E-Mail-Zitate in ihren Büchern unter Beweis zu stellen versuchen, ist der Einwand allerdings immer noch berechtigt.
Eine "Zukunft voller gepixelter Ideen" malen sich die desorientierten Helden in Douglas Couplands neuem, von fettgedruckten E-Mail-Zitaten überquellendem Roman aus: "Microsklaven" um die Dreißig, die in Kalifornien ihr Dasein als Programmierer fristen. Bei ihnen bestimmt das Medium sogar das Unterbewußtsein. "Ich dachte, ich würde zu einer Read-only-Datei", sagen sie. Wenn sie an die frische Luft gehen, leiden sie: "Die Sonne bringt mich um. Sie verätzt meine Netzhaut wie einen Mikrochip." Menschliche Körper, dozieren sie, seien "wie Disketten mit Symbolen". Den Unterhaltungswert dieser ironischen Metaphern aus dem Werkkreis Literatur der kalifornischen Arbeitswelt überschätzt der Autor beträchtlich.
Für Daniel, Karla, Todd, Bug, Ethan, Abe und Dusty ist ihre Arbeit "der totale Programmierwahnsinn" und das halbe Leben. Dessen andere Hälfte beginnen sie gerade zaghaft zu entdecken, wobei sie - fasten your seatbelts - auf sich selbst stoßen: "Was ist die Suche nach der nächsten großen, faszinierenden Anwendung anderes als die Suche nach der menschlichen Identität?" Auf der Suche nach ihrer Identität begegnen die "Microsklaven" wiederum sich selbst und überlegen, ob sie mit ihrer Arbeit dabei seien, sich "eine neue, überanimalische Identität zu erschaffen". Es wird schon so was sein.
Wenn dreißigjährige Programmierer zum ersten Mal mit Bindegewebsschwäche, Liebeskummer und Insolvenz Bekanntschaft machen und sich bestürzt in tiefschürfenden Betrachtungen über die menschliche Identität ergehen, breitet sich Langeweile aus. Mit Indiana Jones können Couplands Jäger der verlorenen Identität jedenfalls nicht konkurrieren, auch wenn sie von Bill Gates fasziniert sind, ausdrücklich "superangesagte" Computerspiele spielen und sich zwischendurch "wie ein Gemälde von Magritte" vorkommen. "Was unterscheidet jeden Menschen von allen anderen? Wo endet deine Individualität, und wo fängt deine Zugehörigkeit zu einer Gattung an?" Dreißigjährige, die sich solche Fragen stellen, haben zuviel oder zu spät Hermann Hesse gelesen.
Die Identitätssuche endet, erwartungsgemäß, im Nichts: "Da es heutzutage so wenige Dinge gibt, die einem Menschen Identität verleihen, IST die Palette von Identitäten, die du im Vakuum des Net für dich erschaffst - die Auswahl an alternativen ,Ichs' -, tatsächlich du selbst." Sorgen haben die Leute! Nach 358 Seiten einigen sich die Programmierer darauf, daß sie "ein bißchen mehr Freizeit" für ihre "persönliche Entwicklung und einfach zur Erholung" benötigen. Auf diese ungepixelte Idee hätten sie auch früher kommen können.
Das Schlußkapitel trägt den stolzen Titel "Transhumanity". Es ist schade, daß Coupland es darunter nicht mehr macht und wieder einmal himmelhoch hinaus gewollt hat, ins global und epochal Bedeutsame, denn er ist ein aufmerksamer, zu präzisen und komischen Formulierungen fähiger Beobachter seiner kleinen Welt: "Ich unterhielt mich gerade mit Todd, als er plötzlich sagte: ,Mann, ich würde gerne weiter mit dir reden, aber mein Proteinfenster geht zu', und er rannte in die Küche und aß ein Huhn. Was ist das bloß für ein Jahrzehnt." Weshalb muß er es schon wieder mit einem ganzen Jahrzehnt aufnehmen, wenn es auch Momentaufnahmen von großgewordenen Dosentelefonierern tun? GERHARD HENSCHEL
Douglas Coupland: "Microsklaven". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Tina Hohl. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1996. 462 S., geb., 48,- DM.
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