungen wird, eigenhändig das Grab seines Sohnes zu schaufeln. Oder wenn mehrere Seiten lang die titelgebende Maifliegenzeit hinreißend schön erklärt wird. Jügler erzählt poetisch und bildhaft, aber niemals übertrieben. "Maifliegenzeit" ist von vorn bis hinten anrührend, aber niemals rührselig.
Da stört es letztlich auch nicht, dass man nach dem Zuschlagen des Buches ein wenig das Gefühl hat, dass das Finale im Vergleich zu den vorangegangenen 140 Seiten vielleicht nicht der Höhepunkt des Romans ist und dass einige Fragen offen bleiben. Schließlich setzt der Autor auf durchaus mündige Leser:innen - anders als es das DDR-Regime mit seinen Bürger:innen tat.
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!ein Lesehighlight 2024!
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„Für Katrin und Hans wird der Alptraum aller Eltern wahr: Nach der Geburt verlieren sie noch im Krankenhaus unweit von Leipzig ihr erstes Kind – und kurz darauf auch sich als Paar. Denn Katrin quälen Zweifel an der Darstellung der …
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!ein Lesehighlight 2024!
Klappentext:
„Für Katrin und Hans wird der Alptraum aller Eltern wahr: Nach der Geburt verlieren sie noch im Krankenhaus unweit von Leipzig ihr erstes Kind – und kurz darauf auch sich als Paar. Denn Katrin quälen Zweifel an der Darstellung der Ärzte, Zweifel, von denen Hans nichts wissen will. Als Katrin Jahre später stirbt, wird klar, dass sie mit ihren Befürchtungen womöglich Recht hatte. Bei seinen Recherchen, die ihn tief in die Geschichte der DDR führen, stößt Hans auf Ungereimtheiten und eine Mauer des Schweigens. Klären kann er all seine Fragen in Zusammenhang mit dem Tod des Säuglings nicht, doch der Gedanke daran, in einem entscheidenden Moment seines Lebens versagt, etwas versäumt, einen Fehler begangen zu haben, lässt ihn künftig nicht mehr los. Da klingelt eines Tages das Telefon und sein Sohn ist am Apparat. Aufgewachsen in einer Adoptivfamilie, unterscheidet sich seine Vorstellung von der Vergangenheit grundlegend von dem, was Hans ihm erzählt. Wird sich die Kluft, die das Leben in einem Unrechtsstaat und vierzig fehlende gemeinsame Jahre gerissen haben, wieder schließen lassen?“
Welche bewegendes und tief-in-der-Wunde-bohrendes Buch hier auf die Leserschaft wartet. Es war wahrlich besonders zu lesen und dennoch für mich auch nicht. Als Kind der DDR erschütterte mich diese Geschichte nur bedingt, denn fest steht, solche Fälle wie uns Autor Matthias Jügler hier erzählt, gab es leider zuhauf. Selbst im Bekanntenkreis meiner Familie ist so ein „mysteriöser“ Fall bekannt, der bis heute nicht geklärt ist. Ich betrachte dieses Buch also recht „objektiv“, sage aber klar aus, Jügler hat hier durch seinen besonderen Ton und die Wahl seiner Worte und Emotionen eine ganz besondere Geschichte erzählt die tief unter die Haut geht und keinesfalls den Leser kalt lässt. Einige Geschichten dazu sind öffentlich bekannt aber viele leider nach wie vor unter dem Deckmantel des Schweigens begraben. Eine Auflösung wird es wohl in den allermeisten Fällen nie dazu geben.
Unsere Protagonisten Katrin und Hans sind an diesem Alptraum als Paar zerbrochen. Hans‘ Geschichte weiter zu folgen ist absolut lesenswert, da hier extreme psychologische aber auch philosophische Parts mit einfließen. Dass dieser Roman nachhallt, ist von Beginn an einleuchtend. Fakt ist, es ist eine von sehr vielen solcher Geschichten aber dies ist keine negative Verurteilung für dieses Buch. Ganz im Gegenteil. Über diese Taten von damals muss stets berichtet werden, denn was damals in der DDR diesbezüglich geschah, ist absolut menschenunwürdig und sollte verurteilt werden. Jügler hat es jedenfalls absolut bravourös geschafft, hier eine von eben ganz vielen Geschichten sehr packend und emotional zu erzählen, dass der Leser gar nicht anders kann als dieses Buch zu verschlingen. Jügler beleuchtet aber nicht nur das Grauen sondern bringt auch wirklich wunderschöne natürliche Momente in diese Geschichte. So wie er die Natur und die Örtlichkeiten beschreibt, muss eine ganz tiefe Verbundenheit in ihm herrschen. So kann man nur schreiben wenn man diese Themen auch im Herzen trägt. Ich bin wirklich tief beeindruckt wie Jügler hier die Verbindungen zu alle dem knüpft und eben diesen besonderen Ton anschlägt. Das ist alles wirklich bemerkenswert austariert und frei von jeglichem Kitsch oder Klischee. Sie merken schon, dieses Buch muss man lesen und die 5 Sterne hat es absolut verdient. Ganz klare Leseempfehlung hierfür!
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Matthias Jügler setzt sich auch in seinem neuesten Roman mit den Spätfolgen der DDR auf unsere heutige Gesellschaft auseinander. Und da ich der Meinung bin, dass wir auch Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten leider weit davon entfernt sind, uns als …
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Matthias Jügler setzt sich auch in seinem neuesten Roman mit den Spätfolgen der DDR auf unsere heutige Gesellschaft auseinander. Und da ich der Meinung bin, dass wir auch Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten leider weit davon entfernt sind, uns als Bevölkerung wirklich zusammengehörig zu fühlen, nutze ich gerne auch diese literarische Gelegenheit, die sich mir (als Wessie) bietet, um mehr über das Leben in der DDR zu erfahren.
Das Thema des Romans ist keine leichte Kost. Im Mittelpunkt der Geschichte steht ein Mann, dessen Kind nach der Geburt für tot erklärt wurde, offenbar aber in Wirklichkeit ohne Wissen der Eltern zur Adoption frei gegeben wurde. Jügler überzeugt in der Darstellung des Vaters, der eine Achterbahnfahrt der Gefühle durchlebt. Er verliert nicht nur seinen Sohn, sondern auch seine Ehefrau, weil er nicht wie diese an einen vorgetäuschten Säuglingstod glaubt. Später macht er sich dennoch - erfolglos - auf die Suche nach seinem Kind und gibt auf, bis der Sohn als erwachsener Mann plötzlich anruft. All dies ist berührend, eindringlich und glaubhaft.
Zwei Dinge stören mich jedoch enorm: Zum einen ist dies, dass sich der Autor in seinem Nachwort knapp und eindeutig positioniert, er stellt vorgetäuschte Kindstode zum Zweck der Zwangsadoption als Fakt dar, obwohl dies bis dato trotz wissenschaftlicher Forschung in keinem Fall erwiesen ist. Damit schadet er in meinen Augen diesem wichtigen Thema leider. Und zum anderen - und dies wiegt noch deutlich mehr - umfassen knapp die Hälfte des ohnehin schmalen Büchleins detaillierte Abhandlungen übers Angeln. Sicherlich gekonntes Nature Writing, aber weder hat es mich unterhalten, noch konnte ich den Sinn hierbei bzw. den Bezug zum eigentlichen Thema der Geschichte herstellen.
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